Gänswein: Mißbrauchsskandal eine „Krise der letzten Tage“


Die Benedikt-Option
Die Benedikt-Option: Dramtische Töne schlug heute im Palazzo Montecitorio Kurienerzbischof Georg Gänswein, der persönliche Sekretär von Benedikt XVI.

(Rom) Im Ita­lie­ni­schen Par­la­ment, am Sitz der Abge­ord­ne­ten­kam­mer, fand heu­te die Vor­stel­lung des Buches Die Bene­dikt-Opti­on (The Bene­dict Opti­on) des US-Jour­na­li­sten Rod Dre­her statt. Anwe­send war auch Kuri­en­erz­bi­schof Georg Gäns­wein, Prä­fekt des Päpst­li­chen Hauses und per­sön­li­cher Sekre­tär von Bene­dikt XVI.

Die Benedikt-Option
Die Bene­dikt-Opti­on
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Die Prä­sen­ta­ti­on fand zufäl­lig am 17. Jah­res­tag von nine/​eleven statt, als am 11. Sep­tem­ber 2001 nach einem Ter­ror­an­griff die Twin Towers in New York ein­stürz­ten. Msgr. Gäns­wein spiel­te auf die­sen Jah­res­tag an und bezeich­ne­te den sexu­el­len Miß­brauch als „11. Sep­tem­ber der katho­li­schen Kirche“.

Der ehe­ma­li­ge Erste Sekre­tär von Papst Bene­dikt XVI. erwähn­te expli­zit den Penn­syl­va­nia-Bericht und impli­zit den Fall McCar­ri­ck und mein­te, die Kla­ge von Bene­dikt XVI. 2008 gegen­über den US-Bischö­fe über die ‚gro­ße Schan­de‘, ver­ur­sacht durch den sexu­el­len Miß­brauch von Min­der­jäh­ri­gen, sei „offen­sicht­lich ver­ge­bens gewe­sen, wie wir heu­te sehen“.

Er wer­te­te das Zusam­men­fal­len der Buch­vor­stel­lung mit dem Jah­res­tag des Ter­ror­an­griffs nicht als Zufall, son­dern als „Akt der Gött­li­chen Vor­se­hung“, denn:

„Heu­te schaut auch die katho­li­sche Kir­che vol­ler Beun­ru­hi­gung auf ihren nine/​eleven, auf den eige­nen 11. Sep­tem­ber, auch wenn die­se Kata­stro­phe nicht mit einem ein­zi­gen Datum in Ver­bin­dung gebracht wird, son­dern mit vie­len Tagen und Jah­ren und mit unzäh­li­gen Opfern.“

„Schimmer, als wenn alle Kirchen Pennsylvanias eingestürzt wären“

Gleich­zei­tig bat der deut­sche Prä­lat „nicht miß­ver­stan­den“ zu werden:

„Ich will weder die Opfer noch die Zahl der Miß­brauchs­fäl­le im Bereich der katho­li­schen Kir­che mit den 2.996 unschul­di­gen Per­so­nen ver­glei­chen, die am 11. Sep­tem­ber wegen der Ter­ror­an­schlä­ge auf das World Trade Cen­ter und das Pen­ta­gon ihr Leben ver­lo­ren haben. Nie­mand hat bis­her die Kir­che Chri­sti mit Lini­en­flug­zeu­gen, voll­be­setzt mit Pas­sa­gie­ren, ange­grif­fen. Der Peters­dom steht noch, und die Kathe­dra­len von Frank­reich, Deutsch­land oder Ita­li­en sind wei­ter­hin das Wahr­zei­chen vie­ler Städ­te der west­li­chen Welt, von Flo­renz über Char­tres bis Köln und Mün­chen. Und den­noch: Die aus Ame­ri­ka kom­men­den Nach­rich­ten, die uns jüngst infor­miert haben, wie vie­le See­len von Prie­stern der katho­li­sche Kir­che nicht wie­der­gut­zu­ma­chen und töd­li­che Wei­se ver­letzt wur­den, ver­mit­teln uns eine noch viel schreck­li­che­re Bot­schaft als die Nach­richt vom plötz­li­chen Ein­sturz aller Kir­chen von Penn­syl­va­nia samt dem Natio­nal­hei­lig­tum der Unbe­fleck­ten Emp­fäng­nis in Washing­ton. Indem ich das sage, erin­ne­re ich mich, als wäre es gestern gewe­sen, wie Papst Bene­dikt XVI. am 16. April 2008 auf bewe­gen­de Wei­se die aus den gan­zen USA zusam­men­ge­kom­me­nen Bischö­fe auf­zu­rüt­teln ver­such­te: Er sprach mit gesenk­tem Haupt wegen der „gro­ßen Schan­de“, ver­ur­sacht durch den sexu­el­len Miß­brauch von Min­der­jäh­ri­gen durch Prie­ster“ und „vom enor­men Schmerz, den eure Gemein­schaf­ten erlit­ten haben, weil Män­ner der Kir­che mit einem so schwer unmo­ra­li­schen Ver­hal­ten ihre prie­ster­li­chen Pflich­ten und Auf­ga­ben ver­ra­ten haben. Es war aber offen­sicht­lich ver­ge­bens, wie wir heu­te sehen. Die Kla­ge des Hei­li­gen Vaters konn­te dem Übel nicht Ein­halt gebie­ten, und auch nicht die for­ma­len Ver­si­che­run­gen und ein­ge­gan­gen Ver­pflich­tun­gen durch einen Groß­teil der Hierarchie.“

