(Rom) Am 2. Mai kam in Italien ein neues Buch von Papst Benedikt XVI. in den Buchhandel. Ein neues Buch von „Papst“ Benedikt XVI.? An dieser Stelle dürften nicht wenige staunend innehalten, doch es entspricht den Tatsachen.
Das Buch trägt den Titel „Per amore“ (Aus Liebe) und ist im Verlag Cantagalli erschienen. Autor ist Joseph Ratzinger Benedikt XVI. So steht es auf der ersten Umschlagseite und auf dem Buchrücken. Dort steht aber noch mehr. Mitten auf der Umschlagseite findet sich, unübersehbar, die faksimilierte Unterschrift von Benedikt XVI., und zwar als „Benedictus PP XVI“.
Die Abkürzung PP steht für Pontifex Pontificum im Sinne von Pastor Pastorum, Hirte der Hirten. Jeder Priester ist Hirte, und der Römische Pontifex, der Papst, ist der Pontifex Maximus. Daraus ergibt sich auch, daß es nur einen geben kann und keinen zweiten. Die Hinzufügung PP zum Papstnamen weist den Namensträger als amtierenden Papst aus. Anders ausgedrückt: Es handelt sich in jeder formalen Hinsicht um die Unterschrift eines Papstes.
Das wirft natürlich Fragen auf. Warum läßt Benedikt XVI. sechs Jahre nach seinem Amtsverzicht ein Buch herausbringen, in dem er als Papst auftritt? Die Bezeichnung „emeritus“ fehlt. Benedikt XVI. hatte sie sich mit seinem Amtsverzicht selbst zugelegt. Dafür wurde er teils heftig getadelt, nicht aus dem Umfeld seines Nachfolgers, dort ist man dem deutschen Papst dankbar für seinen „mutigen Schritt“ zum Rücktritt. Der Tadel kommt aus den Reihen der treuen Weggefährten Benedikts XVI., besonders deutlich von seinem geschätzten Freund, Walter Kardinal Brandmüller. Kirchenrechtler wie Giuseppe Sciacca halten die Selbstdarstellung als „Papa emeritus“ sowohl juristisch als auch theologisch für „unhaltbar“. Auch Katholisches.info spricht nie vom „emeritierten Papst“, da diese Bezeichnung weder in den Evangelien noch in der Tradition noch im Kirchenrecht existiert. Sie stellt eine Anomalie und einen Traditionsbruch dar, so wie insgesamt dem in der Kirchengeschichte beispiellosen Rücktritt ein Makel anhaftet. In der Kirchengeschichte gab es zuvor nur zwei Päpste, Cölestin V. und Gregor XII., die freiwillig zurücktraten, doch keiner jener dramatischen Momente läßt sich mit jenem von Benedikt XVI. vergleichen.
Auf die Kritik von Kardinal Brandmüller reagierte Benedikt XVI. enttäuscht und mißverstanden und mit einer neuen erstaunlichen Interpretation seines Amtsverzichts.
Im Vorwort des neuen Buches „Aus Liebe“ steht ausdrücklich, daß die Veröffentlichung von Benedikt XVI. autorisiert wurde. Es enthält bisher unveröffentlichte Texte. „Benedikt XVI. spricht wieder zu den Herzen der Menschen“, schreibt der Verlag.
Bereits am vergangenen 15. April ist in Italien noch ein weiteres Buch von Benedikt XVI. erschienen. Unter dem Titel „Ebrei e cristiani“ (Juden und Christen, Verlag San Paolo) wurde sein bisher unveröffentlichter Briefwechsel mit dem Wiener Oberrabbiner Arie Folger abgedruckt. Herausgegeben wurde das Buch von seinem italienischen Biographen Elio Guerriero einem der besten Kenner von Hans Urs von Balthasar – auch er autorisiert von Benedikt XVI. Er ist der langjährige Schriftleiter der italienischen Ausgabe der theologischen Zeitschrift Communio.
