Von Giuseppe Nardi
Kurz vor 19 Uhr brach laut ersten Angaben ein Brandherd im Dachstuhl der Kathedrale Notre-Dame de Paris aus. Innerhalb kurzer Zeit stand der gesamte Dachstuhl in Flammen. Der Schaden ist vor allem ideeller und symbolischer Art. Notre-Dame wurde in der französischen Revolution geschändet. Die Revolutionäre verboten den katholischen Kultus und machten die Kathedrale zum „Tempel der Vernunft“, indem symbolträchtig eine Hure auf den Altar gehoben wurde. Sie birgt daher nicht mehr die Kunstschätze von einst. Das ändert aber nichts von ihrem sakralen und kulturellen Charakter, der nicht nur ein Gebäude, nicht nur ein Gotteshaus ist. Notre-Dame ist ein Schnittpunkt von solcher Intensität, daß er weit mehr als nur die Identität eines Volkes und eines Kontinents zum Ausdruck bringt. Notre-Dame steht für die Seele Europas. Eine Seele, die geschunden, verleugnet, preisgegeben wird. Eine Seele, die verbrennt.
Das Kircheninnere wurde von den revolutionären Kulturvernichtern von 1789 gezielt und systematisch zerstört. Gleiches wiederholte sich in der Revolution der komunistischen Kommune. Die Einrichtungen mußten neu geschaffen werden. Es gibt Kirchen, die von ihren Kunstschätzen weit wertvoller als die Pariser Bischofskirche sind. Dennoch ist die Zerstörung der Kathedrale eine unglaubliche Tragödie für die französische Nation, Euroa und die Christenheit.
Die Politik beeilte sich, ein Attentat auszuschließen. Nicht alle Beobachter sind sich sicher, daß nicht doch ein „Händchen“ oder eine „Hand“ im Spiel war.
Notre-Dame de Paris ist die bekannteste und bedeutendste Kirche Frankreichs. Sie ist insgesamt ein Kulturgut ersten Ranges der gesamten Menschheit. Sie ist ein Symbol der französischen Identität. Sie ist ein Symbol der Christenheit in Frankreich und in der Welt. Sie ist ein erstrangiges Symbol der europäischen Identität. Die Kathedrale symbolisiert 1.700 Jahre europäischer Geschichte und nicht nur – je nach Zählart – die 10 oder 20 Jahre der Existenz der Europäischen Union. Dieser Zahlenvergleich bringt die Dimenion zum Ausdruck, um verständlich zu machen, wovon die Rede ist.
Was aus Holz war, ist verbrannt oder steht in Flammen. Das gilt nicht nur für den Dachstuhl, sondern durch herabstürzende, brennende Balken auch für alles, was im Kirchenschiff, dem Querschiff und dem Chorraum brennbar war: KIrchenstühle, Beichtstühle, Altare, Retabeln, Holzfiguren, die Holzreliefe der Choreinfassung mit Szenen aus der Kindheit Jesu. Nur die beiden Türmen sollen derzeit noch weitgehend unversehrt sein. Von den grandiosen, wenn auch nicht alten Glasfenstern dürfte durch Hitze und Erschütterung nicht mehr viel intakt sein. Wieviel von den Steinskulpturen beschädigt ist, muß sich erst zeigen. Bilder der Direktübertragung zeigen, daß auch Teile des Mauerwerks im Dachbereich eingestürzt sind. Mehr als 400 Feuerwehrmänner versuchen den Brand zu löschen. Noch steht die Kathedrale aber in Flammen.
Der Schock in Frankreich, und nicht nur dort, ist enorm. Der Wiederaufbau wird erfolgen, aber dennoch wird nichts mehr sein wie vorher. Unwiderbringliche Schäden entsetzen und erschüttern Frankreich und vor allem die katholische Kirche des Landes.
Ob der Brand durch einen Kurzschluß oder ein Mißgeschick bei Renovierungsarbeiten ausgebrochen ist, oder jemand Hand angelegt hat – wer auch immer – wird noch zu klären sein. Die entsetzlichen Bilder der brennenden Kathedralkirche von Paris erschüttern jedes katholische Herz und aller Menschen guten Willens. Die Bilder sind apokalyptisch. In Paris versammelten sich unzählige Menschen in der Nähe der brennenden Marienkathedrale. Menschen knien schockiert auf der Straße und beten.
