McCarrick schwer belastet: „Während der Beichte sexuell mißbraucht“

Urteil vor dem vatikanischen Mißbrauchsgipfel kaum mehr möglich


Ex-Kardinal Theodore McCarrick wurde schwer belastet. Die Anklage gegen ihn dürfte sich massiv erweitern.
Ex-Kardinal Theodore McCarrick wurde schwer belastet. Die Anklage gegen ihn dürfte sich massiv erweitern.

(Rom) Der sexu­el­le Miß­brauchs­skan­dal durch hohe Kle­ri­ker über­schat­te­te das zu Ende gehen­de Jahr des Pon­ti­fi­kats von Papst Fran­zis­kus. Das Jahr begann mit dem Fall Bar­ros, inzwi­schen Ex-Bischof von Osor­no in Chi­le, und endet mit dem Fall McCar­ri­ck, inzwi­schen Ex-Kar­di­nal der Hei­li­gen Kir­che. Dafür sorgt die Aus­sa­ge eines Opfers.

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Asso­cia­ted Press (AP), die US-ame­ri­ka­ni­sche der drei ton­an­ge­ben­den, inter­na­tio­na­len Pres­se­agen­tu­ren, ließ zum Jah­res­schluß den Opfer­an­walt Patrick Noa­ker zu Wort kommen.

Am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag wur­de James Grein in Beglei­tung Noa­kers vom Kir­chen­ge­richt des Erz­bis­tums New York gehört. Das Gericht hat­te im Auf­trag des Hei­li­gen Stuhls die Anhö­rung im Fall Theo­do­re McCar­ri­ck durch­ge­führt. McCar­ri­ck war Erz­bi­schof von Washing­ton D.C. Im ver­gan­ge­nen Juli muß­te er auf die Kar­di­nals­wür­de ver­zich­ten, als sein skan­da­lö­ses, homo­se­xu­el­les Dop­pel­le­ben bekannt wurde. 

Der nun­meh­ri­ge Ex-Kar­di­nal konn­te unter Papst Fran­zis­kus wie­der gro­ßen Ein­fluß gewin­nen, obwohl ihm Papst Bene­dikt XVI. ein Leben des Schwei­gens und der Buße auf­er­legt hatte.

„Mißbraucht von McCarrick seit ich elf war“

Die Aus­sa­ge des Opfers wei­tet den Fall deut­lich aus. James Grein bezeug­te, von McCar­ri­ck elf Jah­re lang sexu­ell miß­braucht wor­den zu sein. Der Miß­brauch habe begon­nen, als das Opfer elf Jah­re alt war. 

Die Zeu­gen­aus­sa­ge dau­er­te eine Stun­de, so Noa­ker, und sei für sei­nen Man­dan­ten „schwie­rig und auf­rei­bend“ gewe­sen. Grein hat­te sich im ver­gan­ge­nen Som­mer zu mel­den gewagt, als der Fall McCar­ri­ck an die Öffent­lich­keit kam, und das Erz­bis­tums New York ankün­dig­te, ein kano­ni­sches Ver­fah­ren gegen den mäch­ti­gen Prä­la­ten ein­zu­lei­ten. Den Anstoß hat­te der Fall eines ande­ren Jun­gen gege­ben, der in den 70er Jah­ren von McCar­ri­ck sexu­ell miß­braucht wor­den sei, was der Kar­di­nal bestritt.

Wie Noa­ker gegen­über AP bestä­tig­te, habe McCar­ri­cks sexu­el­le Belä­sti­gung häu­fig „im Beicht­stuhl“ statt­ge­fun­den. Grein habe bei sei­ner Aus­sa­ge schwer­wie­gen­de Details zu Pro­to­koll gegeben. 

Kir­chen­recht­lich dürf­te sich McCar­ri­cks Posi­ti­on durch Greins Aus­sa­ge mas­siv ver­schlech­tert haben. Zusätz­lich zum sexu­el­len Miß­brauch von Min­der­jäh­ri­gen und der sexu­el­len Kor­rup­ti­on von Unter­ge­be­nen, dar­un­ter Semi­na­ri­sten und Prie­ster der von McCar­ri­ck gelei­te­ten Bis­tü­mer, wird sich der ehe­ma­li­ge Kar­di­nal auch wegen des schwer­wie­gen­den Vor­wurfs ver­ant­wor­ten müs­sen, das Sakra­ment der Beich­te miß­braucht zu haben. Grein sag­te aus, daß sich McCar­ri­ck „wie­der­holt“ wäh­rend der Beich­te an ihm sexu­ell ver­grif­fen habe.

Berührung der Genitalien „war Teil der Beichte“

Grein suche kei­ne Öffent­lich­keit, so sein Rechts­an­walt, er erlaub­te aber, daß McCar­ri­cks Rechts­an­wäl­te mit­tels Audio­zu­schal­tung sei­ne Aus­sa­ge direkt vor dem Kir­chen­ge­richt mit­an­hö­ren konnten.

McCar­ri­ck war mit der Fami­lie Grein befreun­det und hat­te James Grein getauft. Bevor McCar­ri­ck die Mes­se zele­brier­te, nahm er dem Jun­gen die Beich­te ab und miß­brauch­te ihn dabei. Die Berüh­rung der Geni­ta­li­en sei „Teil der Beich­te“ gewe­sen, so Noaker. 

