
(Washington) Gerüchte gab es bereits seit einiger Zeit, nun wurden sie von der Washington Post berichtet: Neuer Erzbischof in Washington, der Bundeshauptstadt der USA, soll Erzbischof Wilton Gregory von Atlanta werden. Papst Franziskus setzt den progressiven Umbau des US-Episkopats trotz des sexuellen Mißbrauchsskandal, in den vor allem progressive Hierarchen verwickelt sind, unbeeindruckt fort.
Der Vatikan gab noch keine Ernennung bekannt, doch, so die führende linksliberale Hauptstadtzeitung, habe Erzbischof Gregory das Angebot von Papst Franziskus bereits angenommen. Die Bestätigung durch Rom könnte bereits heute erfolgen.
Der Erzbischofssitz von Washington zählt neben Chicago, Boston und Baltimore zu den prestigeträchtigsten und einflußreichsten in der katholischen US-Hierarchie. Durch den Skandalbischof Theodore McCarrick geriet er allerdings auf beschämende Weise in die Schlagzeilen. Im Sommer 2018 wurde dessen homosexuelles Doppelleben öffentlich bekannt. Ende Juli des vergangenen Jahres entzog ihm Franziskus unter dem Druck der Öffentlichkeit die Kardinalswürde. Kurz vor Beginn des Anti-Mißbrauchsgipfels im Februar wurde er sogar laisiert. McCarrick war von 2000 bis zu seiner Emeritierung 2006 Erzbischof von Washington gewesen.

Parallel mit seinem Fall legte die Grand Jury den Pennsylvania-Report vor, der sexuellen Mißbrauch Minderjähriger durch Kleriker im Staat Pennsylvania dokumentiert. Dabei geriet auch der damals noch amtierende Nachfolger McCarricks als Erzbischof von Washington, Donald Kardinal Wuerl, in die Kritik. Er war zuvor Bischof von Pittsburgh im Staat Pennsylvania gewesen. Der ehemalige Apostolische Nuntius in den USA, Erzbischof Carlo Maria Viganò, zählt Kardinal Wuerl in seinem Dossier zur Homo-Lobby um McCarrick.
Wie im Fall McCarrick, wo Papst Franziskus bereits im Juni 2013 über die sexuellen Verfehlungen des Kardinals informiert wurde, aber untätig blieb, hielt Franziskus auch an Kardinal Wuerl fest, so lange es möglich war. Am 12. Oktober 2018 war der Druck so groß geworden, daß Franziskus den Amtsverzicht Wuerls akzeptierte, ihn allerdings gleichzeitig zum Apostolischen Administrator des Erzbistums machte. Auf diese Weise signalisierte er, daß diese Entscheidung durch äußeren Zwang gegen seinen Willen erfolgt.
Seither wurde viel über die Neubesetzung spekuliert. Eine Initiative von US-Katholiken wandte sich an den Heiligen Stuhl mit der Bitte, Raymond Kardinal Burke, zum neuen Erzbischof zu ernennen, einen der entschiedensten und intelligentesten Kritiker des derzeitigen Pontifikats. Die Bitte viel bei Franziskus ins Leere, da er den US-Kardinal wie keinen anderen Kardinal entmachtet und in der Vergangenheit öffentlich gedemütigt hatte.
Papst Franziskus ist für Bischofsernennungen stets auf der Suche nach dem „progressivsten“ Kandidaten. Das gilt um so mehr für Bischofssitze von strategischer Bedeutung für das amtierende Kirchenoberhaupt. In Erzbischof Wilton Gregory scheint er ihn gefunden zu haben. Der Name des Erzbischofs von Atlanta wurde in den vergangenen Wochen wiederholt genannt. Gestern veröffentlichte die Washington Post seinen Namen. Ein Signal, daß sich alles auf den afroamerikanischen Oberhirten zu konzentrieren scheint.
Die Washington Post, hinter der New York Times das wichtigste globale, linksliberale Leitmedium, meldete in ihrer gestrigen Ausgabe, daß Erzbischof Wilton Gregory das Angebot von Papst Franziskus bereits angenommen habe. Er soll das Erzbistum, das im vergangenen Jahr in den sexuellen Mißbrauchsskandal geraten war, wieder auf die Höhe bringen. Dahinter geht es aber um einen harten Machtkampf in den USA. Die offizielle Bestätigung seiner Ernennung soll, so das Hauptstadtblatt, durch den Vatikan am heutigen Donnerstag erfolgen.
