Irrtum: Die Homosexualitätsexegese von Pater Ansgar Wucherpfennig

Bibel und Kirche zu Homosexuellen


Der Fall des Jesuiten Ansgar Wucherpfennig und seine irrige Homosexualitätsexegese.
Der Fall des Jesuiten Ansgar Wucherpfennig und seine irrige Homosexualitätsexegese.

Ein Gast­kom­men­tar von Hubert Hecker.

Anzei­ge

Der vati­ka­ni­sche Ein­spruch gegen die Wahl des Neu­te­sta­ment­lers und Homo­se­xu­el­len­seg­ners Ans­gar Wucher­pfen­nig zum Rek­tor der Frank­fur­ter Jesui­ten­hoch­schu­le hat gegen­sätz­li­che Posi­tio­nen offengelegt.

Die kirchliche Lehr-Überlieferung ist klar und unmissverständlich

Homo­se­xu­el­le Hand­lun­gen ent­spre­chen ihrer Natur nach nicht der geschöpf­li­chen Ord­nung, in der Gott den Men­schen als Mann und Frau geschaf­fen hat – zur gegen­sei­ti­gen Lie­be und Wei­ter­ga­be des Lebens als Teil­nah­me an sei­nem Schöp­fungs­werk. In homo­se­xu­el­len Bezie­hun­gen kann sich weder die affek­ti­ve und geschlecht­li­che Ergän­zungs­be­dürf­tig­keit des Men­schen aus­drücken noch im Geschlechts­ver­kehr die Offen­heit für neu­es Leben. Des­halb gibt es nach katho­li­scher Leh­re „kei­ner­lei Fun­da­ment dafür, zwi­schen den homo­se­xu­el­len Lebens­ge­mein­schaf­ten und dem Plan Got­tes über Ehe und Fami­lie Ana­lo­gien her­zu­stel­len, auch nicht in einem wei­te­ren Sin­ne“. Neben der Beur­tei­lung von homo­se­xu­el­len Hand­lun­gen als unge­ord­net bleibt der kirch­li­che Grund­satz bestehen, die sün­di­gen­den Per­so­nen nicht zu ver­ur­tei­len. Homo­se­xu­el­le ver­die­nen den glei­chen per­so­na­len Respekt wie jeder ande­re Mensch.

Überhebliche Unduldsamkeit gegen die kirchliche Lehre

Der Jesu­it Wucher­pfen­nig strebt mit sei­ner Neu­leh­re zur posi­ti­ven Bewer­tung von homo­se­xu­el­len Hand­lun­gen aus­drück­lich an, „die kirch­li­che Leh­re zu ändern“. Sein Jam­mern, er habe doch nur einen Dis­kus­si­ons­pro­zess über Lehr­fra­gen ansto­ßen wol­len, ist nicht glaub­wür­dig. Nach eige­nen Wor­ten hat er schon seit Län­ge­rem homo­se­xu­el­len Paa­ren den kirch­li­chen Segen erteilt. Offen­sicht­lich woll­te er gar nicht erst das Ergeb­nis der ange­sto­ße­nen Debat­te abwar­ten, son­dern selbst­er­mäch­ti­gend wider die Dis­zi­plin der Kir­che han­deln. Ein unduld­sa­mer Ton der Recht­ha­be­rei fin­det sich auch bei den Unter­stüt­zern des Jesuiten.

Der Pro­vin­zi­al der deut­schen Jesui­ten­pro­vinz greift fron­tal und abschät­zig die kirch­li­che Leh­re an: „Die ver­schwur­bel­te Rede der Kir­che über Homo­se­xua­li­tät funk­tio­niert schon lan­ge nicht mehr und ist auch in der Sache obso­let“. Die Kas­se­ler Bibel­wis­sen­schaft­le­rin Ilse Müll­ner behaup­tet: Aus der ein­schlä­gi­gen Pas­sa­ge des Römer­briefs zu Homo­se­xua­li­tät Hand­lungs­an­wei­sun­gen für heu­te abzu­lei­ten, das „geht ein­fach gar nicht“. Bei ihrer For­de­rung nach Kon­tex­tua­li­sie­rung der Pau­lusstel­le ver­langt sie kate­go­risch: So wie ich es mache, „müs­sen wir die Bibel lesen und nicht anders“. Mit ihren selbst­herr­li­chen Bei­trä­gen dis­qua­li­fi­zie­ren sich Ans­gar Wucher­pfen­nig und sei­ne Unter­stüt­zer für eine seriö­se Debat­te zur biblisch-mora­li­schen Bewer­tung der Homosexualität.

