von Pater Matthias Gaudron FSSPX
Der Text wurde zunächst als Leserbrief für die Deutsche Tagespost eingereicht, aber dort leider nicht veröffentlicht.
In der Deutschen Tagespost vom 29.3.2018 hat Michael Karger an die Erstveröffentlichung von Joseph Ratzingers „Einführung in das Christentum“ erinnert. Zweifellos enthält dieses Buch interessante Denkanstöße und ist der Versuch zu würdigen, den katholischen Glauben einer Zeit neu verständlich zu machen, die daran war, die Glaubenswahrheiten als drückenden Ballast abzuwerfen. Trotzdem muss festgestellt werden, dass dem jungen Ratzinger dieser Versuch nur teilweise gelungen ist und es in diesem Buch Aussagen gibt, denen man widersprechen muss. Von daher ist es unverständlich, dass Ratzinger dieses Buch auch als Glaubenspräfekt und Papst immer wieder unverändert auflegen ließ. Ich greife vier Punkte heraus:
1. Die Übernatürlichkeit des Glaubens kommt in diesem Werk wenig zum Ausdruck. Glaube und Unglaube werden vielmehr in einer Weise auf eine Stufe gestellt, die der katholischen Lehre nicht entspricht. Der Glaubende und der Ungläubige hätten beide „am Zweifel und am Glauben Anteil“. Keiner könne „dem Zweifel ganz, keiner dem Glauben ganz entrinnen“ (dtv-Ausgabe, S. 19). Richtig ist, dass der Gläubige Versuchungen gegen den Glauben und Stunden des Zweifels kennen kann. Aber seine Situation ist trotzdem ganz anders als die des Ungläubigen. So ist zunächst die Existenz Gottes schon für die natürliche Vernunft grundsätzlich sicher erkennbar, wie der hl. Paulus in Röm 1 lehrt und das Vatikanum I es zum Dogma erklärt hat. Der katholische Glaube an die göttliche Offenbarung ist sodann etwas von Gott selbst im Menschen Bewirktes und verleiht dem Glaubenden eine übernatürliche Sicherheit. Es ist das sog. Glaubenslicht, das lumen fidei, das dem Gläubigen durch alle eventuell auftretenden Zweifel hindurch immer eine letzte Sicherheit gewährt, dass der Glaube wahr ist und man an ihm festhalten muss. Darum kann es für den Gläubigen niemals einen wahren Grund geben, den Glauben aufzugeben, wie wieder das I. Vatikanum lehrte. Von all dem findet sich bei Ratzinger kein Wort.
2. Äußerst fragwürdig ist sodann der Versuch, die Gottheit Christi zu erklären. Für Joseph Ratzinger ist Jesus „der Mensch der Zukunft“, der Mensch, der am wenigsten in sich verschlossen und „am meisten ent-schränkt“ ist und dadurch eins mit dem Unendlichen wird. Es heißt sogar: „Wenn Jesus der exemplarische Mensch ist, in dem die wahre Gestalt des Menschen, die Idee Gottes mit ihm, vollends ins Licht tritt, dann kann er nicht dazu bestimmt sein, nur eine absolute Ausnahme zu sein, eine Kuriosität“ (S. 169). Es gehört zu den modernistischen Methoden, die traditionelle Lehre zu karikieren, um diese Karikatur dann abzulehnen. Natürlich ist Jesus keine Kuriosität, aber er ist doch eine absolute Ausnahme, denn es gibt keinen zweiten Menschen, der beanspruchen kann, wahrer Gott und wahrer Mensch zu sein. Darum ist die folgende, unter Berufung auf Teilhard de Chardin gemachte Aussage unhaltbar: „Der Glaube sieht in Jesus den Menschen, in dem – vom biologischen Schema her gesprochen – gleichsam der nächste Evolutionssprung getan ist; den Menschen, in dem der Durchbruch aus der beschränkten Art unseres Menschseins, aus seiner monadischen Verschließung, geschehen ist“ (S. 194).
3. Der Abstieg Christi in die Unterwelt wird gründlich entmythologisiert. Vom Katechismus der katholischen Kirche wird dieser Glaubensartikel folgendermaßen erklärt: „Der tote Christus ist in seiner Seele, die mit seiner göttlichen Person vereint blieb, zum Aufenthaltsort der Toten herabgestiegen. Er hat den Gerechten, die vor ihm gelebt hatten, die Pforten des Himmels geöffnet“ (Nr. 637). Davon bleibt bei Joseph Ratzinger nichts mehr übrig. Für ihn bedeutet der Satz vielmehr, dass „Christus das Tor unserer letzten Einsamkeit durchschritten hat, dass er in seiner Passion eingetreten ist in diesen Abgrund unseres Verlassenseins. … Damit ist die Hölle überwunden, oder genauer: der Tod, der vordem die Hölle war, ist es nicht mehr“ (S. 220).
4. Die „Auferstehung des Fleisches“ schließlich ist jedenfalls „keine Auferstehung der Körper“. Es scheint nur irgendeinen „letzten Zusammenhang zwischen Materie und Geist“ zu geben, „in dem sich das Geschick des Menschen und der Welt vollendet“ (S. 266). Einen Auferstehungsleib, wie die Kirche ihn immer gelehrt hat, scheint es also nicht zu geben.
Diese wenigen Beispiele zeigen, dass die „Einführung in das Christentum“ kein Werk ist, das man jemandem, der den katholischen Glauben kennenlernen will, vorbehaltlos empfehlen kann.
Text: Matthias Gaudron
Bild: ZVAB (Screenshot)