Der Brand dieses Symbols, welcher Ursache er auch immer sein mag, scheint in jedem Fall selbst ein Symbol zu sein.
Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, der sich im freien Fall befindet, hatte für heute eine Rede an die Nation angekündigt, mit der er das Land „einen“ wollte. Dabei geht es nicht nur um die bevorstehenden Europawahlen, sondern auch um die innere Zerrissenheit Frankreichs, die in der Revolte der Gelbwesten einen besonders sichtnbaren Ausdruck findet. Wegen des Brandes wurde seine Ansprache verschoben.
Gestern wurde in der Kathedrale der Palmsonntag zelebriert, der Einzug Jesu in Jerusalem. Die kommenden heiligen Drei Tage werden nicht mehr dort gefeiert werden. Es werden viele Jahre vergehen, bis der Wiederaufbau abgeschlossen sein wird. Experten sprechen davon, daß zehn Jahre bis zu einer Generation vergehen könnte, bis Notre-Dame wieder zugänglich sein wird.
Die tatsächliche Brandursache ist noch ungeklärt. Einige Überlegungen sind dennoch anzustellen. Die Französische Bischofkonferenz gab vor kurzem bekannt, daß allein im vergangenen Jahr in Frankreich tausend Angriffe gegen Kirchen stattfanden. Der Brand von Notre-Dame scheint wie der jüngste Angriff, der das Symbol der französischen Christenheit treffen wollte und getroffen hat.
Die unfaßbare Zahl der Attentate gegen katholische Kirchen in einem Land, das die „älteste Tochter der Kirche“ ist, spiegelt ein antichristliches Klima wider, das von verschiedenen Seiten geschürt wird. Die längste Zeit blieben die Angriffe ein verschwiegenes Thema. Er vor kurzem begannen die Medien darüber zu berichten. Christen und die Christenheit sind kein bevorzugtes Mainstream-Thema.
Frankreich ist das Land der Revolution, die das kulturelle Klima grundlegend und prägend veränderte. Neben der liberalen und der sozialistischen Kirchenfeindlichkeit, gibt es auch eine neuheidnische Rechte, die sich in ihrer Ablehung der christlichen Botschaft von der Linken kaum unterscheidet. Es gibt zudem die traditionell in Frankreich sehr starke Freimaurerei, besonders im Staatsapparat. Und es gibt die neue Christenfeindlichkeit, die durch die Masseneinwanderung importiert wurde. Der Anteil der Muslime in Frankreich wird von hochrangigen Muslimen, darunter von einem ehemaligen Minister unter Staatspräsident Hollande, mit einem Fünftel der Bevölkerung und mehr angegeben.
EIlig wurde von den Behörden ein Attentat ausgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft von Paris leitete Ermittlungen ein wegen unabsichtlichem Schaden durch einen Brand und legte sich damit auf eine Richtung fest, noch bevor der Brand gelöscht ist. Etwas „sehr voreilig“, wie der Kriminologe und Psychiater Alessandro Meluzzi meint.
Die Frage ist daher, welche Auswirkungen die Bilder der brennenden Kathedrale von Notre-Dame auf den unterschiedlichen Ebenen haben werden, nicht zuletzt auf der psychologischen Ebene einer schwer angeschlagenen, französischen Christenheit und einer stolzen, aber massiv versunsicherten Nation.
Wird der Schock über die Flammen die Kirche aufrütteln. Wird die Katastrophe, die Paris und Frankreich in dieser Nacht am Beginn der Karwoche erschüttert, zur Katharsis, um den Weg für einen neuen Aufbruch zu ebnen? Oder ist sie der Schlußakt und der Höhepunkt im Drama eines Landes und einer Kirche, die sich selbst aufgegeben haben?
Frankreichs Kirche wurde wie kaum eine andere in den vergangenen 230 Jahren von Drangsal und Verfolgung dezimiert und von Gallikanismus geschwächt. Dennoch hielt sie stand. Erst in den vergangenen 50 Jahren begab sie sich selbst in den freien Fall. Wo endet er? Wofür stehen die Bilder der Vernichtung, die derzeit um die Welt gehen und sich uns mit großem empfundenen Schmerz einprägen?
Vorerst dominiert ungläubiges Entsetzen, aber auch das Wissen, daß besonders symbolträchtige Ereignisse auch eine geistliche Dimension haben.
Bild: Youtube/BFMTV (Screenshots)