Sex und Revolution – Der etwas andere Nachruf auf Bernardo Bertolucci

Zum Tod eines Regisseurs


Bernardo Bertolucci (1941-2018) - ein etwas anderer Nachruf.
Bernardo Bertolucci (1941-2018) - ein etwas anderer Nachruf.

Gestern ist der Film­re­gis­seur Ber­nar­do Ber­to­luc­ci ver­stor­ben. Er wur­de 77 Jah­re alt. Bekannt wur­de er durch Spiel­fil­me wie „Der letz­te Tan­go in Paris“, „Der letz­te Kai­ser“ oder „Der gro­ße Irr­tum“. Zahl­rei­che Medi­en trau­ern heu­te um ihn. Das hat sei­nen Grund und ver­langt nach einem etwas ande­ren Nachruf.

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Ber­nar­do Ber­to­luc­ci stamm­te aus Bac­ca­nel­li, einem Orts­teil im Süd­we­sten von Par­ma, einer Stadt, die nach dem Krieg fest in der Hand der kom­mu­ni­sti­schen Par­tei war. Gebo­ren wur­de er 1941. Auch Ber­to­luc­ci bekann­te sich ein Leben lang zur poli­ti­schen Lin­ken. Sei­ne nen­nens­wer­ten Fil­me haben zwei Schwer­punk­te, die sei­ne Phan­ta­sie beflü­gel­ten: Sex & Revolution.

In einem Inter­view für die Inter­net-Zei­tung Quo​ti​dia​no​.net sag­te er am ver­gan­ge­nen 6. Mai: „1964 zeig­te ich in Vor der Revo­lu­ti­on einen bür­ger­li­chen Kom­mu­ni­sten, der gegen eine erstarr­te Par­tei pole­mi­sier­te, die gegen­über dem Neu­en ver­schlos­sen war.“ Das war kei­ne grund­sätz­lich Kri­tik, son­dern besten­falls der Ansatz einer inner­lin­ken Kri­tik an der kom­mu­ni­sti­schen Partei

Wie der fast gleich­alt­ri­ge Lie­der­ma­cher Fabri­zio De André in sei­nem Album „Sto­ria di un impie­ga­to“ (Geschich­te eines Ange­stell­ten) ent­fal­te­te auch Ber­to­luc­ci lin­ke Macht­phan­ta­sien. So wie De André Zeit sei­nes Lebens Anar­chist war, war Ber­to­luc­ci Kom­mu­nist. „Viel­leicht ist das das Laster der ita­lie­ni­schen Cinea­sten“, so der Kul­tur­kri­ti­ker Rino Cam­mil­le­ri. Gérard Depar­dieu sag­te ein­mal von ihnen, daß sie „alles Kom­mu­ni­sten mit Häu­sern“ sind. Mit Häu­sern mein­te er ver­schwen­de­ri­sche Vil­len, mit denen sie ihren Reich­tum und ihren gesell­schaft­li­chen Sta­tus zur Schau stel­len, sich aber zur Lin­ken bekennen.

„Der vierte Stand“ (1901) von Giuseppe Pellizza da Volpedo
„Der vier­te Stand“ (1901) von Giu­sep­pe Pel­liz­za da Volpedo

Sex & Revo­lu­ti­on ist der sti­li­sti­sche Schlüs­sel zu vie­len sei­ner Fil­me, ein­schließ­lich sei­nem vor­letz­ten: „Die Träu­mer“ (2003), in dem die Haupt­fi­gu­ren Dok­tor spie­len im auf­ge­wühl­ten Paris des Jah­res 1968. Sein Haupt­werk, der Film „1900“ (Nove­cen­to) von 1976, zeigt einen alten Burt Lan­ca­ster als Grund­herr neben einem eben­so alten Ster­ling Hay­den, der einer sei­ner Ange­stell­ten ist. Erste­rer lädt ein, auf die Geburt sei­nes Enkels anzu­sto­ßen, was Letz­te­rer aus Klas­sen­haß ablehnt.

Die näch­ste Sze­ne zeigt den Grund­her­ren, wie er einem sehr jun­gen Mäd­chen, der Toch­ter sei­ner Ange­stell­ten, ein­deu­ti­ge Avan­cen macht. Als sie sich in kind­li­cher Art dar­über lustig macht, erhängt er sich. Eine Welt ohne Sex lohnt es nicht, zu leben.

