Die Amazonassynode und ihre „tiefere Agenda“

George Weigel in First Things


George Weigel berichtet über die Amazonassynode und deren „tiefere Agenda“.
George Weigel berichtet über die Amazonassynode und deren „tiefere Agenda“.

Das Jahr 2019 hat Fahrt auf­ge­nom­men, was auch bedeu­tet, daß die Ama­zo­nas­syn­ode näher­rückt, die Papst Fran­zis­kus für kom­men­den Okto­ber ein­be­ru­fen hat. Doch die mei­sten Katho­li­ken kön­nen mit dem Stich­wort Ama­zo­nas­syn­ode noch kaum etwas anfan­gen. Sie kön­nen und wer­den beim Wort Ama­zo­nas besten­falls die präch­ti­ge Land­schafts­bil­der aus Natur­do­ku­men­ta­tio­nen und sozi­al­ro­man­ti­sche Asso­zia­tio­nen abru­fen, wie sie in Euro­pa ger­ne ver­brei­tet wer­den. Nun befaß­te sich der US-Ame­ri­ka­ner Geor­ge Weigel, der Bio­graph von Papst Johan­nes Paul II. mit dem The­ma. Der Seni­or Fel­low des Ethics and Public Poli­cy Cen­ter mit Sitz in Washing­ton D.C. ist als Ana­lyst für reli­giö­se und ethi­sche Fra­gen ein gefrag­ter Kolum­nist, Inter­view­part­ner und Vor­tra­gen­der. Sein Auf­satz über die Ama­zo­nas­syn­ode in der Monats­zeit­schrift First Things erreicht grö­ße­re Krei­se. First Things gilt als ein­fluß­reich­ste, kon­ser­va­ti­ve Publi­ka­ti­on in den USA, nicht zuletzt, weil sie über­kon­fes­sio­nell ist. Vor­stand und Redak­ti­on set­zen sich aus Katho­li­ken, Pro­te­stan­ten und Juden zusammen.

Anzei­ge

Weigel berich­tet, daß die Ama­zo­nas­syn­ode die Bischofs­kon­fe­ren­zen von neun Anrai­ner­staa­ten betrifft. Das The­ma der Syn­ode lau­tet: „Ama­zo­ni­en: Neue Wege für die Kir­che und eine inte­gra­le Öko­lo­gie“. Die Syn­oda­len wer­den auf der Grund­la­ge von Mate­ri­al arbei­ten, das in Rom aus­ge­ar­bei­tet wur­de. Weigel wörtlich:

„Die ersten Indi­ka­to­ren des Vor­be­rei­tungs­do­ku­ments deu­ten dar­auf hin, daß es bei der Ama­zo­nas­syn­ode mehr um Umwelt­fra­gen als um Theo­lo­gie gehen wird. Die inter­na­tio­na­le Auf­merk­sam­keit der Medi­en wird sich zwei­fel­los auf die Dis­kus­si­on der Syn­ode über den Kli­ma­wan­del und sei­ne Bezie­hung zur Abhol­zung des Ama­zo­nas­wal­des konzentrieren.“

Dann schreibt Weigel aber:

„Die jüng­ste Geschich­te der Syn­oden legt jedoch nahe, daß auf der Ama­zo­nas­syn­ode mehr zu erwar­ten ist, als das ange­kün­dig­te The­ma ver­mu­ten läßt.“

Dekonstruktion als neue Synodenmethode

Zur Begrün­dung sagt er:

„Die Syn­oden von 2014 und 2015 waren ein­be­ru­fen wor­den, die Kri­se der Ehe und der Fami­lie auf der gan­zen Welt zu prü­fen. Sie waren jedoch die Gele­gen­heit für mäch­ti­ge Kir­chen­män­ner, den Ver­such zu star­ten, die katho­li­sche Moral­theo­lo­gie und die sakra­men­ta­le Dis­zi­plin gemäß den bewähr­ten Theo­lo­gien und pasto­ra­len Prak­ti­ken der 70er Jah­re zu dekonstruieren.“

Und wei­ter:

„Die Syn­ode von 2018, die ein­be­ru­fen wur­de, um über die Jugend­seel­sor­ge und die Beru­fun­gen zu dis­ku­tie­ren, begann mit dem Bemü­hen des Gene­ral­se­kre­ta­ri­ats der Syn­ode, die Spra­che der Welt der sexu­el­len Pla­sti­zi­tät (und des lah­men Ver­ständ­nis­ses von Glück, das die­se Spra­che beschreibt) in einem offi­zi­el­len Doku­ment der Kir­che zu verankern.“

Wenn das auch „fehl­schlug“, wie Weigel schreibt, so bot die Ein­be­ru­fung der Jugend­syn­ode den­noch dem Gene­ral­se­kre­ta­ri­at die Gele­gen­heit, eine „unkla­re Vor­stel­lung von Syn­oda­li­tät zu för­dern“, die sich „am Modell der (implo­die­ren­den) angli­ka­ni­schen Gemein­schaft“ orientiert.

