Marcello Pera: „Franziskus verwechselt Befreiung mit Erlösung“


Marcello Pera
Marcello Pera: Papst Franziskus betreibt vor allem Politik und wirft die Kirche aus der Bahn. Wer eine Kontinuität zwischen Benedikt XVI. und Franziskus behauptet, beleidigt beide Päpste.

(Rom) Der Wis­sen­schafts­theo­re­ti­ker und ehe­ma­li­ge ita­lie­ni­sche Senats­prä­si­dent, Mar­cel­lo Pera, erneu­er­te sei­ne schar­fe Kri­tik an der Amts­füh­rung und den Zie­len von Papst Fran­zis­kus. Bereits im Juli 2017 warf Pera, ein Freund Bene­dikts XVI., dem amtie­ren­den Kir­chen­ober­haupt wegen des­sen Ein­wan­de­rungs­po­li­tik vor, Euro­pa „zer­stö­ren“ zu wollen.

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„Berg­o­glio betreibt Poli­tik und wirft die Kir­che aus ihrer Bahn. Die Kir­che von Fran­zis­kus ist zugun­sten des Säku­la­ris­mus aus dem Gleich­ge­wicht. Er denkt wie die Befreiungstheologen.“

So lau­tet die Kri­tik, die der Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor gestern in einem Inter­view mit der ita­lie­ni­schen Tages­zei­tung La Veri­tà äußerte.

„Auf die Dubia der Kar­di­nä­le hat Berg­o­glio aus Man­gel an guten Grün­den und aus Arro­ganz nicht geantwortet.“

Der Wis­sen­schafts­theo­re­ti­ker war bis zu sei­ner Eme­ri­tie­rung ordent­li­cher Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Pisa, dann lehr­te er bis 2014 als Ver­trags­pro­fes­sor an der Late­ran­uni­ver­si­tät, und tut dies heu­te noch für die nach Bene­dikt XVI. benann­ten phi­lo­so­phisch-theo­lo­gi­schen Kur­se in Rom. Von 1996–2013 war er Sena­tor der Ita­lie­ni­schen Repu­blik für die rechts­li­be­ra­le Par­tei For­za Ita­lia, davon von 2001–2006 Senatspräsident.

Mar­cel­lo Pera nimmt am Sams­tag in Rom an der Tagung „Katho­li­sche Kir­che quo vadis?“ teil.

Franziskus versteht christliche Botschaft als Befreiung statt als Erlösung

La Veri­tà: Der Unter­ti­tel der Tagung am Sams­tag ist ein Satz des ver­stor­be­nen Kar­di­nals Car­lo Caf­farra: „Nur ein Blin­der kann leug­nen, daß in der Kir­che die größ­te Ver­wir­rung herrscht“. Jemand könn­te sagen, daß das Sät­ze eines Unglücks­pro­phe­ten sind.

Marcello Pera mit Benedikt XVI.
Mar­cel­lo Pera mit Bene­dikt XVI.

Mar­cel­lo Pera: Nein, das ist der Satz eines Sehen­den. Kar­di­nal Caf­farra wuß­te genau, daß man kei­ne Pro­phe­ti­en über die Kir­che Chri­sti macht, weil Chri­stus selbst die Pro­phe­tie ist, und der Glau­be an Chri­stus die Pro­phe­tie ver­wirk­licht. Mit die­sen Wor­ten woll­te Caf­farra sagen, daß heu­te der Glau­be wankt, weil er Inter­pre­ta­tio­nen unter­wor­fen wird, in denen er einen Wider­spruch zum Depo­si­tum fidei der Tra­di­ti­on erkann­te. Mit ande­ren Wor­ten: Caf­farra war besorgt, daß die christ­li­che Bot­schaft nicht mehr im escha­to­lo­gi­schen Sinn der Erlö­sung, son­dern im poli­ti­schen Sinn der Befrei­ung ver­stan­den wird. Mei­nes Erach­tens hat­te er damit recht: Papst Fran­zis­kus macht genau das, ver­steckt als Kampf gegen ‚die Kurie‘.“

Reform der Kurie meint Reform der Glaubenslehre

La Veri­tà: Papst Fran­zis­kus wur­de aber gewählt, um eine Kuri­en­re­form durch­zu­füh­ren, die aller­dings nur mit Mühe vor­wärts kommt.

Mar­cel­lo Pera: Für mich gilt der Satz: Curia num­quam refor­man­da. Die Macht ist immer Macht, und eine Reform ist nur eine Neu­ver­tei­lung und Ver­schie­bung der Macht von einer Sei­te zur ande­ren. Wes­halb sonst erfin­det man neue Ämter, legt ande­re zusam­men, wer­den eini­ge gestärkt, wäh­rend ande­re besei­tigt wer­den? Nur wegen der Macht. Die Kuri­en­re­form ist ein Schein­ziel. Sie dient in Wirk­lich­keit dazu, schmerz­los eine Reform der Glau­bens­leh­re durch­zu­füh­ren. Es gibt Sün­den an der Kurie, und sie sind ein Ärger­nis. Wer­den sie aber des­halb ver­schwin­den, weil man eine Ver­wal­tungs­re­form durch­führt? Weil man Hinz auf den Platz von Kunz setzt? Nein, Hinz auf dem Platz von Kunz bedeu­tet die­se Inter­pre­ta­ti­on der Glau­bens­leh­re statt jener.

