(Rom) Papst Franziskus gab ein neues Interview. Darin warnt er in dramatischen Tönen vor der Souveränitätsbewegung und den „Populisten“ und vor einem Zerbrechen der EU. Zugleich fand er lobende Worte für die neue EU-Spitze und Greta Thunberg. Die Amazonassynode bezeichnete er als „Dringlichkeitssynode“ wegen des ökologischen „Notstandes“.
Gestern wurde das Interview von der italienischen Tageszeitung La Stampa veröffentlicht. Bevor Andrea Tornielli, Hausvatikanist von Papst Franziskus, Mitte Dezember 2018 in den Vatikan berufen wurde, war er Journalist bei La Stampa und Gründer und Koordinator der Nachrichtenplattform Vatican Insider, die Teil derselben Tageszeitung ist. Das Interview führte ein ständiger Mitarbeiter von Vatican Insider, Domenico Agasso.
Wörtlich sagte Franziskus:
„Die Souveränitätsbewegung macht mir Angst, sie führt zu Kriegen.“
Und weiter:
„Europa darf sich nicht auflösen. Es muß gerettet werden. Es hat humane und christliche Wurzeln. Eine Frau wie Ursula von der Leyen kann die Kraft der Gründerväter wiederbeleben.“
Papst Franziskus setzte einmal mehr Europa mit der EU gleich, obwohl nur ein Teil Europas der EU angehört, die es rechtlich in der heutigen Form erst seit 2009 gibt.
Davon abgesehen sind es starke Worte für jemanden, der seit Beginn seines Pontifikats nicht unwesentlich zur Öffnung der Tore Europas für die unkontrollierte Masseneinwanderung und damit zu den heutigen Problemen beigetragen hat. Die dadurch stattfindende Überfremdung, die Islamisierung, das Zerfallen der Staatsvölker in eine zunehmende Vielzahl ethnischer Gruppen, das Entfremdungsgefühl der einheimischen Bevölkerung, die Ängste vor Heimat- und Identitätsverlust der europäischen Völker werden ausgeblendet. Die in zahlreichen Staaten aufkommenden Gegenbewegungen der Europäer werden von ihm verurteilt. Diesem Zweck dient auch das jüngste Interview, aber nicht nur. Zusammenfassend gab Papst Franziskus nicht nur wieder, was derzeitiger Mainstream ist, sondern machte sich sogar zu seinem apokalyptischen Sprecher.
Auf die Frage, ob die Amazonassynode dazu dienen soll, ein verheiratetes Priestertum einzuführen, widerspricht Franziskus nicht.
Geführt wurde das Interview am 6. August, dem 41. Todestag von Papst Paul VI. Franziskus erinnerte daran und betonte, sich diesem Vorgänger besonders verbunden zu fühlen.
„An diesem Tag versuche ich immer für einen Moment in die Grotten unter dem Petersdom hinunterzusteigen, um allein in Gebet und Schweigen vor seinem Grab zu verweilen.“
Wie schildert Agasso das Kirchenoberhaupt bei ihrer Begegnung?
„Sein gewohntes, freundliches Lächeln. Franziskus ist heiter und gelassen. Und konzentriert. Es beeindruckt seine Fähigkeit, zuzuhören. Er schaut einem immer in die Augen, nie auf die Uhr. Er nimmt sich die nötigen Pausen, bevor er einen heiklen Gedanken äußert. Er spricht von Europa, dem Amazonas und der Umwelt.“
Die „Heiterkeit“ von Franziskus widerspricht auf bemerkenswerte Weise dem endzeitlichen Tonfall seiner Interview-Antworten. Das gesamte Interview erinnert mehr an das eines Politikers, entsprechend weist es nur am Rande wirklich christliche Elemente auf.
Das Interview
La Stampa: Heiligkeit, Sie haben die Hoffnung geäußert, daß „Europa wieder der Traum der Gründerväter sein wird“. Was erwarten Sie sich?
