Ein Gastkommentar von Hubert Hecker.
Das bayrische Kabinett hat kürzlich einstimmig eine Verordnung verabschiedet. Danach soll im Eingangsbereich eines jeden Behördenhauses ein Kreuz aufgehängt werden. Mit diesem Symbol werde die christlich-kulturelle Prägung und Identität des Landes ausgedrückt. Zugleich will Ministerpräsident Söder damit ein „Bekenntnis zu den Grundwerten der Rechts- und Gesellschaftsordnung in Bayern und Deutschland“ einbringen. Später ergänzte Söder: Das Kreuz sei natürlich in erster Linie ein religiöses Zeichen, aber es bündele eben auch die christlichen Werte als Grundlage unseres Gemeinwesens. Eine Gesellschaftsordnung mit Gott ist in der Einleitung der bayrischen Verfassung von 1946 anvisiert.
Die Kreuze in Schulen bleiben
Die einzelnen Formulierungen im Kabinettsbeschluss sind im Zusammenhang mit dem früheren Verfassungsgerichtsurteil zu Kreuzen in Schulen zu sehen. Die Bundesrichter hatten 1995 das Kreuz als religiöses Symbol im Lernraum für schulpflichtige Kinder untersagt. Jedoch hegten sie bei einem Kreuz im Eingangsbereich eines staatlichen Dienstgebäudes keine Bedenken bezüglich der negativen Glaubensfreiheit. Denn ein grundsätzlicher Abwehranspruch gegen religiöse Symbole in der Öffentlichkeit bestehe nicht.
Die damalige bayrische Staatsregierung regelte den Kreuze-Konflikt mit der sogenannten Widerspruchsregelung: Die Kreuze bleiben in Klassenräumen. Wenn aber einzelne Eltern auf einem kreuzfreien Lernraum bestehen, soll die Schulleitung eine „gütliche Einigung“ anstreben, wobei gegenüber dem Einzelwiderspruch auch der Wille der Mehrheit zu berücksichtigen sei. Diese Regelung „im Klima des sozialen Friedens“ sieht der Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken Bayerns als Modell bei möglichen Konflikten durch die neue Verordnung.
Kritik mit Halbwahrheiten und Unterstellungen
Die ersten Kritiker an dem bayrischen Erlass waren linke und grüne Politiker und Medien. Sie stießen sich insbesondere an der Begründung, dass das Kreuz als Symbol für die christlich Prägung und Tradition des Landes stehe. Die Kritik kommt von jenen Leuten, die auch Weihnachtsmärkte und Martinsumzüge als Lichterfeste säkularisieren wollen; die den Sternsingern die Tür zuschlagen und Karfreitag abschaffen wollen. Deren Hass auf christliche Symbole und Traditionen wird gelegentlich mit mutmaßlichen Befindlichkeiten von Muslimen gerechtfertigt, was einer vorauseilenden Unterwerfung unter eine islamische Kultur gleichkommt.
Einige Medien stützten ihre Hohn- und Spottkommentare auf bewusstes Missverstehen der bayrischen Initiative. Söder habe das Kreuz zu einem Folklore-Element degradiert nach Art von Trachtenaccessoires wie Gamsbart und Lederhose, eingereiht unter „bayrischem Brimborium mit Bierzelt, Brezen und Blasmusik“ – so der verächtliche Kommentar im Kölner Stadt-Anzeiger.
Andere unterstellten Söder Machtdemonstration und Dominanzgehabe. Vom Kreuz als „Wahlkampflogo“ war die Rede, sogar „AfD-Agitprop“ und damit „hinterhältig und unchristlich“ (KStA). Der Würzburger Weihbischof Ulrich Boom sah die Gefahr, dass das Kreuz für den Wahlkampf verzweckt sowie für politische Interessen instrumentalisiert werde.
Einige Kirchenvertreter ließen ihren Unterstellungen und Spekulationen zur Kritik an der bayrischen Verordnung freien Lauf. Der Würzburger Hochschulpfarrer Hose bezichtigte Söder der Provokation und Heuchelei, indem er das Kreuz für eine „Politik des nationalistischen Egoismus“ missbrauche. Auch der Limburger Bischof Georg Bätzing stützte sein negatives Urteil ausdrücklich auf eine freischwebende Vermutung, dass der Erlass „eine ausschließende Tendenz“ habe, indem er mutmaßlich „Identität durch Abgrenzung“ erzeugen wolle.