Schwule Spiritualität von der theologischen Homo-Lobby

Pater Wucher­pfen­nig hat einer FAZ-Jour­na­li­stin erzählt, wie er als Homo­se­xu­el­len­seel­sor­ger zu sei­ner Kehrt­wen­de gegen die kirch­li­che Leh­re kam. Nach vie­len Gesprä­chen mit einem aus der Kir­che aus­ge­tre­te­nen Homo­se­xu­el­len sei er zu der Erkennt­nis gekom­men: Nicht der Mann mit gleich­ge­schlecht­li­cher Sexu­al­pra­xis soll­te sich ändern – z. B. sei­ne Nei­gung nicht aus­zu­le­ben –, son­dern die Kir­che müs­se ihre Leh­re ändern. Als Frucht der Gesprä­che hat der Homo­se­xu­el­le von Wucher­pfen­nig inzwi­schen gelernt, theo­lo­gi­sche Posi­tio­nen zur Recht­fer­ti­gung sei­ner homo­se­xu­el­len Lebens­form zu nut­zen: „Gott hat mich mit dem (gleich­ge­schlecht­li­chen) Ver­lan­gen geschaf­fen“ (FAZ 4. 5. 2017). Nach die­ser Behaup­tung wäre Homo­se­xua­li­tät Teil der gött­li­chen Schöp­fungs­ord­nung. Doch das ist eine sakri­le­gi­sche Anma­ßung, den Schöp­fer selbst für das homo­se­xu­el­le Begeh­ren ver­ant­wort­lich zu machen. Im Übri­gen ist auch die säku­la­re Grund­la­ge für die­se theo­lo­gi­sche Aus­sa­ge falsch. Denn Homo­se­xua­li­tät ist nicht gene­tisch deter­mi­niert und damit kei­ne Dimen­si­on der mensch­li­chen Natur.

Neben der Homo­se­xua­li­sie­rung der Schöp­fungs­ord­nung ent­wickel­te die theo­lo­gi­sche Homo-Lob­by wei­te­re Ele­men­te einer schwu­len Spi­ri­tua­li­tät, um gleich­ge­schlecht­li­che Akti­vi­tä­ten von Katho­li­ken und Kle­ri­kern zu recht­fer­ti­gen. Der ita­lie­ni­sche Call­boy Fran­ces­co Man­gia­ca­pra hat von sei­nen 40 Kle­ri­ker­kun­den Stel­lung­nah­men pro­to­kol­liert, wie katho­li­sche Prie­ster Gott für ihr schwu­les Leben instru­men­ta­li­sie­ren. Auf die Fra­ge, wie sie es mit ihrem Gewis­sen ver­ein­ba­ren könn­ten, unmit­tel­bar nach der hl. Mes­se noch in der Sakri­stei mit homo­se­xu­el­len Hand­lun­gen zu begin­nen, sag­ten sie: Sie lieb­ten Jesus dafür, dass er ihr schwu­les Leben und Han­deln ver­ste­hen wür­de – eine eben­falls sakri­le­gi­sche Ver­ein­nah­mung Jesu Chri­sti als Schwu­len­ver­ste­her. Die Frank­fur­ter Pro­jekt­ge­mein­de „schwul + katho­lisch“  fei­er­te ihr zehn­jäh­ri­ges Bestehen unter dem Mot­to: „Der Herr ist mein Hir­te – und weiß, dass ich schwul bin“.