Papst Franziskus: Europa kann und darf sich nicht auflösen. Es ist eine historische, kulturelle und geographische Einheit. Der Traum der Gründerväter hatte Beständigkeit, weil er eine Verwirklichung dieser Einheit war. Jetzt dürfen wir dieses Erbe nicht verlieren. “
La Stampa: Wie sehen sie Europa [recte die EU, Anm. GN] heute?
Papst Franziskus: Es ist im Laufe der Jahre geschwächt worden, teilweise aufgrund einiger administrativer Probleme, die von internen Meinungsverschiedenheiten herrühren. Aber man muß es retten. Nach den Wahlen hoffe ich, daß ein Neustart beginnt und ohne Unterbrechungen weitergeht .
La Stampa: Sind Sie mit der Ernennung einer Frau zur Präsidentin der Europäischen Kommission zufrieden?
Papst Franziskus: Ja, auch, weil eine Frau geeignet sein kann, um die Kraft der Gründerväter wiederzubeleben. Frauen haben die Fähigkeit, zusammenzuführen, zu einen.
La Stampa: Was sind die Hauptherausforderungen?
Papst Franziskus: Eins vor allem: Dialog. Zwischen den Teilen, zwischen den Menschen. Der mentale Mechanismus muß sein: „Zuerst Europa, dann jeder von uns“. Das „jeder von uns“ ist nicht zweitrangig, es ist wichtig, aber Europa ist wichtiger. In der Europäischen Union müssen wir miteinander reden, uns austauschen und uns gegenseitig kennenlernen. Stattdessen sehen wir manchmal nur Kompromiß-Monologe. Nein: Zuhören ist auch notwendig.
La Stampa: Was brauchst es zum Dialog?
Papst Franziskus: Wir müssen von unserer eigenen Identität ausgehen.
La Stampa: Die Identitäten: Wieviel zählen sie? Wenn man es mit der Verteidigung von Identitäten übertreibt, riskiert man dann nicht die Isolation? Wie reagieren wir auf Identitäten, die Extremismus erzeugen?
Papst Franziskus: Ich gebe Ihnen ein Beispiel für einen ökumenischen Dialog: Ich kann Ökumene nur dann betreiben, wenn ich von meinem Katholischsein ausgehe, und der andere, der mit mir Ökumene betreibt, muß es als Protestant, Orthodoxer … tun. Die eigene Identität ist nicht verhandelbar, sie wird integriert. Das Problem bei Übertreibungen ist, daß man seine Identität verschließt, man sich nicht öffnet. Identität ist ein Reichtum – kulturell, national, historisch, künstlerisch – und jedes Land hat seine eigene, sie ist aber durch den Dialog zu integrieren. Dies ist entscheidend: Von der eigenen Identität aus muß man sich dem Dialog öffnen, um von der Identität der anderen etwas Größeres zu erhalten. Man darf nie vergessen, daß das Ganze über dem Teil steht. Die Globalisierung, die Einheit sollte nicht als Sphäre, sondern als Vieleck verstanden werden: Jedes Volk behält seine eigene Identität in der Einheit mit den anderen.
La Stampa: Was sind die Gefahren der Souveränitätsbewegung?
Papst Franziskus: Der Souveränismus ist eine Haltung der Isolation. Ich mache mir Sorgen, weil wir Reden hören, die denen Hitlers von 1934 ähneln. „Wir zuerst, wir… wir… wir“. Das sind Gedanken, die Angst machen. Souveränität ist Abschließung. Ein Land muß souverän sein, aber nicht abgeschlossen. Die Souveränität ist zu verteidigen, aber auch die Beziehungen zu anderen Ländern und zur Europäischen Gemeinschaft müssen geschützt und gefördert werden. Der Souveränismus ist eine Übertreibung, die immer schlecht endet: Sie führt zu Kriegen ».
La Stampa: Und die Populismen?
