(Rom) Auf dem gestern erfolgten Rückflug von Mauritius stellte sich Papst Franziskus wie gewohnt den Fragen der Journalisten. Die Antworten finden größeres Interesse als die offiziellen Ansprachen, die Franziskus bei seinen Auslandsreisen hält. Die frei gesprochenen Stellungnahmen geben nämlich weit deutlicher und direkter sein Denken wieder. Gestern sprach Franziskus über „Schismen“. Die Tageszeitung Il Foglio bezeichnete heute die fliegenden Interviews als „vermeidbare Schäden“.
Das freie Wort, das Franziskus bei solchen Gelegenheit pflegt, provoziere vor allem „Mißverständnisse“ und Sätze, die Anlaß bieten, „schlecht interpretiert“ zu werden. Das sei aber „nicht Schuld der Journalisten“, so der Vatikanist Matteo Matzuzzi. Durch sein Vorgehen erreiche Franziskus vor allem eines, er nähre selbst „die Spannungen“ in der Kirche.
Auch andere Vatikanisten äußerten bereits, wenn auch ironisch, die Meinung, daß sich die Auslandsreisen des derzeitigen Kirchenoberhauptes auf ein Minimum reduzieren ließen, denn letztlich würden nur die im Flugzeug gemachten Aussagen im Gedächtnis bleiben.
Da Franziskus bei solchen Pressegesprächen auf alles antwortet, stellen die Journalisten auch zu allem Fragen.
So fiel auch der berühmteste Satz dieses Pontifikats in luftiger Höhe. Es war gleich die erste fliegende Pressekonferenz, Ende Juli 2013, bei der Franziskus sagte: „Wer bin ich, um zu urteilen?“ Der Satz verschaffte ihm die Titelseite der Homo-Zeitschrift The Advocate. Eine „Auszeichnung“, auf die keiner seiner Vorgänger wert gelegt hätte.
Auch einen anderen berüchtigten Satz, den ihm viele Katholiken nachtragen, sagte er in mehreren tausend Metern Höhe im Januar 2015: „Gute Katholiken müssen sich nicht wie die Karnickel vermehren“.
Bei seiner jüngsten Afrika-Reise vom 4.–10. September waren schon auf dem Hinflug von ihm solche „Perlen“ zu hören, wie sie Matzuzzi nennt. Dabei kehrte er erstmals ungewöhnlich offen eine Seite hervor, von der argentinische Beobachter bereits 2013 sprachen: einen tiefsitzenden Anti-Amerikanismus. Es sei, erklärte Franziskus den erstaunten Journalisten, für ihn „eine Ehre, von den Amerikanern angegriffen zu werden“.
Ungewohnte Töne von einem katholischen Kirchenoberhaupt.
Es bedurfte aller Klugheit und Redegewandtheit des sofort eingreifenden, neuen Vatikansprechers Matteo Bruni, um den „diplomatischen Fauxpas“ einigermaßen auszubügeln.
Auf dem gestrigen Rückflug sprach Franziskus von einem „Schisma“, ein heikles Stichwort, das in der Kirche in der Regel vermieden wird. Den Anstoß gab eine Frage von Jason Horowitz, dem Vatikanisten der New York Times, dem notorisch kirchenfeindlichen Leitmedium des linksliberalen Mainstream.
Matzuzzi schreibt heute dazu:
„Das Argument ist höchst delikat, gerade jetzt, da die konservativen Amerikaner kein Geheimnis daraus machen, daß sie die derzeitige Kirchenleitung im Vatikan nicht mehr ertragen können, und die progressiven Deutschen mit allem drohen, womit man nur drohen kann, wenn ihre Forderungen in den kommenden Monaten nicht erfüllt werden.“
Die Anspielungen sind eindeutig. Sie haben nicht nur mit dem Fall McCarrick und der Amazonassynode zu tun.
Wörtlich sagte Franziskus gestern zum Stichwort Schisma:
„In der Kirche gab es viele. […] Das Zweite Vaticanum hat diese Dinge hervorgebracht, die vielleicht bekannteste Loslösung ist die von Lefebvre. In der Kirche gibt es immer die schismatische Aktion, immer. Das ist eine der Aktionen, die der Herr der menschlichen Freiheit läßt. Aber ich habe keine Angst vor den Schismen. Ich bete, daß es keine gibt, denn es steht die geistliche Gesundheit vieler auf dem Spiel, daß Dialog herrscht, daß es Zurechtweisung gibt, sollte es irgendeinen Fehler geben, aber der Weg ins Schisma ist nicht christlich. […]
Dann kommt mir eine Anekdote in den Sinn, die ich schon manchmal erzählt habe: Es ist das Volk Gottes, das vor den Schismen rettet, weil die Schismatiker immer eines gemeinsam haben, sie trennen sich vom Volk und vom Glauben des Volkes Gottes. […]
Das Volk Gottes bringt immer in Ordnung und hilft. Ein Schisma ist immer ein elitärer Zustand, eine von der Doktrin losgelöste Ideologie. […]
Ich bete, daß es keine Schismen gibt, aber ich habe keine Angst. […]
Ich antworte auf die Kritik. Zum Beispiel die sozialen Dinge, die ich sage, sind dieselben, die Johannes Paul II. sagte. Ich kopiere ihn. Oder der Vorrang einer asketischen Moral vor der Moral des Volkes Gottes, die Moral der Ideologie, sozusagen pelagianisch, die zur Härte führt.“
Grundsätzlich begrüße er eine ehrliche Kritik. Was ihm aber nicht gefalle, sei es, wenn man ihm ins Gesicht lache und zugleich das Messer in den Rücken ramme.
Doch vielleicht fehlt es dem derzeitigen Kirchenoberhaupt gerade an einer ehrlichen Bereitschaft Kritik zu hören und auf sie einzugehen. Vielleicht sollte Franziskus sich mit anderen, zumindest auch mit anderen Leuten umgeben, nicht nur solchen, die ihm aufgrund ihrer Vergangenheit zu Dank verpflichtet sind oder von einer ideologisierten Gesinnung geleitet werden, die er so sehr kritisiert, aber nur auf einem Augen zu sehen scheint, während er sie auf dem anderen Augen nicht erkennt oder nicht erkennen will.
Die Frage von Horowitz, die klassische, journalistische Mischung aus Neugierde und Provokation, offenbart eine verfahrene Situation. Eine ernste Situation.
Nach sechseinhalb Jahren des Pontifikats haben sich Anfangsdefizite nicht verflüchtigt, sondern verfestigt. Franziskus spricht so häufig wie kein Papst vor ihm von Dialog, Austausch, Zuhören, Parrhesie und Offenheit. Gleichzeitig schottet er sich selbst wie kein anderer Papst der jüngeren Geschichte gegen andere Meinungen ab. Selbst bei Audienzen wird eine strikte ideologische Selektion praktiziert. Und nichts entspricht leider weniger den Tatsachen als die gestern von Franziskus gemachte Aussage: „Ich antworte auf die Kritik“.
Solange sich das nicht ändert, gilt tatsächlich, daß Franziskus, ob er es will oder nicht, selbst „die Spannungen“ in der Kirche nährt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)