
Von Roberto de Mattei*
Auch die Erneuerung der Kirche hat ihre Märtyrer. Zu ihnen gehören der heilige Ariald (+ 1066) und der heilige Herlembald (+ 1075), Anführer der Pataria, einer Laienbewegung, die im 11. Jahrhundert sich zum Ziel setzte, die Moral der Kirche im Erzbistum Mailand, einer der korruptesten in Italien, wiederherzustellen.
Simonie und Nikolaitismus waren die beiden Übel, von denen die Kirche damals heimgesucht wurde. Die Simonie war der Kauf und Verkauf von Kirchenämtern; der Nikolaitismus die Praxis vieler Bischöfe und Priester, zu heiraten oder sich Konkubinen zu halten. Der schändlichste Ausdruck des moralischen Verfalls aber war die Sodomie (1), die – wie der heilige Petrus Damiani schrieb – „wie eine blutrünstige Bestie im Schafstall Christi wütet“ (Liber Gomorrhianus). Diese Laster waren im Norden Italiens so stark verwurzelt, daß sie eine allgemeine Praxis darstellten.
Gegen die Ausbreitung dieser Unmoral entstand durch die Initiative des Diakons Ariald und der Brüder Landulf und Herlembald eine Erneuerungsbewegung. Sie gehörten Adelsfamilien der Lombardei an. Da ihnen das Volk aber folgte, wurden sie von ihren Gegnern „Patarener“ genannt, also „Lumpenpack“ (Pataria wurde der Markt der alten Stoffe und Kleider, also der Hadern und Lumpen, genannt). Die Gegner der Reform wurden vom Erzbischof von Mailand, Guido von Velate, angeführt, der den korrupten Klerus aus politischen Gründen verteidigte. Daraus entstand ein offener Konflikt, von dem ein direkter Zeuge, der Vallombrosaner und spätere Abt Andreas von Strumi in seiner Vita Sancti Arialdi (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores, XXX, 2, Leipzig 1935, S. 1047–1075) berichtet.
Der moralische Anführer der Bewegung war Ariald, den laut Andreas von Strumi Christus selbst erwählt hatte in defensione veritatis. Ariald wandte sich an die Bewohner Mailands und ermahnte sie mit folgenden Worten, sich von den schlechten Priestern und Hirten zu trennen:
„Wer aufrichtig die Wahrheit zu finden wünscht, der muß mit Würde jede Form der Lüge zurückweisen. Deshalb, damit ihr ganz der Wahrheit teilhaftig werden könnt, die Gott ist, beschwöre ich euch in Seinem Namen: Haltet euch absolut fern von den falschen Priestern. Es kann nämlich kein Einvernehmen oder eine enge Verbindung zwischen dem Licht und der Finsternis geben, zwischen den Gläubigen und den Ungläubigen, zwischen Christus und Belial. Deshalb steht geschrieben: ‚Zieht darum weg aus ihrer Mitte und sondert euch ab, spricht der Herr, und faßt nichts Unreines an. Dann will ich euch aufnehmen‘ (2 Kor 6,17). Wie könnte es sein, daß er euch weniger gewähren wird, also Hirten, die euch auf dem rechtem Weg führen, wenn ihr ihn darum bittet, Er, der euch, als ihr noch gar nicht wart, bereits das Äußerste gewährt hat, nämlich sich selbst für euer Heil? Darum seht zu, daß ihr nichts zu schaffen habt mit allen Häretikern und bittet voll Vertrauen den Herrn um gute und treue Hirten. Ohne Zweifel werdet ihr sie bekommen. Seit dessen gewiß.“
Ariald fügte ein Wort Jesu hinzu:
„Wenn die Menschen schweigen, werden die Steine schreien“ (Lk 19,40).
Und auch:
„Verflucht, wer den Auftrag des Herrn lässig betreibt, ja, verflucht, wer sein Schwert abhält vom Blutvergießen“ (Jer 48,10).