Papst Franziskus: Dafür gilt das gleiche. Zuerst hatte ich Mühe, das zu verstehen, weil ich durch das Studium der Theologie das Volkstümliche, das heißt, die Kultur des Volkes vertieft habe. Aber eines ist, daß das Volk sich ausdrückt, ein anderes ist, dem Volk die populistische Haltung aufzuzwingen. Das Volk ist souverän, es hat eine Art zu denken, sich auszudrücken und zu fühlen, zu bewerten. Die Populismen führen uns hingegen zu den Souveränismen: Das Suffix „ismen“ tut nie gut.
La Stampa: Was ist der Weg, der beim Thema Migranten zu gehen ist?
Papst Franziskus: Vergessen Sie niemals das wichtigste aller Rechte: das Recht auf Leben. Die Einwanderer kommen hauptsächlich, um vor Krieg oder Hunger zu fliehen, aus dem Nahen Osten und aus Afrika. Bezüglich Krieg müssen wir uns engagieren und für den Frieden kämpfen. Der Hunger betrifft hauptsächlich Afrika. Der afrikanische Kontinent ist Opfer eines grausamen Fluchs: In der kollektiven Vorstellung scheint er ausgebeutet zu werden. Stattdessen besteht ein Teil der Lösung darin, dort zu investieren, um zur Lösung ihrer Probleme beizutragen und so die Migrationsströme zu stoppen.
La Stampa: Da sie aber zu uns kommen, wie haben wir uns zu verhalten?
Papst Franziskus: Es gilt Kriterien zu befolgen. Erstens: empfangen, was auch eine christliche, evangelische Aufgabe ist. Türen sind zu öffnen, nicht zu schließen. Zweitens: begleiten. Drittens: fördern. Viertens integrieren. Gleichzeitig müssen die Regierungen klug denken und handeln, was eine Tugend der Regierung ist. Wer verwaltet, muß darüber nachdenken, wie viele Migranten aufgenommen werden können.
La Stampa: Und wenn die Anzahl größer ist als die Aufnahmemöglichkeiten?
Papst Franziskus: Die Situation kann durch den Dialog mit anderen Ländern gelöst werden. Es gibt Staaten, die Menschen brauchen, ich denke an die Landwirtschaft. Ich habe gesehen, daß so etwas kürzlich bei einem Notfall passiert ist: Das gibt mir Hoffnung. Und wissen Sie, was es dann such noch bräuchte?
La Stampa: Was denn?
Papst Franziskus: Kreativität. Mir wurde zum Beispiel gesagt, daß es in einem europäischen Land aufgrund des demographischen Rückgangs halbleere Städte gibt: Einige Migrantengemeinschaften könnten dorthin verlegt werden, die unter anderem imstande wären, die Wirtschaft der Region wiederzubeleben.
La Stampa: Auf welchen gemeinsamen Werten sollte der Neustart der EU beruhen? Braucht Europa noch das Christentum? Und welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die Orthodoxen?
Papst Franziskus: Ausgangspunkt sind die menschlichen Werte, die Werte der menschlichen Person, zusammen mit christlichen Werten: Europa hat menschliche und christliche Wurzeln, das erzählt uns die Geschichte. Und wenn ich das sage, trenne ich nicht zwischen Katholiken, Orthodoxen und Protestanten. Die Orthodoxen haben eine sehr wertvolle Rolle für Europa. Wir haben alle die gleichen Grundwerte.
La Stampa: Wir überqueren gedanklich den Ozean und denken an Südamerika. Warum haben Sie für Oktober im Vatikan eine Amazonassynode einberufen?
Papst Franziskus: Sie ist ein „Kind“ von „Laudato si“. Wer sie nicht gelesen hat, wird die Synode über den Amazonas nie verstehen. Laudato si ist keine grüne Enzyklika, sondern eine soziale Enzyklika, die auf einer „grünen“ Realität beruht, dem Sorgerecht für die Schöpfung.
La Stampa: Gibt es eine bedeutsame Episode für Sie?