Kirche von Franziskus ist aus dem Gleichgewicht

La Veri­tà: Auf poli­ti­scher Ebe­ne scheint die Kir­che in unsi­che­ren Gewäs­sern zu segeln, vor allem seit dem Wahl­sieg von Donald Trump. Was den­ken Sie über die Aus­sa­ge, daß die Kir­che ein­sei­tig nach links aus dem Gleich­ge­wicht ist?

Mar­cel­lo Pera: Ich den­ke, daß die Kir­che von Fran­zis­kus nicht ein­sei­tig nach rechts oder nach links aus dem Gleich­ge­wicht ist, son­dern gene­rell aus dem Gleich­ge­wicht ist und Punkt. Sie ist zugun­sten des Säku­la­ris­mus aus dem Gleich­ge­wicht, zugun­sten der sozia­len Gerech­tig­keit, der Men­schen­rech­te, der Armen, der Ein­wan­de­rer, der wirt­schaft­li­chen Gleich­heit. Die Kir­che von Fran­zis­kus hat das Jahr­hun­dert geschul­tert und denkt, indem sie es her­um­trägt und sich zu eigen macht, wird sich das Reich Chri­sti auf Erden ver­wirk­li­chen. Das ist mei­nes Erach­tens der haupt­säch­li­che Bruch mit der Glau­bens­leh­re und der Tra­di­ti­on. Ich habe in der Sache kei­ne fach­li­che Kom­pe­tenz und drücke mich wahr­schein­lich for­mal nicht kor­rekt aus, aber ich den­ke, daß das eine pela­gia­ni­sche Häre­sie ist. Papst Fran­zis­kus ist nicht der ein­zi­ge, der so denkt. Neben den süd­ame­ri­ka­ni­schen Jesui­ten, den Theo­lo­gen der Befrei­ung und der sozia­len Eman­zi­pa­ti­on, den Bischö­fen und Prie­stern „der Stra­ße“ dach­te auch Johan­nes XXIII. so und dach­te so in gro­ßen Tei­len das Zwei­te Vati­ca­num mit sei­nem Gau­di­um et spes.

Es steht weit mehr auf dem Spiel: Es geht um die Wahrheit

La Veritá: Papst Berg­o­glio strebt eine pasto­ra­le Umkehr an mit dem Ziel, mit allen in Dia­log zu tre­ten und sich allen zu nähern. Die­se Umkehr scheint aber ange­strebt, indem man sich von den nicht ver­han­del­ba­ren Grund­sät­zen befreit, die die Ära Woj­ty­la-Ratz­in­ger präg­ten. Weil sie zu „kul­tur­kämp­fe­risch“ sind?

Mar­cel­lo Pera: Bei die­ser Geschich­te der nicht ver­han­del­ba­ren Rech­te steht weit mehr auf dem Spiel. Es geht um die Wahr­heit. Ist Chri­stus „die“ Wahr­heit und der Weg und das Leben und der Erlö­ser? Wenn er es ist, dann ist das Wort Chri­sti nicht ver­han­del­bar. Ist Chri­stus nur „eine“ Wahr­heit? Dann ist das Wort Chri­sti mit ande­ren zu ver­glei­chen und muß nicht das Beste sein. Des­halb haben sich Bene­dikt XVI. und vor ihm schon Johan­nes Paul II. so mas­siv gegen den Rela­ti­vis­mus gestellt. Wenn der säku­la­ri­sti­sche Rela­ti­vis­mus rich­tig ist, ist alles ver­han­del­bar. Wenn aber das Wort Chri­sti die Wahr­heit ist, dann sind eini­ge Din­ge, um die es heu­te geht, nicht ver­han­del­bar. Die Schei­dung, die Abtrei­bung, die Eutha­na­sie, die Homo-Ehe usw. sind Kon­se­quen­zen. Wenn das Wort Chri­sti mit ande­ren zu ver­glei­chen ist, kön­nen das gute und rich­ti­ge Din­ge sein. Viel­leicht unter gewis­sen Bedin­gun­gen, viel­leicht mit einer Unter­schei­dung, viel­leicht je nach Absich­ten, aber gut und rich­tig, denn etwas an sich Schlech­tes gibt es laut Rela­ti­vis­mus nicht.

Papst wollte ein Diktat erlassen, nicht diskutieren

La Veri­tà: Vier Kar­di­nä­le, dar­un­ter Caf­farra, haben dem Papst die berühm­ten Dubia zu Amo­ris lae­ti­tia vor­ge­legt. Sie haben Fran­zis­kus gefragt, ob es in der katho­li­schen Moral noch in sich schlech­te Hand­lun­gen gibt, oder ob alles gemäß den Umstän­den zu gewich­ten sei. Haben Sie sich gefragt, war­um der Papst den Kar­di­nä­len weder geant­wor­tet noch sie in Audi­enz emp­fan­gen hat?

