Südkorea will aussterben

Realitätsverweigerung des Verfassungsgerichtshofes - und der FAZ


Friedhof der abgetriebene Kinder von Kkottongnae in Südkorea, den Papst Franziskus 2014 besuchte.
Friedhof der abgetriebene Kinder von Kkottongnae in Südkorea, den Papst Franziskus 2014 besuchte.

(Seo­ul) „Süd­ko­rea will Abtrei­bung lockern“, titel­te im April die Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung. 1953 lega­li­sier­te der süd­li­che Teil der korea­ni­schen Halb­in­sel die Tötung unge­bo­re­ner Kin­der. Das war schon zwei Jahr­zehn­te vor der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land oder Öster­reich. „Damit gehört Süd­ko­re­as Abtrei­bungs­re­ge­lun­gen zu den restrik­tiv­sten welt­weit“, fabu­lier­te die FAZ, denn was zählt, ist die Wirk­lich­keit, und die schaut auf erschrecken­de Wei­se ganz anders aus. 

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Die Abtrei­bungs­re­ge­lung in Süd­ko­rea folgt dem Indi­ka­ti­ons­mo­dell und erlaubt bereits seit 66 Jah­ren die Tötung unge­bo­re­ner Kin­der „nur“ bei Ver­ge­wal­ti­gung, Inzest, schwe­rer Behin­de­rung des Kin­des oder Gefahr für die Gesund­heit der Mut­ter, und das „nur“ bis zur 24. Schwan­ger­schafts­wo­che, wie Car­lot­ta Roch, die Autorin des FAZ-Arti­kels, pene­trant beklagt. Ver­hei­ra­te­te Frau­en brau­chen zudem die Ein­wil­li­gung des Ehegatten. 

Der süd­ko­rea­ni­sche Ver­fas­sungs­ge­richts­hof erklär­te – nach sage und schrei­be 66 Jah­ren – die Straf­be­weh­rung zur „Kri­mi­na­li­sie­rung“ und für ver­fas­sungs­wid­rig. Theo­re­tisch dro­hen bei Ver­stö­ßen gegen das Abtrei­bungs­ge­setz bis zu einem Jahr Gefäng­nis. Ärz­te kön­nen bis zu zwei Jah­ren ver­ur­teilt werden.

Nichts davon wird jedoch ange­wandt. Das geht bereits aus den Zah­len her­vor. Süd­ko­rea gehört in Sachen Abtrei­bung nicht „zu den restrik­tiv­sten welt­weit“, wie die FAZ-Autorin glau­ben machen will – geschwei­ge denn also die Links­me­di­en. Süd­ko­rea ist viel­mehr eines der töd­lich­sten Län­der welt­weit. In kaum einem Staat der Erde leben unge­bo­re­ne Kin­der gefähr­li­cher als im frei­en Teil der korea­ni­schen Halbinsel. 

Am 16. August 2014 besuch­te Fran­zis­kus bei sei­ner Rei­se nach Süd­ko­rea als erster Papst in Kkot­tongnae einen Fried­hof für die Opfer der Abtrei­bung.

Katho​li​schers​.info schrieb damals:

„Süd­ko­rea zählt eine der höch­sten Abtrei­bungs­ra­ten der Welt. Laut den jüng­sten offi­zi­ell ver­öf­fent­lich­ten Zah­len wur­den 2005 340.000 Kin­der im Mut­ter­leib getö­tet, wäh­rend 440.000 gebo­ren wur­den. Damit haben kaum mehr als die Hälf­te aller in Süd­ko­rea gezeug­ten Kin­der eine Chan­ce, gebo­ren zu wer­den.
Unge­bo­re­ne Kin­der dür­fen bis zur 24. Schwan­ger­schafts­wo­che getö­tet wer­den. Als Grün­de wer­den die übli­chen Indi­ka­tio­nen akzep­tiert: Ver­ge­wal­ti­gung, Inzest, schwe­re Behin­de­rung oder Gefahr für die Gesund­heit der Mut­ter. Wie die extrem hohen Abtrei­bungs­zah­len bewei­sen, han­delt es sich bei den gesetz­li­chen Indi­ka­tio­nen nicht um objek­ti­ve Schutz­be­stim­mun­gen für die Müt­ter, son­dern um Gum­mi­pa­ra­gra­phen, die in Wirk­lich­keit den syste­ma­ti­schen Mas­sen­mord an unge­bo­re­nen Kin­dern erlauben.“

Was die FAZ auch nicht erwähn­te: Das Abtrei­bungs­ge­setz von 1953 wur­de als Instru­ment der Gebur­ten­kon­trol­le, sprich der Gebur­ten­re­du­zie­rung ein­ge­führt wor­den, und nicht für die gern und oft, aber meist ver­zerrt genann­ten „Not­si­tua­tio­nen“. In den 50er Jah­ren lag die Gebur­ten­ra­te in Korea sta­ti­stisch je Frau noch bei mehr als sechs Kindern.