Jesuitischer Ungehorsam gegenüber Lehre und Disziplin der Kirche

Im Dezem­ber 2015 erwei­ter­te der Frank­fur­ter Stadt­de­kan Johan­nes zu Eltz das Ange­bot für Schwu­le und Les­ben, um  Homo­se­xua­li­tät mit­ten in kirch­li­che Pra­xis und Leh­re zu imple­men­tie­ren. Er beton­te dabei, dass die kirch­li­che Leh­re für Homo­se­xu­el­le „schwer erträg­lich“ sei. Daher müs­se die Kir­che in ihrer Posi­ti­on zur Homo­se­xua­li­tät „Selbst­kri­tik zulas­sen“. Noch deut­li­cher wur­de der als Front­mann bestell­te Homo­se­xu­el­len­ver­ste­her Wucher­pfen­nig. Der gab als Ziel sei­ner Stra­te­gie an, „dass sich mit der Offen­heit für Schwu­le auch die Kir­che ver­än­dern wird – bis ins Ver­ständ­nis ihrer Leh­re hin­ein“. Im Klar­text heißt das, die kirch­li­che Leh­re müss­te sich an die „Wirk­lich­keit“ der geleb­ten Homo­se­xua­li­tät anpas­sen, also das Fak­ti­sche zum Maß­stab ihrer Norm machen. Für die kirch­li­che Pra­xis leg­te Wucher­pfen­nig die fol­gen­de Hand­lungs­li­nie fest: Er selbst und ande­re Prie­ster hät­ten Homo-Paa­ren „seit vie­len Jah­ren in der katho­li­schen Kir­che den Segen Got­tes zuge­spro­chen“. Das woll­ten sie auch wei­ter­hin so hal­ten, „um Schwu­len die Mög­lich­keit einer Iden­ti­täts­fin­dung inner­halb der Kir­che zu eröff­nen“. Man habe aber die kirch­li­che Seg­nung homo­se­xu­el­ler Paa­re nur heim­lich vor­ge­nom­men, um die offi­zi­el­le „kirch­li­che Öffent­lich­keit nicht zu über­for­dern“. Mit die­sen Wor­ten räumt der Jesu­it ein, es auf einen Bruch mit der kirch­li­chen Dis­zi­plin und Leh­re ange­legt zu haben. Des­halb ist sei­ne vor­ge­brach­te Auf­re­gung in der aktu­el­len Aus­ein­an­der­set­zung fehl am Platz, wenn der Vati­kan ihm jetzt die Kon­se­quen­zen sei­nes unje­sui­ti­schen Unge­hor­sams prä­sen­tiert. Eben­so unan­ge­bracht ist der von Pater Wucher­pfen­nig ver­mit­tel­te Ein­druck, als wenn er nur wegen der Aus­le­gung einer Römer­brief­pas­sa­ge vom Vati­kan dis­zi­pli­niert wor­den wäre. In Wirk­lich­keit ver­folgt er seit drei Jah­ren die Stra­te­gie, Leh­re und Pra­xis der Kir­che zu Homo­se­xua­li­tät nach sei­nen per­sön­li­chen Ansich­ten grund­le­gend zu ver­än­dern. Die Neu­in­ter­pre­ta­ti­on der ein­schlä­gi­gen Bibel­stel­len kann man dann als inter­es­sen­ge­lei­te­te Fol­ge sei­ner Agen­da annehmen.

