
(Jerusalem) Als „große Sorge“ bezeichnete das Lateinische Patriarchat von Jerusalem das neue israelische Staatsgesetz, mit dem Israel zum jüdischen Nationalstaat erklärt wurde. Das Patriarchat, die höchste kirchliche Autorität der lateinischen Christen des Heiligen Landes, sieht im Gesetz eine Diskriminierung der nicht-jüdischen Bevölkerung, darunter auch der Christen des Landes.
Seit 1986 hatten einheimische, arabische Katholiken des Heiligen Landes das Amt des Patriarchen inne. Von 1986–2008 war der in Nazareth geborene Michel Sabbah Lateinischer Patriarch, von 2008–2016 der in Madaba geborene Fouad Twal. Im Juni 2016 emeritierte Papst Franziskus Patriarch Twal, nachdem dieser das 75. Lebensjahr vollendet hatte. Seit mehr als zwei Jahren ist der Patriarchenstuhl vakant, da Franziskus keinen Nachfolger ernannte.
Die Amtsgeschäfte nimmt seither der italienische Franziskaner Pierbattista Pizzaballa als Apostolischer Administrator wahr. P. Pizzaballa war zuvor Kustos des Heiligen Landes. Für seine Aufgaben als Administrator, was ungewöhnlich ist, machte ihn Franziskus noch im Juni 2016 zum Titularerzbischof von Verbe, eines untergegangenen Bistums im westlichen Kleinasien. Am 10. September 2016 wurde Pizzaballa zum Bischof geweiht. Offensichtlich hatte der Papst bereits damals die Absicht, das Amt des Patriarchen vorerst nicht mehr zu besetzen.
Die Stellungnahme im Wortlaut:
Das vor kurzem erlassene Grundgesetz „Israel, der Nationalstaat des jüdischen Volkes“ ist Anlaß für große Sorge. Das Gesetz wurde anscheinend aus internen politischen Gründen erlassen und definiert Israel als Nationalstaat des jüdischen Volkes, scheitert aber daran, irgendwelche verfassungsmäßige Garantien für die Rechte der autochthonen Bevölkerung und anderer Minderheiten, die im Land leben, vorzusehen. Palästinensische Bürger von Israel, die 20 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind offenkundig vom Gesetz ausgeschlossen.
Es liegt jenseits der Vorstellungskraft, daß ein Gesetz mit Verfassungsrang einen ganzen Teil der Bevölkerung ignoriert, als ob diese Menschen nicht existieren würden. Das Gesetz mag keine praktischen Auswirkungen haben, aber es sendet ein unmißverständliches Signal an die palästinensischen Bürger von Israel, daß sie in diesem Land nicht zu Hause sind. Die arabische Sprache wurde von einer offiziellen Landessprache zu einer Sprache „mit besonderem Status“ abgewertet; man verpflichtet sich, am Ausbau jüdischer Siedlungen im Land zu arbeiten, ohne die Entwicklung des Landes für den Rest der Bevölkerung zu erwähnen.
Dieses Grundgesetz ist eher ausschließend als einschließend, eher kontrovers als übereinstimmend aus beiderseitigem Einverständnis, eher politisierend als verwurzelt in den Grundnormen, die für alle Teile der Bevölkerung gelten und akzeptabel sind.
Dieses diskriminierende Gesetz steht in direktem Widerspruch zur Resolution 181 der Generalversammlung der Vereinten Nationen und zu Israels eigener Unabhängigkeitserklärung. Erstere garantierte die Errichtung eines jüdischen Staates unter gleichzeitiger Sicherstellung voller Bürgerrechte für die Araber in diesem Land. Mit letzterer verpflichteten sich die Gründer des Staates klar und unmißverständlich, seine Entwicklung zum Wohl all seiner Bewohner zu fördern und die vollständige Gleichheit von sozialen und politischen Rechten unabhängig von Religion, Rasse oder Geschlecht für alle sicherzustellen.
Schließlich verstößt und widerspricht dieses Gesetz dem Grundgesetz „Menschenwürde und Freiheit“, erlassen 1995, das den Respekt vor der Würde jeder Person garantiert. Wo es Diskriminierung gibt, gibt es keine Würde.
In anderen Worten: Das Gesetz sagt, daß es keine gleichen Rechte zwischen Juden und Arabern gibt und weigert sich, deren Existenz anzuerkennen.
Es ist nicht genug, individuelle Rechte zu haben und zu garantieren. Jeder Staat mit großen Minderheiten sollte die kollektiven Rechte dieser Minderheiten anerkennen und die Bewahrung ihrer kollektiven Identität garantieren, einschließlich ihrer Religion, ihrer ethnischen und sozialen Traditionen.
Die christlichen Bürger von Israel haben in Bezug auf dieses Recht die gleichen Bedenken wie alle anderen nicht-jüdischen Gemeinschaften. Sie appellieren an alle Bürger des Staates Israel, die noch an das Grundkonzept der Gleichheit unter den Bürgern der gleichen Nation glauben, ihren Widerspruch gegen dieses Gesetz und die Gefahren, die daraus für die Zukunft des Landes hervorgehen, zum Ausdruck zu bringen.
Das Lateinische Patriarchat
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Lateinisches Patriarchat von Jerusalem (Screenshot)