Die Grün­de für die lebens­feind­li­che Hal­tung vie­ler Süd­ko­rea­ner geht auf die­se seit Jahr­zehn­ten von der Regie­rung gesteu­er­te Poli­tik der Fer­ti­li­täts­be­kämp­fung zurück. Süd­ko­rea ist mit Japan das Land, das am radi­kal­sten eine dro­hen­de „Über­be­völ­ke­rung“ bekämpft, wie sie ab 1968 vom Club of Rome markt­schreie­ri­schen Panik­ma­che pro­pa­giert wur­de, ohne daß sich davon etwas bewahrheitete.

Die Kon­se­quen­zen der angeb­lich „restrik­tiv­sten“ Abtrei­bungs­re­ge­lung, eine fak­ti­sche Fehl­in­for­ma­ti­on, mit der die FAZ eine Not­wen­dig­keit zur Libe­ra­li­sie­rung durch­klin­gen läßt und sich als Abtrei­bungs­pro­pa­gan­dist betä­tigt, lie­ßen nicht auf sich war­ten: Süd­ko­rea hat eine der gering­sten Gebur­ten­ra­ten der Welt hat. Sie lag 2016 bei nur 1,17 Kin­dern. 2,1 Kin­der je Frau im gebär­fä­hi­gen Alter sind not­wen­dig zur Bestands­er­hal­tung bei Null­wachs­tum. Liegt der Wert dar­un­ter, schrumpft die Bevöl­ke­rung. Süd­ko­re­as Bevöl­ke­rung schrumpft seit 1983, und das rapi­de. Die län­ge­re Lebens­er­war­tung kaschiert die­se Tat­sa­che, ändert aber nichts daran.

Wenn die Gebur­ten­ra­te in die­sem ost­asia­ti­schen Land nicht bald und deut­lich ansteigt, wird das süd­ko­rea­ni­sche Volk inner­halb eines Jahr­hun­derts von der­zeit 50 Mil­lio­nen auf 10 Mil­lio­nen Men­schen zusam­men­schrump­fen und dann voll­ends verschwinden. 

Die Süd­ko­rea­ner wer­den das erste indu­stria­li­sier­te Volk sein, das durch Gebur­ten­ver­wei­ge­rung aus­ster­ben wird, heißt es in einer Stu­die des wis­sen­schaft­li­chen Dien­stes des süd­ko­rea­ni­schen Par­la­ments, die durch eine par­la­men­ta­ri­sche Anfra­ge zustan­de kam. Das war 2014. Geän­dert hat sich seit­her nichts. Im Gegen­teil: Der Ver­fas­sungs­ge­richts­hof will, daß die gesetz­li­chen Bestim­mun­gen wei­ter libe­ra­li­siert werden.

Einbruch der Geburtenrate in Südkorea
Ein­bruch der Gebur­ten­ra­te in Südkorea

Bereits 2006 errech­ne­te eine Stu­die der Uni­ver­si­tät Oxford, daß es 2200 nur mehr drei Mil­lio­nen Süd­ko­rea­ner geben wird und 2256 nur mehr eine Mil­li­on. Sta­ti­stisch betrach­tet wird der letz­te Süd­ko­rea­ner bei die­sem Rhyth­mus 2505 gebo­ren. Bereits die Oxford-Stu­die beschei­nig­te vor 13 Jah­ren, daß bei anhal­ten­dem Schrump­fungs­pro­zeß das süd­ko­rea­ni­sche Volk welt­weit „das erste sein wird, das von der Bild­flä­che ver­schwin­det“ – nicht durch Krie­ge, Epi­de­mien oder Natur­ka­ta­stro­phen, son­dern durch Selbstauslöschung.

Auch für Süd­ko­rea gilt: Der Raum wird nicht leer blei­ben, bis das letz­te Exem­plar eines Vol­kes aus­ge­stor­ben ist. Das Ter­ri­to­ri­um wird von frucht­ba­re­ren, sprich lebens­fä­hi­ge­ren Völ­kern okku­piert und über­nom­men wer­den. Da zur Auf­recht­erhal­tung des Wirt­schafts­stan­dards die Bevöl­ke­rung, sprich Human­res­sour­cen und Kon­su­men­ten, nicht sin­ken darf, müs­sen die Ver­lu­ste durch Ein­wan­de­rung kom­pen­siert wer­den. Das seit Jah­ren mini­ma­le jähr­li­che Bevöl­ke­rungs­wachs­tum geht allein auf Migran­ten zurück, die 2,6 Mil­lio­nen ausmachen. 