Doppeldeutige Papstäußerungen

Dabei beruft sich Wucher­pfen­nig auch auf die „ver­gleichs­wei­sen libe­ra­len Äuße­run­gen von Papst Fran­zis­kus zum Umgang mit Schwu­len und Les­ben“. Dar­auf habe er sich „ver­las­sen“ und kön­ne des­halb nicht nach­voll­zie­hen, war­um er jetzt aus­ge­rech­net vom Vati­kan „aus­ge­bremst“ wer­de. Tat­säch­lich scheint Papst Fran­zis­kus die schwu­le Selbst­recht­fer­ti­gungs­spi­ri­tua­li­tät in Namen der Gott­su­che zu akzep­tie­ren. Das könn­te man aus sei­nem umstrit­te­nen Satz lesen: „Wenn eine Per­son schwul ist und den Herrn mit gutem Wil­len sucht – wer bin ich, um ihn zu rich­ten?“ Jeden­falls ver­brei­ten pro­gres­si­ve und homo­se­xua­li­sti­sche Kir­chen­krei­se, der Papst wür­de Akzep­tanz von schwu­ler Lebens­füh­rung ver­kün­den. Sol­che Paro­len tra­gen Katho­li­ken auf gay-pri­de-Para­den und homo-freund­li­che Kle­ri­ker unter­stüt­zen sie dabei. Wie bei ande­ren geschickt for­mu­lier­ten, aber dop­pel­deu­ti­gen Aus­sa­gen des Pap­stes ent­hält auch die­se Wort nur die hal­be Wahr­heit. Denn Fran­zis­kus hat­te mit sei­ner Sen­tenz nur den ersten Teil einer alt­kirch­li­chen Regel wie­der­ge­ge­ben, dass man Menschen/​Sünder/​Homosexuelle nicht ver­ur­tei­len darf. Das schließt aber den zwei­ten Teil der christ­li­chen Maxi­me ein, das sün­di­ge Han­deln zu ver­ab­scheu­en. Den Sün­der lie­ben und die Sün­de has­sen!, heißt die Kurz­for­mel, nach der Jesus die Ehe­bre­che­rin behan­del­te: Ich ver­ur­tei­le dich nicht. Aber sün­di­ge fort­an nicht mehr!

Die Ableh­nung der Sün­de wird in der heu­ti­gen kirch­li­chen Ver­kün­di­gung viel­fach unter­schla­gen – und so mach­te es auch Fran­zis­kus mit sei­nem Teil­zi­tat. Das ist ihm vor­zu­wer­fen, in der Bewer­tung von Homo­se­xua­li­tät nicht in Klar­heit und Wahr­heit die gan­ze biblisch-katho­li­sche Leh­re zu ver­kün­di­gen. Aber selbst aus sei­ner miss­ver­ständ­li­chen Aus­sa­ge zur Nicht-Ver­ur­tei­lung von homo­se­xu­el­len Sün­dern kann jeden­falls nicht auf sei­ne Akzep­tanz von sün­di­gem homo­se­xu­el­lem Han­deln geschlos­sen wer­den. Das ergibt sich aus dem Rede-Kon­text. Fran­zis­kus sag­te den obi­gen Satz auf der flie­gen­den Pres­se­kon­fe­renz nach dem Welt­ju­gend­tag in Rio. Dort wur­de er nach dem Prä­la­ten Ric­ca gefragt, der in sei­nem Nun­tia­tur­amt jah­re­lang als schwu­ler Kle­ri­ker auf­ge­fal­len und trotz­dem kurz vor­her beför­dert wor­den war. Der Papst bewer­te­te des­sen zahl­rei­che Homo-Affä­ren als „Jugend­sün­den“ und spä­ter noch ein­mal als „Sün­den“. Danach deu­te­te er an, dass Mons. Ric­ca sich von sei­ner schwu­len Lebens­wei­se gänz­lich abge­wandt sowie sei­ne Sün­den bereut und gebeich­tet hät­te. Dem­nach wür­de Fran­zis­kus  Homo-Hand­lun­gen als Sün­den ein­stu­fen, von denen er expli­zit Abkehr und Reue erwar­tet, ohne den homo­se­xu­el­len Sün­der rich­ten zu wol­len. Erst nach der Umkehr aus sei­nem sün­di­gen Vor­le­ben konn­te der Papst den ver­lo­re­nen Homo-Sohn der Kir­che wie­der in die vati­ka­ni­sche Dienst­ge­mein­schaft aufnehmen.