Erzbischof Wilton Gregory kann auf eine progressive Herkunftslinie verweisen. Von John Kardinal Cody (1965–1982), dem damaligen Erzbischof von Chicago, wurde er 1973 zum Priester geweiht. Cody wird gerne als „gemäßigt progressiv“ beschrieben, was allerdings zurückhaltend formuliert ist. Sein Nachfolger, Joseph Kardinal Bernardin (1982–1996) wurde offen zum Kopf der progressiven Fraktion in den USA. Zu seiner Zeit galt das Ordinariat des Erzbistums als Hochburg homosexueller Seilschaften. Bernardin ließ sich 1983 Wilton Gregory als Weihbischof in Chicago zur Seite stellen. Die Begeisterung in Rom hielt sich über dessen Wirken in Grenzen. Als im Vatikan bereits die Nachfolge Bernardins vorbereitet wurde, erfolgte 1993 die Wegbeförderung Gregorys auf den Bischofssitz von Belleville, einem unbedeutenden Suffragan von Chicago.
2004 wurde er allerdings in der Endphase des Pontifikats von Johannes Paul II., aus kaum verständlichen Gründen, zum Erzbischof von Atlanta befördert. Das Erzbistum machte seither im Zusammenhang mit Homosexualität mehrfach wenig rühmlich von sich reden. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Erzbischof Gregory sich in Schweigen hüllte und gewähren ließ.

Wilton Gregory gilt als Vertreter einer „armen Kirche für die Armen“, dennoch geriet er durch den millionenteuren Bau einer neuen Residenz für sich in die Schlagzeilen. Während der konservative, deutsche Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst dafür von Papst Franziskus seines Amtes enthoben wurde, beließ er den progressiven US-Amerikaner nicht nur an seinem Platz, sondern könnte ihm gerade den größten Karrieresprung seines Leben ermöglichen. Mit dem Erzbischofsstuhl von Washington dürfte er von Franziskus bei nächster Gelegenheit auch mit dem Kardinalspurpur ausgezeichnet werden.
Von den Kardinälen Wuerl und Blase Cupich, dem „progressivsten Außenseiter“ im US-Episkopat, den Papst Franziskus zum Erzbischof von Chicago und zum Kardinal machte, stammt der sogenannte Metropoliten-Plan zur Bekämpfung des sexuellen Mißbrauchs und Fehlverhaltens durch Bischöfe. Seit dem Fall McCarrick und dem Pennsylvania-Bericht haben mehrere emeritierte und amtierende Bischöfe in den USA Ermittlungen wegen sexuellen Mißbrauchs oder wegen des Vorwurfs zu fürchten, sexuelle Mißbrauchstäter gedeckt zu haben. Betroffen ist vor allem die progressive Fronde, die Papst Franziskus fördert.
Die Mehrheit der Amerikanischen Bischofskonferenz wollte im vergangenen Herbst konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Kirche in den USA aus dem Sumpf des Mißbrauchsskandals zu führen. Anschuldigungen gegen Bischöfe sollten von einer unabhängigen, von Laien geführten Kommission untersucht werden. Dagegen legte Papst Franziskus sein Veto ein. Anders ausgedrückt: Er stellte sich schützend vor seine unter schweren Drcuk geratenen, progressiven Freunde. Als Gegenvorschlag legten diese, konkret die genannten Kardinäle Cupich und Wuerl, den „Metropoliten-Plan“ vor, der vorsieht, daß die Untersuchungen gegen einen Bischof vom zuständigen Metropoliten geführt werden sollen. Sollte gegen diesen selbst ermittelt werden, habe der dienstälteste Suffraganbischof die Untersuchung zu leiten. Der Eindruck liegt nahe, daß damit mehr der Schein von Ermittlungen garantiert werden soll.
Msgr. Wilton Gregory gilt als Erzbischof von Washington als eine Idealbesetzung, um den „Metropoliten-Plan“ zum Schutz der progressiven Bischofsfronde in den USA umzusetzen. Er wäre dann auch für einen eventuellen Fall Wuerl zuständig.
[Update, 13.15 Uhr] Zu Mittag gab das vatikanische Presseamt im Tagesbulletin bekannt, daß Papst Franziskus Msgr. Wilton Gregory, Erzbischof von Atlanta, zum neuen Erzbischof von Washington ernannte.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL/LSN