„Alarmierender Abgrund“ – Homosexualität in Priesterseminaren

Empirische Erhebung


Homosexualität in Priesterseminaren – eine empirische Erhebung aus Brasilien.

(Bra­si­lia) Eine unter bra­si­lia­ni­schen Semi­na­ri­sten durch­ge­führ­te Erhe­bung zur Homo­se­xua­li­tät fin­det inter­na­tio­na­le Beach­tung. Dafür gibt es meh­re­re Grün­de: die seit dem Amts­an­tritt von Papst Fran­zis­kus fest­stell­ba­ren Ver­su­che, die kirch­li­che Hal­tung der Kir­che zur Homo­se­xua­li­tät zu ändern, die nun erfolg­te Über­set­zung und Ver­öf­fent­li­chung der Erhe­bung in Ita­li­en sowie die erhöh­te Auf­merk­sam­keit des Vati­ka­ni­sten San­dro Magi­ster für das The­ma, wegen des päpst­li­chen Umgangs mit dem jüng­sten sexu­el­ler Miß­brauchs­skan­dal durch Kleriker.

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Die Erhe­bung über Homo­se­xua­li­tät in Prie­ster­se­mi­na­ren, ein The­ma von „bren­nen­der Aktua­li­tät“, so Magi­ster, wur­de von den bei­den Sozi­al­psy­cho­lo­gen Elis­mar Alves dos San­tos und Pedr­in­ho Arci­des Gua­re­schi 2017 in der Revi­sta Ecle­sia­sti­ca Bra­silei­ra (REB, Jg. 77, Nr. 306, April–Juni 2017) ver­öf­fent­licht. Die REB ist eine theo­lo­gisch-pasto­ra­le Fach­zeit­schrift, die vom Insti­tu­to Teo­lo­gi­co Fran­cisca­no in Petro­po­lis in Zusam­men­ar­beit mit der Uni­ver­si­tät Sao Francis­co von Bra­gan­ça Pau­li­sta her­aus­ge­ge­ben wird.

Die Über­set­zung und Ver­öf­fent­li­chung in ita­lie­ni­scher Spra­che erfolg­te durch die Zeit­schrift Il Reg­no (Docu­men­ti 7/​2019), die 60 Jah­re vom Deho­nia­ner­or­den her­aus­ge­ge­ben wur­de. 2016 über­nahm nach finan­zi­el­len Eng­päs­sen ein Ver­ein die Zeit­schrift, um sie auf der­sel­ben, pro­gres­si­ven Linie fortzusetzen. 

Die andere Tabuisierung der Homosexualität

„Seit eini­gen Mona­ten ist das The­ma Homo­se­xua­li­tät an der Kir­chen­spit­ze tabu.“

Erst­ver­öf­fent­li­chung der Studie

Die­ser Ein­schät­zung des Vati­ka­ni­sten San­dro Magi­ster wird jeder objek­ti­ve Beob­ach­ter zustim­men. Beson­ders augen­schein­lich wur­de die Tabui­sie­rung beim Anti-Miß­brauchs­gip­fel im ver­gan­ge­nen Febru­ar, zu dem Papst Fran­zis­kus die Vor­sit­zen­den aller Bischofs­kon­fe­ren­zen in den Vati­kan ein­ge­la­den hat­te, um über das Pro­blem des sexu­el­len Miß­brauchs­skan­dal durch Kle­ri­ker zu dis­ku­tie­ren. Obwohl meh­re­re Stu­di­en in ver­schie­de­nen Län­dern erga­ben, daß es sich bei min­de­stens 80 Pro­zent aller Miß­brauchs­fäl­le um homo­se­xu­el­len Miß­brauch han­del­te, „war es ver­bo­ten wor­den, beim Gip­fel“ über die Homo­se­xua­li­tät der kle­ri­ka­len Täter zu sprechen. 

„Die ver­brei­te­te Prä­senz der Homo­se­xua­li­tät im Kle­rus und in den Prie­ster­se­mi­na­ren ist eine seit län­ge­rem bekann­te Wirk­lich­keit“, wes­halb die römi­sche Kon­gre­ga­ti­on für das katho­li­sche Bil­dungs­we­sen unter Papst Bene­dikt XVI. im Novem­ber 2005 eine eige­ne Instruk­ti­on ver­öf­fent­lich­te, um dage­gen vorzugehen.

Die­se Instruk­ti­on bekräf­tig­te, daß homo­se­xu­el­le Hand­lun­gen „in der Hei­li­gen Schrift als schwe­re Sün­den bezeich­net wer­den“, und daß „tief­sit­zen­de homo­se­xu­el­le Ten­den­zen objek­tiv unge­ord­net“ sind. 

„Mit aller Klar­heit“ stell­te die Bil­dungs­kon­gre­ga­ti­on „im Ein­ver­ständ­nis mit der Kon­gre­ga­ti­on für den Got­tes­dienst und die Sakra­men­ten­ord­nung“ fest, „daß die Kir­che – bei aller Ach­tung der betrof­fe­nen Per­so­nen  – jene nicht für das Prie­ster­se­mi­nar und zu den hei­li­gen Wei­hen zulas­sen kann, die Homo­se­xua­li­tät prak­ti­zie­ren, tief­sit­zen­de homo­se­xu­el­le Ten­den­zen haben oder eine soge­nann­te homo­se­xu­el­le Kul­tur unterstützen“.

Soweit die von Papst Bene­dikt XVI. ein­ge­schärf­ten Richt­li­ni­en. Wer­den sie aber von jenen, die sie anwen­den soll­ten, auch angewandt? 