Es soll aber nicht ver­schwie­gen wer­den, dass der Papst kurz dar­auf zum The­ma Homo­se­xu­el­le eine ganz ande­re Rich­tung ein­schlug: „Wenn einer gay/​schwul ist (…), dür­fen die­se Men­schen nicht an den Rand gedrängt wer­den, sie müs­sen in die Gesell­schaft inte­griert wer­den.“ Man erkennt in die­sem Dik­tum die Linie des ach­ten Kapi­tels von Amo­ris lae­ti­tia wie­der, nach der Katho­li­ken in ehe­bre­che­ri­schen Ver­hält­nis­sen ohne Buße und Umkehr voll in die Gemein­de inte­griert wer­den sol­len – ein­schließ­lich des Emp­fangs der hl. Kom­mu­ni­on. Lei­der ver­wickelt sich der Papst des Öfte­ren in sol­che wider­sprüch­li­che Reden, in denen er mit Halb­wahr­hei­ten und Dop­pel­deu­tig­kei­ten zur kirch­li­chen Leh­re den katho­li­schen Glau­ben und die Gläu­bi­gen verwirrt.

Spekulationen und Projektionen zu einem Paulustext

Was ist nun von der Neu­in­ter­pre­ta­ti­on der Bibel­stel­le aus dem Römer­brief zu hal­ten, die Pater Wucher­pfen­nig als „zum Teil miss­ver­ständ­lich for­mu­liert“ bezeich­net? Der Apo­stel Pau­lus bezieht sich in Röm 1, 18–32 auf die sitt­li­che Ver­wahr­lo­sung der römisch-hel­le­ni­sti­schen Kul­tur als Fol­ge der heid­ni­schen Kul­te, wenn er von „Bos­hei­ten“ und „schmäh­li­chen Lei­den­schaf­ten“ schreibt: „Die Frau­en ver­tausch­ten den natür­li­chen Ver­kehr mit dem wider­na­tür­li­chen und eben­so lie­ßen auch die Män­ner vom natür­li­chen Ver­kehr mit der Frau und ent­brann­ten in ihrer Gier zuein­an­der. Män­ner betrei­ben an Män­nern das Schand­ba­re und emp­fan­gen den ihrer Ver­ir­rung gebüh­ren­den Lohn.“ Anschlie­ßend wird die­se „Unzucht“ in einen all­ge­mei­nen Laster­ka­ta­log von Hab­sucht, Ver­leum­dung, Streit­sucht, Mord etc. eingeordnet.

Wucher­pfen­nig und ande­re gleich­ge­sinn­te Exege­ten behaup­ten, aus die­ser Stel­le dürf­te nicht die Ableh­nung von allen For­men homo­se­xu­el­ler Hand­lun­gen als schwe­re sünd­haf­te Ver­ir­rung gele­sen wer­den. Sie begrün­den das mit dem histo­ri­schen Kon­text: In der hel­le­ni­sti­schen Welt sei­en homo­se­xu­el­le Bezie­hung immer oder vor­wie­gend zu Macht­ver­hält­nis­sen ver­kom­men, etwa indem der Herr sei­ne Skla­ven sexu­ell aus­ge­beu­tet habe oder Män­ner sich Lust­kna­ben hiel­ten. Nur die­se sexu­el­len Unter­wür­fig­keits­be­zie­hun­gen habe Pau­lus ver­ur­teilt, nicht homo­se­xu­el­le Ver­hält­nis­se unter Gleich­ste­hen­den. Wucher­pfen­nig meint, Pau­lus habe mit den erwähn­ten Stel­len schon damals „eigent­lich sagen wol­len“, was wir auch heu­te mei­nen, dass „Lie­be eine ega­li­tä­re, freie Bezie­hung sein soll­te“. Die­se Aus­sa­ge beinhal­tet die Unter­stel­lung, der Apo­stel hät­te homo­se­xu­el­le Bezie­hun­gen ohne Macht­ge­fäl­le, also  zwi­schen gleich­ge­stell­ten Römern, als sitt­lich erlaubt ange­se­hen. Für die­se Sicht­wei­se müss­te der Inter­pret Bele­ge oder min­de­stens Anhalts­punk­te in den Pau­lus­brie­fen fin­den – aber die gibt es nicht. Dar­über hin­aus sind Wucher­pfen­nigs For­mu­lie­run­gen höchst pro­ble­ma­tisch: Die Behaup­tung, ein hin­ter dem Text ste­hen­des, eigent­li­ches Wol­len des Autors erken­nen zu kön­nen, ist rei­ne Spe­ku­la­ti­on. Wis­sen­schaft­ler kön­nen Bedeu­tun­gen von Aus­sa­gen nur aus Text und Kon­text erschlie­ßen. Dar­über hin­aus ver­rät die Wort­wahl von ega­li­tä­rer Bezie­hung, dass Wucher­pfen­nig eine moder­ne Auf­fas­sung der west­li­chen Auf­klä­rung in den anti­ken Text zurück­pro­ji­ziert bezie­hungs­wei­se dem Text­au­tor unter­schiebt. Auch die­se Metho­de ent­spricht nicht einem wis­sen­schaft­li­chen Ansatz im Umgang mit Tex­ten der Bibel und ande­rer anti­ker Literatur.