„Die Men­schen sind im Beicht­stuhl ver­wund­bar, sehr ver­wund­bar“, so der Rechts­an­walt. McCar­ri­ck  habe das Buß­sa­kra­ment zur Mani­pu­la­ti­on miß­braucht und „sexua­li­siert“, was „emo­tio­nal extrem schäd­lich ist“, so Noaker.

McCar­ri­ck, der den sexu­el­len Miß­brauch Min­der­jäh­ri­ger bestrei­tet, hat­te in der Ver­gan­gen­heit erklärt, er freue sich auf ein ordent­li­ches, kir­chen­recht­li­ches Ver­fah­ren. Bis heu­te ist aber nicht bekannt, ob und wann der ehe­ma­li­ge Kar­di­nal von zustän­di­ger Stel­le im Vati­kan zu den Anschul­di­gun­gen gehört wird.

Nico­le Win­field von AP unter­streicht die „Glaub­wür­dig­keits­kri­se“, in die der Fall McCar­ri­ck die katho­li­sche Kir­che in den USA, aber auch den Vati­kan stürz­te. Es sei, wie inzwi­schen bekannt ist, „ein offe­nes Geheim­nis“ gewe­sen, daß „Onkel Ted“, wie McCar­ri­ck sich nen­nen ließ, sei­ne Homo­se­xua­li­tät inten­siv aus­leb­te, und das auch an Kin­dern. Die 2002 von den US-Bischö­fen ver­kün­de­te „Null­to­le­ranz“ gegen Miß­brauch erlitt durch ihn einen schwe­ren Schlag. Die Gläu­bi­gen und die Öffent­lich­keit sei­en entsetzt. 

Kirchenrechtliche Aufarbeitung im Eilverfahren kaum mehr möglich

Rom ver­su­che den Fall McCar­ri­ck im Eil­ver­fah­ren abzu­schlie­ßen, bevor im kom­men­den Febru­ar der Gip­fel zum sexu­el­len Miß­brauch im Vati­kan statt­fin­det, zu dem Papst Fran­zis­kus die Vor­sit­zen­den aller Bischofs­kon­fe­ren­zen gela­den hat.

Das Ver­fah­ren war ursprüng­lich „nur“ wegen homo­se­xu­el­len Fehl­ver­hal­tens durch den sexu­el­len Umgang mit Erwach­se­nen ein­ge­lei­tet wor­den. Sich ledig­lich dar­auf zu beschrän­ken und den Fall schnell abzu­schlie­ßen, dürf­te inzwi­schen aller­dings kaum mehr mög­lich sein. Eben­so schwin­det die Aus­sicht, daß Papst Fran­zis­kus McCar­ri­ck ledig­lich mit einer leich­ten Stra­fe bele­gen und den Fall mög­lichst rasch ad acta legen wird können.

Rechts­an­walt Noa­ker beton­te nach der Aus­sa­ge sei­nes Man­dan­ten, daß es vor allem auch um schwer­wie­gen­de „psy­cho­lo­gi­sche Schä­den“ gehe, die durch McCar­ri­cks Miß­brauch ver­ur­sacht wur­den. Sie betref­fen nicht nur den sexu­el­len Miß­brauch, son­dern wür­den durch die Kom­bi­na­ti­on von Prie­ster­tum, Bischofs­amt und den Miß­brauch von Sakra­men­ten weit tie­fer gehen.

Grein sag­te vor dem Kir­chen­ge­richt unter ande­rem aus, daß er im Auto von McCar­ri­ck mastur­biert wur­de. Als er den Jun­gen nach Hau­se brach­te, habe McCar­ri­ck die dadurch ent­stan­de­nen Flecken damit erklär­te, daß aus Ver­se­hen Limo­na­de ver­schüt­tet wor­den sei.

„Schwere Schuldgefühle“ – Wann wird McCarrick gehört?

Grein bestä­tig­te auf Anfra­ge von AP, daß er jahr­zehn­te­lang mit schwe­ren Schuld- und Scham­ge­füh­len zu kämp­fen hat­te. Sei­ne Ehe sei dar­an zer­bro­chen, und er habe mehr­fach an Selbst­mord gedacht.

Laut Washing­ton Post, die am 28. Dezem­ber über die Aus­sa­ge von Grein berich­te­te, habe er des­halb ein­ge­wil­ligt, daß sein vol­ler Name im Zusam­men­hang mit der Aus­sa­ge ver­öf­fent­licht wird, weil er hof­fe, daß „McCar­ri­ck ver­ur­teilt und Papst Fran­zis­kus sich öffent­lich ent­schul­di­gen wird“.

Rechts­an­walt Noa­ker erklär­te, daß von ihm im Namen sei­nes Man­dan­ten neben dem kano­ni­schen Ver­fah­ren im Staat Vir­gi­nia auch bei der Poli­zei eine Ein­ga­be gegen McCar­ri­ck gemacht wurde.

In knapp 45 Tagen wird der Miß­brauchs­gip­fel im Vati­kan eröff­net. Es scheint zwei­fel­haf­ter denn je, daß der Miß­brauchs­skan­dal McCarr­rick, wie von Papst Fran­zis­kus ange­peilt, bis dahin kano­nisch auf­ge­ar­bei­tet  und ein Urteil vor­ge­legt wer­den kann.

Text: Giu­sep­pe Nar­di
Bild: AP (Screen­shot)

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