(Rom) Die Internet-Zeitung In Terris veröffentlichte zum Hochfest Mariä Himmelfahrt ein Interview mit dem bekannten Dogmatiker und Mariologen, P. Salvatore Maria Perrella OSM.
P. Perrella gehört dem Servitenorden an und ist Rektor der Päpstlichen Theologischen Fakultät Marianum und Professor der Theologie an der Medizinischen Fakultät Agostino Genmelli in Rom. Er war Mitglied der von Papst Benedikt XVI. eingesetzten, sogenannten Ruini-Kommission, die unter dem Vorsitz von Camillo Kardinal Ruini von 2010–2012 das Phänomen Medjugorje untersuchte.
In dem Interview erklärt P. Perrella die vier marianischen Dogmen und spricht über die im gläubigen Volk lebendige Marienverehrung.
2015 bestätigte er, daß Papst Franziskus „skeptisch“ sei gegenüber der „sogenannten ‚Madonna von Medjugorje‘, die einen ständigen Fluß von Botschaften sendet, zuviel redet und sich zu festgelegten Stunden zeigt“.
Zur Arbeit der Ruini-Kommission äußerte sich der Servit wegen der Schweigepflicht bisher nicht. Nur soviel sagte er: Die Kommission habe „gründlich und ernsthaft gearbeitet“. Das Urteil Roms werde der Tatsache Rechnung tragen und betonen, daß „Erscheinungen immer möglich sind“, und wenn sie als echt anerkannt werden, „ein Geschenk Gottes sind“.
„Die Kirche hat aber die Pflicht, den Primat der Offenbarung zu bewahren, indem sie diese besonderen Ereignisse nur als Unterstützung des Evangeliums Christi versteht.
Die Jungfrau Maria ist strahlend, aber dennoch immer ein Geschöpf Gottes, das nie die Begegnung mit Christus verdunkelt, sondern diese immer fördert. Es gelten die Worte Mariens im Johannes-Evangelium: ‚Was Er euch sagt, das tut‘. Wie Johannes Paul II. lehrte, gehören die Erscheinungen zur mütterlichen Mittlerrolle Mariens.“
Es ist bald 69 Jahre her, daß die Kirche zuletzt formal ein Dogma verkündete, also eine Glaubenswahrheit definierte, die alle Gläubigen mit der Kirche zu glauben haben. Papst Pius XII. verkündete mit der Apostolischen Konstitution Munificentissmus Deus die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel. Dieses Hochfest wird am 15. August begangen. Nicht Gegenstand des Dogmas ist die Frage, ob die Entschlafung Mariens (Dormitio Virginis) den natürlichen Tod oder einen tiefen Schlaf meint, wie die Mehrzahl der Theologen sagt. Das Fest wird auch in den Ostkirchen gefeiert mit dem Unterschied, daß die Katholiken liturgisch der Aufnahme Mariens in den Himmel, die Orthodoxen und Orientalen der Entschlafung Mariens gedenken. Da in der östlichen Tradition am Julianischen Kalender festgehalten wird, entspricht dort der 15. August dem 28. August nach dem Gregorianischen Kalender.
In der Ikonographie der Westkirche sind die Himmelfahrt und die Krönung Mariens im Himmel vorherrschend. Noch älter ist jene der Ostkirche der Entschlafung Mariens. Im Westen haben sich davon nur wenige Beispiele erhalten wie in der architektonisch außergewöhnlichen, ehemaligen Benediktinerabtei San Pietro al Monte in der Gemeinde Civate in der Lombardei. Die Weiterentwicklung der ostkirchlichen Ikonographie zeigt, wie Christus die Seele Mariens aufnimmt. Die Darstellung der Gottesmutter mit dem Jesuskind im Arm wird umgekehrt in Jesus mit der Gottesmutter im Arm. Die älteste schriftliche Überlieferung, die von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel spricht, stammt vom heiligen Bischof Gregor von Tours, der im 6. Jahrhundert lebte.
Einige Auszüge aus dem ausführlicheren Interview.
