Von Roberto de Mattei*
Das Zurückweichen der Bewegung République en Marche von Emmanuel Macron vor den Gilets Jaunes läßt erkennen, welche Bedeutung der explosive Protest der vergangenen Wochen in Frankreich hat.
Das erste Ziel des Protestes war der arrogante französische Staatspräsident, der in seiner Rede an die Nation am 10. Dezember das Scheitern seiner Politik eingestehen mußte. Macron ist die Personifizierung der technokratischen Macht in Europa, und sein Scheitern ist auch das Scheitern des wirtschaftlichen und sozialen Käfigs, der Frankreich von den Eurokraten aufgezwungen wurde. Die politischen Gewinner des Machtkampfes sind vorerst die politischen Parteien, die bei den Präsidentschaftswahlen 2016 unterlegen sind. Das sind der Rassemblement National von Marine Le Pen und La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon, die im ersten Wahlgang zusammen 47 Prozent der Stimmen gegen 24 Prozent von Macron erhalten hatten, aber in der Stichwahl von ihm besiegt wurden. Sie holen sich nun die Revanche.
Souveränität und Populismus
Die von diesen Parteien ausgegebene Parole lautete „Souveränität“, wie Eric Zemmour in Erinnerung rief: „Souveraineté de la nation et souveraineté du peuple. Souveraineté de la nation contre l’oligarchie européenne. Souveraineté du peuple contre les élites françaises qui l’ont bradée“ („Souveränität der Nation und Souveränität des Volkes. Souveränität der Nation gegen die europäische Oligarchie. Souveränität des Volkes gegen die französischen Eliten, die sie verschleudert haben“; Le souverainisme à deux visages, in Le Figaro, 6. Mai 2016).
Die Forderung nach Souveränität wird heute von mehr als 60 Prozent der Franzosen geteilt. Dasselbe gilt für Italien, wo eine ebensolche Größenordnung der Wähler die Regierung von Ministerpräsident Giuseppe Conte unterstützt. Viele Beobachter haben auf die Parallelen zwischen den Forderungen der Gilets Jaunes und dem Regierungsabkommen von Lega und Fünfsternebewegung hingewiesen. Erstere sind in der Opposition, letztere an der Regierung, aber die Europawahl steht vor der Tür und könnte den politischen Horizont verändern, und das könnte gerade gerade von Frankreich ausgehen.
Neben Souveränität klingt noch ein anderes Wort an: „Populismus“. Die traditionelle Bipolarität von rechts und links scheint durch die Dichotomie Volk – Eliten ersetzt zu werden. Der neue dialektische Gegensatz wird sowohl vom ehemaligen Berater von Trump, Steve Bannon, als auch vom Putin nahestehenden Politologen Alexander Dugin theoretisiert, der proklamierte: „Heute gibt es nicht mehr rechts und links: Es gibt nur mehr Personen gegen Eliten. Die Gelbwesten schaffen eine neue politische Geschichte, eine neue Ideologie“.
Links gegen rechts, Volk gegen Eliten
Ist die Dichotomie rechts und links aber wirklich untergegangen? Stellt die neue Dialektik Volk gegen Eliten wirklich eine echte Alternative zur vorherigen dar?
Aus historisch-politischer Sicht haben beide Konzepte ihren Ursprung in der Französischen Revolution, die das Ende der christlichen Zivilisation und das Entstehen eines „profanen“ politischen Raumes bedeutete. Als sich 1789 in Versailles die Generalstände versammelten, war die französische Monarchie durch eine soziale Dreiteilung geprägt. An der Spitze standen Klerus und Adel, darunter war der Dritte Stand. Nach der Auflösung der Generalstände, standen in der Nationalversammlung die Verteidiger von Thron und Altar rechts und die Liberalen und die Republikaner links. Erstere verteidigten die oberen Schichten, letztere das Volk, das „unten“ ist. Die beiden Metaphern Vertikale und Horizontale sind ineinander verflochten. Im Laufe ihrer Geschichte war es immer die Linke, die das Volk zum exklusiven Subjekt des politischen Lebens der Nation machte, indem sie dem traditionellen Souveränitätsverständnis ein anderes Konzept entgegensetzte. Für Rousseau und Abbé Sieyés, die intellektuellen Väter der Französischen Revolution, liegt die Souveränität unfehlbar beim Volk, das seine Macht weder veräußern noch delegieren oder teilen kann. Ein bekannter Historiker wie George Mosse (1918–1999) betonte, daß die irrwitzigen „Kulte“ der Französischen Revolution nichts anderes als die Generalprobe zur Anbetung des Rousseauschen Verständnisses der „Volonté générale“ durch die modernen Totalitarismen waren.