Spä­ter sieht man den rei­chen Robert De Niro, der in einer Rol­len­ver­tei­lung aus klas­sen­kämp­fe­ri­scher Per­spek­ti­ve natür­lich Faschist wird, und den armen Gerard Depar­dieu nackt mit der Pro­sti­tu­ier­ten Ste­fa­nia Casi­ni im Bett. Eine Ména­ge-à-trois, die expli­zit gezeigt wird.

Der Film beginnt mit einer Sze­ne, die einem bewaff­ne­ten, kom­mu­ni­sti­schen Par­ti­sa­nen zeigt, der ein Par­ti­sa­nen­lied singt und Jagd auf Faschi­sten und deut­sche Sol­da­ten macht. Gezeigt wird ein Idyll mit „Hoch Stalin“-Rufen. Plötz­lich schießt ein bewaff­ne­ter Faschist auf ihn. Der blut­über­ström­te, ster­ben­de Par­ti­san fragt: „War­um?“ Umge­kehrt wäre die Sze­ne die­ses Bür­ger­krie­ges für Ber­to­luc­ci undenk­bar gewesen.

Der fünf Stun­den dau­ern­de Film will dem Arbei­ter­kampf des 20. Jahr­hun­derts ein Denk­mal set­zen und endet mit der Macht­über­nah­me der Kom­mu­ni­sten, zumin­dest in der Gegend der Emi­lia, in der er spielt. Die rote Fah­ne ist das Sym­bol, mit dem der Film schließt.

Was als Schluß­sze­nen gezeigt wird, war die Zeit, als kom­mu­ni­sti­sche Par­ti­sa­nen Selbst­ju­stiz übten, und nach neue­ren histo­ri­schen Stu­di­en min­de­stens 25.000 Men­schen ermor­de­ten: Faschi­sten, Kol­la­bo­ra­teu­re der Deut­schen, poli­ti­sche Geg­ner aller Art, vor allem Katho­li­ken und nicht-kom­mu­ni­sti­sche Par­ti­sa­nen, kurz­um alle, die der ange­streb­ten Nach­kriegs­ord­nung als Sowjet­re­pu­blik unter der Füh­rung Mos­kaus im Wege ste­hen konn­ten. Die gan­zen per­sön­li­chen Rech­nun­gen, die begli­chen wur­den, erst gar nicht erwähnt. Zum Ver­gleich: Das faschi­sti­sche Regime von Beni­to Mus­so­li­ni ließ wäh­rend sei­ner 20jährigen Herr­schaft durch einen Son­der­ge­richts­hof in Ita­li­en „nur“ 42 poli­ti­sche Geg­ner hin­rich­ten. Die Opfer der „Kampf­zeit“ vor der Macht­über­nah­me sind dar­in nicht berücksichtigt.

Die Kom­mu­ni­sten und ihre Nach­fol­ger wol­len heu­te nicht mehr an ihre Mor­de bei Kriegs­en­de und danach, an jene Zeit, die Ber­to­luc­ci in sei­nem Film ver­herr­licht, erin­nert wer­den. Soweit so ver­ständ­lich. Sie ver­brei­ten aller­dings das Mär­chen, als Par­ti­sa­nen für Frei­heit und Demo­kra­tie gekämpft zu haben, also als Demo­kra­ten gegen „Nazi­fa­schi­sten“. Eine glat­te Lüge.

In dem Film kommt auch die bezeich­nen­de Sze­ne vor, wo sie zu ihm sagt: „Schwö­re, mich immer zu lie­ben, aber nie zu heiraten“.

„Rote Fahnen“ im Film „1900“.
„Rote Fah­nen“ im Film „1900“.