Papst Franziskus: Vor einigen Monaten sagten mir sieben Fischer: „In den letzten Monaten haben wir 6 Tonnen Plastik gesammelt“. Neulich las ich über einen riesigen Gletscher in Island, der fast vollständig geschmolzen ist: Sie haben ihm einen Grabstein errichtet. Mit dem Brand in Sibirien sind einige grönländische Gletscher tonnenweise geschmolzen. Die Menschen in einem pazifischen Land ziehen um, weil in zwanzig Jahren die Insel, auf der sie leben, nicht mehr existieren wird. Aber eine Tatsache, die mich am meisten schockierte, ist noch eine andere.
La Stampa: Was?
Papst Franziskus: Der Overshoot Day: Am 29. Juli haben wir alle erneuerbaren Ressourcen des Jahres 2019 erschöpft. Ab dem 30. Juli verbrauchen wir mehr Ressourcen als die, die der Planet in einem Jahr regenerieren kann. Es ist sehr ernst. Es ist eine weltweite Notsituation. Unsere Synode wird eine Dringlichkeitssynode sein. Aber Vorsicht: Eine Synode ist kein Treffen von Wissenschaftlern oder Politikern. Es ist kein Parlament, es ist etwas anderes. Es kommt von der Kirche und wird eine evangelisierende Mission und Dimension haben. Es wird ein Gemeinschaftswerk sein, das vom Heiligen Geist geleitet wird.
La Stampa: Aber warum sich auf das Amazonasbecken konzentrieren?
Papst Franziskus: Es ist ein repräsentativer und entscheidender Ort. Zusammen mit den Ozeanen leistet er einen entscheidenden Beitrag zum Überleben des Planeten. Ein Großteil des Sauerstoffs, den wir atmen, kommt von dort. Deshalb bedeutet Abholzung, die Menschheit zu töten. Und zudem sind am Amazonas neun Staaten beteiligt, es betrifft also nicht nur einen einzigen Staat. Und ich denke an den Reichtum des Amazonas, an die Artenvielfalt von Pflanzen und Tieren: Es ist wunderbar.
La Stampa: Die Synode wird auch die Möglichkeit erörtern, „viri probati“, alte und verheiratete Männer zu weihen, die den Mangel an Klerus beheben können. Wird es eines der Hauptthemen sein?
Papst Franziskus: Auf keinen Fall: Es handelt sich lediglich um eine Nummer des Instrumentum Laboris (das Arbeitsdokument). Wichtig sind die Evangelisierungsdienste und die verschiedenen Arten der Evangelisierung .
La Stampa: Was sind die Hindernisse für den Schutz des Amazonas?
Papst Franziskus: Die Bedrohung für das Leben der Bevölkerung und des Territoriums ergibt sich aus den wirtschaftlichen und politischen Interessen der vorherrschenden Bereiche der Gesellschaft.
La Stampa: Wie soll sich die Politik verhalten?
Papst Franziskus: Sie soll die Mitwirkung und Korruption beseitigen. Sie muß konkrete Verantwortung übernehmen, zum Beispiel beim Thema Tagebau, der das Wasser vergiftet und so viele Krankheiten verursacht. Dann ist da noch die Frage nach Düngemitteln.
La Stampa: Eure Heiligkeit, was befürchten Sie am meisten für unseren Planeten?
Papst Franziskus: Das Verschwinden der Artenvielfalt, neue tödliche Krankheiten, ein Abdriften und eine Verwüstung der Natur, was zum Tod der Menschheit führen kann.
La Stampa: Sehen Sie ein Bewußtsein für das Thema Umwelt und Klimawandel?
Papst Franziskus: Ja, besonders in den Bewegungen junger Ökologen, wie der von Greta Thunberg Fridays for future. Ich sah eine Spruchtafel von ihnen gesehen, die mich beeindruckt hat: „Wir sind die Zukunft!“.
La Stampa: Kann unser tägliches Verhalten – Mülltrennung, keine Wasserverschwendung zu Hause – das Phänomen beeinflussen oder ist es unzureichend, um ihm entgegenzuwirken?
Papst Franziskus: Das hat Einfluß und wie, weil dies konkrete Aktionen sind. Und vor allem schafft und verbreitet es die Kultur, die Schöpfung nicht zu verschmutzen.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: La Stampa (Screenshot)