Ehrliche Differenzierung statt Empörungsrituale
Die Stuttgarter Zeitung kommentierte die medialen Empörungsrituale treffend:
„Jetzt wabert es wieder, jenes Hin und Her aus dümmlichen Halbwahrheiten und billigen Unterstellungen, das sich immer dann mit Unkenntnis und Unwillen verknotet, wenn es in Deutschland um die Rolle und die Bedeutung des Kreuzes geht. Den Spagat zwischen kultureller Prägung und religiöser Symbolik kann eine Gesellschaft ohne Empörungsriten aushalten, solange sie willens ist, ehrlich zu differenzieren.“
Eine ehrliche Differenzierung würde unterscheiden zwischen dem schlichten Blank-Kreuz und dem Korpus-Kreuz (Kruzifix). Während das Abbild vom leidenden und erlösenden Christus am Kreuz einen spezifisch kirchlichen Charakter hat, ist das blanke Kreuz eher ein bedeutungsoffenes Zeichen. Im öffentlichen Raum kann es jedenfalls auch für christlich geprägte Kultur und Region stehen – wie etwa schlichte Feldkreuze oder die bayrischen Gipfelkreuze.
Kardinal Marx im Glashaus
Einige süddeutsche Kirchenleute ereiferten sich über einen vermeintlichen Missbrauch, als wenn Söder in den Amtsstuben Kruzifixe aufhängen wollte. Auch Kardinal Marx ließ nur seine spezifisch kirchliche Kruzifix-Deutung gelten, wonach das Kreuz „Zeichen gegen Sünde und Tod, Rettung der Welt und Hoffnung der Sünder“ sei, also ein Hinweis auf Christi Erlösungswerk. Politiker hätten kein Recht, eine andere Bedeutung des Kreuzes aufzuweisen, sonst würden sie „das Kreuz enteignen“.
Im Jahre 2006 hatte sich Marx als Weihbischof von Trier demonstrativ unter ein großes öffentliches Holzkreuz gestellt. Mit dem Hinweis, die Stadt sei 1700 Jahre christlich geprägt, protestierte er damals gegen die Nicht-Aufhängung von Kreuzen in Gerichtssälen nach einer Renovierung. Noch vor drei Jahren plädierte der Münchener Erzbischof öffentlich dafür, dass die schlichten Holzkreuze in staatlichen Schulen und Gerichtssälen verbleiben sollten. Kann denn ein Kreuz im Gericht etwas anderes bedeuten als ein Zeichen für die „christlich geprägte Rechts- und Gesellschaftsordnung“ unseres Landes, also genau jene Interpretation von Ministerpräsident Söder?
Nach einem SWR-Kommentar sitzt „Kardinal Marx im Glashaus“ mit seiner überheblichen Rechthaberei. Die Bischöfe berufen sich auf die christlich geprägte Rechtsordnung, wenn sie die Staatsmacht zum Schutz der Sonntags- und Feiertagsruhe aufrufen. Wenn aber die bayrische Staatsregierung Kreuze als Zeichen für eben diese christliche Prägung aufhängen will, dann schreien sie Missbrauch und Verrat.
Gegenüber allen Vorwürfen von Bischöfen sowie grünen und linken Politikern, Kreuze in Behördeneingängen würden „Millionen Menschen ausgrenzen – Muslime, Atheisten und Juden“ (Claudia Roth), setzte ein Kommentar der Tageszeitung Die Welt eine klare Gegenposition:
„Jeder Muslim, jeder Atheist und jeder Andersgläubige kann sich unter diesem Kreuz sicher fühlen. Es steht nicht für einen Herrschaftsanspruch, sondern für eine Selbstverpflichtung, jeden Menschen unabhängig von seiner Herkunft, seinem Glauben, seinem Können oder seinem Geschlecht gleich und anständig zu behandeln. ‚Mein Königreich ist nicht von dieser Welt’ ist die Antwort Jesu auf die Frage nach seinem Herrschaftsanspruch im Hier und Heute. Es ist die Absage an den Gottesstaat und damit übrigens ein Vorbild für alle Religionen, die das möglicherweise anders sehen.“
In diesem Sinne sind die schlichten Blankkreuze im Behördeneingang ein inklusives Symbol.
Text: Hubert Hecker
Bild: Facebook/Wikicommons/SWR (Screenshots)