Die Rolle von Minderheiten
Aus historisch-politischer Sicht haben beide Konzepte ihren Ursprung in der Französischen Revolution, die das Ende der christlichen Zivilisation und das Entstehen eines „profanen“ politischen Raumes bedeutete. Als sich 1789 in Versailles die Generalstände versammelten, war die französische Monarchie durch eine soziale Dreiteilung geprägt. An der Spitze standen Klerus und Adel, darunter war der Dritte Stand. Nach der Auflösung der Generalstände, standen in der Nationalversammlung die Verteidiger von Thron und Altar rechts und die Liberalen und die Republikaner links. Erstere verteidigten die oberen Schichten, letztere das Volk, das „unten“ ist. Die beiden Metaphern Vertikale und Horizontale sind ineinander verflochten. Im Laufe ihrer Geschichte war es immer die Linke, die das Volk zum exklusiven Subjekt des politischen Lebens der Nation machte, indem sie dem traditionellen Souveränitätsverständnis ein anderes Konzept entgegensetzte. Für Rousseau und Abbé Sieyés, den intellektuellen Vätern der Französischen Revolution, liegt die Souveränität unfehlbar beim Volk, das seine Macht weder veräußern noch delegieren oder teilen kann. Ein bekannter Historiker wie George Mosse (1918–1999) betonte, daß die irrwitzigen „Kulte“ der Französischen Revolution nichts anderes als die Generalprobe zur Anbetung des Rousseauschen Verständnisses der „Volonté générale“ durch die modernen Totalitarismen war.
Die Geschichte wurde aber nie vom Volk gemacht, sondern immer von Minderheiten. Minderheiten haben die Französische Revolution und das italienische Risorgimento gemacht: Eine Minderheit hat die bolschewistische Oktoberrevolution gemacht, eine Minderheit hat ‚68 gemacht und eine Minderheit lenkt die scheinbar führungslose Bewegung der Gelbwesten.
Von der Elite zur Oligarchie
Die Rolle von Minderheiten in der Lenkung der Gesellschaft wurde von allen großen Meistern des politischen Denkens betont, von Platon über Aristoteles bis zur modernen Schule der Politikwissenschaften, die in Italien Anfang des 20. Jahrhunderts von Gaetano Mosca, Vilfredo (Wilfried Fritz) Pareto und Robert Michels begründet wurde. Indem sie die Politik wie eine „Wissenschaft“ studierte, hat diese Denkströmung dokumentiert, wie in allen menschlichen Gesellschaften die politische Lenkung der Gesellschaft immer durch eine organisierte Minderheit ausgeübt wurde, die sich als Elite bezeichnete.
Das Wort „Elite“ ist die moderne Übersetzung von Aristokratie, was etymologisch die Herrschaft der Besten bedeutet. Wenn eine Führungsschicht sich korrumpiert, verwandelt sie sich von einer Elite in eine Oligarchie, in eine Finanz- oder Parteioligarchie oder eine andere Form von Oligarchie, was immer bedeutet, daß sie auf egoistische Weise persönliche Interessen oder Gruppeninteressen verfolgt. Die Elite ist stattdessen eine Führungsschicht, die ihre eigenen Interessen dem Allgemeinwohl der Nation unterordnet. Was eine Elite ausmacht, so Plinio Corrêa de Oliveira, ist die Bereitschaft, die eigenen Interessen sogar zu opfern, um dem Allgemeinwohl zu dienen, das der höchste Ausdruck der Interessen einer Gesellschaft ist (Nobiltà ed élites tradizionali analoghe nelle allocuzioni di Pio XII al Patriziato e alla Nobiltà, Marzorati, Mailand 1993). Pius XII. nannte es „eine Elite nicht nur des Blutes und der Abstammung, sondern mehr noch der Taten und der Opfer, der schöpferischen Anwendung im Dienst aller sozialen Gemeinschaften“ (Rede an das Patriziat und den Römischen Adel, 11. Januar 1951).
