Müllers Manifest und Kaspers „Entsetzen“

Die Nach-Bergoglio-Zeit hat bereits begonnen


Weichenstellungen? Von links: die Kardinäle Burke, Müller und Sarah. Die Nach-Bergoglio-Zeit hat bereits begonnen.
Weichenstellungen? Von links: die Kardinäle Burke, Müller und Sarah. Die Nach-Bergoglio-Zeit hat bereits begonnen.

(Rom) Am ver­gan­ge­nen Sams­tag ver­öf­fent­lich­te Kar­di­nal Ger­hard Mül­ler ein „Mani­fest des Glau­bens“. San­dro Magi­ster, der eigent­li­che Doy­en der Vati­ka­ni­sten, ver­gleicht das Mani­fest mit dem „Cre­do des Got­tes­vol­kes“ von Papst Paul VI. im Revo­lu­ti­ons­jahr 1968.

Anzei­ge

„Damals wie heu­te stand die Kir­che im Sturm, und ihr eige­ner Glau­be wank­te. Paul VI. sah sich in der Pflicht, die Eck­punk­te der Glau­bens­leh­re der Kir­che zu bekräf­ti­gen. Heu­te ist es der Kar­di­nal, der von 2012 bis 2017 Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on war, der die­ses öffent­li­che Zeug­nis ablegt“, so Magister.

Im Umbruch­jahr 1968, das zu Para­dig­men­wech­sel im Den­ken führ­te, die heu­te mehr denn je die ver­öf­fent­lich­te Mei­nung beherr­schen, begrün­de­te Paul VI. die Not­wen­dig­keit für sein Cre­do des Got­tes­vol­kes wie folgt:

„Wenn Wir dies tun, sind Wir Uns dabei der Unru­he bewußt, die gewis­se moder­ne Krei­se im Hin­blick auf den Glau­ben ergrif­fen hat. Sie kön­nen sich nicht dem Ein­fluß einer Umwelt ent­zie­hen, die sich in einer tief­ge­hen­den Wand­lung befin­det, und in der so vie­le Din­ge, die als sicher gal­ten, bestrit­ten oder zur Dis­kus­si­on gestellt wer­den. Wir sehen sogar Katho­li­ken, die sich von einer Art Ver­än­de­rungs- und Erneue­rungs­sucht erfas­sen las­sen. Die Kir­che hat frei­lich immer die Pflicht sich stän­dig zu bemü­hen, tie­fer ein­zu­drin­gen in die uner­gründ­li­chen Geheim­nis­se Got­tes, die so reich sind an Seg­nun­gen des Hei­les, und die­se Geheim­nis­se in einer Wei­se dar­zu­le­gen, die sich immer bes­ser dem Ver­ständ­nis der Men­schen anpaßt, die ihr fol­gen. Aber gleich­zei­tig muß man auch die größ­te Sor­ge tra­gen, wenn man sich ganz der uner­läß­li­chen Pflicht der For­schung hin­gibt, an den Wahr­hei­ten der christ­li­chen Leh­re kei­ne Abstri­che zu machen. Denn das wür­de sonst bedeu­ten, wie man es heu­te lei­der wahr­neh­men muß, bei vie­len gläu­bi­gen See­len Ver­wir­rung und Bestür­zung hervorzurufen.“

Kar­di­nal Mül­ler sagt in sei­nem Mani­fest des Glau­bens, daß ihn „vie­le Bischö­fe, Prie­ster, Ordens­leu­te und Lai­en der katho­li­schen Kir­che“ dar­um gebe­ten hat­ten. Ober­hir­ten und ein­fa­che Gläu­bi­ge, die besorgt sind über die sich in der Glau­bens­un­ter­wei­sung aus­brei­ten­de Verwirrung.

Paul VI. leg­te sei­nem Cre­do des Got­tes­vol­kes das Glau­bens­be­kennt­nis des Kon­zils von Nicäa zugrun­de. Kar­di­nal Mül­ler nahm für sein Mani­fest des Glau­bens den Kate­chis­mus der Katho­li­schen Kir­che als Grund­la­ge. Auf ihn ver­wei­sen die Num­mern in den Klammern.