Der Briefwechsel war entstanden, nachdem Benedikt XVI. im April 2018 in Communio einen mit großer Aufmerksamkeit bedachten, aber auch nicht unumstrittenen Beitrag zum Dialog mit den Juden veröffentlichte. Oberrabbiner Arie Folger schrieb daraufhin Benedikt einen persönlichen Brief, auf den dieser antwortete. Folger besuchte Benedikt XVI. Mitte Januar im Vatikan, um die aufgeworfenen Themen im persönlichen Gespräch zu vertiefen. Anwesend waren dabei auch zwei deutsche Rabbinen sowie Kardinal Kurt Koch und Kurienerzbischof Georg Gänswein.
Von Gänswein stammt auch eine kurze, im Buch abgedruckte Erklärung zum veröffentlichten Briefwechsel. Dabei fällt auf, daß Gänswein von „Papst Benedikt“ spricht. Der Zusatz „emeritiert“ fehlt. Die in dem am 2. Mai erschienene Buch enthaltenen Texte stammen alle aus der Zeit vor der Wahl zum Papst, der am 15. April veröffentlichte Briefwechsel eindeutig aus der Zeit nach dem Amtsverzicht. Zum Zeitpunkt des Briefwechsels lebte Benedikt XVI. bereits fünf Jahre in den Vatikanischen Gärten im Kloster Mater Ecclesiae. Auf der anderen Seite des Petersdoms, im Gästehaus Santa Marta, residierte und regierte längst Papst Franziskus.
Beide Buchveröffentlichungen erfolgten unter den genannten Besonderheiten kurz nach den „Anmerkungen“, die Benedikt XVI. zum sexuellen Mißbrauchsskandal in der Kirche veröffentlichen ließ. Die Publikation erfolgte konzertiert in mehreren Sprachen, was bedeutet, daß Benedikt XVI. damit eine internationale Öffentlichkeit erreichen wollte. Er sagte in den „Anmerkungen“, was der regierende Papst zu sagen hätte. Benedikt handelte in der dramatischen und schmerzlichen Krise des sexuellen Mißbrauchsskandals wie ein Papst, während aus Santa Marta vor allem Schweigen zu hören ist, etwa zu den Anschuldigungen des Viganò-Dossiers, aber auch zu Benedikts Auftreten als „Papst“.
Warum unterschreibt Benedikt XVI. plötzlich als Pontifex Pontificum? Warum nennt ihn Kurienerzbischof Gänswein Papst Benedikt, ohne den (wenn auch unhaltbaren) Zusatz „emeritus“?
Handelt es sich nur um Mißverständnisse, um belanglose „Fehler“, die diesem und jenem unterlaufen sind? „Fehler“ von solcher Tragweite?
Fest steht, daß solche „Fehler“ nicht zur Klarheit beitragen, vielmehr das Gegenteil begünstigen. Es ist schwer zu sagen, wie viele Gläubige sich weltweit folgende Fragen stellen, Tatsache ist, daß es solche Gläubige gibt. Eine kirchliche Maxime lautet: Ubi Petrus ibi Ecclesia. Wo aber ist Petrus? Wer ist Petrus? Aus diesen Fragen ergibt sich auch die Frage, wo derzeit die Kirche ist.
Oder handelt es sich um gewollte „Fehler“? Will jemand damit ein Signal aussenden? Eine Warnung? Eine Ermahnung? Noch ganz anderes? Man denke an die jüngsten Rechtfertigungen von Kardinal Walter Kasper. An dieser Stelle verbietet es sich, weitere Gedanken zu Papier zu bringen, da sie reine Spekulation wären. Allein die Tatsache, daß sich bestimmte Gedanken und Fragen aufdrängen, zeigt, daß am 13. März bzw. am 11. Februar 2013 eine kaum bestreitbare Anomalie ihren Anfang nahm.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Verlage (Screenshots)