Weitere Kritikpunkte

▪ Eine wei­te­re Argu­men­ta­ti­on von P. Wucher­pfen­nig lau­tet: Pau­lus spre­che nicht von Lie­be, son­dern ver­ur­tei­le allein „die gleich­ge­schlecht­li­che Begier­de und schmäh­li­che Lei­den­schaf­ten“. Wirk­li­che Lie­be unter Homo­se­xu­el­len habe der Apo­stel nicht abge­lehnt, son­dern „eigent­lich“ gewollt, auch wenn er das nicht expli­zit sage. Doch kann man ein Lehr­ele­ment – in die­sem Fall die sitt­li­che Akzep­tanz von gleich­ge­schlecht­li­chen Lie­bes­be­zie­hun­gen – auf die „ima­gi­nä­re kon­zep­tu­el­le Aus­las­sung“ im Römer­brief begrün­den? Eine Ana­lo­gie macht den Irr­tum die­se Ansat­zes deut­lich: Pau­lus spricht in der Rei­he von Bos­hei­ten auch von Mord, der als Tötungs­akt aus nied­ri­gen Moti­ven defi­niert ist. Aus der pau­li­ni­schen Nicht-Erwäh­nung von Eutha­na­sie, die aus Mit­leid oder Sor­ge began­gen wird, auf eine posi­ti­ve Bewer­tung die­ses Tötungs­de­lik­tes schlie­ßen zu wol­len, wäre offen­sicht­lich ein unzu­läs­si­ges Inter­pre­ta­ti­ons­kon­strukt – so der Neu­te­sta­ment­ler Antho­ny Giam­bro­ne OP (DT 25. 10. 18).

▪ Eine Inter­pre­ta­ti­ons­the­se kann im wis­sen­schaft­li­chen Rah­men nur posi­tiv aus dem Text oder Kon­text begrün­det wer­den. In der anste­hen­den Fra­ge haben die alt­te­sta­ment­li­chen Schrif­ten für Pau­lus eine her­aus­ra­gen­de Bedeu­tung. Die zahl­rei­chen Tex­te aus der Zeit des zwei­ten Tem­pels bestä­ti­gen den Schluss, dass Pau­lus – in der jüdi­schen Tra­di­ti­on ste­hend – alle For­men sexu­el­ler Prak­ti­ken zwi­schen Per­so­nen glei­chen Geschlechts als schwe­re sünd­haf­te Ver­ir­rung ansieht.

▪ Neu­te­sta­ment­ler wol­len der Kir­che ver­bie­ten, aus der all­ge­mei­nen Ver­ur­tei­lung von homo­se­xu­el­len Bezie­hun­gen im Römer­brief all­ge­mei­ne Nor­men zu Homo­se­xua­li­tät abzu­lei­ten. Das sei bibli­zi­stisch oder gar fun­da­men­ta­li­stisch, die Wei­sun­gen des Apo­stels Pau­lus so zu neh­men, wie sie im Text ste­hen. Man müs­se durch histo­ri­sche Kon­tex­tua­li­sie­rung den Hin­ter-Sinn der vor­der­grün­di­gen Pau­lus­wor­te her­aus­ar­bei­ten. Und der bestehe allein in der Ver­ur­tei­lung der damals ver­brei­te­ten sozia­len Macht­ver­hält­nis­se bei Homo-Beziehungen.
Wenn man aller­dings metho­disch sau­ber den Schrift­kon­text her­an­zieht, dann ergibt sich über­ra­schen­der­wei­se ein ganz ande­res Bild, näm­lich die Bestä­ti­gung, dass es sich bei den Pau­lus­aus­sa­gen tat­säch­lich um all­ge­mei­ne Nor­m­aus­sa­gen han­delt: Der Apo­stel begrün­det im fol­gen­den Kapi­tel Röm 2 sei­ne Bewer­tung der Homo­se­xua­li­tät als Ver­ir­rung mit dem Natur­recht, das den Hei­den als sitt­li­che Nor­men „ins Herz geschrie­ben ist“. Auf die­sem Hin­ter­grund kann er den Ver­kehr zwi­schen Mann und Frau als „natür­lich“ cha­rak­te­ri­sie­ren, homo­se­xu­el­le Bezie­hun­gen zwi­schen Frau­en bzw. Män­nern aber als „wider­na­tür­lich“ ver­ur­tei­len. Die­sem pau­li­ni­schen Begrün­dungs­an­satz folgt die katho­li­sche Lehre.

