(Rom) Papst Franziskus will erstmals seit dessen Errichtung die Zusammensetzung des C9-Kardinalsrates ändern. Gerüchte dazu gibt es schon länger. In den vergangenen Tagen häuften sie sich jedoch. Bis zu vier der neun Kardinäle könnten demnach ersetzt werden, weil das Gremium angeschlagen ist, und daher auch das Pontifikat angeschlagen ist.
Genau einen Monat nach seiner Wahl nahm Papst Franziskus am 13. April 2013 den ersten Eingriff an der Römischen Kurie vor. Er errichtete ein neues Gremium, das ihn bei der Reform der Römischen Kurie und der Leitung der Weltkirche beraten soll.
Zu Mitgliedern ernannte er für jeden Kontinent einen Kardinal und dazu noch einen Vertreter der Römischen Kurie. Amerika zählte er dabei dreifach, indem er je einen Vertreter für Nord‑, Mittel- und Südamerika berief. In Summe ergab das ein Gremium von acht Kardinälen, denen sich einige Monate später noch der neue, von Papst Franziskus ernannte Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin hinzugesellte. Seit 2014 handelt es sich also um einen neunköpfigen Rat, der seither auch als C9-Kardinalsrat bekannt wurde.
Nulltoleranz oder Gelegenheit?
Zuletzt gerieten gleich mehrere Mitglieder wegen des sexuellen Mißbrauchs in die Kritik, wenn auch in ganz unterschiedlichem Zusammenhang. Allerdings belasten die Vorwürfe die Handlungsfähigkeit des Gremiums, oder werfen zumindest ein unangenehmes Licht auf die Reformen. Eine „Reformpapst“ wie Franziskus muß das stören.
Der Vertreter Ozeaniens, Kardinal George Pell, paßte wegen seines Kirchenverständnisses, das von jenem des regierenden Papstes ziemlich abweicht, von Anfang an nicht so recht in den C9-Rat. Er war lediglich hineingerutscht, weil es 2013 keinen anderen ozeanischen Purpurträger gab, den Franziskus ernennen hätte können. Heute ist das nicht mehr so.
Kaum von Franziskus nach Rom berufen, begann der Papst selbst die Zuständigkeiten von Kardinal Pell auch schon wieder zu beschneiden. 2017 warf der ehemalige Erzbischof von Sydney genervt und enttäuscht das Handtuch und kehrte nach Australien zurück, wo er sich vor Gericht verantworten muß, einen pädophilen Priester nicht rechtzeitig bei Gericht zur Anzeige gebracht zu haben. Das Verfahren gegen den Kardinal wurde am 15. August begonnen.
Ins Kreuzfeuer geriet in den vergangenen Monaten auch der Vertreter Südamerikas, Kardinal Francisco Javier Errazuriz, der emeritierte Erzbischof von Santiago de Chile. Im Gegensatz zu Kardinal Pell gehört Kardinal Errazuriz zum engen Vertrautenkreis von Papst Franziskus. Ihm habe der Papst so blind vertraut, daß er dreieinhalb Jahre an Bischof Juan Barros Madrid von Osorno festhielt, bis dieser nicht mehr zu halten war. Franziskus habe erst Ende Januar 2018 erkannt, daß die Informationen aus dem Kreis Errazuriz nicht so verläßlich waren, wie bis dahin von ihm gedacht. So lautet jedenfalls die Darstellung aus dem päpstlichen Umfeld.
In der zweiten Januar-Hälfte hatte Franziskus Chile besucht und Barros noch massiv verteidigt. So massiv, daß es einem anderen C9-Mitglied, dem Vertreter Nordamerikas, Kardinal Sean Patrick O’Malley, zu bunt wurde. Der Fall Barros wurde dadurch von einem chilenischen Problem zu einem internationalen Image-Problem für Franziskus. Ein kritischer Artikel in der New York Times signalisierte die Wende.
Erst in diesem Moment begann Franziskus nach Auswegen zu suchen und beschritt neue Wege. Im Zuge dieser Neuausrichtung boten alle chilenischen Bischöfe ihren Rücktritt an. So etwas hatte es in der Kirchengeschichte noch nicht gegeben. Franziskus wies die meisten Rücktritt zurück, aber nicht alle. Bischof Barros beispielsweise wurde von ihm inzwischen emeritiert und Kardinal Errazuriz soll aus dem C9-Kardinalsrat entlassen werden. Ihm werfen Opfer des Ex-Priesters Fernando Karadima (Bischof Barros ist ein Zögling Karadimas) vor, Karadima gedeckt zu haben. Neben Bischof Barros emeritierte Franziskus auch alle anderen Karadima-Zöglinge unter Chiles Bischöfen.
Schon seit einiger Zeit gibt es Gerüchte, daß Franziskus den C9-Rat umbauen will. Konkret nannte nun El Diario am 16. August die Entfernung der beiden „Hauptbelastungen“ Pell und Errazuriz. Mit ihrer Ersetzung durch andere Kardinäle wolle Franziskus unter Beweis stellen, daß die von ihm verkündete „Nulltoleranz“ in Sachen sexuellem Mißbrauch tatsächlich gelte. Darüber gab es zumindest einige Zweifel. Zudem erschüttert der Pennsylvania-Bericht die Kirche in den USA. Die US-Bischofskonferenz ersuchte Franziskus sogar um eine Apostolische Visitation. Der Schritt zeigt die Dramatik und den Sturm, der über die Kirche in den USA hinwegfegt.
