Eine Buchbesprechung von Christoph Matthias Hagen
2019 sind es fünfzig Jahre, seit Paul VI. sein neues Missale Romanum promulgiert hat. Was es enthält, nennt man nach wie vor mehr umgangssprachlich den Novus Ordo Missae oder noch plakativer: die Neue Messe. In der Februarnummer des Informationsblattes der Priesterbruderschaft St. Petrus stellt Pater Dr. Sven L. Conrad die Frage: „Ab wann war die Liturgie neu?“ (vgl. a. a. O., S. 3–5) und beantwortet sie wohltuend sachlich und zugleich deutlich. Wer die Frage vertiefen will und des Englischen mächtig ist, sollte zu dem Ende 2018 erschienenen Buch: Annibale Bugnini. Reformer of the Liturgy greifen. Dabei handelt es sich um eine Übersetzung der im Original 2016 erschienenen Bugnini-Biographie des französischen Geschichtswissenschaftlers Yves Chiron.
Noch detaillierter als es in Conrads kompaktem Beitrag geschehen kann, kann der Leser die Schritte nachvollziehen, die sich von 1962 bis 1965 abspielten und dann 1967 und 1968 vollends zur neuen Liturgie von 1969/70 führten. Neu bedeutet ab einem bestimmten Punkt der Entwicklung auch heute noch zwar längst nicht mehr aktuell, sondern andersartig oder nicht-römisch.
In gewisser Weise gilt das schon mit der Neuordnung des Messordo 1965, unbestreitbar aber mit der Schaffung alternativer Hochgebete neben dem Messkanon. Die Andersartigkeit besteht dabei zumindest in einer Aufgabe des Römischen, jedenfalls dann, wenn man darunter mehr versteht als nur das formale Ausgehen der sogenannten nachkonziliaren Liturgiereform vom Papst in Rom.
Ritual correctness als typisch römisch
Dieser römische Charakter der Liturgie besteht nämlich mehr in einer typisch römischen Mentalität, deren Wurzeln sogar vorchristlich waren und entscheidend in einem bestimmten Verständnis von Religion als rituell korrektem Kultvollzug zu lokalisieren sind, das mit einem typischen Rechtsdenken einhergeht. Man kann sogar sagen, dass römische Religiosität und Jurisprudenz zunächst identisch waren und dass das Römische Recht gewissermaßen bereits die säkularisierte Verselbständigung eines Segments ist, das ursprünglich mit der Römischen Religion eine Einheit bildete. Nur mit diesem historischen Bewusstsein versteht man recht die Tragweite des Schnitts, den Paul VI. vollzogen hat.
Einheitsliturgie als schleichende Tendenz
Vorbereitet wurde er freilich durch eine alte Tendenz, die mit dem Aufkommen der franziskanischen Bewegung anhebt, die Liturgie des päpstlichen Hofes derart als ideal zu empfinden, dass man sie auch außerhalb Roms übernimmt, nicht zuletzt, um damit besondere Verbundenheit und Treue zum Papst unter Beweis zu stellen. Nach 1570 wurden die römisch-tridentinischen Liturgiebücher verstärkt für eine prinzipiell weltweite Einheitsliturgie herangezogen, was zwar strenggenommen nicht der Absicht des Konzils von Trient entsprach, im 19. Jahrhundert indes geradezu in einem ultramontanen Sog auch letzte, ortskirchliche Eigenriten vereinnahmte. Es ist nicht erstaunlich, dass der Prototyp des Novus Ordo Missae Pauls VI. von 1967 ausgerechnet Bugninis sogenannte Missa normativa war, ein prinzipiell globalisiert ausgerichteter Einheitsritus. Diese Uniformitätstendenz scheint die ausschlaggebende Voraussetzung zu sein, dass Paul VI. sich zu seiner liturgischen Neuschöpfung ermächtigt glauben konnte und zuvor schon 1955 Pius XII. zu dessen Eingriff in die ehrwürdigen Riten der Karwoche sich berechtigt gesehen hatte.
Wenn man fünfzig Jahre danach die nachkonziliare Liturgiereform und daraus entstandene, breite liturgische Praxis heute nochmals kritisch sichtet, muss man offenbar zuerst diese grundsätzlichen, historischen Bedingungen des einstmals römischen Ritus sich vor Augen führen, ehe es Sinn macht, inhaltliche Defizite des Novus Ordo Missae zu problematisieren und sich davon zu distanzieren. Auch der Wert einer Editio typica von 1962, die maximal bis 1965 formal allgemein galt, muss dann kritisch hinterfragt werden. Die Bugnini-Biographie Chirons kann dazu eine wichtige Hilfe sein.
Bibliographische Angaben:
Chiron, Y., Annibale Bugnini. Reformer of the Liturgy, (Angelico Press) Brooklyn 2018, 200 Seiten, Paperback, ISBN 978–1‑62138–411‑3, € 21,00,- (D). Das Buch kann auch in einer in Leinen gebundenen Ausgabe und als E‑Book bezogen werden.
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Bild: Orbis Catholicus Secundus (Screenshot)