(Rom) Auf dem Rückflug von Abu Dhabi erzählte Papst Franziskus in der fliegenden Pressekonferenz eine Episode, die Papst Benedikt XVI. und Papst Johannes Paul II. betrifft. Zweifel an der Darstellung äußerte inzwischen Stanislaus Kardinal Dziwisz, der persönliche Sekretär von Johannes Paul II.
Dziwisz war seit 1966 Sekretär des damaligen Erzbischofs von Krakau. Als Kardinal Wojtyla 1978 zum Papst gewählt wurde, ging Dziwisz in gleicher Funktion mit nach Rom, wo er dem polnischen Papst bis zu seinem Tod 2005 diente. Papst Benedikt XVI. ernannte ihn zwei Monate nach dem Tod Johannes Pauls II. zum Erzbischof von Krakau und kreierte ihn 2006 zum Kardinal. 2013 äußerte sich der Kardinal kritisch zum überraschenden Amtsverzicht von Papst Benedikt XVI. und verwies auf das Ausharren Johannes Pauls II. im Amt bis zum Tod. 2016 wurde Dziwisz von Papst Franziskus im Alter von 77 Jahren als Erzbischof von Krakau emeritiert.
Auf dem Rückflug nach Rom, am vergangenen 5. Februar, hatte Nicole Winfield von der internationalen Nachrichtenagentur Associated Press Papst Franziskus eine Frage zum „sexuellen Mißbrauch von gottgeweihten Frauen“ gestellt. Die Frage wurde von Papst Franziskus am Ende der Pressekonferenz beantwortet, weil er „zuerst die Thematik der Reise abschließen“ wollte, die ihn nach Abu Dhabi geführt hatte.
Nachfolgend der Auszug aus seiner Antwort auf die Winfield-Frage, die seine beiden Vorgänger im Petrusamt betrifft, zitiert nach der offiziellen deutschen Wiedergabe auf der Internetseite des Heiligen Stuhls:
„Papst Benedikt hatte den Mut, eine Gemeinschaft von gewisser Größe aufzulösen, denn es gab dort eine Form der Manipulation von Frauen, sogar sexuelle Manipulation, durch Geistliche oder den Gründer. Mitunter nimmt der Gründer die Freiheit weg, beraubt die Ordensschwestern der Freiheit und kann dann so weit gehen. Hinsichtlich Papst Benedikt möchte ich betonen, dass er ein Mann ist, der den Mut hatte, viele Dinge dagegen zu unternehmen. Es gibt da eine Anekdote: Er hatte alle Akten, alle Dokumente über eine religiöse Gemeinschaft, innerhalb deren es sexuelle und wirtschaftliche Korruption gab. Er [als Kardinal] ging daran, aber es gab Filter, und er konnte nicht weiterkommen. Am Ende hat der Papst [hl. Johannes Paul II.] ein Treffen einberufen zu dem Zweck, die Wahrheit herauszufinden, und Joseph Ratzinger ging mit den Akten und allen seinen Dokumenten dorthin. Und als er zurückkam, sagte er zu seinem Sekretär: ‚Lege es ins Archiv, die andere Seite hat gewonnen.‘ Wir dürfen daran nicht Anstoß nehmen, das sind Schritte in einem Prozess. Aber dann, als er Papst wurde, sagte er als Erstes: ‚Bring mir diese Akten aus dem Archiv‘, und er begann wieder damit … Volkstümlich wird Papst Benedikt als so gutherzig dargestellt; ja, denn er ist gutherzig, gutmütig, wirklich herzensgut; er ist gutherzig! Aber er wird auch als schwach dargestellt, er ist jedoch alles andere als schwach! Er war ein starker Mann, ein Mann, der konsequent in den Dingen war. Er hat begonnen …“
Der interimistische Vatikansprecher Alessandro Gisotti, der die Pressekonferenz moderierte, erklärte im Anschluß den von Franziskus auch verwendeten Begriff „Sklaverei“. Auf der Internetseite des Heiligen Stuhls heißt es dazu:
„Wie der Interims-Leiter des Presseamts erklärte, meinte der Heilige Vater mit der Verwendung des Begriffs Sklaverei ‚Manipulation‘, eine Form des Machtmissbrauchs, die sich auch im sexuellen Missbrauch widerspiegelt.“
Die meisten Medien brachten die Schilderung von Papst Franziskus mit Marcial Maciel Degollada in Verbindung, dem Gründer der Legionäre Christi, eines Ordens, der von beiden Vorgängerpäpsten geschätzt wurde. Der Gründer wurde jedoch von Benedikt XVI. wegen erwiesener, schwerer Vergehen verurteilt und der Orden von seinem Andenken gereinigt.
Kardinal Dziwisz antwortet auf die Aussagen
Das polnische Wochenmagazin Trygodnik Powszechny fragte bei Kardinal Dziwisz nach, was es mit dem von Papst Franziskus Geschilderten auf sich habe. Am 9. Februar veröffentlichte die Zeitschrift das Interview: „Der Kardinal unterbricht sein Schweigen“.
