Die Kirche mobilisiert für das EU-Establishment

Die EU-Wahlen und die Populisten


Die Kirche in Europa macht mobil für die EU-Wahlen im Mai und sagt den „Populisten“ den Kampf an - mit Rückendeckung Roms.
Die Kirche in Europa macht mobil für die EU-Wahlen im Mai und sagt den „Populisten“ den Kampf an - mit Rückendeckung Roms.

(Rom) Die römi­sche Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca wid­met ihre aktu­el­le Aus­ga­be dem The­men­schwer­punkt Euro­päi­sche Uni­on und leg­te einen Son­der­band dazu vor. Dabei geht es mit Blick auf die bevor­ste­hen­den EU-Wah­len um eine Par­tei­nah­me für das EU-Estab­lish­ment. Chef­re­dak­teur Anto­nio Spa­da­ro, einer der eng­sten Ver­trau­ten von Papst Fran­zis­kus, und Erz­bi­schof Jean-Clau­de Hol­le­rich, bei­de Jesui­ten, war­nen in dem Heft vor den „Popu­li­sten“, die sie als Pro­to-Tota­li­tä­re skizzieren.

Anzei­ge

Das Datum für die Vor­stel­lung des Ban­des war nicht zufäl­lig gewählt. In der Kir­che ver­steht man sich auf die Sym­bol­spra­che. Der 25. April ist zwar auch der lit­ur­gi­sche Gedenk­tag des Evan­ge­li­sten Mar­kus, in Ita­li­en ist der Tag aber vor allem der wich­tig­ste Fei­er­tag der poli­ti­schen Lin­ken, der „Tag der Befrei­ung“ von Faschis­mus und Natio­nal­so­zia­lis­mus. Damit wur­den die Gren­zen für das The­men­heft bereits unmiß­ver­ständ­lich abgesteckt.

Der Son­der­band Euro­pa wur­de als Band 8 in der Rei­he Accèn­ti (Akzen­te) der Civil­tà Cat­to­li­ca von Anto­nio Spa­da­ro her­aus­ge­ge­ben. Gemeint ist mit Euro­pa aller­dings die EU. Auch die­se Syn­ony­mi­sie­rung zwei­er Begrif­fe, die kei­nes­wegs deckungs­gleich sind, stellt einen naht­lo­sen Gleich­schritt mit den Brüs­se­ler Euro­kra­ten dar. 

Spa­da­ro schreibt in sei­nem Leit­ar­ti­kel:

„Uns inter­es­siert, die Gewis­sen zu for­men und zu infor­mie­ren, damit wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen für die Zukunft nicht nur durch Oppor­tu­nis­men von kur­zem oder sehr kur­zem Atem, von gene­rel­len Äng­sten oder Res­sen­ti­ments dik­tiert werden.“

Der Sam­mel­band ent­hält die Bei­trä­ge meh­re­rer Autoren, von denen aller­dings jener des COME­CE-Vor­sit­zen­den Hol­le­rich und von Spa­da­ro die rele­van­te­sten sind. 

Die Ver­öf­fent­li­chung des Hef­tes 4052 und des Son­der­ban­des zum The­ma EU beglei­te­te Spa­da­ro in den ver­gan­ge­nen Tagen mit meh­re­ren Tweets, unter ande­rem mit Bil­dern von einer Anti-Brexit-Kund­ge­bung. Auf Radio Radi­cale, einem tra­di­tio­nell kir­chen­feind­li­chem Sen­der, konn­te er die Aus­ga­be in einem aus­führ­li­chen Inter­view vor­stel­len und bewer­ben. Die Radi­ka­len um die Ex-EU-Kom­mis­sa­rin Emma Boni­no sind mit ihrer Liste Euro­pa+ die radi­kal­sten EU-Befür­wor­ter bei der bevor­ste­hen­den EU-Wahl. Eine inhalt­li­che Über­ein­stim­mung mit dem Chef­re­dak­teur der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift wäre vor weni­gen Jah­ren noch undenk­bar gewe­sen. Die Radi­ka­len sind die Par­tei der EU, der Abtrei­bung, der Mas­sen­ein­wan­de­rung, der Leih­mut­ter­schaft, der Eutha­na­sie, der Dro­gen­frei­ga­be. Für Boni­no ist alles „alter­na­tiv­los“. Sie wur­de nicht nur von Geor­ge Sor­os mit einem Preis aus­ge­zeich­net, son­dern sitzt im Vor­stand von des­sen gesell­schafts­po­li­ti­scher Schalt­zen­tra­le Open Socie­ty.