Ber­to­luc­cis erfolg­reich­ster Film ist zwei­fels­oh­ne „Der letz­te Kai­ser“ (1987), der mit neun Oscars aus­ge­zeich­net wur­de. In die Film­ge­schich­te ging der Regis­seur aller­dings vor allem wegen „Der letz­te Tan­go in Paris“ (1972) ein. Er brach­te ihm sogar eine Ver­ur­tei­lung wegen Scham­lo­sig­keit ein. Der Film wur­de für meh­re­re Jah­re beschlag­nahmt, was die Medi­en erst recht auf­merk­sam mach­te und dazu führ­te, daß selbst jene in die Kino­sä­le rann­ten, um ihn schließ­lich zu sehen, die ihn sonst ver­paßt hät­ten. Die berüch­tig­te „But­ter­sze­ne“ mit Mar­lon Bran­do wur­de so „popu­lär“, daß in man­chen Krei­sen der schlech­te Geschmack vor­herrsch­te, Neu­ver­mähl­ten zur Hoch­zeit ein Stück But­ter zu schen­ken. Die damals 19 Jah­re alte Haupt­dar­stel­le­rin Maria Schnei­der, Toch­ter des fran­zö­si­schen Schau­spie­lers Dani­el Gélin, der als Ara­ber ver­klei­det am Beginn des Hitch­cock-Films „Der Mann, der zuviel wuß­te“, nie­der­ge­sto­chen wird, sag­te spä­ter, daß sie von die­ser Sze­ne nega­tiv gezeich­net blieb und über­haupt vom gan­zen Film, in dem sie nackt zu sehen ist. Sie starb 2011 im Alter von erst 58 Jah­ren, ohne jemals noch in einem erwäh­nens­wer­ten Film mit­ge­spielt zu haben. Für Mar­lon Bran­do, der sich damals längst auf dem unauf­halt­sam schei­nen­den Abstieg befand, bedeu­te­te der Film hin­ge­gen einen unver­hoff­ten Kar­rie­re­schub. Ber­to­luc­ci hat­te für die Rol­le ursprüng­lich an Jean-Paul Bel­mon­do und Jean Lou­is Trin­tignant gedacht. Der eine wie der ande­re lehn­te ab. Erst dadurch kam der Regis­seur zum bereits abge­half­ter­ten Brando.

Ber­to­luc­ci, der im Her­zen von Jugend an Kom­mu­nist war – nicht von unge­fähr begann er sei­ne Kar­rie­re als Regie­as­si­stent von Pier Pao­lo Paso­li­ni – wur­de erst 1969, im Alter von 38 Jah­ren, ein­ge­schrie­be­nes Mit­glied der Kom­mu­ni­sti­schen Par­tei Ita­li­ens (KPI), als deren Auf­stieg zur Macht unauf­halt­sam schien. Inzwi­schen sind es vie­le, die nicht mehr an ihre Mili­tanz für Sichel und Ham­mer und Roten Stern erin­nert wer­den wol­len. Die mei­sten Medi­en erspa­ren ihnen dies­be­züg­lich jede Pein­lich­keit, gehö­ren zahl­rei­che Jour­na­li­sten ja selbst zu die­ser Spe­zi­es. Als eine Tages­zei­tung, Il Giorn­a­le, von ortho­do­xen und nicht ortho­do­xen Lin­ken in den 70er Jah­ren als „Faschi­sten­blatt“ ver­schrien, Ber­to­luc­ci vor eini­gen Jah­ren den­noch dar­auf ansprach, sag­te er aus­wei­chend nur, sein Par­tei­aus­weis sei „lang­sam ver­gilbt … Mit­te der 80er Jah­re habe ich ihn nicht mehr erneu­ert“. Es kamen neue Zei­ten. Mos­kau war auf der Ver­lier­er­spur. Ber­to­luc­ci dreh­te 1990 „Him­mel über der Wüste“ und 1994 „Litt­le Bud­dha“. The Oxford Histo­ry of World Cine­ma schrieb zu letz­te­rem: „Ein uner­war­tet ruhi­ger, gelas­se­ner Film, aus dem Klas­sen­kampf und ver­quäl­te Sexua­li­tät ver­bannt sind“.

2007 erhielt Ber­to­luc­ci in Vene­dig den Gol­de­nen Löwen für sein Lebens­werk, immer­hin ein Preis, der noch von Beni­to Mus­so­li­ni gestif­tet wur­de und ursprüng­lich Cop­pa Mus­so­li­ni hieß. Wegen sei­ner „faschi­sti­schen“ Wur­zeln war er zwi­schen 1969 und 1979 nicht mehr ver­lie­hen wor­den, just in der Zeit als Ber­to­luc­ci KP-Mit­glied war, und das Gesamt­kli­ma nach links zu kip­pen schien.

2008 wur­de ihm auf dem Walk of Fame des Hol­ly­wood Bou­le­vard in Los Ange­les ein Stern gewid­met. In sei­nem Klas­sen­kampf-Epos „1900“ ließ er den jun­gen, bewaff­ne­ten Leo­ni­das (Par­ti­sa­nen­na­me „Olmo“), noch ein Kind, Sym­bol der neu­en Gene­ra­ti­on der kom­mu­ni­sti­schen Zukunft, mit pro­le­ta­ri­schem Stolz die Lock­ru­fe sei­nes Grund­herrn abwei­sen, daß es in Ame­ri­ka bes­ser sei (als in der Sowjetunion).

Text: Andre­as Becker
Bild: Archi​ve​.org/​N​o​v​e​c​e​nto (Screen­shot)

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