Das Ersuchen ist aber auch in anderer Hinsicht nicht ohne Brisanz. Es ist bekannt, daß die Mehrheit des US-Episkopats nicht zu den Bergoglianern gehört und Franziskus diese Verhältnisse zu ändern versucht. Er sieht in der Kirche der USA sogar ein Haupthindernis für den von ihm geplanten Weg für die Kirche. In Europa ist der Kulturkampf erlahmt. Die Kirchengegner scheinen auf ganzer Linie gesiegt zu haben. Ganz anders zeigt sich das Bild in den USA. Dort ist der Kulturkampf in vollem Gange und sein Ausgang noch völlig offen. Der Wahlsieg von Donald Trump bestätigte dies zum Leidwesen auch von Papst Franziskus. Diese Vitalität in den USA in gesellschaftspolitischen Fragen wirkt wiederum belebend auf Europa zurück.
Eine Visitation könnte Franziskus unerwartete Möglichkeiten eröffnen, den Umbau des US-Episkopats zu beschleunigen.
Bald neuer Vertreter Afrikas?
Papst Franziskus könnte die Gelegenheit nützen, um auch den afrikanischen Vertreter auszutauschen. Kardinal Laurent Monsengwo Pasinya wird im Oktober 79 Jahre alt und soll als Erzbischof von Kinshasa emeritiert werden. Das Verhältnis der Kirche mit dem Staatspräsidenten der Demokratischen Republik Kongo ist schwer erschüttert. Im Kongo wird von Regierungstruppen auf Katholiken geschossen. Franziskus will durch einen neuen Erzbischof für Beruhigung sorgen.
Doch es geht um mehr: Der afrikanische Episkopat verweigert dem argentinischen Papst weitgehend die Gefolgschaft, wenn er in Moralfragen den Wünschen des westlichen Episkopats nachgibt. Mit dem Programm der kirchlichen 68er kann man in Afrika wenig anfangen. Franziskus ist daher in Afrka auf der Suche nach Verbündeten. Der neue C9-Vertreter Afrikas, den er ernennen könnte, sollte also ein Gegengewicht zu den „Konservativen“ bilden. El Diario nannte Kardinal Peter Turkson als möglichen Kandidaten. Der Purpurträger aus Ghana gilt als eigenwillig aber fügsam. Eigenwillig, weil er in gewissen Abständen verblüffende Eigeninitiative zeigt und dabei Positionen vertritt, die politisch korrekten Kirchenvertretern die Haare zu Berge stehen lassen. Unter Papst Benedikt XVI. warnte er vor einer islamischen Invasion in Europa durch Masseneinwanderung. Vor kurzem sorgte er für einigen Unwillen in Rom, weil er dem Gleichnis vom guten Samariter eine andere Interpretation gab und die europäische „Willkommens-Kultur“ in Sachen Masseneinwanderung kritisierte. Zugleich fügt er sich aber – so jedenfalls der Eindruck in der Öffentlichkeit – kritiklos der Agenda von Kurienbischof Marcelo Sanchez Sorondo, dem politischen Arm des Papstes, in Sachen Annäherung an die UNO.
Selbst der Vertreter Asiens, Kardinal Oswald Gracias, Erzbischof von Bombay, wurde von El Diario als möglicher Austauschkandidat genannt. An seine Stelle, so die spanische Tageszeitung, könnte Kardinal Luis Antonio Tagle, der Erzbischof von Manila, rücken. Tagle, ein Vertreter der progressiven „Schule von Bologna“ wird seit Jahren als möglicher Nachfolger von Franziskus genannt.
Kardinal Maradiaga fest im Sattel: Neuer Substitut ein „enger Freund“
Nach wie vor fest im Sattel sitzt hingegen Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, der Erzbischof von Tegucigalpa und Vertreter Mittelamerikas im C9-Kardinalsrat. Maradiaga, eine enger Vertrauter von Papst Franziskus, ist sogar Koordinator des C9-Rates. Er steht seit Weihnachten 2017 im Rampenlicht, da gegen ihn schwerwiegende Vorwürfe erhoben werden. Dazu gehören Unterschlagung und Korruption. Ihn trifft aber auch der Vorwurf ein homosexuelles Doppelleben seines Weihbischofs Pineda geduldet zu haben. Pineda soll sich im Priesterseminar des Erzbistums sogar Seminaristen in unangemessener Form genähert haben. Jüngst mußte Maradiagas Weihbischof sein Amt aufgeben, um dem Kardinal aus der Schußlinie zu helfen. Ob die Rechnung aufgeht, muß sich erst noch zeigen.
Papst Franziskus steht offenbar noch immer eisern hinter seinem Vertrauten. Dafür spricht auch, daß er einen engen Freund Maradiagas zum neuen Substituten des Kardinalstaatssekretärs ernannte. Msgr. Edgar Peña Parra, so der Vatikanist Edward Pentin auf Twitter, ist ein „sehr enger Freund“ des honduranischen Kardinals und des soeben abgesetzten Weihbischofs Pineda. Laut Pentin wirkte Peña Parra aktiv daran mit, daß Pineda 2005 auf Wunsch Maradiagas zum Weihbischof von Tegucigalpa werden konnte.
Am 17. August zitierte die chilenische Zeitung La Segunda Kardinal Errazuriz, der erklärte, aus Rom keine Mitteilung über seine angebliche Abberufung aus dem C9-Kardinalsrat erhalten zu haben. Errazuriz sagt zudem, er habe bereits die Einladung zur nächsten Sitzungssession des Beratungsgremiums, die vom 10.–12. September in Rom stattfindet, um an der neuen Apostolischen Konstitution der Römischen Kurie weiterzuarbeiten. Sie soll im März 2019 in Kraft treten. Als Arbeitstitel wird derzeit Predicate Evangelium genannt.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Vatican.va