▪ Wenn es Pau­lus nur um Kri­tik an den Macht­ver­hält­nis­sen bei homo­se­xu­el­len Bezie­hun­gen gegan­gen wäre, dann hät­te er das eben­falls bei dem in der Anti­ke ver­brei­te­ten patri­ar­cha­li­schen  Macht­ge­fäl­le im Mann-Frau-Ver­hält­nis tun müs­sen. Der Apo­stel macht aber das Gegen­teil. Er bestä­tigt im Ephe­ser­brief 5,22  die damals übli­che Unter­tä­nig­keit der Ehe­frau unter den Mann, auch wenn in sei­nen Ermah­nun­gen zur gegen­sei­ti­gen Lie­be eine ten­den­zi­el­le Gleich­heit in Chri­sto her­aus­zu­le­sen ist. Übri­gens wird aus den wei­te­ren Aus­füh­run­gen Pau­lus’ zur Lie­be zwi­schen Mann und Frau in Bezug zu Chri­stus und der Kir­che klar, dass homo­se­xu­el­le Lie­be nie­mals in Ana­lo­gie zur christ­li­chen Ehe ste­hen kann – „auch nicht im wei­te­sten Sin­ne“ durch Seg­nung der Paarbeziehung.

▪ Nach Gal 3,26ff ste­hen alle auf Chri­stus Getauf­te nicht mehr unter dem Tho­ra-Gesetz. Für die durch Kreuz und Tau­fe Erlö­sten gilt des­halb nicht mehr ihr Stand als Jude oder Hel­le­ne, Frei­er oder Skla­ve, Mann oder Frau. Die­se Argu­men­ta­ti­on sowie der Rück­griff auf die Schöp­fung aller Men­schen haben in der histo­ri­schen Wir­kungs­ge­schich­te die hel­le­ni­sti­schen Stan­des­un­ter­schie­de auf­ge­löst. Aus dem Chri­sten­tum kamen die Impul­se zur Abschaf­fung der anti­ken Skla­ve­rei und die Rechts­gleich­heit von Mann und Frau etwa in den kirch­li­chen Ehe­re­ge­lun­gen. Gleich­wohl hielt Pau­lus zu sei­ner Zeit in sei­nen Schrif­ten an den her­ge­brach­ten Unter­tä­nig­keits­ver­hält­nis­sen der Skla­ven (im Brief an Phi­le­mon) und der Frau­en (wie oben gezeigt) fest, for­der­te aber von den Her­ren und Män­nern christ­li­che Lie­be. Auch unter die­sem Kon­text­ge­sichts­punkt wider­sprä­che es der Schrif­ten-Logik des Apo­stels, nur das sozia­le Macht­ge­fäl­le in homo­se­xu­el­len Bezie­hun­gen zu kri­ti­sie­ren und anson­sten den wider­na­tür­li­chen Ver­kehr zu erlauben.