Bei­den Bekennt­nis­sen, jenem des Jah­res 1968 von Papst Paul VI. und dem von Kar­di­nal Mül­ler von 2019, liegt eine gro­ße Sor­ge um die Kir­che und ihren zen­tra­len Auf­trag zugrun­de, mit dem sie von Jesus Chri­stus gestif­tet wur­de: die Bewah­rung und unver­kürz­te Wei­ter­ga­be Sei­ner Leh­re zum See­len­heil der Men­schen, damit mög­lichst vie­le das ewi­ge Leben gewinnen.

Historische Kontext falscher Weichenstellungen

Im histo­ri­schen Kon­text sind bei­de Bekennt­nis­se in einem Zusam­men­hang zu sehen, näm­lich dem des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils und sei­ner nach­kon­zi­lia­ren Umset­zung. Das Cre­do des Got­tes­vol­kes war ein ern­ster Weck­ruf durch einen Papst, der nicht unwe­sent­lich selbst zu Fehl­ent­wick­lun­gen bei­getra­gen, sie jeden­falls erst mög­lich gemacht hatte. 

Das Mani­fest des Glau­bens von Kar­di­nal Mül­ler, ein hal­bes Jahr­hun­dert spä­ter, läßt das Aus­maß der Ver­wir­rung durch die fal­schen Wei­chen­stel­lun­gen ahnen, die in den 60er Jah­ren vor­ge­nom­men wur­den. Das Mani­fest macht bewußt, daß die ein­ge­schla­ge­nen Abwe­ge, trotz ver­schie­de­ner Bemü­hun­gen im ver­gan­ge­nen hal­ben Jahr­hun­dert, nicht wirk­lich kor­ri­giert wur­den. Die Grün­de dafür soll­ten Gegen­stand ernst­haf­ter Prü­fung sein. Eben­so soll­ten die Akteu­re ins Auge gefaßt wer­den, die die­se Fehl­ent­wick­lun­gen zu ver­ant­wor­ten und kon­kret gewirkt haben. 

Das gan­ze Aus­maß läßt sich letzt­lich nur durch fal­sche Prä­mis­sen des Den­kens erklä­ren, die im Kir­chen­ver­ständ­nis und der Prie­ster­aus­bil­dung, vor allem dem Theo­lo­gie­stu­di­um zu suchen sind. Durch sie wur­den gan­ze Gene­ra­tio­nen von Hir­ten und Hel­fern regel­recht ver­bil­det und dazu bei­getra­gen, eine wirk­li­che Erneue­rung zu blockie­ren. Solan­ge die­se kir­chen­in­ter­ne Blocka­de nicht besei­tigt wird, scheint sich die Ent­wick­lung auf schie­fer Ebe­ne fort­zu­set­zen und nimmt, gemäß dem dazu­ge­hö­ri­gen phy­si­ka­li­schen Gesetz, eine immer schnel­le­re Fahrt auf. 

Was Papst Bene­dikt XVI. gegen größ­te Wider­stän­de ver­lang­sa­men konn­te, beschleu­nigt sich unter sei­nem Nach­fol­ger um so schnel­ler. So schnell, daß Kar­di­nal Mül­ler, der als Glau­bens­prä­fekt, wenn auch inzwi­schen zwangs­eme­ri­tiert, eine Gestalt der Kir­che mit her­aus­ra­gen­der Auto­ri­tät ist, die Not­wen­dig­keit sah, einen unge­wöhn­li­chen Schritt zu set­zen. Er tat, was dem Papst zu tun auf­ge­tra­gen wur­de, und das von Jesus Chri­stus selbst. Sei­ne Auf­ga­be ist es die Glau­bens­leh­re zu bewah­ren und die Brü­der im Glau­ben zu stärken. 

