
(Buenos Aires) Mehr als 100.000 Menschen demonstrierten vergangene Woche in Buenos Aires gegen Abtreibung und für das Lebensrecht der ungeborenen Kinder. Eine katholische Ordensfrau enthüllte jedoch, daß Papst Franziskus eine „eigene“ Meinung zur Sache habe, die in offenem Widerspruch zur Enzyklika Humanae vitae seines Vorgängers Paul VI. steht.
1998 führte Argentinien unter dem damaligen Staats- und Regierungschef, dem maronitischen Christen Carlos Saul Menem, als erstes lateinamerikanisches Land einen Tag des ungeborenen Kindes ein.
Argentinische Abtreibungsdebatte
Anfang März wurde im argentinischen Parlament von 71 Abgeordneten verschiedener Parteien ein Gesetzentwurf zur Einführung der Fristenlösung eingebracht. In den ersten 14 Schwangerschaftswochen soll die Tötung des ungeborenen Kindes im Mutterleib erlaubt werden, wenn die Frau das will. Der Artikel 1 des Gesetzentwurfes lautet:
„Bei der Ausübung des Menschenrechts auf Gesundheit hat jede Frau das Recht, frei zu entscheiden, ihre Schwangerschaft in den ersten 14 Schwangerschaftswochen abzubrechen.“
Artikel 3 sieht vor, daß in den drei Fällen, in denen bereits bisher in Argentinien die Tötung des ungeborenen Kindes erlaubt ist, unbefristet über die 14 Wochen hinaus die Tötung erlaubt sein soll.
Bei den drei Fällen handelt es sich um Schwangerschaften durch Vergewaltigung, schwere Mißbildungen des Fötus und Lebensgefahr oder schwere physische und psychische Schäden für die Frau.
In Argentinien bestätigt sich, was bisher in allen Ländern beobachtet werden konnte. Die Abtreibungslobby verwendet die drei genannten Fälle lediglich als Türöffner zur völligen Freigabe der Kindstötung.
Hinter dem Gesetzentwurf steht die Campaña por el Aborto, Legal, Seguro y Gratuito (Kampagne für die legale, sichere und kostenlose Abtreibung), die von feministischen Gruppen vorangetrieben und der internationalen Abtreibungslobby unterstützt wird. Hauptinitiator ist der radikalfeministische und gewalttätige Encuentro Nacional de Mujeres (Nationales Frauentreffen), das jährlich wechselnd in einer argentinischen Bischofsstadt durchgeführt. Die Betonung auf Bischofsstadt ist deshalb notwendig, weil die Veranstaltung radikal kirchenfeindlich ist und jedes Jahr zum Angriff gegen die örtliche Kathedrale führt.
Das „Recht“ unschuldige Kinder zu töten
Die lebensfeindlichen Feministinnen fordern die Legalisierung der Kindstötung im Namen der Menschenrechte. Nur wenn die Tötung ungeborener Kinder erlaubt sei, seien die Menschenrechte „in ihrer Integrität“ garantiert, heißt es auf der Internetseite der Campaña por el Aborto.
Zugleich fordert die linksradikale Initiatorenrunde flächendeckende „Sexualerziehung, um entscheiden zu können, Verhütungsmittel, um nicht abtreiben zu müssen, legale Abtreibung, um nicht zu sterben“. Die Legalisierung der Abtreibung betrachten sie als Bringschuld der Demokratie.
Seit 2003 versuchen die Initiatoren mit Hilfe von Parlamentsabgeordneten in Argentinien die Tötung ungeborener Kinder einzuführen. Dazu behaupten sie, ganz nach dem Drehbuch der internationalen Abtreibungsbewegung, irrwitzige Zahlen angeblicher illegaler Abtreibungen, bei denen Frauen sterben würden, weshalb „illegale Abtreibung tötet“ und daher legalisiert werden müsse, wolle ein Staat nicht „frauenfeindlich“ sein. Nach demselben Muster wurde seit den frühen 70er Jahren jede Kampagne zur Abtreibungslegalisierung aufgezogen. In Argentinien behauptet die Abtreibungslobby, daß jährlich 500.000 Frauen illegale Abtreibungen durchführen lassen und dabei 3.000 Frauen sterben würden. Die Zahlen sind frei erfunden wie bei allen vergleichbaren Kampagnen auch in anderen Ländern. Und wie in allen anderen Ländern kann die Abtreibungslobby auch in Argentinien keine Belege für ihre Behauptungen vorlegen. Das spielt für jene politischen Kreise und Medien allerdings keine Rolle, die für die Abtreibung sind. Sie verbreiten das willkürlich konstruierte Zahlenwerk aus ideologischer Überzeugung.