Fatima ist die prophetischste Marienerscheinung
In Terris: Von Fatima über Lourdes nach Medjugorje: Was verbindet die Marienerscheinungen?
P. Perrella: Es gibt keinen roten Faden zwischen den Erscheinungen. Es ist gut, wenn man das in aller Klarheit sagt. Jede Marienerscheinung hat ihren Grund und ihre eigene Geschichte. Die einzige Verbindung, die man herstellen kann, ist die, daß Gott es erlaubt, daß die beste Botschafterin Seines Reiches an einem bestimmten Ort erscheinen und – wenn angebracht – einige Botschaften übermitteln kann, die letztlich immer dieselben sind, denn Maria kann nicht über das Evangelium hinausgehen. Sie bleibt daher immer in der Perspektive des Evangeliums.
Wenn wir Lourdes sagen, sprechen wir vom Jahr 1854 in einem bestimmten Land, Frankreich, in einer bestimmten Epoche. Vergessen wir nicht, daß das 19. Jahrhundert die Epoche des post-rationalistischen Erstrahlens, aber auch des Elends der Vernunft und des Jahrhunderts der Demut war. Es ist kein Zufall, daß das 19. Jahrhundert weltweit die meisten Marienerscheinungen erlebte. Was Fatima betrifft, und ich gebe hier Kardinal Bertone recht, ist die prophetischste der Erscheinungen.
Wenn wir in diesen Zusammenhängen von Prophetie sprechen, müssen wir aber achtgeben, nicht in den Aberglauben zu fallen. Die Prophezeiung Mariens ist immer dieselbe: den Herrn loben und das Evangelium leben, was bedeutet, alles fernzuhalten, was gegen das Evangelium und gegen Gott ist. Maria wiederholt sich, aber diese Wiederholung ist ihre hohe Schule des christlichen Glaubens.
In Terris: Maria spricht im Evangelium ganz wenig: Warum ist sie in den Erscheinungen so gesprächig?
P. Perrella: Die Frage akzeptiere ich, aber wir müssen die Dinge unterscheiden. Eine Sache sind die Worte Mariens, die in den Evangelien überliefert sind, eine andere Sache sind die Botschaften. Das sind zwei absolut verschiedene Dinge. Das Evangelium ist nicht das Buch der Geschichte Mariens, sondern das Buch des Wortes Gottes, in dem wir die Wirklichkeit finden, Texte, die uns Worte, Gesten und Bedeutungen vermitteln, die die Kirche von Anfang an der Mutter des Herrn zugeschrieben hat.
In Terris: Die jüngsten Pontifikate waren alle marianisch wegen der großen Marienverehrung der Päpste. Sind Sie der Meinung, daß sie früher oder später zur Miterlöserin der Menschheit proklamiert wird, wie es Johannes Paul II. vorhatte?
P. Perrella: Nein, das ist nicht wahr. Aufgrund meiner Arbeitserfahrung im Vatikan kann ich sagen, daß die Kirche das Dogma der Corredemptrix, von Maria Miterlöserin, Mediatrix oder Anwältin nicht befürwortet. Johannes Paul II. hat uns in Redemptoris Mater Nr. 38–41 seine Theologie nicht über die Miterlösung, sondern über die mütterliche Vermittlung Mariens in Christus, mit Christus und durch Christus hinterlassen. Johannes Paul II. hat in seinem maßgeblichen Lehramt niemals den Ausdruck Miterlöserin verwendet, der an sich nicht falsch ist, aber, losgelöst gebraucht, die Vorstellung befördern könnte, daß Maria als Gefährtin des Erlösers notwendig sei. Lumen Gentium lehrt in der Nr. 60 aber eindeutig, daß das Mitwirken Mariens für das Heil nicht notwendig ist, da dieses allein dem Willen Gottes entspringt. Es ist wichtig, wenn zu diesen Dingen Klarheit herrscht. Die beste Form der Marienverehrung, die ich mehr als mein Leben liebe, ist es, die wirkliche Glaubenslehre weiterzugeben, wie sie von der Kirche beglaubigt ist, und nicht persönliche Meinungen.
Text/Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: In Terris (Screenshot)