(Rom) Die Teilnahme von Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin beim diesjährigen Bilderberger-Treffen sorgte innerhalb der katholischen Kirche für Aufsehen, Erstaunen und Empörung. Wie wird die Teilnahme begründet?
Seit 1954 findet einmal jährlich die sogenannte Bilderberg-Konferenz statt, benannt nach einem niederländischen Hotel, in dem sich das erste Treffen erfolgte.
Das diesjährige Treffen ging vom 7.–10. Juni in Turin über die Bühne, allerdings wie gewohnt hinter geschlossenem Vorhang. Bereits in den vergangenen Jahren hatte Papst Franziskus mehrere Bilderberger in Audienz empfangen, wie die Teilnehmer des exklusiven Zirkels genannt werden, die sich strikt unter Ausschluß der Öffentlichkeit besprechen.
Die „Geheimtreffen“ so mächtiger Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Medien sorgt jedes Jahre für große Aufmerksamkeit und wirft Fragen auf.
Fragen wirft auch die erstmalige Teilnahme des staatsrechtlich ranghöchsten Kirchenvertreters nach dem Papst auf. Obwohl dem Vatikan bekannt ist, wie umstritten die Bilderberg-Konferenzen sind, lehnte der Kardinalstaatssekretär die Einladung nicht ab. Im Nachhinein wird besonders betont, daß es sich um eine Einladung gehandelt habe. Daran aber bestand kein Zweifel.
Die US-Zeitung National Catholic Register wollte es genau wissen und ließ sich von „einem Vatikansprecher“ erklären, warum ein Kardinalstaatssekretär an einem solchen „Geheimtreffen“ teilnimmt. Um welchen „Sprecher“ es sich dabei handelte, wird namentlich nicht enthüllt. So weit wollte sich offenbar niemand im Vatikan aus dem Fenster lehnen, was die Brisanz der Angelegenheit unterstreicht.
Die Zeitung gab die Begründung der Teilnahme durch den ungenannten „Sprecher“ wie folgt wieder:
„Kardinal Pietro Parolin, Sekretär des Vatikanstaates, hat die Einladung zur Teilnahme an dem umstrittenen und geheimen Bilderberg-Treffen am Beginn dieses Monats angenommen, um die Lehre der Kirche zu einer Gruppe zu bringen, die sie sonst nicht hören würde.“
Die italienischen Organisatoren des diesjährigen Treffens, das am historischen Firmensitz des Automobilkonzerns FIAT stattfand – die Familie Agnelli-Elkann war seit den 50er Jahren an allen Treffen präsent –, hätten mit solchem Nachdruck auf die Teilnahme des Kardinalstaatssekretärs bestanden.
„Der Kardinal hat die Teilnahme entschieden, nachdem die italienischen Organisatoren ihn vor sechs Monaten mit so viel Insistenz eingeladen hatten.“
Und weiter:
„Er überlegte lange, und nachdem er sich mit Personen seines Vertrauens beraten hatte, beschloß er, teilzunehmen.“
Was hinter verschlossenen Türen besprochen wurde, ist nicht bekannt. Die Themen auf der Tagesordnung wurde allerdings im Vorfeld offiziell vom Bilderberger-Sekretariat veröffentlicht (siehe auch Erstmals Kardinalstaatssekretär beim Bilderberger-Treffen – „Riecht es bei den Bilderbergern auch nach Schafen?“). Der „Sprecher des Vatikans“ bestätigte die Themen teilweise, darunter den „Populismus in Europa“ und „die Welt des Post-Faktischen“. Beobachter spekulierten, daß die Eindämmung von Wahlerfolgen „unkontrollierter“, „populistischer“ Kandidaten und Parteien bei Wahlen – wie Donald Trump, Brexit, FPÖ, Fünfsternebewegung, Lega – ein Hauptdiskussionspunkt gewesen sei. Der „Sprecher“ sagte dazu nur, „nicht mehr sagen zu dürfen“.
Der Kardinalstaatssekretär sei jedenfalls nur deshalb anwesend gewesen, um die „Soziallehre der Kirche“ Personen darzulegen, die sie „sonst nicht hören würden“.
Besonders beharrte er deshalb darauf, daß Kardinal Parolin „eingeladen“ wurde und nicht von sich aus teilnehmen wollte. Der Kardinalstaatssekretär sei dabei von folgender Überlegung geleitet worden: Da Papst Franziskus eine „sehr wichtige Stimme“ auf der Weltbühne ist, könnte seine Anwesenheit bei einem solchen Treffen von Bedeutung sein.
Kardinal Parolin, wie der „Sprecher“ bekanntgab, hielt bei dem Treffen eine Rede zur „Soziallehre der Kirche“, auf die eine Diskussionsrunde folgte, bei der die Bilderberger Fragen an ihn richten konnten.
Der Papst sei sich, so der „Sprecher“, auf alle Fälle der Teilnahme seines Kardinalstaatssekretärs bewußt gewesen wie sich auch Parolin „der kontroversen Natur“ des Treffens bewußt gewesen sei. Er sei zur Teilnahme aber „ermutigt“ worden, weil er „viele“ Bilderberger bereits „in anderem Zusammenhang“ kennengelernt hatte.
Die Geheimhaltung des Treffens diene der Förderung eines ungezwungenen Dialogs. In Kontrast dazu steht jedoch, daß jedes Jahr führende Medienvertreter, die Meinungsmacher sind, als Teilnehmer geladen sind. Der „Sprecher“ betonte, daß das Treffen nach der Chatham-House-Regel stattfinde, die auch für andere Veranstaltungen gelte. Davon kann aber keine Rede sein, da nicht nur Identität und Zugehörigkeit geheimgehalten werden, sondern auch die Inhalte.
Der „Sprecher“ fügte hinzu, daß die Ausführungen des Kardinalstaatssekretärs bei den Bilderbergern „sehr gut aufgenommen“ wurden.
Der National Catholic Register wandte sich darauf an die Geschäftsstelle der Bilderberg-Konferenz mit der Frage, warum die Organisatoren so großen Wert auf die Teilnahme des Kardinalstaatssekretär gelegt hätten, und ob die Absicht der Treffen, die Förderung „einer globalistischen Agenda“ sei.
Eine Antwort erhielt die Zeitung nicht.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: InfoVaticana/bilderbergmeetings.org