1960 hat­te Süd­ko­rea mit 25 Mil­lio­nen nur halb soviel Ein­woh­ner wie heu­te. Im Jahr 2060 oder kurz danach, wird die­ser Wert durch Hal­bie­rung der Bevöl­ke­rung wie­der erreicht sein. Was bedeu­tet, daß gleich­zei­tig eine ande­re Bevöl­ke­rungs­mehr­heit die Kon­trol­le Süd­ko­re­as über­nom­men haben könnte.

Die erwähn­te Par­la­ments­stu­die betont, daß Süd­ko­rea auf wirt­schaft­li­ches Wachs­tum aus­ge­rich­tet ist. Die­sem Ziel wer­de alles unter­ge­ord­net. Für eine künf­tig erwar­te­te Beloh­nung ver­zich­ten die jun­gen Süd­ko­rea­ner zu hei­ra­ten. Und weil auch die Frau­en ganz in das Ziel des wirt­schaft­li­chen Wachs­tums ein­ge­bun­den sind, ver­zich­ten die­se für die Aus­sicht einer künf­ti­gen öko­no­mi­schen Beloh­nung auf ihren Kin­der­wunsch. Da sowohl jun­ge süd­ko­rea­ni­sche Män­ner als auch Frau­en die Grün­dung einer Fami­lie als „Hin­der­nis“ und „Zeit­ver­lust“ erach­ten, pflan­zen sie sich zugun­sten einer mög­li­chen Kar­rie­re und höhe­rer Gehalts­aus­sich­ten nicht fort. Daß sich die­se Aus­sich­ten bewahr­hei­ten, ist aber kei­nes­wegs sicher. Bis sich die betrof­fe­nen Süd­ko­rea­ner des­sen bewußt wer­den, ist es für die Fort­pflan­zung bei vie­len zu spät.

Entwicklung des Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Südkorea
Ent­wick­lung des Brut­to­in­lands­pro­dukts (BIP) in Südkorea

Im Rah­men des Papst­be­su­ches von 2014 schrieb Katho​li​sches​.info:

„Halb­her­zi­ge Regie­rungs­be­mü­hun­gen zur För­de­rung der Gebur­ten bei gleich­zei­ti­ger Bei­be­hal­tung einer libe­ra­len Abtrei­bungs­ge­setz­ge­bung und einer Vor­rang­stel­lung von Kapi­tal und Kon­sum, blie­ben frucht­los. Süd­ko­rea gehört zu den Staa­ten, in denen am mei­sten gene­ti­sche For­schung betrie­ben wird und die ersten Ver­su­che unter­nom­men wur­den, Tie­re und auch den Men­schen zu klo­nen. Inzwi­schen ist das gesam­te Sozi­al­sy­stem, vor allem Gesund­heits- und Pen­si­ons­we­sen gefähr­det. Im Juli 2012 for­der­te das Korea­ni­sche Insti­tut für Gesund­heit und Sozia­les von der Regie­rung drin­gen­de Maß­nah­men zur För­de­rung von Ehe und Fortpflanzung.“ 

Das Insti­tut sprach von der Not­wen­dig­keit eines „Men­ta­li­täts­wan­dels“, der aber erfor­dert einen Para­dig­men­wech­sel, zu dem weder Poli­tik, Wirt­schaft, Kul­tur und Medi­en bereit schei­nen – und die Ver­fas­sungs­rich­ter auch nicht.

Die Katho­li­sche Kir­che bemüht sich, die Bedeu­tung der Fami­lie und der Fort­pflan­zung zu för­dern, sie betreibt Baby­klap­pen und Wai­sen­häu­ser für aus­ge­setz­te Kin­der, und in Kkot­tongnae wur­de ein Fried­hof für die durch Abtrei­bung getö­te­ten, unge­bo­re­nen Kin­der errich­tet, den Papst Fran­zis­kus besuchte.

Die FAZ schrieb zur ange­peil­ten Libe­ra­li­sie­rung der Abtrei­bungs­ge­setz­ge­bung daher nicht ohne pole­mi­sche Inten­ti­on: „Kon­ser­va­ti­ve Hal­tun­gen sowie der Ein­fluss der Kir­che spie­len nach wie vor eine bedeu­ten­de Rolle“. 

Die Abtrei­bungs­si­tua­ti­on in Süd­ko­rea ist hoch­dra­ma­tisch. Der süd­ko­rea­ni­sche Ver­fas­sungs­ge­richts­hof erbrach­te den Beweis, daß Justi­tia tat­säch­lich blind sein kann, aller­dings im Sin­ne einer Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung. Das gilt zu die­sem The­ma wohl auch für die FAZ.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: AsiaNews/​Google/​Wikicommons (Screen­shots)

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