Spa­da­ro wirbt nicht nur für ein Ver­blei­ben Groß­bri­tan­ni­ens in der EU. Er setzt mit Ste­ve Ban­non und Alex­an­der Dugin auch die „Fein­de“ der EU ins Bild. Ihnen wirft er vor, „Prie­ster des Popu­lis­mus“ zu sein, die eine „fal­sche, pseu­do-reli­giö­se Welt“ pro­pa­gie­ren, mit der sie „das Herz der Theo­lo­gie leug­nen, die Got­tes­lie­be und die Näch­sten­lie­be“. Die­ser Satz ist ein Zitat aus dem Son­der­band. Er ist eine histo­risch-poli­ti­sche Ana­ly­se aus der Feder des Luxem­bur­ger Erz­bi­schofs Jean-Clau­de Hol­le­rich, der als Nach­fol­ger von Kar­di­nal Rein­hard Marx seit 2018 Vor­sit­zen­der der COMECE, der Kom­mis­si­on der Bischofs­kon­fe­ren­zen der Euro­päi­schen Gemein­schaftist.

Der alte und der neue COME­CE-Vor­sit­zen­de: Kar­di­nal Marx und Erz­bi­schof Hollerich.

Sei­ne Gedan­ken wie­der­holt Hol­le­rich in kür­ze­rer Fas­sung auch in Aus­ga­be 4052 der Civil­tà Cat­to­li­ca. Alber­to Mel­lo­ni, der Lei­ter der pro­gres­si­ven Schu­le von Bolo­gna fei­er­te Hol­le­richs Auf­satz als: 

„die bedeu­tend­ste katho­li­sche Posi­tio­nie­rung in der euro­päi­schen Poli­tik der ver­gan­ge­nen 40 Jahre“.

Ganz anders die katho­li­sche Inter­net­zeit Nuo­va Bus­so­la Quo­ti­dia­na:

„Die Feder von Msgr. Hol­le­rich wird von der Angst geführt, daß beim bevor­ste­hen­den Urnen­gang eine Sze­na­rio her­aus­kom­men könn­te, das den euro­päi­schen Inter­gra­ti­ons­pro­zeß in Fra­ge stellt.“

Die Bus­so­la sieht in Hol­le­richs Text „eine Art von pro­gram­ma­ti­schem Mani­fest zu den Wah­len am 26. Mai, mit dem erklärt wer­den soll, war­um die Kir­che sich die Agen­da der Euro­kra­ten voll­stän­dig zu eigen machen sollte“.

Das größ­te Pro­blem für Brüs­sel sei, laut dem Erz­bi­schof von Luxem­burg, „daß die Bür­ger der post­kom­mu­ni­sti­schen Staa­ten die EU bis­her als Inte­gra­ti­on in das west­li­che Euro­pa wahr­neh­men und nicht als eine wirk­lich pan­eu­ro­päi­sche Inte­gra­ti­on“. Nach die­ser mini­ma­li­sti­schen EU-Kri­tik nähert sich Hol­le­rich sei­nem eigent­li­chen The­ma, indem er eine Auf­li­stung aller sei­ner Ansicht nach posi­ti­ven Sei­ten der EU ver­öf­fent­licht. Die EU bezeich­net er kri­tik­los im Gleich­klang mit den EU-Ver­tre­tern als „Frie­dens­pro­jekt“.

Damit lei­tet der Erz­bi­schof zu den Gefah­ren über, die sei­ner Ansicht nach der der­zei­ti­gen EU dro­hen. Dazu zählt er die ver­brei­te­ten Äng­ste, die ein frucht­ba­rer Boden für den Auf­stieg von „Popu­lis­men“ sei­en. Erst damit ist Msgr. Hol­le­rich beim eigent­li­chen The­ma ange­kom­men. Der „Popu­lis­mus“ ist die Ziel­schei­be sei­nes Tex­tes. Er sei die wirk­li­che Gefahr, eine ganz kon­kre­te Bedro­hung, denn er sei das „Vor­zim­mer der Totalitarismen“. 

