Der Kampf gegen die Abtreibung ist „nicht gescheitert“

Francesco d'Agostino gegen Simone Pillon


Das Lebensrecht ist unveräußerlich, weshalb auch der Kampf zu seiner Verteidigung nie scheitern kann.
Das Lebensrecht ist unveräußerlich, weshalb auch der Kampf zu seiner Verteidigung nie scheitern kann.

(Rom) Papst Fran­zis­kus schwieg das erste hal­be Jahr sei­nes Pon­ti­fi­kats, dann teil­te er der Welt in sei­nem ersten aus­führ­li­chen Inter­view mit, daß man nicht stän­dig über The­men wie Abtrei­bung und Homo­se­xua­li­tät spre­chen kön­ne. Fran­zis­kus nahm seit­her mehr­fach mit deut­li­chen Wor­ten gegen die Tötung unge­bo­re­ner Kin­der Stel­lung, ließ aber im Kon­text erken­nen, daß er die Kir­che in kei­nen Kul­tur­kampf füh­ren wer­de. Das Gesamt­si­gnal war bereits 2013 unmiß­ver­ständ­lich und wahr­schein­lich in erster Linie nicht an die Kir­che, son­dern an die Welt gerich­tet. Den­noch: In Tei­len der Kir­che war ein Auf­at­men zu hören. End­lich sei man die lästi­gen The­men los, mit denen man stän­dig in „der Welt“ anecke. Jene Kir­chen­krei­se freu­ten sich über die Locke­rungs­übun­gen, die ohne­hin schon seit Jah­ren oder gar Jahr­zehn­ten in der Sache kei­nen Fin­ger rühr­ten. Nun aber konn­ten sie es den ande­ren Katho­li­ken, die an den „nicht ver­han­del­ba­ren Wer­ten“ (Bene­dikt XVI.) fest­hal­ten, ins Gesicht sagen: Hört end­lich auf mit eurem Kul­tur­kampf und eurem Wider­stand gegen die „Lebens­wirk­lich­keit“. So tat es nun auch wie­der der Avve­ni­re, die Tages­zei­tung der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz. Der Rechts­phi­lo­soph Fran­ces­co D’Agostino behaup­te­te dort, der Kampf gegen die Abtrei­bung sei „geschei­tert“.

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D’Agostino war von 1995–1998 und von 2002–2006 Vor­sit­zen­der des Natio­na­len Ethik­ra­tes. 2017 wur­de er von Papst Fran­zis­kus 2017 an die völ­lig umge­bau­te Päpst­li­che Aka­de­mie für das Leben beru­fen. Er ist nicht irgendwer.

Wider­spruch kommt aber von Simo­ne Pil­lon. Der Jurist und akti­ve Lebens­schüt­zer ist Mit­glied des Ita­lie­ni­schen Senats für die Lega von Matteo Sal­vi­ni. In der Tages­zei­tung La Veri­tà repli­zier­te er gestern auf die Behaup­tung D’Agostinos.

Pil­lons Erwiderung:

„Der Kampf gegen die Abtrei­bung ist nicht ver­lo­ren. Argen­ti­ni­en, Ala­ba­ma und Texas sind der Beweis dafür.“

D’Agostino hat­te mit der Auto­ri­tät eines Mit­glieds der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben zuvor verkündet:

„Wir müs­sen mit einer gro­ßen Anstren­gung, einer wirk­lich gro­ßen Anstren­gung von intel­lek­tu­el­ler Red­lich­keit das völ­li­ge Schei­tern des seit meh­re­ren Jahr­zehn­ten statt­fin­den­den Ein­sat­zes gegen die Abtrei­bung eingestehen.“

Aus die­sen Wor­ten spricht Resi­gna­ti­on. Eine Hal­tung, die auch durch den feh­len­den, kirch­li­chen Rück­halt in den ver­gan­ge­nen Jah­ren zu haben könnte.

Pil­lon wirft D’Agostino vor, „die Hoff­nung zu ver­lie­ren, und das scheint mir wirk­lich eine Sün­de zu sein“. D’Agostino ris­kie­re, so Pil­lon, wie Moses zu enden, der wegen sei­nes gerin­gen Ver­trau­ens das ver­hei­ße­ne Land zwar sehen, aber nicht mehr betre­ten konn­te. Das Mit­glied der Päpst­li­chen Aka­de­mie für das Leben fixie­re sei­nen Blick auf die bevor­ste­hen­de, wei­te­re Libe­ra­li­sie­rung der Tötung unge­bo­re­ner Kin­der im Für­sten­tum Mona­co und im austra­li­schen Staat Neu-Süd-Wales.

„Er sieht aber nicht, daß ande­re Län­der die zen­tra­le Bedeu­tung des Lebens­rechts erken­nen, nach­dem dort jah­re­lang Abtrei­bungs­ge­set­ze in Kraft waren.“

Als posi­ti­ve Bei­spie­le nennt Pil­lon Argen­ti­ni­en, Texas und Ala­ba­ma. Der letzt­ge­nann­te US-Staat hat das Lebens­recht an den ärzt­lich fest­stell­ba­ren Herz­schlag gekoppelt. 