Nach dem Sturz der Totalitarismen, des kommunistischen und des nationalsozialistischen, geht auch die scheinbare Siegerin, die repräsentative Demokratie, ihrem endgültigen Zusammenbruch entgegen. Was in den vergangenen zwei Jahrhunderten geschehen ist und sich in den vergangenen 20 Jahren akzentuiert hat, ist ein Prozeß der „Pyramidisierung“ der Gesellschaft, indem neue Oligarchien an die Stelle der traditionellen Eliten getreten sind. 1994 wurde postum der Text von Christopher Lasch The Revolt of the Elites and the Betrayal of Democracy (wörtlich „Der Aufstand der Eliten und der Verrat an der Demokratie“; deutsche Ausgabe unter dem Titel „Die blinde Elite. Macht ohne Verantwortung“, Hoffmann und Campe, Hamburg 1995) veröffentlicht. Darin beschuldigt der amerikanische Historiker die neue Elite, die westlichen Werte verraten zu haben, indem sie sich fern der wirklichen Probleme der Gesellschaft in einem künstlichen und globalisierten Ambiente abgekapselt hat.
Die Gilets Jaunes und die Gruppe im Dunkeln
Der Anti-Elitarismus, der auch das Denken von Noam Chomsky charakterisiert, ist allerdings das Schlachtroß der Linken.
Yves Mamou schrieb in Le Figaro vom 4. Dezember, daß die Gilets Jaunes keine Revolution, sondern eine Bewegung der „Nationalen Restauration“ sind gegen die in den vergangenen 30 Jahren von den Eliten in Politik, Wirtschaft und Verwaltung aufgezwungene Revolution. Die Analyse ist richtig, wenn sie sich auf eine Seele des Protests bezieht. Der hat allerdings mindestens zwei Seelen: eine rechte und eine linke. Die erste verkörpert das wirkliche Frankreich, das Frankreich der Bauern, der Handwerker, der Kaufleute, der Freiberufler und der Militärs. Es ist das Frankreich des wahren Reichtums, der in erster Linie ein moralischer Reichtum ist, weil er auf der Bereitschaft zum Opfer gründet und auf einem Schatz von gemeinsamen Werten.
Die zweite Seele ist das Frankreich des sozialen Hasses, der direkt von der Französischen Revolution herrührt. Dahinter steckt der Traum der Jakobiner, Anarchisten und Trotzkisten nach Vergeltung, weil der marxistisch-leninistische Bürokratenstaat gescheitert ist.
Zwei Seelen fließen auf dem Platz der „Souveränität“ und des „Populismus“ zusammen, während ein anderer Platz im Schatten bereits seine Waffen wetzt.
Die Einwanderer der ersten, zweiten und dritten Generation sind der Revolte ferngeblieben, zu deren Hauptzielen die Ablehnung der Masseneinwanderung gehört. Sie werden aber nicht lange stillhalten. In Zukunft scheint sich das Szenario, deren Hauptfiguren die Gilets Jaunes sind, mit einem anderen zu überlagern, das Laurent Obertone 2016 in seinem Zukunftsroman „Guerilla: Le jour où tout s’embrasa“ („Guerilla. Am Tag, an dem alles brannte“) beschreibt. Während die Fünfte Republik ihre offenen Flanken und ihre Verwundbarkeit zeigt, stehen in Frankreich zwei Plätze bereit, zu explodieren: der multikulturelle und der souveränistisch-populistische Platz – und wenn Frankreich explodiert, explodiert Europa.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: Verteidigung der Tradition: Die unüberwindbare Wahrheit Christi, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017. Zwischenüberschriften von der Redaktion eingefügt.
Übersetzung: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana
Der „multikulturelle Platz“ der Einwanderer der ersten, zweiten und dritten Generation werden aber nicht lange stillhalten, und wenn Frankreich explodiert, explodiert Europa.
Der genannte multikulturelle Platz, ist der mohammedanische Platz das „Haus des Krieges“.