Mar­cel­lo Pera: Strikt auf die Per­son bezo­gen fürch­te ich, daß der Papst aus Arro­ganz und Man­gel an Barm­her­zig­keit nicht geant­wor­tet hat. Auf die Dok­trin bezo­gen hat er aus Man­gel an guten Grün­den nicht geant­wor­tet. Er woll­te ein Dik­tat erlas­sen, nicht dis­ku­tie­ren. Dafür ist er wahr­schein­lich nicht ein­mal gerü­stet, trotz elf theo­lo­gi­schen Büch­leins zu sei­nen Gunsten.

Es gibt keine Kontinuität zwischen Benedikt XVI. und Franziskus

La Veri­tà: Elf klei­ne Bücher, die zum Rück­tritt des Prä­fek­ten der vati­ka­ni­schen Kom­mu­ni­ka­ti­on, Msgr. Dario Edo­ar­do Viganò, geführt haben, der mit der Ver­brei­tung eines Brie­fes des eme­ri­tier­ten Pap­stes ein Schla­mas­sel pro­vo­zier­te. In die­sem Brief sprach Ratz­in­ger von einer „inne­ren Kon­ti­nui­tät“ zwi­schen ihm und Fran­zis­kus, stig­ma­ti­sier­te aber zugleich, daß zur Dar­le­gung der Theo­lo­gie von Fran­zis­kus ein deut­scher Pro­fes­sor geru­fen wur­de, der bis gestern das Lehr­amt von Johan­nes Paul II. und Bene­dikt XVI. attackiert hat. Gibt es Ihrer Ansicht nach eine Kon­ti­nui­tät zwi­schen Bene­dikt und Fran­zis­kus oder gibt es sie nicht?

Mar­cel­lo Pera: Zur Sache Viganò ist erst noch Klar­heit zu schaf­fen. Mir scheint es unmög­lich, daß er sich nicht zuvor auf direk­tem Weg an Bene­dikt XVI. oder sei­ne Mit­ar­bei­ter gewandt hat. Soll­te er den geän­der­ten Brief uner­war­tet vor­ge­legt haben, wäre die Sache noch schwer­wie­gen­der. Und wenn Papst Fran­zis­kus schon vor­her von die­sem geän­der­ten Brief wuß­te und es gut­ge­hei­ßen hat, dann wäre das unfaß­bar. In jedem Fall ist es unnö­tig, die Jesui­ten zu spie­len, um mit Wor­ten die Wirk­lich­keit zu ver­stecken: Die Kon­ti­nui­tät gibt es nicht. Wer eine sol­che behaup­tet, belei­digt bei­de Päpste.

Einleitung/​Übersetzung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: MiL

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4 Kommentare

  1. In reli­giö­ser Hin­sicht war auch Woj­ty­la ein schlim­mer Rela­ti­vie­rer. Dar­an ändert auch sei­ne Treue zur christ­li­chen Moral nichts.

    • Ja, unter ande­rem. Noch schlim­mer sind sei­ne Leh­ren. Für wirk­lich Inter­es­sier­te, wären die Ana­ly­sen von Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor Dr. Doer­mann sehr hilf­reich. Das Buch: Johan­nes Paul II. /​ Sein theo­lo­gi­scher Weg zum Welt­ge­bets­tag der Reli­gio­nen in Assi­si. ( Für die­se Ver­an­stal­tung wäre er vor 200 Jah­ren, Papst hin Papst her, bei der Inqui­si­ti­on gelan­det.) Das Buch ist im Sar­to Ver­lag erschienen.

    • „… ein schlim­mer Rela­ti­vie­rer“? – Das kommt ja bei­na­he schon einer Ver­ur­tei­lung gleich. Der hl. Johan­nes Paul war doch in erster Linie ein mysti­scher und trotz­dem ein sehr volks­na­her Papst. Aber ver­mut­lich haben Sie die inter­re­li­giö­sen Tref­fen und den auch für mich nicht nach­voll­zieh­ba­ren Korankuss im Blick, wenn Sie Rela­ti­vis­mus bei ihm fest­zu­stel­len ver­mei­nen. Ich den­ke, er woll­te bei Men­schen ande­ren Glau­bens um Ver­trau­en wer­ben, um sie evtl. fürs Chri­sten­tum zu inter­es­sie­ren. – also in mis­sio­na­ri­scher Absicht. Chri­stus stan­den aber stets im Mit­tel­punkt sei­ner Ver­kün­di­gung. Und sei­ne fast kind­li­che Ver­eh­rung der Got­tes­mut­ter Maria. – Also um Got­tes­wil­len nicht übers Ziel hinausschießen!

  2. Pro­fes­sor Per­as unver­klau­su­liert und vehe­ment vor­ge­tra­ge­ne Kri­tik ist in ihrer Ein­deu­tig­keit und Klar­heit sehr efri­schend, über­haupt da die weni­gen amts­kirch­li­chen Kri­ti­ker Berg­o­gli­os sich in der Öffent­lich­keit nie­mals zu sel­bi­ger auf­raf­fen können.

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