Weichenstellungen für die Zeit nach Franziskus

Kar­di­nal Mül­ler ist mit sei­nem Mani­fest des Glau­bens der drit­te Pur­pur­trä­ger, der impli­zit und wider Wil­len – wie man ihm glau­ben kann – zum offe­nen Gegen­part zu Papst Fran­zis­kus wur­de. Die ande­ren bei­den sind Kar­di­nal Ray­mond Bur­ke mit den Dubia zu Amo­ris lae­ti­tia und Kar­di­nal Robert Sarah mit sei­ner Auf­for­de­rung an alle Prie­ster, zur Zele­bra­ti­on­rich­tung ad Deum zurückzukehren.

Alle drei Kar­di­nä­le, die aus der nicht klei­nen Schar der Pur­pur­trä­ger her­vor­ra­gen, wur­den von Papst Fran­zis­kus gemaß­re­gelt: zwei ver­lo­ren ihr Dik­aste­ri­um, Kar­di­nal Bur­ke war Prä­fekt des Ober­sten Gerichts­ho­fes der Apo­sto­li­schen Signa­tur, Kar­di­nal Mül­ler war Prä­fekt der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on, und der drit­te wur­de von Fran­zis­kus öffent­lich zurecht­ge­wie­sen und in sei­nem eige­nen Dik­aste­ri­um, der Kon­gre­ga­ti­on für den Got­tes­dienst und die Sakra­men­ten­ord­nung isoliert. 

Den­noch haben sie ihren Mut nicht ver­lo­ren und bemü­hen sich in einer schwie­ri­gen Situa­ti­on, da ihnen die unmit­tel­ba­ren, jün­ge­ren Vor­bil­der feh­len, dem Papst­amt die geschul­de­te Treue und den gebo­te­nen Gehor­sam zu zol­len und doch ihre Stim­me gegen zwei­fel­haf­te Wege des regie­ren­den Pap­stes zu erheben.

Hier zeich­nen sich zwangs­läu­fig bereits mög­li­che Sze­na­ri­en für ein kom­men­des Kon­kla­ve ab, nach­dem sich auf der ande­ren Sei­te bereits Kan­di­da­ten in Stel­lung gebracht haben, dar­un­ter die Kar­di­nä­le
Luis Anto­nio Tag­le, Oscar Rodri­guez Mara­dia­gaund Pie­tro Paro­lin.

Magi­ster schreibt dazu: „Von Anfang an wur­de die Kir­che in den Fun­da­men­ten des Glau­bens auf die Pro­be gestellt“, und zitiert dazu den Zwei­ten Brief des Apo­stels Pau­lus an Timotheus:

„Denn es wird eine Zeit kom­men, in der man die gesun­de Leh­re nicht erträgt, son­dern sich nach eige­nen Wün­schen immer neue Leh­rer sucht, die den Ohren schmei­cheln; und man wird der Wahr­heit nicht mehr Gehör schen­ken, son­dern sich Fabe­lei­en zuwen­den. Du aber sei in allem nüch­tern, ertra­ge das Lei­den, ver­kün­de das Evan­ge­li­um, erfül­le treu dei­nen Dienst!“ (2 Tim 4,3–5).

Magi­sters Schlußfolgerung:

„Mit dem Mani­fest will Kar­di­nal Mül­ler heu­te die­sem Auf­trag des Apo­stels an sei­nen Jün­ger entsprechen.“

Kasper „total entsetzt“

Da ver­wun­dert es nicht, daß Kar­di­nal Wal­ter Kas­per, einer der eng­sten Ver­trau­ten von Fran­zis­kus und  der „Theo­lo­ge des Pap­stes“, gleich zum Rund­um­schlag gegen das Mani­fest aus­hol­te, wofür ihm die Nach­rich­ten­platt­form Katho​lisch​.de der Deut­schen Bischofs­kon­fe­renz zur Ver­fü­gung stand. Die Platt­form hat­te am Tag zuvor zwar kurz die Ver­öf­fent­li­chung des Mani­fests berich­tet, des­sen Inhalt aber nicht ver­öf­fent­licht. Gleich ging Vati­can News, die Nach­rich­ten­platt­form des Vati­kans, vor. Dort wur­de erst gestern, Mon­tag, in sehr ver­kürz­ter Form und ohne Ori­gi­nal­text über das Mani­fest berich­tet. Sym­pa­thien und Anti­pa­thien sind ein­deu­tig verteilt.