▪ Bei den übri­gen Punk­ten des pau­li­ni­schen Laster­ka­ta­logs gilt auch nicht eine sitt­li­che Unter­schei­dung bei Bos­hei­ten, inso­fern sie an Unter­ge­be­nen oder an Gleich­ge­stell­ten began­gen wur­den. Der Domi­ni­ka­ner Giam­bro­ne fasst sein Urteil  so zusam­men: „Die weit­aus zwin­gen­de­re Les­art ist, dass Pau­lus’ Rede über Gleich­ge­schlecht­lich­keit nicht auf miss­bräuch­li­chen For­men einer sozia­len Unter­ord­nung abzielt, son­dern auf die­je­ni­gen Arten sexu­el­ler Unord­nung, die wesent­lich durch ihren gleich­ge­schlecht­li­chen Cha­rak­ter defi­niert sind.“

▪ Schließ­lich spricht die früh­christ­li­che Moral­pra­xis dafür, dass die ersten Chri­sten­ge­ne­ra­tio­nen in der pau­li­ni­schen Lehr­tra­di­ti­on stan­den und sie damit bestä­tig­ten: In den frü­hen Chri­sten­ge­mein­den gal­ten homo­se­xu­el­le Hand­lun­gen grund­sätz­lich als sünd­haf­te Ver­ge­hen. Nicht nur bei Homo­se­xua­li­tät, son­dern in  allen Dimen­sio­nen der Sexua­li­tät und Repro­duk­ti­on setz­ten die Grund­sät­ze der frü­hen Chri­sten einen schar­fen Gegen­satz zu den römisch-hel­le­ni­sti­schen Auf­fas­sun­gen: Gegen­über der laxen römi­schen Pra­xis bei Ehe­bruch und Wie­der­ver­hei­ra­tung stan­den Exkom­mu­ni­ka­ti­on und lan­ge Buß­zeit für ehe­bre­che­ri­sche Chri­sten. Abtrei­bung von unge­bo­re­nen und Aus­set­zung von behin­der­ten Kin­dern war bei den Chri­sten geäch­tet, im hel­le­ni­sti­schen Kul­tur­raum dage­gen ethisch legi­ti­miert. Die frü­hen Chri­sten pass­ten sich in sexu­al­ethi­schen Fra­gen nicht an die sie umge­ben­de Gesell­schaft an. Dar­an hat­te die ver­schie­de­nen Pau­lus­tex­te maß­geb­li­chen Anteil.

Resümee:

Die Römer­brief­stel­le 1, 18–32 ist in ihrer Bewer­tung von homo­se­xu­el­len Hand­lun­gen als wider­na­tür­li­che Ver­ir­rung klar und unmiss­ver­ständ­lich for­mu­liert. Der Kon­text im Römer­brief und in ande­ren Pau­lus­brie­fen bestä­tigt, dass der Apo­stel hier eine all­ge­mei­ne, auf Natur­recht und Schöp­fungs­ord­nung gegrün­de­te Wei­sung gibt, der die Kir­che seit 2000 Jah­ren als Norm folgt. Für die Mei­nung von P. Ans­gar Wucher­pfen­nig und ande­ren Neu­te­sta­ment­lern, dass Pau­lus nur das sozia­le Macht­ge­fäl­le in homo­se­xu­el­len Bezie­hun­gen oder gleich­ge­schlecht­li­che Begier­den ver­ur­teilt, anson­sten aber zu homo­se­xu­el­lem Ver­kehr unter Glei­chen kei­ne Ein­wän­de gehabt hät­te, gibt es im Pau­lus­text und sei­nen Kon­tex­ten kei­ne Anhalts­punk­te und erst recht kei­ne Bele­ge. Daher soll­ten P. Wucher­pfen­nig und ande­re katho­li­schen Neu­te­sta­ment­ler ihre Spe­ku­la­tio­nen über angeb­lich miss­ver­ständ­li­che For­mu­lie­run­gen,  hin­ter­sin­ni­ge Text­be­deu­tun­gen und unbe­leg­ba­re Inter­pre­ta­tio­nen ein­stel­len, um zu seriö­ser wis­sen­schaft­li­cher Exege­se zurückzukommen.

Text: Hubert Hecker
Bild: LifeSiteNews/​Youtube/​Hessenschau/​Wikicommons (Screen­shot mit Montage)

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