Kardinal Dziwisz: Ich weiß nicht, wen und was Papst Franziskus damit gemeint hat, als er eine „Anekdote“ über ein Treffen von Kardinal Joseph Ratzinger mit Johannes Paul II. erzählte. Ich möchte betonen, daß der Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre regelmäßig, regelmäßig und sehr häufig, Kontakt zum Papst hatte. Persönlich, ohne Zwischenstellen, also ohne „Filter“, erörterten beide die wichtigsten Angelegenheiten, die in die Zuständigkeiten der Kongregation fielen. Meistens und wann immer nötig übermittelte Johannes Paul II. die Dokumente vor der Entscheidung an die einzelnen Vatikan-Stellen um Stellungnahme. Auf diese Weise wurde die vollständige Dokumentation zuverlässig gesammelt. Das war das übliche Verfahren, wie der Papst arbeitete.
Trygodnik Powszechny verweist im Interview auf die Annahme der Medien, Papst Franziskus könnte sich auf den Gründer der Legionäre Christi, Maciel Degollada, bezogen haben.
Kardinal Dziwisz: Ich habe viele Jahre mit dem Papst zusammengearbeitet und nie von „zwei Parteien“ gehört. Ich glaube nicht, daß Johannes Paul II. an vorgelegten Schuldbeweisen gezweifelt hätte. Das war nicht sein Stil. Der Heilige Vater war ein Mann des Konzils, er respektierte die Kollegialität, deshalb kümmerte er sich um die Angelegenheiten, wie sie Papst Franziskus im Interview erwähnte, nicht „privat“, sondern suchte – wie ich sagte – kompetenten Rat und errichtete erforderlichenfalls Kommissionen, um eine Angelegenheit zu untersuchen.
Johannes Paul II. war ein Mann, der in seinen Bewertungen, Entscheidungen und Maßnahmen von der Gerechtigkeit geleitet wurde. Er stand immer an der Seite des Gesetzes und der Rechtsstaatlichkeit. Wenn er von Menschen sprach, achtete er darauf, niemanden zu verletzen.
Er besprach die Angelegenheiten der Kirche mit Leuten, die dazu berufen waren, nicht privat. In diesem Zusammenhang möchte ich mit Nachdruck betonen, daß es keine „Filter“ gab, keine Informationssperre zu dem, was den Papst erreichen sollte und worüber er ein Recht hatte, informiert zu sein. Das Staatssekretariat war die Institution, die direkt mit dem Papst zusammenarbeitete, um Angelegenheiten zu regeln.
Der Kontakt des Priesters Marcial Maciel Degollada mit Johannes Paul II. hatte nicht den Charakter einer Freundschaft. Er wurde gelegentlich als Generaloberer der Ordensgemeinschaft und nicht in persönlichen Angelegenheiten empfangen. Der Papst hat ihn mehrmals zum Mitglied der Bischofssynode ernannt, genau wie andere Generalobere und Moderatoren von kirchlichen Bewegungen und Gemeinschaften.
Alle möglichen Schwierigkeiten und manchmal absurden Anschuldigungen gegen Johannes Paul II. wurden im Zuge seines Selig- und Heiligsprechungsverfahrens ausführlich geklärt. Wir können sagen, daß er gewissermaßen zu einem „Zeichen des Widerspruchs“ geworden ist. Er war ein aufrichtiger Mann, der verantwortungsvoll für die Kirche und das Schicksal der Welt handelte. Darin war keine Unwahrheit. Er war in keine Intrigen verstrickt. Er sprach die Wahrheit, aber mit Liebe, und verbarg die Wahrheit nicht.
Ein schönes Zeugnis über die Heiligkeit von Johannes Paul II., über seinen Dienst an Christus und den Menschen wurde von Papst Benedikt XVI. in seiner Predigt während der Messe zur Seligsprechung seines Vorgängers abgegeben. Benedikt XVI. kannte Johannes Paul II. so gut, wie ihn nur wenige Menschen kannten. Er war fast während seines ganzen Pontifikats einer seiner engsten Mitarbeiter.
Soweit die Antwort des emeritierten Erzbischofs von Krakau, der die von Papst Franziskus zitierte Aussage von „zwei Parteien“ auf den Fall Marcial Maciel Degollada bezog. Die Existenz einer „zweiten Partei“ in der Kirche wurde in der autorisierten Biographie über Kardinal Godfried Danneels offengelegt. Ihr höchster Ausdruck war die „Mafia von Sankt Gallen“.
Interpretationsschwierigkeiten
Bemerkenswert erscheint zunächst die Frage, woher Papst Franziskus die von ihm kolportierte Geschichte über seine beiden Vorgänger kennt. Von den beiden Päpsten wohl kaum. Dabei ist zu bedenken, daß es Franziskus in der Vergangenheit bei der Wiedergabe von Erzählungen, die ihm hinterbracht wurden, nicht ganz genau nahm.