Die „tiefere Agenda“ hinter dem Vordergründigen

Weigel deu­tet damit an, und sagt es dann auch offen, daß die Bischofs­syn­oden ein offi­zi­el­les, vor­der­grün­di­ges The­ma haben, das öffent­lich bekannt­ge­ge­ben wird. In Wirk­lich­keit aber hin­ter­grün­dig noch ein „tie­fe­res The­ma“, das eigent­li­che The­ma haben, das vor­her nicht oder nur ver­klau­su­liert öffent­lich bekannt­ge­ge­ben wird.

„Die­ses Muster scheint sich auf der Ama­zo­nas­syn­ode fort­zu­set­zen. Dort wird die tie­fe­re Agen­da die Wei­he ver­hei­ra­te­ter Män­ner – viri pro­ba­ti – zu Prie­stern sein. Befür­wor­ter wer­den argu­men­tie­ren, daß die­se dra­ma­ti­sche Ver­än­de­rung in der lang­jäh­ri­gen Tra­di­ti­on der Kir­che eines zöli­ba­t­ä­ren Prie­ster­tums (das, ent­ge­gen ver­brei­te­ter Fehl­in­for­ma­tio­nen, Hun­der­te von Jah­ren vor das Früh­mit­tel­al­ter zurück­reicht) not­wen­dig ist, da Ama­zo­ni­en ein katho­li­scher Raum ist, der durch Prie­ster­man­gel der Eucha­ri­stie beraubt wird. Man hofft, daß die Kla­ge ernst­lich gehört wird, daß Ama­zo­ni­en ein Mis­si­ons­ge­biet ist, das eine umfas­sen­de Evan­ge­li­sie­rung erfor­dert und daß der Prie­ster­man­gel Ras­sen- und Klas­sen­un­ter­schie­de im latein­ame­ri­ka­ni­schen Katho­li­zis­mus reflek­tiert, die Prie­ster euro­päi­scher Abstam­mung davon abhal­ten, mit indi­ge­nen Völ­kern zusammenzuarbeiten.“

Zweifelhafte Beteuerungen

Die Befür­wor­ter der Ernen­nung von viri pro­ba­ti in Ama­zo­ni­en, „ein­schließ­lich des bra­si­lia­ni­schen Kar­di­nals im Ruhe­stand, Clau­dio Hum­mes OFM“, beto­nen, so Weigel, daß ein sol­ches Zuge­ständ­nis für Ama­zo­ni­en den prie­ster­li­chen Zöli­bat auf­zu­he­ben, „kei­ne Aus­wir­kun­gen auf die Welt­kir­che hätte“. 

Dem wider­spricht Weigel:

„Das kann aber nicht sein. Soll­te die Ama­zo­nas­syn­ode den Papst auf­for­dern, eine Befrei­ung vom Zöli­bat für die­se Regi­on zu gewäh­ren, und er sie gewäh­ren, wird es nur eine Fra­ge der Zeit sein, bis Bischofs­kon­fe­ren­zen in ande­ren Län­dern – Deutsch­land, Schweiz, Bel­gi­en und Öster­reich kom­men mir sofort in den Sinn – unter Beru­fung auf dring­li­che pasto­ra­le Bedürf­nis­se ähn­li­che Ersu­chen stel­len. Mit wel­cher Begrün­dung wür­de man die­se Anträ­ge dann ablehnen?“

Weigel deu­tet an, daß die erwähn­te „tie­fe­re Agen­da“, die ver­bor­ge­nen Zie­le, die mit die­sen Bischofs­syn­oden ver­bun­den sind, einen Urhe­ber haben muß. Das Gene­ral­se­kre­ta­ri­at der Bischofs­syn­ode wur­de bereits erwähnt. Gene­ral­se­kre­tär ist mit Loren­zo Bal­dis­se­ri ein enger Ver­trau­ter von Papst Fran­zis­kus. Die­ser setz­te ihn auf die­sen Posten und erhob ihn zum Kardinal.