Die Buch­vor­stel­lung wur­de durch die Stif­tung De Gas­pe­ri orga­ni­siert, deren Vor­sit­zen­der der ehe­ma­li­ge ita­lie­ni­sche Außen­mi­ni­ster Ange­li­no Alfa­no ist.

„Niemand sah die Flut kommen“

Erz­bi­schof Gäns­wein zitier­te bei die­ser Gele­gen­heit die ersten Wor­te des Buches „Die Benedikt-Option“:

„Nie­mand sah die Flut kom­men, eine wirk­li­che Sintflut“.

An den Autor Rod Dre­her gewandt, sag­te Gäns­wein, er habe beim Lesen des Buches den Ein­druck gehabt, als sei­en wei­te Tei­le fast in einem stil­len Dia­log mit dem ehe­ma­li­gen Papst geschrie­ben wor­den, der schweigt. Als Bei­spiel nann­te Msgr. Gäns­wein die Stelle:

„2012 sag­te der dama­li­ge Papst, daß die gei­sti­ge Kri­se des Westens die schwer­wie­gend­ste seit dem Unter­gang des Römi­schen Rei­ches ist, der sich gegen Ende des 5. Jahr­hun­derts ereig­ne­te. Das Licht des Chri­sten­tums erlischt im gan­zen Westen.“

Gäns­wein zitier­te zudem aus der War­nung, die Papst Bene­dikt XVI. am 11. Mai 2010 auf dem Flug nach Fati­ma aussprach:

„Die größ­te Ver­fol­gung der Kir­che kommt nicht von den äuße­ren Fein­den, son­dern erwächst aus der Sün­de in der Kirche.“

Zugleich erin­ner­te er an die Via Cur­cis beim Kolos­se­um, weni­ge Wochen bevor Joseph Kar­di­nal Ratz­in­ger zum Papst gewählt wur­de, als er vom „Schmutz“ in der Kir­che sprach.

„Heu­te sind es die Schat­ten der Sün­den, des Fehl­ver­hal­tens und der Straf­ta­ten in der Kir­che, die vie­len den Blick auf Sei­ne leuch­ten­de Gegen­wart verdunkeln.“

„Letzte Prüfung“ vor der Wiederkunft des Herrn

„Erscheint Ihnen der Ton über­trie­ben dra­ma­tisch?“, frag­te Kuri­en­erz­bi­schof Gäns­wein das Auditorium.

Dra­ma­tisch sei etwas ganz anderes:

„Dra­ma­tisch sind die Zah­len der Kir­chen­aus­trit­te, und die jüng­sten Zah­len, laut denen in mei­ner Hei­mat Deutsch­land, nur 9,8 Pro­zent der Gläu­bi­gen sich am Sonn­tag im Haus des Herrn ver­sam­meln, um die Eucha­ri­stie zu feiern.“

Es sei wirk­lich eine „Kri­se der letz­ten Tage, in der sich die katho­li­sche Kir­che seit eini­ger Zeit befin­det“, zitier­te der Sekre­tär Bene­dikts XVI. den nie­der­län­di­schen Kar­di­nal Wil­lem Jaco­bus Eijk, Erz­bi­schof von Utrecht, der mit Blick auf die aktu­el­le Kri­se von der „letz­ten Prü­fung“, sprach, „durch die die Kir­che hin­durch muß“, vor der Wie­der­kunft Christi.