Ste­ve Ban­non und Alex­an­der Dugin wer­den als Sym­bol­ge­stal­ten des Popu­lis­mus aus­ge­macht, bzw. der Wie­der­ent­deckung der Iden­ti­tä­ten der euro­päi­schen Völ­ker gese­hen.  Der ehe­ma­li­ge Chef­stra­te­ge von US-Prä­si­dent Donald Trump und der rus­si­sche Phi­lo­soph, der von Putin geschätzt wird, sind für Hol­le­rich die Haupt-Stich­wort­ge­ber der „Dyna­mi­ken, die am Ende auch das Chri­sten­tum ver­schlin­gen wer­den“. Für den Jesui­ten und Erz­bi­schof von Luxem­burg drängt der Popu­lis­mus auf ein „selbst­be­zo­ge­nes Chri­sten­tum“ und sei damit nicht nur für die EU eine töd­li­che Bedro­hung, son­dern auch für die Kirche.

Alexander Dugin und Steve Bannon als Feindbilder.
Alex­an­der Dugin und Ste­ve Ban­non als Feindbilder.

Hol­le­rich ver­knüpft damit das Schick­sal der EU mit dem der Kir­che. Das bedeu­tet auch, daß für Hol­le­rich die Glaub­wür­dig­keit der EU mit jener der Kir­che zusam­men­fällt – und wohl auch mit die­ser auf dem Spiel steht. Als Bei­spiel nennt er die Masseneinwanderung:

„Euro­pa wird katho­lisch blei­ben, wenn wir es zu ver­ste­hen wis­sen, die­se Begeg­nung mit den Migran­ten auf eine dem Evan­ge­li­um ange­mes­se­ne Art zu leben.“

Das sei bis­her aber, so Hol­le­rich, nicht in aus­rei­chen­dem Maße gesche­hen, wie „das Dra­ma der Flücht­lin­ge und der Migran­ten im Mit­tel­meer“ zei­ge, das er „eine Schan­de“ für Euro­pa nennt. Die Her­aus­for­de­run­gen der neu­en Völ­ker­wan­de­run­gen, der Erz­bi­schof spricht von Men­schen­flüs­sen, zei­ge auch Ver­säum­nis­se der Kir­che auf, die oft „mehr als eine Brem­se, statt als Motor“ wahr­ge­nom­men werde. 

Hol­le­rich kommt dann auf das Zwei­te Vati­ka­ni­sche Kon­zil und die im Anschluß dar­an ent­stan­de­nen Bischofs­kon­fe­ren­zen zu spre­chen. Die­se wür­den heu­te dazu bei­tra­gen, „im katho­li­schen Den­ken die Staats­na­ti­on zu zemen­tie­ren“. Dadurch aber „ver­lie­ren wir einen Teil unse­rer uni­ver­sa­len Berufung“. 

Die „Uni­ver­sa­li­tät des Latein“ wich den Natio­nal­spra­chen, „aber die Lit­ur­gie in den Natio­nal­spra­chen hat die Wer­te der Offen­heit und des Dia­logs des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils vergessen“.

Die Ideen von Natio­nal­kir­che und Staats­na­ti­on sind für den Erz­bi­schof zu über­win­den, weil sie eine Exklu­si­on der Ein­wan­de­rer begün­sti­gen könn­ten. Sei­nen Zei­len kann man ent­neh­men, daß er par­al­lel zur euro­päi­schen Inte­gra­ti­on auch eine kirch­li­che Inte­gra­ti­on emp­fiehlt. Die Ver­tre­tung der Bischö­fe wäre damit die COMECE, die an die Stel­le der Bischofs­kon­fe­ren­zen tre­ten würde. 

Mit der Migra­ti­on behan­delt Hol­le­rich auch die Fra­ge der Iden­ti­tät. Man könn­te auch sagen, er kan­zelt sie ab. Die Iden­ti­tät sei etwas ganz ande­res als der Rei­se­paß, „den wir in unse­re Tasche stecken kön­nen“. Der Popu­lis­mus sei ver­ant­wort­lich dafür, eine „fal­sche Iden­ti­tät“ zu kon­stru­ie­ren, indem er mit dem Fin­ger auf Fein­de zei­ge, die für alle Übel ver­ant­wort­lich gemacht wür­den. Als Bei­spiel, auf die mit dem Fin­ger gezeigt wer­de, nennt er die EU und die Migran­ten. Wie zuvor bereits Kar­di­nal Marx nimmt auch Hol­le­rich die Beru­fung auf „eine christ­li­che Iden­ti­tät Euro­pas“ ins Visier. Sie sei nicht authen­tisch, weil sie „poli­ti­schen Wün­schen“ unter­ge­ord­net wer­de, die „einer auf dem Evan­ge­li­um gegrün­de­ten Per­spek­ti­ve“ widersprechen.

