Eine Hinrichtung hat nichts Menschenwürdiges


Todesstrafe
Todesstrafe: Einige kritische Anfragen.

Die Ent­schei­dung von Papst Fran­zis­kus, die Todes­stra­fe zu äch­ten und aus dem Kate­chis­mus der Katho­li­schen Kir­che zu strei­chen, löste ganz unter­schied­li­che Reak­tio­nen aus. Wäh­rend Rober­to de Mat­tei und Uwe Lay aus unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven die päpst­li­che Ent­schei­dung kri­ti­sier­ten, und eine Grup­pe katho­li­scher Intel­lek­tu­el­ler Papst Fran­zis­kus auf­for­der­te, sei­ne Ent­schei­dung zurück­zu­neh­men, erreich­ten uns zum Essay „Die Huma­ni­sie­rung Got­tes und die Todes­stra­fe“ eini­ge „kri­ti­sche Anfra­gen“ von Gabi Uhl, Vor­sit­zen­de der Initia­ti­ve gegen die Todes­stra­fe. Nach­fol­gend ihre Stellungnahme:

Sehr geehrter Herr Lay,

Anzei­ge

gestat­ten Sie mir zu Ihrem Essay „Die Huma­ni­sie­rung Got­tes und die Todes­stra­fe“ ein paar kri­ti­sche Anfragen:

1.) Sie for­dern zur Schwe­re der Tat kor­re­lie­ren­de Stra­fen, was die Todes­stra­fe erfor­der­lich mache. Bedeu­tet das nicht, wir müss­ten Exe­ku­tio­nen in bestimm­ten Fäl­len in beson­ders schmerz­vol­ler und grau­sa­mer Wei­se voll­zie­hen, damit sie den Straf­ta­ten ent­spre­chen? Es wäre doch kei­ne aus­glei­chen­de Gerech­tig­keit, wenn der Mör­der, der sein Opfer bestia­lisch gequält hat, schmerz­los mit­tels einer töd­li­chen Injek­ti­on ein­ge­schlä­fert wird. Wie kön­nen die Taten eines Seri­en- oder Mas­sen­mör­ders durch nur einen ein­zi­gen Tod des Täters auf­ge­wo­gen wer­den? Und müss­ten wir dann nicht kon­se­quen­ter­wei­se den Ver­ge­wal­ti­ger ver­ge­wal­ti­gen? Und für Kör­per­ver­let­zung dem Täter die­sel­be zufü­gen? Und wenn nicht, wenn dafür ver­schie­den lan­ge Gefäng­nis­stra­fen aus­rei­chend oder ange­mes­se­ner sind, wes­halb ist dann eine lebens­lan­ge Haft­stra­fe für einen Mör­der nicht genug? Und wie ist das über­haupt in den Fäl­len, in denen ein Täter unter einer lebens­lan­gen Haft­stra­fe mehr lei­det als unter sei­ner Hin­rich­tung? Immer wie­der zie­hen Täter die Hin­rich­tung einer lebens­lan­gen Haft­stra­fe vor, ent­schei­den sich qua­si für staat­lich sank­tio­nier­ten Sui­zid – wo bleibt da die aus­glei­chen­de Gerech­tig­keit zur Tat?

2.) Wenn die Sün­den der Men­schen den gewalt­sa­men Tod Jesu erfor­der­ten, um die Mensch­heit dadurch von ihren Sün­den zu befrei­en, Jesus also stell­ver­tre­tend für die Sün­der die gerech­te Stra­fe erlitt – wes­halb muss der schul­dig gewor­de­ne Mensch die Stra­fe noch zusätz­lich erlei­den? War das Opfer Jesu nicht aus­rei­chend für alle Zeit, die Men­schen von der Schuld rein­zu­wa­schen? Ist das nicht gera­de ein Argu­ment GEGEN die Todesstrafe?
Bedeu­tet die aus theo­lo­gi­scher Sicht angeb­lich zwin­gen­de Not­wen­dig­keit der ulti­ma­ti­ven Stra­fe für einen Mör­der nicht, dass ich damit das Opfer Chri­sti, sei­nen Kreu­zes­tod, abwer­te und nicht in letz­ter Kon­se­quenz ernstnehme?

3.) Wes­halb soll ein Mensch nicht mehr ver­ant­wort­lich sein für sei­ne Tat, nur weil er statt der Todes­stra­fe eine lebens­lan­ge Haft­stra­fe und ggf. nach Ver­bü­ßen eines Groß­teils der­sel­ben und Aus­set­zung der Rest­stra­fe auf Bewäh­rung eine neue Chan­ce erhält? Müs­sen sich Schuld und Ver­ant­wor­tung auf der einen und Bes­se­rung eines Täters auf der ande­ren Sei­te ausschließen?
For­dert nicht Jesus selbst im Neu­en Testa­ment dazu auf, dem Mit­men­schen immer wie­der zu ver­ge­ben, also eine neue Chan­ce einzuräumen?

4.) Wie­so wird der Gedan­ke der Gerech­tig­keit völ­lig auf­ge­ge­ben, nur weil man Täter reso­zia­li­sie­ren möch­te? Selbst wenn man eine Gefäng­nis­stra­fe in ihrem letz­ten Ziel als „The­ra­pie“ zur Bes­se­rung des Men­schen ver­steht, ist sie doch kein Spa­zier­gang, son­dern ein stei­ni­ger und unge­müt­li­cher Weg. Kann man Gefäng­nis und The­ra­pie über­haupt ein­fach gleich­set­zen? Und wird in einer rich­ti­gen The­ra­pie nicht ganz maß­geb­lich auch die eige­ne Schuld bear­bei­tet, was für den Betrof­fe­nen sehr schmerz­haft sein und dann durch­aus zu Reue, Beich­te und Ver­ge­bung füh­ren kann?