Text: Giu­sep­pe Nardi

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3 Kommentare

  1. Gleich­set­zun­gen mit ande­ren zeit­li­chen Ereig­nis­sen sind meist frag­wür­dig und zudem wenig erhel­lend, so auch hier. Man mag „nine/​eleven“ auf die Miß­brauchs­fäl­le bezie­hen, man kann es auch getrost blei­ben las­sen. Mei­ner Auf­fas­sung nach wäre „9/​11“ – so man denn über­haupt mit Gleich­set­zun­gen arbei­ten möch­te – eher auf das II. Vati­ka­num samt sog. „Lit­ur­gie­re­form“ anwend­bar. Dann käme man auch auf den Grund, war­um nur noch 9,8 Pro­zent der Gläu­bi­gen sich am Sonn­tag einen gestal­te­ten Krea­tiv-Event antun…
    Frag­wür­dig scheint mir zudem, die Miß­brauchs­fäl­le („die aktu­el­le Kri­se“) als „letz­te Prü­fung“ zu bezeich­nen, „durch die die Kir­che hin­durch muß“ vor der Wie­der­kunft Christi.
    Die Miß­brauchs­fäl­le mögen durch­aus ihren Anteil am „gro­ßen Abfall“ haben, doch dann spricht die Bibel vom Auf­tritt des Anti­christ und sei­ner Herr­schaft. Haben die Höchst­wür­di­gen Her­ren eine ande­re Bibel­aus­ga­be oder scheu­en Sie das Thema?

  2. Einen herz­li­chen Dank an Erz­bi­schof Gäns­wein für sei­ne auf­rich­ti­gen und kla­ren Wor­te. in sei­ner Con­clu­sio zitiert er den Kar­di­nal Jako­bus Eijck: „Es sei wirk­lich eine „Kri­se der letz­ten Tage, in der sich die katho­li­sche Kir­che seit eini­ger Zeit befin­det“. Die­ser sprach mit Blick auf die aktu­el­le Kri­se von der „letz­ten Prü­fung“, sprach, „durch die die Kir­che hin­durch muß“, vor der Wie­der­kunft Chri­sti. Die­se Beur­tei­lung der heu­ti­gen Situa­ti­on kor­re­liert mit dem von Bene­dikt beschrie­be­nen Kir­chen­bild des Tyco­ni­us, auf das Agam­ben in sei­nem Essay „Das Geheim­nis des Bösen“ ver­weist. Tyco­ni­us unter­schei­det in sei­nem Werk zwi­schen einer nichts­wür­di­gen schwar­zen Kir­che und eine ehr­ba­ren Kir­che, zwi­schen hell und dun­kel, zwi­schen Hei­lig­keit und Sün­de. Bei­des ist im Leib der Kir­che bis zur End­zeit unent­wirr­bar und uner­kenn­bar bis zur End­zeit ver­mischt. Aber in der Escha­to­lo­gie erfolgt die Tren­nung. Gutes und Böses, Hell und Dun­kel wird erkenn­bar. Genau die­se Situa­ti­on wird heu­te erkenn­bar. Das meint offen­sicht­lich Erz­bi­schof Gäns­wein mit sei­nen ‑Wor­ten. Aber er spricht dabei ver­mut­lich als „His masters voice“. So soll­ten wir ihn ver­ste­hen, wenn er Bene­dikt mit den Wor­ten zitiert, daß die gei­sti­ge Kri­se des Westens die schwer­wie­gend­ste seit dem Unter­gang des Römi­schen Rei­ches ist, der sich gegen Ende des 5. Jahr­hun­derts ereig­ne­te. Das Licht des Chri­sten­tums erlischt im gan­zen Westen.“ Aber die­ses ist die Hoff­nung: nach dem Tod kommt die Auferstehung.

  3. Das Schlim­me an den Miss­brauchs­fäl­len ist, dass die Miss­brauchs­op­fer sich wohl nie mehr der katho­li­schen Kir­che zuwen­den wer­den. Auch wenn Jesus Chri­stus oder die 10 Gebo­te nir­gends zu Kin­des­miss­bräu­chen anstiften.
    Mit Wohl­wol­len lese ich, dass immer mehr medi­en­be­kann­te Geist­li­che sich noch in den Mund zu neh­men trau­en, von der Wie­der­kunft Chri­sti zu spre­chen. Womit nicht nur die hei­li­ge Schrift, son­dern auch die Welt enden wird.

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