Die Zulässigkeit der Todesstrafe ist eine Wahrheit de fide tenenda, die vom ordentlichen und universalen Lehramt der Kirche auf konstante und unmißverständliche Weise definiert ist. Wer behauptet, daß die Kapitalstrafe an sich schlecht sei, fällt in die Häresie.
Die Lehre der Kirche wurde klar und deutlich im Schreiben vom 18. Dezember 1208 dargelegt (ergänzt 2010), mit dem Innozenz III. die Position der Waldenser mit folgenden, von Denzinger wiedergegebenen Worten verurteilte:
„De potestate saeculari asserimus, quod sine peccato mortali potest iudicium sanguinis exercere, dummodo ad inferendam vindictam non odio, sed iudicio, non incaute, sed consulte procedat» ( Enchiridion symbolorum,definitionum et declaratium de rebus fidei et morum“.
„Was die weltliche Gewalt betrifft, so erklären wir, daß sie ohne Todsünde ein Bluturteil vollstrecken kann, solange sie zum Vollzug der Strafe nicht aufgrund von Haß, sondern aufgrund eines richterlichen Urteils, nicht unvorsichtig, sondern überlegt schreitet“ (hrsg. von Peter Hünermann SJ, Nr. 795).
Dieselbe Position wurde vom Katechismus des Konzils von Trient (Dritter Teil, Nr. 328), vom Großen Katechismus des heiligen Pius X. (Dritter Teil, Nr. 413) und ebenso im neuen Katechismus der Katholischen Kirche (zunächst Nr. 2266, dann Nr. 2267) wiederholt. Papst Franziskus unterzeichnete ein Reskript, das den Katechismus mit folgender neuen Formulierung verändert:
„Deshalb lehrt die Kirche im Licht des Evangeliums, dass ‚die Todesstrafe unzulässig ist, weil sie gegen die Unantastbarkeit und Würde der Person verstößt‘ “.
Laut dem Glaubenspräfekten, Kardinal Luis Ladaria, folge der neue Text den Spuren der Lehre von Johannes Paul II. in der Enzyklika Evangelium vitae, doch der Unterschied ist radikal. Johannes Paul II. ist in Evangelium vitae der Meinung, daß die Kirche unter den gegebenen historischen Umständen für die Abschaffung der Kapitalstrafe sein sollte, bekräftigte aber, daß die Todesstrafe nicht per se ungerecht ist und „das Gebot »du sollst nicht töten« absoluten Wert“ nur dann hat, „wenn es sich auf den unschuldigen Menschen bezieht“ (EV, 56–57). Papst Franziskus urteilt jedoch, daß die Kapitalstrafe per se unzulässig ist, indem er eine vom ordentlichen Lehramt der Kirche unfehlbar definierte Wahrheit offen leugnet.
Um diese Änderung zu rechtfertigen, beruft man sich auf veränderte soziologische Bedingungen. Im Reskript von Papst Franziskus heißt es:
„Lange Zeit wurde der Rückgriff auf die Todesstrafe durch die rechtmäßige Autorität – nach einem ordentlichen Gerichtsverfahren – als eine angemessene Antwort auf die Schwere einiger Verbrechen und als ein annehmbares, wenn auch extremes Mittel zur Wahrung des Gemeinwohls angesehen. Heute gibt es ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass die Würde der Person auch dann nicht verloren geht, wenn jemand schwerste Verbrechen begangen hat. Hinzu kommt, dass sich ein neues Verständnis vom Sinn der Strafsanktionen durch den Staat verbreitet hat. Schließlich wurden wirksamere Haftsysteme entwickelt, welche die pflichtgemäße Verteidigung der Bürger garantieren, zugleich aber dem Täter nicht endgültig die Möglichkeit der Besserung nehmen.“
Das Verständnis von „Menschenwürde“ ändert sich aber ebensowenig je nach Zeit oder historischen Umständen, wie die moralische Bedeutung von Gerechtigkeit und Strafe sich nicht ändert. Pius XII. erklärt, daß der Staat, wenn er auf die Todesstrafe zurückgreift, nicht den Anspruch erhebt, Herr über das menschliche Leben zu sein, sondern lediglich anerkennt, daß der Kriminelle durch eine Art von moralischem Selbstmord sich selbst sein Lebensrecht verwirkt hat. Laut diesem Papst gilt:
„Selbst im Falle der Hinrichtung eines zum Tode Verurteilten hat der Staat nicht das Recht des Einzelnen auf Leben. Dann ist es der öffentlichen Macht vorbehalten, dem Verurteilten das ‚Gute‘ des Lebens zu entziehen, indem er sein Verschulden ablehnt, nachdem er durch sein Verbrechen sein ‚Recht‘ auf das Leben enteignet hat“ (Ansprache vom 14. September 1952, Ansprachen und Radiobotschaften, Bd. XIV, S. 328).
Die Theologen und Moraltheologen vom heiligen Thomas von Aquin bis zum heiligen Alfons von Ligouri haben erklärt, daß sich die Todesstrafe nicht allein mit dem Schutz der Gemeinschaft rechtfertigen läßt, sondern auch einen „vergütenden Charakter“ hat, weil sie eine verletzte Moralordnung wiederherstellt, und einen „sühnenden Charakter“, wie es für den guten Schächer galt, der seine Hinrichtung mit dem höchsten Opfer Unseren Herrn vereinte.
Das neue Reskript von Papst Franziskus bringt jenen theologischen Evolutionismus zum Ausdruck, der vom heiligen Pius X. in Pascendi und von Pius XII. in Humani generis verurteilt wird, und der nichts mit der homogenen Entfaltung des Dogmas zu tun hat, von der Kardinal John Henry Newman spricht. Voraussetzung für die Weiterentwicklung des Dogmas ist, daß die neuen theologischen Behauptungen nicht der bisherigen Lehre der Kirche widersprechen, sondern sich darauf beschränken, sie zu entfalten und zu vertiefen.
Letztlich, wie bei der Verurteilung der Verhütung, geht es hier nicht um theologische Meinungen, über die eine Debatte zulässig ist, sondern um moralische Wahrheiten, die Teil des Depositum fidei sind, und daher verpflichtend zu akzeptieren sind, um katholisch zu bleiben. Wir hoffen daher, daß die Theologen und Hirten der Kirche so schnell als möglich eingreifen, um diesen schwerwiegenden Irrtum von Papst Franziskus zu korrigieren.
*Roberto de Mattei, Historiker, Vater von fünf Kindern, Professor für Neuere Geschichte und Geschichte des Christentums an der Europäischen Universität Rom, Vorsitzender der Stiftung Lepanto, Autor zahlreicher Bücher, zuletzt in deutscher Übersetzung: „Verteidigung der Tradition – Die unüberwindbare Wahrheit Christi“, mit einem Vorwort von Martin Mosebach, Altötting 2017.
Bild: MiL/Enchyridion (Screenshot)