„Die Logik dahin­ter ist eben­so sim­pel wie ein­leuch­tend: Wenn ein Mensch stirbt, wenn sein Herz auf­hört zu schla­gen, muß im Umkehr­schluß erst recht gel­ten, daß ein eigen­stän­di­ge Mensch lebt, wenn sein Herz zu schla­gen beginnt.“

Er wis­se natür­lich, daß das Leben mit der Zeu­gung beginnt und auch ab die­sem Moment zu schüt­zen ist. 

„Mir geht es dar­um, auf­zu­zei­gen, daß der ‚jahr­zehn­te­lan­ge‘ Kampf gegen die Abtrei­bung kei­nes­wegs ver­lo­ren ist, son­dern gera­de heu­te star­ke Früch­te zeigt, auch auf recht­li­cher Ebene.“

„War­um also ver­zwei­feln? War­um den poli­ti­schen, kul­tu­rel­len und sozia­len Ein­satz für geschei­tert erklä­ren? War­um miß­ach­ten und gering­schät­zen, daß so vie­le Lebens­schüt­zer sich täg­lich bereit­wil­lig von den into­le­ran­ten ‚Prie­stern der Tole­ranz‘ belei­di­gen und her­um­schub­sen las­sen, nur weil sie auch das Lebens­recht der unge­bo­re­nen Kin­der verteidigen?

Ich weiß, daß die Ver­kün­di­gung des Evan­ge­li­ums Vor­rang vor der Moral hat. Die Ver­tei­di­gung des Lebens ist aber kei­ne Fra­ge der kirch­li­chen Moral, son­dern eine Norm des Natur­rechts, die jedem Men­schen guten Wil­lens instink­tiv ein­leuch­tet. Des­halb haben sich auch bekann­te Per­sön­lich­kei­ten wie Pier Pao­lo Paso­li­ni, Oria­na Falla­ci und Nor­ber­to Bob­bio gegen Abtrei­bung aus­ge­spro­chen, obwohl sie nicht gläu­big waren.

Wer hät­te zu Oba­mas Zei­ten gedacht, daß ein US-Prä­si­dent den Teil­neh­mern beim Marsch für das Leben in Washing­ton eine Video­bot­schaft zukom­men läßt und ein Vize­prä­si­dent selbst am Marsch teil­nimmt? Wer hät­te unter Oba­ma noch hof­fen kön­nen, daß die Bun­des­mit­tel für die Abtrei­bungs­kli­ni­ken gestri­chen wer­den? Wer hät­te sich vor­stel­len kön­nen, daß der US-Prä­si­dent Ver­su­che blockiert, eine inter­na­tio­na­le Über­ein­kunft zu fin­den, Abtrei­bung zum „Frau­en­recht“ zu machen? Der hart­näcki­ge und aus­dau­ern­de Ein­satz von vie­len hat aber genau das mög­lich gemacht.“

Von einem „Schei­tern“ kön­ne kei­ne Rede sein. Der­zeit sei viel­leicht sogar der gün­stig­ste Moment für den Lebens­schutz, so der Sena­tor, seit Ende der 60er Jah­re in den west­li­chen Staa­ten mit der Abtrei­bungs­le­ga­li­sie­rung begon­nen wur­de. Die Zei­chen sei­en zu erken­nen und zu nüt­zen. Jeder kön­ne die Erfol­ge aber auch im Klei­nen anhand des eige­nen Ein­sat­zes die Erfol­ge feststellen.

„Nach­dem ich wegen mei­nes Enga­ge­ments für das Lebens­recht der unge­bo­re­nen Kin­der wie­der­holt öffent­lich ange­grif­fen wur­de, hat sich mir ein Kol­le­ge genä­hert, der poli­tisch einer ganz ande­ren Rich­tung ange­hört. Er sag­te mir, er habe sei­ne Posi­ti­on zur Abtrei­bung völ­lig revi­die­ren müs­sen, als sein 16-jäh­ri­ger Sohn nach Hau­se kam und sag­te: ‚In Sachen Abtrei­bung hat Pil­lon recht. Es muß kei­ne unge­woll­ten Schwan­ger­schaf­ten geben. War­um soll­te das Kind für eine Ober­fläch­lich­keit bezah­len?‘ Die­se ein­fa­chen, aber tref­fen­den Gedan­ken setz­ten kei­nen reli­giö­sen Glau­ben vor­aus, aber gesun­den Haus­ver­stand und Mensch­lich­keit, denn die­se Wahr­heit trägt jeder in sei­nem Herzen.“

„Dar­um nur Mut! Das sage ich den vie­len, die mit Herz und Lei­den­schaft für die Ver­tei­di­gung der unge­bo­re­nen Kin­der ein­tre­ten. Ich sage es aber auch mei­nem alten Freund Fran­ces­co D’Agostino, damit er alle Trau­rig­keit und Hoff­nungs­lo­sig­keit ver­bannt. Unse­re Auf­ga­be ist es, unbe­irrt und uner­schüt­ter­lich Zeug­nis zu geben von einer erkann­ten Wahr­heit. Und die Wahr­heit, wie der hei­li­ge Augu­sti­nus sagt, ist ein Löwe, der sich selbst zu ver­tei­di­gen weiß. Es genügt, ihn freizulassen.“

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: MiL

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