Anti-Brexit-Kundgebung
Anti-Brexit-Kund­ge­bung

Schließ­lich macht sich der COME­CE-Vor­sit­zen­de zum Spre­cher der Poli­tik der aktu­el­len EU-Kom­mis­si­on. Deren Prio­ri­tä­ten müß­ten fort­ge­führt wer­den: der Kampf gegen Fake News und die Lösung der öko­lo­gi­schen Her­aus­for­de­run­gen. Auf sozia­ler Ebe­ne sei der Jun­cker-Plan umzu­set­zen, wobei der Kir­chen­ver­tre­ter beklagt, daß von die­sem viel zu wenig gespro­chen werde.

Hol­le­rich endet mit einem Auf­ruf an die Kir­che, die von der EU reprä­sen­tier­ten „Träu­me und Hoff­nun­gen“ zu beglei­ten, und dies „mit grö­ße­rem Bewußt­sein“ dafür zu tun, daß die EU „nicht exi­stiert, damit ihr gedient wird, son­dern, um zu dienen“.

Bei den Aus­füh­run­gen han­delt es sich nicht um eine Ein­zel­mei­nung des COME­CE-Vor­sit­zen­den Hol­le­rich. Ähn­li­che Aus­sa­gen mach­te bereits sein Vor­gän­ger Kar­di­nal Marx. Daß es sich auch um die Posi­ti­on des Vati­kans han­delt, ver­deut­licht Chef­re­dak­teur Anto­nio Spa­da­ro in sei­nem Leit­ar­ti­kel. Dar­in bekräf­tigt er die Aus­füh­run­gen Hol­le­richs. Bekannt­lich erscheint kei­ne Aus­ga­be der Civil­tà Cat­to­li­ca ohne vor­he­ri­ge Druck­erlaub­nis des Vati­kans. Papst Fran­zis­kus übt die Zen­sur zu wich­ti­gen The­men per­sön­lich aus. Poli­ti­sche Fra­gen sind ihm beson­ders wichtig. 

Spa­da­ro greift den „Teu­fel“ auf, den Hol­le­rich an die Wand malt:

„Den Pro­zeß der euro­päi­schen Inte­gra­ti­on zu unter­bre­chen, heißt, Gespen­ster zu rufen, die wir zum Schwei­gen gebracht haben.“

Die Chri­sten, so der Ver­trau­te des Pap­stes, „kön­nen sich nicht vor ihrer histo­ri­schen Ver­ant­wor­tung für die Zukunft unse­res Kon­ti­nents zurück­zie­hen, und das ver­langt nach kla­ren und kohä­ren­ten Entscheidungen.“

Im Klar­text bedeu­tet das, daß laut Erz­bi­schof Hol­le­rich und P. Spa­da­ro Chri­sten kei­ne Kräf­te unter­stüt­zen dür­fen, die „den Pro­zeß zum Auf­bau Euro­pa oder sogar sei­ne Exi­stenz in Fra­ge stel­len“. Kon­kre­ter for­mu­liert: Für die offi­zi­el­le Kir­chen­füh­rung in Euro­pa und in Rom ist das der­zei­ti­ge EU-Estab­lish­ment  zu unter­stüt­zen, wofür es not­wen­dig ist, deren Kri­ti­ker zum unwähl­ba­ren Feind­bild zu erklären. 

Nur am Ran­de sei bemerkt, daß das „Frie­dens­pro­jekt“ Euro­pa nicht nur bedeu­tet, daß in der EU kein Krieg geführt wur­de, wie der­zeit betont wird. Es bedeu­tet auch, daß in die­ser EU Dut­zen­de von Mil­lio­nen unge­bo­re­ner Kin­der getö­tet wur­den und jeden Tag getö­tet wer­den. Längst mehr als der Erste und der Zwei­te Welt­krieg zusam­men an mili­tä­ri­schen und zivi­len Opfern gefor­dert haben. Der Unter­schied besteht nur dar­in, daß sich die EU mit einer glän­zen­den Fas­sa­de prä­sen­tiert, hin­ter der sie ihre Makel versteckt. 

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: La Civil­tà Cattolica/​Twitter (Screen­shots)

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!