Papst Franziskus und die „Besessenheit“ der Kirche

Christus vivit zusammengefaßt in einem (wenig erfreulichen) Satz


Das nachsynodale Schreiben Christus vivit von Papst Franziskus zusammengefaßt in einer Passage.
Das nachsynodale Schreiben Christus vivit von Papst Franziskus zusammengefaßt in einer Passage.

(Rom) Mit einer zen­tra­len Stel­le läßt sich Chri­stus vivit, das neue nach­syn­oda­le Schrei­ben von Papst Fran­zis­kus, zusam­men­fas­sen. Der Vati­ka­nist der Tages­zei­tung Il Foglio, Matteo Mat­zuzzi, bringt es mit eige­nen Wor­ten auf den Punkt: „Kei­ne Tabus mehr zur Sexua­li­tät und Schluß mit einer Kir­che, die stän­dig die Welt verdammt“.

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Gan­ze 299 Kapi­tel umfaßt das Apo­sto­li­sche Schrei­ben, mit dem Papst Fran­zis­kus sei­ne Schluß­fol­ge­run­gen aus der Jugend­syn­ode zu Papier brach­te und am ver­gan­ge­nen 25. März, dem Hoch­fest der Ver­kün­di­gung des Herrn, im Hei­li­gen Haus im Mari­en­wall­fahrts­ort Lore­to unter­zeich­ne­te. Das Doku­ment, das in gedruck­ter Aus­ga­be rund 100 Sei­ten umfaßt, läßt sich tat­säch­lich in eine Kurz­fas­sung bringen.

Unter den „Kern­sät­zen“ des Papst­schrei­bens zur Jugend, die Vati­can News, das offi­zi­el­le Nach­rich­ten­por­tal des Hei­li­gen Stuhls, am Diens­tag ver­öf­fent­lich­te, fin­det sie sich aller­dings nicht. 

Die Kurz­fas­sung im offi­zi­el­len Wort­laut des Hei­li­gen Stuhls lautet:

„41. Auch wenn es jun­ge Men­schen gibt, die mit einer Kir­che zufrie­den sind, die sich in aller Demut ihrer Gaben gewiss ist und eine red­li­che und brü­der­li­che Kri­tik zu üben weiß, so wün­schen doch ande­re jun­ge Men­schen eine Kir­che, die mehr zuhört und nicht stän­dig die Welt ver­dammt. Sie wol­len kei­ne schwei­gen­de und schüch­ter­ne Kir­che sehen, aber auch kei­ne, die immer mit zwei oder drei The­men, auf die sie fixiert ist, auf Kriegs­fuß steht.“

Der letz­te Satz wäre gemäß dem spa­ni­schen Ori­gi­nal, in dem die­ses päpst­li­che Doku­ment ver­faßt wur­de, genau­er wie folgt wiederzugeben:

„Sie wol­len kei­ne schwei­gen­de und schüch­ter­ne Kir­che sehen, aber auch kei­ne, die sich stän­dig im Krieg befin­det wegen zwei oder drei The­men, von denen sie beses­sen ist.“

Die For­mu­lie­rung „dos o tres temas que la obse­sio­n­an” ruft, wenn auch unaus­ge­spro­chen, einen Zusam­men­hang in Erin­ne­rung. Zur Ver­deut­li­chung soll die­sel­be Pas­sa­ge zunächst in der ita­lie­ni­schen Fas­sung wie­der­ge­ge­ben wer­den: „semp­re in guer­ra per due o tre temi che la osses­sio­n­ano“. Der Papst sagt also, um es noch ein­mal zu wie­der­ho­len: Die Jugend will „kei­ne Kir­che, die sich stän­dig im Krieg befin­det wegen zwei oder drei The­men, von denen sie beses­sen ist.“

Im Sep­tem­ber 2013, am Ende der ersten sechs Mona­te des der­zei­ti­gen Pon­ti­fi­kats, ver­öf­fent­lich­te P. Anto­nio Spa­da­ro SJ, einer der eng­sten Ver­trau­ten von Papst Fran­zis­kus, ein Inter­view mit dem Kir­chen­ober­haupt, das von der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca und welt­weit von zahl­rei­chen wei­te­ren Zeit­schrif­ten des Jesui­ten­or­dens ver­öf­fent­licht wurde.