Das gilt beispielsweise für die haltlose Behauptung, Papst Paul VI. habe afrikanischen Ordensfrauen, die von einer marodierenden Soldateska bedroht waren, die Benutzung von Verhütungsmitteln erlaubt (siehe auch Paul VI. und die Pille für Nonnen in Belgisch-Kongo – Eine schmutzige modernistische Fälschung). Franziskus erzählte die Episode, um daraus Schlußfolgerungen für heute und jetzt abzuleiten und betätigte sich dabei als eine Art Trittbrettfahrer der Abtreibunglobby, indem er auf die Panik mit Fake News zum Zika-Virus aufsprang, mit dem vor allem in Brasilien die Tötung ungeborener Kinder legalisiert werden sollte.
Eine andere Episode riskierte einen veritablen diplomatischen Zwischenfall, wäre sein Gastgeber als gläubiger Katholik gegenüber seinem Kirchenoberhaupt nicht nachsichtig gewesen. Beim Papstbesuch in Paraguay im Juli 2015 hatte irgendwer Franziskus zwischen Tür und Angel erzählt, das paraguayische Militär habe einen Familienvater entführt und halte ihn als Geisel. Der empörte Papst ging bei einer Begegnung mit der gesamten Staatsführung und vor versammelter Vertretung der Zivilgesellschaft auf die Bühne, attackierte den konservativen Staatspräsidenten Horacio Cartes und forderte die sofortige Freilassung des Mannes. Die Desavouierung des Staatsoberhauptes, der in aller Öffentlichkeit ins Licht eines Staatsverbrechers gerückt wurde, war perfekt. Die Anschuldigung, wie sich schnell herausstellte, war jedoch völlig zu Unrecht erfolgt. Nicht das Militär hatte einen Mann entführt, sondern eine kommunistische Terrororganisation hielt einen Polizeioffizier als Geisel. Die perfekte Blamage.
Schließlich stellt sich die Frage, was Franziskus genau mit seiner Episode auf dem Rückflug von Abu Dhabi sagen wollte. Dziwisz weist berechtigterweise darauf hin, daß Kardinal Ratzinger direkten Zugang zu Johannes Paul II. hatte. Die AP-Korrespondentin Winfield sprach den jüngst bekanntgewordenen Skandal von mißbrauchten Ordensfrauen an, die Opfer von Klerikern wurden. Macial Degollada hatte sich zahlreiche Schandtaten zuschulden kommen lassen, mit einem solchen Mißbrauch wurde er allerdings nicht in Zusammenhang gebracht.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons/Vatican.va (Screenshot)
Es klar, dass der Kardinal Johannes Paul II. in Schutz nimmt. Allein schon wegen des Gründers der LC hätte man Johannes Paul nicht heiligsprechen können, wenn er diesen Mann gedeckt haben sollte. Schon deshalb bin ich gegen so rasche Heiligsprechungen. Leider hat das mit der Causa Pius X. begonnen. 1951 selig‑, schon 1954 heiliggesprochen. Natürlich bin ich froh, dass Pius heiliggesprochen ist, denn heute würde er nicht einmal mehr seliggesprochen. Aber diese prinzipiell übereilte Vorgehensweise fängt damals an.
Stimmt, heute würde er nicht einmal zum Priester geweiht werden und wohl auch selbt kein Priester werden wollen.
Bei allem Respekt für dieses Magazin. Manchmal ereilt mich der Gedanke, das einzige Ziel der Beiträge sei es, Papst Franziskus schlecht zu machen. Natürlich ist Kritik angebracht. Aber in vielen Beiträgen wird der Heilige Vater beinahe als Lügner und Häretiker dargestellt.
Dass man dem Heiligen Vater unterstellt, für die Abtreibungslobby zu arbeiten, ist doch wohl sehr weit hergeholt.
Bei den Folgen des Zika-Virus handelt es sich nicht um „Fake News der Abtreibungslobby“ , sondern um traurige medizinische Tatsachen. Aber im reichen Europa lässt sich natürlich leicht über die armen Menschen in Lateinamerika richten.
Der Papst sagte, es sei in gewissen Fällen vertretbar, zu Verhüten, um eine bei dieser Krankheit schon fast sichere Abtreibung zu verhindern.
„Ein päpstlicher Freifahrtschein zur Verhinderung behinderten Lebens ist das nicht. Vielmehr spielte Franziskus bewusst darauf an, dass Kinder mit der durch Zika verursachten Mikrozephalie, einer Kleinwüchsigkeit des Kopfes, nicht nur schwerbehindert sein, sondern nur eine minimale Lebenserwartung haben können, von den Risiken für die Mutter abgesehen. Viele Ärzte raten den Müttern deshalb zur Abtreibung. Eine Verhinderung der Befruchtung könne deshalb eine brutale Abtreibung verhindern. Trotzdem ruft Papst Franziskus zur Enthaltsamkeit auf. Dies sei der sicherste Weg, um sich zu schützen.“