Kas­per gehört zu den Stra­te­gen hin­ter dem der­zei­ti­gen Pon­ti­fi­kat, das er maß­geb­lich orga­ni­sier­te. Er war es, der Bene­dikt XVI. auf auf­fal­lend har­sche Wei­se vor einer „Ein­mi­schung“ in das Kon­kla­ve von 2013 warnte.

Kardinal Kasper
Kar­di­nal Kasper

Das war in der Zeit der Sedis­va­kanz, als die gläu­bi­ge katho­li­sche Welt den uner­war­te­ten Amts­ver­zicht des deut­schen Pap­stes betrau­er­te und sich ver­waist fühl­te, wäh­rend zugleich gan­ze Scha­ren von Amts­trä­gern sich in Dan­kes­hym­nen für das unfaß­ba­re Geschenk des „muti­gen“ Rück­tritts über­schlu­gen, das ihnen eben­so uner­war­tet in den Schoß fiel. Gestern jähr­te sich die Rück­tritts­an­kün­di­gung durch Bene­dikt XVI. zum sech­sten Mal.

Der bald 86 Jah­re alte Kas­per, dem Bene­dikt XVI. das per­sön­li­che Geschenk mach­te, um nur weni­ge Tage noch gera­de an dem Kon­kla­ve von 2013 teil­neh­men und sei­nen Ein­fluß gel­tend machen zu kön­nen, obwohl er zum Zeit­punkt des Kon­kla­ves bereits das 80. Lebens­jahr voll­endet hat­te, reagiert hoch­sen­si­bel auf alles, was er als Gefähr­dung  sei­nes letz­ten gro­ßen Lebens­wer­kes wahr­nimmt, das Pon­ti­fi­kat von Fran­zis­kus, mit dem er eine „irrever­si­ble“ Wei­chen­stel­lung für die Kir­che vor­zu­neh­men hofft.

Sei­ne schrof­fe Reak­ti­on auf das Mani­fest des Glau­bens von Kar­di­nal Mül­ler zeigt, daß er dar­in eine sol­che Bedro­hung der Zie­le der „Mafia von Sankt Gal­len“ erkennt.

Kas­per zeig­te sich nach der Lek­tü­re des Mani­fe­stes sogar „total ent­setzt“ und fühl­te sich an Mar­tin Luther erin­nert, was nicht der Iro­nie ent­behrt. Es ist Kas­pers Theo­lo­gie, die als Stich­wort­ge­be­rin für Papst Fran­zis­kus fun­giert, wie die­ser sel­ber mehr­fach beton­te, die über Schel­ling und Hegel Anlei­hen bei Mar­tin Luther nimmt, um die katho­li­sche Kir­che Rich­tung Pro­te­stan­tis­mus zu ver­schie­ben. Von Kas­per stam­men die Stich­wör­ter für die Zulas­sung wie­der­ver­hei­ra­te­ter Geschie­de­ner und pro­te­stan­ti­scher Ehe­gat­ten zur Kom­mu­ni­on, wodurch mas­si­ve Ein­grif­fe in die Sakra­men­te der Ehe, der Buße und der Eucha­ri­stie erfolgt sind.

Kas­pers Vor­wurf, es sei Mül­lers Mani­fest, das Ver­wir­rung in der Kir­che stif­te, wirkt in die­sem Kon­text wie inhalts­frei­es, dia­lek­ti­sches Geplänkel.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: Il Giornale/Vatican.va (Screen­shots)

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