Empirische Momentaufnahme heute

Die Unter­su­chung der bei­den Sozi­al­psy­cho­lo­gen setz­te sich zum Ziel, den aktu­el­len Ist-Zustand in Sachen Homo­se­xua­li­tät in den Prie­ster­se­mi­na­ren zu erhe­ben. Dafür wähl­ten sie als Quer­schnitt zwei Novus-Ordo-Prie­ster­se­mi­na­re in Bra­si­li­en aus.

Die Autoren Alves dos San­tos und Arci­des Gua­re­schi, bei­de gehö­ren dem Redempto­ri­sten­or­den an, haben für ihre Stu­die 50 Prie­ster­amts­kan­di­da­ten aus­führ­lich befragt. Die dadurch gewon­ne­nen Erkennt­nis­se „sind ein­deu­tig alar­mie­rend“, so Magister.

Die Befrag­ten gaben an, daß Homo­se­xua­li­tät in ihren Prie­ster­se­mi­na­ren „üblich“ und eine „immer mehr ver­brei­te­te Rea­li­tät“ sei. Sie sei so „nor­mal“, daß sie „sogar bana­li­siert“ wer­de. Unter den befrag­ten Semi­na­ri­sten sei es ver­brei­te­te Über­zeu­gung, „daß in Wirk­lich­keit 90 Pro­zent der heu­ti­gen Semi­na­ri­sten homo­se­xu­ell sind“.

Eini­ge Homo­se­xu­el­le sehen „das Prie­ster­se­mi­nar als Flucht­ort, um gegen­über der Fami­lie oder der Gesell­schaft nicht die mit ihrem Ver­hal­ten ver­bun­de­ne Ver­ant­wor­tung über­neh­men zu müs­sen“. Ande­re „ent­decken ihre homo­se­xu­el­le Nei­gung erst, wenn sie bereits im Semi­nar sind“, weil sie dort ein dafür gün­sti­ges Ambi­en­te fin­den. Und fast alle Semi­na­ri­sten mit homo­se­xu­el­ler Ten­denz, „man­che reden von 80 Pro­zent“ – so geben die Autoren die Aus­sa­gen der befrag­ten Semi­na­ri­sten wie­der –, „sind auf der Suche nach Sexpartnern“.

Es sei nicht nur eine Rea­li­tät, daß es in den Prie­ster­se­mi­na­ren Kan­di­da­ten mit homo­se­xu­el­len Ten­den­zen gibt, son­dern eben­so, daß die­se Homo­se­xua­li­tät auch in den Prie­ster­se­mi­na­ren prak­ti­ziert wer­de. Vie­le Semi­na­ri­sten prak­ti­zie­ren sie dort, „als sei es eine ganz nor­ma­le Sache“. Die Autoren schrei­ben dazu:

„Nach Auf­fas­sung der Teil­neh­mer an der Stu­die steht im aktu­el­len Kon­text der Semi­na­re ein Groß­teil der Semi­na­ri­sten der Homo­se­xua­li­tät posi­tiv gegen­über. Noch mehr ver­tre­ten die Mei­nung, daß – wenn es sich in einem homo­se­xu­el­len Ver­hält­nis um Lie­be han­delt –, das nichts Schlech­tes ist. Sie sagen: ‚Wenn es Lie­be ist, was ist dann schlimm daran?‘“

Die Befrag­ten gehen noch wei­ter. Sie for­dern, daß es „einen Dia­log zwi­schen den Homo­se­xu­el­len und der Kir­che geben müs­se“ im Sin­ne einer Aner­ken­nung der Homo­se­xua­li­tät. Die Befrag­ten beklag­ten näm­lich, daß die Semi­na­ro­be­ren nichts unter­neh­men wür­den, damit homo­se­xu­el­le Semi­na­ri­sten als Homo­se­xu­el­le aner­kannt und als sol­che zu den höhe­ren Wei­hen zuge­las­sen wer­den.  Es brau­che, so die For­de­rung der Semi­na­ri­sten, „eine mensch­li­che­re Annah­me der Men­schen, so wie sie sind“.

Die Diskrepanz eines Abgrundes

Die Schluß­fol­ge­rung der Autoren lautet:

„Es ist offen­sicht­lich, daß es eine Dis­kre­panz zwi­schen dem gibt, was die Kir­che vor­schlägt, wie mit der Homo­se­xua­li­tät in den Semi­na­ren umge­gan­gen wer­den soll, und der Art, wie die Semi­na­re und Aus­bil­dungs­stät­ten die­ses Phä­no­men wahr­neh­men und damit umgehen.“

 San­dro Magi­ster meint hingegen:

„Von wegen Dis­kre­panz! Zwi­schen der Instruk­ti­on von 2005 und den bei der Erhe­bung fest­ge­stell­ten Ver­hal­tens­wei­sen liegt ein Abgrund.“

Es sei in die­sem Zusam­men­hang aller­dings auch fest­zu­hal­ten, so Magi­ster, daß die Instruk­ti­on von 2005 kei­ner­lei Wert mehr zu haben scheint „laut dem, wie sich die heu­ti­ge Kir­chen­füh­rung zu die­sem ent­schei­den­den The­ma verhält“.

„Um das Schwei­gen über die Homo­se­xua­li­tät in den Semi­na­ren und im Kle­rus zu bre­chen, muß­te sich der eme­ri­tier­te Papst Bene­dikt XVI. mit den am ver­gan­ge­nen 11. April ver­öf­fent­li­chen ‚Anmer­kun­gen‘ rüh­ren, nach­dem sie sein Nach­fol­ger Fran­zis­kus zwei Mona­te lang ver­schlos­sen in der Schub­la­de lie­gen hat­te lassen.“

Vox cla­man­tis in deserto.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Wiki­com­mons

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