(Rom) Das jüngste Foto von Benedikt XVI. sorgt im päpstlichen Umfeld für großen Unmut. Das Verhältnis zwischen Papst Franziskus und seinem Vorgänger ähnelt jenem zwischen Coelestin V. und seinem Nachfolger Bonifatius VIII. Es ist von Mißtrauen des regierenden Papstes auf den zurückgetretenen Vorgänger geprägt.
Coelstin V. wurde von Bonifatius VIII. aus Angst vor einem Schisma gefangengenommen. Benedikt XVI. beugte dem vor, indem er sich im Vatikan, in Sichtweite seines Nachfolgers, in eine freiwillige „Gefangenschaft“ zurückzog.
Dennoch sorgt jeder eigenständige Schritt, den Benedikt XVI. seither setzt, im Umfeld des regierenden Papstes für Irritationen und Ärger. Zu verschieden ist das Kirchenverständnis, zu unterschiedlich die angestrebte Erneuerung der Kirche. Es genügt selbst ein Nachruf, wie der auf den verstorbenen Kardinal Meisner, um den Zorn der Bergoglianer zu entfachen. Das steigerte sich 2019, als Benedikt XVI. eine ausführliche Stellungnahme zum sexuellen Mißbrauchsskandal veröffentlichte und tat, was Franziskus zu tun gehabt hätte. Benedikt XVI. legte dabei den Finger in die Wunde und suchte nach tieferen Ursachen für die Kirchenkrise.
Gestern wurde von AciPrensa/CNA ein neues Foto von Benedikt XVI. veröffentlicht. Es zeigt ihn zusammen mit Msgr. Livio Melina, der vom gewesenen Kirchenoberhaupt am 1. August im Kloster Mater Ecclesiae empfangen wurde. Benedikt XVI. habe Msgr. Melina zu sich gebeten. CNA deutsch titelte:
„Kontroverse um Institut Johannes Paul II: Benedikt trifft entlassenen Professor Melina.“
Im päpstlichen Umfeld kann man diese Art von Fotos gar nicht leiden. Sie signalisieren ohne Worte ein Näheverhältnis und eine Unterstützung, die nicht nur einer Person, sondern einer bestimmten kirchlichen Position oder einem ganzen Kirchenverständnis gelten.
Der Zorn, den das gestern veröffentlichte Foto unter Bergoglianern auslöste, ergibt sich aus dem Kontext. Msgr. Livio Melina, einer der bedeutendsten Moraltheologen und Bioethiker unserer Zeit, wurde soeben beim Päpstlichen Theologischen Institut Johannes Paul II. für Ehe- und Familienwissenschaften vor die Tür gesetzt. Von 2006–2016 war er noch Direktor der Vorgängerinstitution, des Päpstlichen Instituts Johannes Paul II. für Studien zu Ehe und Familie. Als solcher leistete er Widerstand gegen den von Kardinal Kasper mit Hilfe von Papst Franziskus betriebenen Angriff auf das Ehesakrament durch die Zulassung sogenannter „wiederverheirateter Geschiedener“ und anderer Personen in irregulären Situationen zu den Sakramenten.
Die Vergeltung durch Santa Marta für diesen Widerstand blieb nicht aus. Prof. Melina und das Institut, obwohl die Fachabteilung des Vatikans, wurden nicht zu den beiden Bischofssynoden über die Familie hinzugezogen. Kritik an Amoris laetitia wurde vier Monate nach der Veröffentlichung dieses nachsynodalen Schreibens mit der Absetzung Melinas und der Auflösung des von Papst Johannes Paul II. 1981 gegründeten Instituts zur Verteidigung und Förderung von Ehe und Familie quittiert.
Msgr. Melina behielt in der Neugründung immerhin seinen Lehrstuhl für Moraltheologie. Auch der wurde nun ersatzlos gestrichen wie insgesamt das Fach Moraltheologie aus dem Lehrplan des Instituts.
Das gestern veröffentlichte Foto von Msgr. Melina mit Benedikt XVI. signalisiert ohne Worte die Nähe des führenden Moraltheologen zum Denken des vormaligen Papstes, den der Gründer des einstigen Instituts, Johannes Paul II., als Präfekt der Glaubenskongregation nach Rom berufen hatte.
CNA/Aciprensa berichtete entsprechend, daß der Rauswurf Melinas „Polemiken in der akademischen Welt“ ausgelöst hatte. Bei der „Privataudienz“ sei in einem „längeren Gespräch“ über die jüngsten Entwicklungen rund um das Päpstliche Institut gesprochen worden. Benedikt XVI. habe Msgr. Melina gesegnet und ihm seine „persönliche Solidarität“ und Nähe zum Ausdruck gebracht und ihn seines Gebets versichert.
Darauf brach ein Sturm der Empörung unter den Bergoglianern los. Der hyper-bergoglianische Faro di Roma giftete:
„Die Versuche, den emeritierten Papst Benedikt XVI. zu instrumentalisieren, gehen weiter“.
Im Artikel wurde die von Johannes Paul II. und Kardinal Carlo Caffarra begründete Institutslinie verunglimpft und als Brutstätte „für Ayatollahs“ gleichgesetzt.
Vatican Insider titelte:
„Institut JPII: Inmitten der Kontroversen das Opportunity-Foto von Melina mit Benedikt XVI.“
Il Sismografo schrieb:
„Die ‚Üblichen‘ versuchen einmal mehr Benedikt XVI. Papst Franziskus entgegenzusetzen. Sie werden erneut scheitern“.
Dazu setzte die offiziöse Presseschau des Vatikans Kurienerzbischof Georg Gänswein ins Bild und schrieb von einer „koordinierten Operation“ der Presseagenturen von EWTN.
Massimo Faggioli, Theologe, Historiker und Vatikanist der Zeitschrift Commonweal Magazine, twitterte sein spezielles Konzils-Narrativ: Es sei ein Versuch zur Schaffung eines „parallelen Hofstaates“, nachdem der alte Hofstaat auch in der Diözese Rom durch das Zweite Vatikanische Konzil und die Einführung einer Altersgrenze für Bischöfe beseitigt worden sei.
In einem zweiten Tweet warf Faggioli den Blick voraus:
„Wenn sie für das Institut Johannes Paul II. so einen Lärm machen, jetzt, im August, können wir erahnen, was sie für die Synode im Oktober vorbereiten.“
Das Überschrift des führenden progressiven Mediums in der spanischsprachigen Welt, Religion Digital, lautete:
„Benedikt XVI. rehabilitiert den von den Bergoglianern entlassenen Professor“.
Im Beitrag geht es dann weniger freundlich weiter.
Der kleinste Zwischenfall läßt die alten Frontstellungen wieder aufbrechen. Die Reaktionen auf das Foto zeigen, wie berechtigt Zweifel an dem überschwenglichen Lob waren, das Benedikt XVI. aus denselben Kreisen gezollt wurde, nachdem er im Februar 2013 überraschend seinen Amtsverzicht bekanntgab.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Faro di Roma (Screenshot)