Das Schwert, das Ariald erwähnte, ist vor allem das Wort Gottes, aber als es notwendig wurde, zögerten die Reformer nicht, zu den Waffen zu greifen, um sich gegen die gewaltsame Aggression ihrer Feinde zu verteidigen, die ihre Predigttätigkeit zu unterbinden versuchten.
Der Erzbischof von Mailand, der über die sich ausbreitende Reaktion des Volkes besorgt war, rief seine Ankläger vor eine Synode, die im Kloster von Fontaneto im Bistum Novara stattfand, damit sie sich entschuldigen. Die Anführer der Pataria, Ariald und Landulf, erkannten die Gefahr und erschienen nicht. Darauf wurden sie in Abwesenheit vom Erzbischof exkommuniziert.
Papst Nikolaus II. (Gerhard von Burgund), der die entstehende Reformbewegung wohlwollend sah, sandte zweimal Apostolische Visitatoren nach Mailand, die zu jener Zeit die Erneuerung der Kirche vorantrieben: den Erzbischof von Lucca, Anselm von Baggio, und den römischen Erzdiakon Hildebrand. Beide wurden später selbst Päpste. Im Winter 1060/61 war Anselm von Baggio erneut, zusammen mit dem Kardinalbischof von Ostia, Petrus Damiani, päpstlicher Repräsentant in Mailand. Sowohl im einen wie im anderen Fall bestärkten sie die Pataria, im Kampf standzuhalten, und predigten selbst zum Volk gegen den korrupten Klerus.
Als 1063 Landulf an den Folgen eines Attentats starb, bat Ariald den Bruder Landulfs, Herlembald, die Führung der Bewegung zu übernehmen. Bevor er akzeptierte, wollte Herlembald nach Rom zum Grab des Apostels Petrus pilgern und Anselm von Baggio, der 1061 als Alexander II. Papst geworden war, um seinen Rat bitten. Der Papst drängte Herlembald, die Führung der Bewegung zu übernehmen. Er ernannte ihn zum Bannerträger (Gonfaloniere) der Heiligen Römischen Kirche und vertraute ihm das Vexillum Sancti Petri an, das er auch bereits Roger I., dem Normannenführer in Süditalien, der 1061 zur siegreichen Rückeroberung Siziliens von den Muslimen ansetzte, überbringen hatte lassen.
Herlembald war ein Ritter von religiösem und kriegerischem Geist, von dem Andreas von Strumi schreibt:
„Der edle Herlembald war, wenn er vor den Menschen auftrat, wie ein General in kostbaren Gewändern und umgeben von Rittern und Waffen. Aber im Verborgenen, vor Gott, zog er sich raue Wolle an wie ein einfacher Eremit.“
Die päpstliche Bestätigung verlieh dem Kampf der Pataria neue Kraft. Als in Mailand auf simonistische Weise die Äbte von drei bedeutenden Klöstern bestimmt wurden, von San Celso, San Vincenzo und Sant‘Ambrogio, erhoben sich die Patarener, und es begann eine neue Phase des Kampfes. Diakon Ariald stand auch in der militärischen Führung der Patarener-Bewegung an der Seite Herlembalds. Gemeinsam richteten sie die Standarte des heiligen Petrus auf und besiegten Erzbischof Guido von Velate.
Im Frühjahr 1066 kehrte Herlembald mit zwei päpstlichen Bullen nach Mailand zurück. Mit der ersten wurde Erzbischof Guido exkommuniziert, mit der zweiten forderte der Papst den Mailänder Klerus auf, den Anweisungen Roms Folge zu leisten.