Eine dar­in ent­hal­ten­de Aus­sa­ge von Fran­zis­kus sorg­te für Auf­se­hen und unter gläu­bi­gen Katho­li­ken sogar für Empö­rung und Schmerz:

„Wir kön­nen uns nicht nur mit der Fra­ge um die Abtrei­bung befas­sen, mit homo­se­xu­el­len Ehen, mit Ver­hü­tungs­me­tho­den. Das geht nicht. Ich habe nicht viel über die­se Sachen gespro­chen. Das wur­de mir vor­ge­wor­fen. Aber wenn man davon spricht, muss man den Kon­text beach­ten. Im Übri­gen kennt man ja die Ansich­ten der Kir­che, und ich bin ein Sohn der Kir­che. Aber man muss nicht end­los davon sprechen.“

Die Stel­le ist der Über­set­zung ent­nom­men, die in der deut­schen Jesui­ten­zeit­schrift Stim­men der Zeit abge­druckt wurde.

Spadaro-Interview mit Papst Franziskus, „Stimmen der Zeit“, September 2013
Spa­da­ro-Inter­view mit Papst Fran­zis­kus, „Stim­men der Zeit“, Sep­tem­ber 2013

Abtrei­bung, Homo­se­xua­li­tät und Ver­hü­tung, das sind die „zwei oder drei“ The­men, von denen die Kir­che „nicht beses­sen“ sein soll, son­dern viel­mehr – so die beab­sich­tig­te Bot­schaft – end­lich bei­sei­te legen soll­te. Im Apo­sto­li­schen Schrei­ben Chri­stus vivit, legt Fran­zis­kus die­se For­de­rung der Jugend in den Mund, die von ihm selbst bereits im Sep­tem­ber 2013 erho­ben wurde.

Gleich im näch­sten Satz des dama­li­gen Inter­views fin­det sich auch das Verb „esse­re osses­sio­na­to“, das in der Über­set­zung der deut­schen Jesui­ten mit „beses­sen“ wie­der­ge­ge­ben wur­de. Mit „beses­sen“ soll­te es also auch in der Über­set­zung von Chri­stus vivit wie­der­ge­ge­ben wer­den und nicht bloß mit „auf etwas fixiert sein“, wie es in der am Mon­tag vom Vati­kan ver­öf­fent­lich­ten deut­schen Fas­sung heißt.

Im Spa­da­ro-Inter­view von 2013 kri­ti­sier­te Fran­zis­kus damit einen sei­ner Ansicht nach fal­schen mis­sio­na­ri­schen Eifer, der vor allem „dog­ma­ti­sche und mora­li­sche Leh­ren“ ver­brei­ten wol­le. Unter dem Schlag­wort des Pro­se­ly­tis­mus mach­te er seit­her mit einem unauf­halt­sa­men Cre­scen­do eine gene­rel­le Mis­si­ons­kri­tik dar­aus, die selbst gestan­de­ne Mis­sio­na­re ver­zwei­feln und die Frei­mau­re­rei jubeln läßt. So jüngst gesche­hen nach der Unter­zeich­nung des „Doku­ments über die Brü­der­lich­keit aller Men­schen“ am 4. Febru­ar in Abu Dhabi. 

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Vati​can​.va/​S​t​i​mme der Zeit/​Herder (Screen­shots)

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1 Kommentar

  1. Hät­te die Kir­che in den 1930erjahren auf die „Zei­chen der Zeit“ geach­tet, wären ihrer­seits wahr­schein­lich der Kom­mu­nis­mus und der Natio­nal­so­zia­lis­mus akzep­tiert wor­den. Die­se bei­den ver­bre­che­ri­schen, lin­ken Ideo­lo­gien waren schließ­lich dama­li­ger Main­stream, sie abzu­leh­nen wäre nach berg­o­glia­ni­scher Logik sicher auch ein Zei­chen von „Beses­sen­heit“ gewesen.

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