5.) Und was heißt schon Gerech­tig­keit – ist die Gerech­tig­keit Got­tes nicht ohne­hin eine ganz ande­re? Wes­halb durf­te Kain nach dem Bru­der­mord nicht erschla­gen wer­den? Wes­halb wur­de Mose nicht wegen Tot­schlags hin­ge­rich­tet? War­um wur­de König David nicht sei­ner Ver­ant­wor­tung ent­spre­chend für den Auf­trags­mord an Uri­ja bestraft? War­um sind Hana­ni­as und Saphi­ra nach nur einer Lüge tot umge­fal­len? Und ist es nicht letzt­lich Gott, dem allein es zusteht, end­gül­tig über uns zu urteilen?

6.) Wes­halb muss die Ableh­nung der Todes­stra­fe zwangs­läu­fig damit ein­her­ge­hen, dass es über­haupt kei­ne Stra­fen mehr geben soll? Auch nach Ände­rung des Arti­kels 2267 im Kate­chis­mus bleibt der Wort­laut in Num­mer 2266 doch immer noch derselbe:

„Die gesetz­mä­ßi­ge öffent­li­che Gewalt hat das Recht und die Pflicht, der Schwe­re des Ver­bre­chens ange­mes­se­ne Stra­fen zu ver­hän­gen. Die Stra­fe hat vor allem das Ziel, die durch das Ver­ge­hen her­bei­ge­führ­te Unord­nung wie­der­gut­zu­ma­chen. Wird sie vom Schul­di­gen wil­lig ange­nom­men, gewinnt sie süh­nen­den Wert. Schließ­lich hat die Stra­fe, über die Ver­tei­di­gung der öffent­li­chen Ord­nung und die Sicher­heit der Per­so­nen hin­aus, eine hei­len­de Wir­kung: sie soll mög­lichst dazu bei­tra­gen, daß sich der Schul­di­ge bessert.“

Ist hier nicht immer noch sehr klar von Schuld und Stra­fe die Rede? Wird der Aus­gleich zum Scha­den, den die Gesell­schaft erlit­ten hat, nicht sogar als vor­dring­lich­stes Ziel beschrieben?

7.) Wie­so soll­te der Ver­zicht auf die Todes­stra­fe zwangs­läu­fig bedeu­ten, dass ein Mör­der auto­ma­tisch für straf­un­mün­dig erklärt wird? Und gibt es in Ein­zel­fäl­len (!) nicht sogar tat­säch­lich Täter, die nicht schuld­fä­hig sind? Besit­zen die­se als Psy­cho­pa­then also kei­ne Menschenwürde?

Erlau­ben Sie mir einen per­sön­li­chen Gedan­ken als Abschluss: Ich habe drei­mal einer Hin­rich­tung als Zeu­gin bei­gewohnt und ich kann Ihnen ver­si­chern, dass die gewalt­sa­me Tötung eines wehr­lo­sen Men­schen aber auch gar nichts Men­schen­wür­di­ges an sich hat, son­dern ein­fach nur bar­ba­risch ist – auch mit der ver­meint­lich „huma­nen“ Metho­de der Gift­sprit­ze, die den Gewalt­akt noch beson­ders per­fi­de macht.

Damit macht der Staat es kein biss­chen bes­ser als der Mör­der. Und das soll von Gott abge­seg­net sein? Mei­nem Got­tes­bild jeden­falls ent­spricht das nicht. Ein barm­her­zi­ger Gott muss kein schwa­cher Gott sein – Barm­her­zig­keit und Gerech­tig­keit schlie­ßen sich nicht aus. Ich bin aber über­zeugt davon, dass wir Men­schen von der Gerech­tig­keit Got­tes letzt­lich herz­lich wenig ver­ste­hen, wenn wir vor­ran­gig das Tali­ons­prin­zip zugrun­de­le­gen, Glei­ches mit Glei­chem zu vergelten.

Ich muss aller­dings auch geste­hen, dass die Gerech­tig­keit für mich in mei­ner Ableh­nung der Todes­stra­fe nicht die wesent­li­che Rol­le spielt. Nach über 20 Jah­ren inten­si­ver Aus­ein­an­der­set­zung mit der The­ma­tik auf den ver­schie­den­sten Ebe­nen fas­se ich mei­nen Stand­punkt wie folgt zusammen:

Die Todes­stra­fe bringt kei­ner­lei Nut­zen, der nicht alter­na­tiv durch eine lebens­lan­ge Haft­stra­fe in einem Hoch­si­cher­heits­ge­fäng­nis erreicht wer­den könn­te. Statt­des­sen ver­ur­sacht sie neu­es Leid, weil auch ein Täter Ange­hö­ri­ge und Freun­de hat – ich habe wie­der­holt Men­schen in ihrer Ver­zweif­lung erlebt, die einen gelieb­ten Ange­hö­ri­gen durch eine Hin­rich­tung ver­lo­ren haben. Am Ende sind zwei Fami­li­en zer­stört – und nie­mand hat etwas gewon­nen. Wes­halb es vie­le Opfer­an­ge­hö­ri­ge gibt, die sich gezielt gegen die Todes­stra­fe engagieren.

Mit freund­li­chen Grüßen
Gabi Uhl

Stu­di­en­rä­tin für Katho­li­sche Religion
Vor­sit­zen­de der Initia­ti­ve gegen die Todes­stra­fe e.V.

Bild: Dife­sa del Popo­lo (Screen­shot)

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Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

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