Weigel deu­tet an, daß die Beteue­run­gen von Kar­di­nal Hum­mes und ande­rer Befür­wor­ter der Zöli­bats­auf­he­bung, daß die­se Maß­nah­me kei­ner­lei Aus­wir­kun­gen auf die Welt­kir­che habe, nur gegau­kelt sind. Sie die­nen der Beru­hi­gung, um den nicht ein­ge­weih­ten katho­li­schen Krei­sen Sand in die Augen zu streuen.

Kardinal läßt Zölibats-Katze aus dem Synodensack

„In einem Inter­view mit Vati­can News zum Jah­res­en­de bestand der Gene­ral­se­kre­tär der Syn­ode, Kar­di­nal Loren­zo Bal­dis­se­ri, dar­auf, daß die Ama­zo­nas­syn­ode nicht nur über Umwelt­fra­gen, son­dern auch über ‚kirch­li­che The­men‘ dis­ku­tie­ren wer­de – und das auf eine Wei­se, daß der Ama­zo­nas ‚ein Modell für die gan­ze Welt‘ sein könnte.“

Weigel wei­ter:

„Wir kön­nen dem Kar­di­nal für sei­ne Offen­heit dank­bar sein, indem er – wenn auch unbe­ab­sich­tigt – die Zöli­bats-Kat­ze aus dem Syn­oden­sack gelas­sen hat. Jede Ent­schei­dung, viri pro­ba­ti in Ama­zo­ni­en zu Prie­stern zu wei­hen, hät­te zwangs­läu­fig weit­rei­chen­de Kon­se­quen­zen für die gesam­te Kirche.“

Dar­aus fol­gert er:

„Eine Ent­schei­dung die­ser Grö­ßen­ord­nung kann nicht von einem nicht reprä­sen­ta­ti­ven Teil der Kir­che getrof­fen wer­den und wird dann zu einem ‚Modell‘ für alle ande­ren. Des­halb muß hier das Prin­zip ‚Nichts über uns ohne uns‘ gel­ten. Was auch immer ‚Syn­oda­li­tät‘ bedeu­ten mag, es muß sicher­lich bedeu­ten, daß Ent­schei­dun­gen, die alle betref­fen, eine mög­lichst brei­te Kon­sul­ta­ti­on und eine mög­lichst glo­ba­le Refle­xi­on beinhal­ten soll­ten. Bischö­fe, die dem zustim­men, soll­ten ihre Beden­ken jetzt bekannt­ge­ben, nicht nach der Amazonassynode.“

Bereits in sei­ner Ein­lei­tung zum Auf­satz erklär­te Weigel, daß „Nichts über uns ohne uns“ (Nihil de nobis sine nobis, poln. Nic o Nas bez Nas) in den 1980er Jah­ren das Mot­to der unab­hän­gi­gen, pol­ni­schen Gewerk­schaft Soli­dar­ność war, und die­ses Mot­to bereits im 19. Jahr­hun­dert in der pol­ni­schen Unab­hän­gig­keits­be­we­gung Ver­brei­tung gefun­den hat­te, als Polen zwi­schen Ruß­land, Öster­reich und Preu­ßen auf­ge­teilt war.

Nachtrag 1

Weigel erwähnt im Text die Bischofs­kon­fe­ren­zen des deut­schen Sprach­rau­mes, und in der Tat haben sich in den ver­gan­ge­nen zwölf Mona­ten gleich meh­re­re Bischö­fe hör­bar und öffent­lich für die Zulas­sung ver­hei­ra­te­ter Män­ner zum Prie­ster­tum aus­ge­spro­chen. Von einem Zufall kann kei­ne Rede sein.

Nachtrag 2

Weigel erwähnt Papst Fran­zis­kus mit kei­nem Wort. Auf­grund der Erfah­run­gen ande­rer, wird er wis­sen war­um. Fest­steht aller­dings, daß eine „tie­fe­re Agen­da“ hin­ter den Bischofs­syn­oden nur durch und mit Papst Fran­zis­kus mög­lich ist. Er beruft die Syn­oden ein, er gibt die The­men vor, er ernann­te Kar­di­nal Bal­dis­se­ri zum Gene­ral­se­kre­tär des Sekre­ta­ri­ats der Bischofs­syn­ode und er ver­öf­fent­licht am Ende die nach­syn­oda­len Schreiben.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: First Things (Screen­shot)

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