(Washington) Die überraschende Intervention des Vatikans, mit der Papst Franziskus den US-Bischöfe untersagte, Entscheidungen gegen den sexuellen Mißbrauchsskandal durch Kleriker zu treffen, löste nicht nur Staunen, sondern auch Unmut aus. Zu den Reaktionen gehört eine Stellungnahme von Kardinal Sean Patrick O’Malley, dem Erzbischof von Boston und vor allem auch Vorsitzenden der Päpstlichen Kinderschutzkommission.
Kaum war der Eingriff Roms erfolgt, reagierte Kardinal O’Malley mit einer Stellungnahme. Er bekräftigte seinen Einsatz für die Nulltoleranz gegen Kleriker, die sich des sexuellen Mißbrauchs schuldig gemacht haben.
Der Kardinal versuchte damit aus dem Winkel herauszutreten, in den Papst Franziskus die schockierten US-Bischöfe durch seinen Eingriff gestellt hatte, und sie damit vor der Öffentlichkeit handlungsunfähig erscheinen läßt. Mit der Stellungnahme wollte der Kardinal zumindest eine klare Absichtserklärung abgeben, wenn schon keine Entscheidungen gefällt werden konnten.
Der ehemalige Nuntius in den USA, Erzbischof Carlo Maria Viganò, forderte gestern in einer Stellungnahme die US-Bischöfe auf, trotz der römischen Intervention „mutig“ sich ihrer bischöflichen Verpflichtungen bewußt zu sein und zu handeln.
Konkret geht es um den sexuellen Mißbrauchsskandal, der die US-Kirche erschüttert. Im Hintergrund geht es aber auch um das Kirchenverständnis und einen Richtungskampf um die Grundausrichtung der Kirche, der besonders akzentuiert die USA betrifft. Papst Franziskus sieht die von ihm geförderte, progressive Minderheit durch den Mißbrauchsskandal gefährdet. Ihr gehören die Bischöfe an, die in besonderer Weise durch den Mißbrauchsskandal ins Kreuzfeuer der Kritik geraten sind. Bereits in den vergangenen Wochen ließ Franziskus einen Versuch erkennen, der wie eine Quadratur des Kreises erscheint: Er sucht nicht nur nach Antworten auf den Skandal, sondern versucht auch die progressive Richtung in der US-Hierarchie zu retten, die durch die Zugehörigkeit zur Homo-Lobby oder zumindest durch ihre Homophilie schwer kompromittiert ist.
Da es bisher, bis auf eine von Franziskus erst nach Berichten der New York Times erfolgte Aberkennung der Kardinalswürde von Theodore McCarrick und eine um Wochen verzögerte Emeritierung von Kardinal Donald Wuerl als Erzbischof von Washington, keine direkten Maßnahmen gab und nun eine Vertagung bis Februar 2019 verordnet wurde, steht für manche die Frage im Raum, was für Papst Franziskus Vorrang hat: eine notwendige Antwort auf den Mißbrauchsskandal zu geben oder die Rettung der progressiven, homophilen Fronde.
Die Stellungnahme von Kardinal O’Malley im Wortlaut.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va (Screenshot)