Guido von Velate berief eine große Versammlung ein, an der Tausende von Menschen der gegnerischen Fraktionen teilnahmen, darunter auch Ariald und Herlembald . Doch als der Erzbischof, anders als erwartet, den Papst und seine Entscheidungen schmähte, stürzten sich seine Anhänger auf Ariald und Herlembald. Herlembald verteidigte sich erfolgreich mit der Kirchenfahne in der Hand, von der er sich nie trennte. Ariald gelang die Flucht. Bei Piacenza wurde er allerdings gefangengenommen und auf die Burg von Donna Oliva, der Nichte von Guido von Velate gebracht, der ihn am 28. Juni 1066 auf einer Insel im Lago Maggiore grausam ermorden ließ. Bevor sie ihn töteten, zogen ihn seine Mörder an den Ohren und verlangten, daß er sich dem Erzbischof von Mailand unterwirft. Als er sich weigerte, schnitten sie ihm die Ohren ab. Ariald erhob die Augen zum Himmel und betete:
„Ich danke Dir, Christus, der du mich heute würdigst, mich unter deine Märtyrer einzureihen.“
Die Häscher fragten ihn noch einmal, ob er die Autorität von Erzbischof Guido anerkennt. Er aber antwortete gefaßt mit einem Nein. Sie schnitten ihm die Nase samt der Oberlippe ab, wie sein Biograph berichtet. Anschließend stachen sie ihm beide Augen aus und hieben seine rechte Hand ab mit spottenden Worten: „Das ist die Hand, die Briefe nach Rom schrieb.“ Dann wurden ihm die Geschlechtsteile abgeschnitten mit den Worten: „Bis heute bist du ein Prediger der Keuschheit gewesen, nun bist du keusch“. Die Zunge wurde ihm herausgeschnitten mit den Worten: „Endlich schweigt diese Zunge, die die Familien der Kleriker durcheinander brachte und auseinandertrieb“. Andreas von Strumi endet die Schilderung der Ermordung mit den Worten:
„Diese heilige Seele wurde vom Fleisch befreit. Sein Körper wurde an jenem Ort vergraben. Nach diesen Ereignissen sahen die Fischer des nachts an der Stelle wunderbare Lichter.“
Die Mörder gruben die Leiche wieder aus, banden schwere Steine daran und versenkten sie an der tiefsten Stelle des Lago Maggiore. Nach zehn Monaten, am 3. Mai 1067, kam der Körper Arialds auf wundersame Weise wieder an die Oberfläche. Nach großem Widerstand übergab Donna Oliva die sterblichen Überreste an Herlembald, der sie nach Mailand brachte, wo sie im Triumph feierlich in der Kirche des heiligen Ambrosius bestattet wurden. Später wurden sie in San Celso beigesetzt und Ende des 18. Jahrhunderts in den Mailänder Dom überführt.
Papst Alessander II. sprach Ariald 1068 selig. Erzbischof Guido verzichtete, nachdem er erneut exkommuniziert worden war, auf das Bistum, ließ aber vom Kaiser seinen Kaplan Gottfried zum Erzbischof ernennen. Der Papst, der selbst einen Erzbischof für Mailand ernannt hatte, exkommunizierte Gottfried und beauftragte Herlembald, ihm den Einzug in Mailand zu verwehren. So kam es erneut zum Kampf, in dem sich nun zwei Erzbischöfe gegenüberstanden. Gottfried, der von Kaiser Heinrich IV. unterstützt wurde, und Atto, der von Papst Alexander II. ernannt und von Herlembald gestützt wurde.
Im Zuge eines der zahlreichen, bewaffneten Kämpfe, zu denen es kam, wurde Herlembald am 28. Juni 1075 getötet, genau am selben Tag, an dem neun Jahre zuvor Ariald ermordet worden war. Papst Urban II., der im Mai 1095 durch Mailand kam, als er auf dem Weg nach Clermont war, um den Ersten Kreuzzug zu segnen, erwies Herlembald mit einer feierlichen Zeremonie die Ehre, die einer Kanonisierung gleichkam. Damit erlaubte der selige Urban II. den Gläubigen offiziell die Verehrung Herlembalds, den er den Laien als Vorbild des miles christi vor Augen stellte: Der christliche Kämpfer, der bereit ist, notfalls auch zu den Waffen zu greifen und das eigene Blut im Kampf gegen die inneren und äußeren Feinde der Kirche zu vergießen.
An ihn und den heiligen Ariald richten sich heute unsere Gebete.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017.
Bild: Wikicommons/Parrocchia Angera (Screenshots)
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(1) Der heilige Petrus Damiani nannte die Homosexualität Sodomie nach der alttestamentlichen Stadt Sodom, die Gott wegen ihrer Laster zerstörte.