Lebensrechtsbewegung mobilisiert
Gegen die Lebensfeinde mobilisierte die Lebensrechtsbewegung und brachte vergangene Woche mehr als 100.000 Menschen auf die Straße. Sie erhoben für die ungeborenen Kinder ihre Stimme und demonstrierten gegen den Gesetzentwurf, da es die Grundfesten eines Rechtsstaates vernichte, wenn der Staat die Tötung unschuldiger Menschen erlaubt.
Die Lebensrechtsbewegung verzichtete dabei auf jede Unterstützung durch politische Parteien, um damit eine Antwort an Staatspräsident Mauricio Macri zu geben, der die Abtreibungsdebatte im Parlament eröffnet hatte. Zuvor hatte man sich von ihm erwartet, eine solche zu verhindern. Das Motto der Kundgebung war: „Das Leben schützen von der Zeugung bis zum natürlichen Tod.
„Ich erinnere mich, wie Papst Franziskus mir drei Worte sagte“

Im Rahmen der aktuellen Abtreibungsdebatte sendete das argentinische Radio FM La Patriada gestern ein Interview mit Sr. Martha Pelloni. Die Ordensfrau gehört der Kongregation der Theresianischen Karmeliten-Missionarinnen (CMT) n Argentinien an. Der Missionsorden wurde 1861 auf Menorca gegründet, ist päpstlich anerkannt und vor allem in den romanischen Staaten verbreitet.
Sr. Pelloni ist vor allem als Sozialaktivistin bekannt. Zur Abtreibungsdebatte sagte sie:
FM la Patriada: Im Kongreß wird über die Legalisierung der Abtreibung debattiert? Was sagen Sie dazu?
Sr. Pelloni: Nein, ich verteidige in dieser Sache zwei Leben, das der Mutter und das des Kindes. Ich verteidige immer das Leben. Es ist aber wichtig, und deshalb gefällt mir diese Debatte, über das Thema der Frauen zu debattieren, um alle Aufmerksamkeit, die wir haben, der Frau zukommen zu lassen, damit es nicht zu einer Abtreibung kommt. Eine integre Frau, die vor allem informiert ist über alle Methoden, um einer Zeugung vorzubeugen, braucht nicht abzutreiben. Und dazu gehört eine verantwortete Elternschaft, auch wie viele Kinder ich haben will. Es braucht eine Qualifikation: dann eine verantwortete Zeugung mit so vielen Methoden, die wir heute dank der Wissenschaft haben. Ich erinnere mich, wie Papst Franziskus mir im Gespräch über dieses Thema drei Worte sagte: Kondom, vorübergehend und reversibel. Ein Diaphragma ist im Notfall, was wir den Landfrauen raten, denen wir dienen. Ich habe eine Stiftung für Landfrauen zur Tubenligation. Das ist kein chirurgischer Eingriff, sondern eine Unterbindung. Nichts, was abtreibend oder destruktiv in der Frau wirkt.“
Keine Gegendarstellung des Vatikans
Zur Information: Ein Diaphragma ist ein Scheidenpessar, ein mechanisches Mittel zur Empfängnisverhütung, das den Muttermund verschließt, und damit das Eindringen der Spermien in die Gebärmutter verhindert.
Die Tubenligation bedeutet eine Eileiterunterbindung bei der Frau und führt zu dauerhafter Unfruchtbarkeit. Die Frau kann nach einem solchen Eingriff nicht mehr schwanger werden. Sie ist steril.
Sr. Pelloni widersprach sich in den letzten zwei Sätzen. Sie beruft sich auf Papst Franziskus, der sich ihr gegenüber für die Anwendung künstlicher Verhütungsmittel ausgesprochen habe, allerdings solcher, die nur „vorübergehend und reversibel“ die Zeugung unterbinden. Die Ordensfrau fördert mit der Tubenligation jedoch eine irreversible Sterilisation der Frauen. Sie behauptet zwar, „alle Aufmerksamkeit“ der Frau zukommen lassen zu wollen, fördert aber zugleich eine Eingriff, der eine permanente Verstümmlung der Frauen bedeutet.
Beide Positionen, sowohl jene, die Pelloni für Papst Franziskus wiedergibt, als auch ihre eigene, sind mit der kirchlichen Lehre nicht vereinbar, wie sie von in besonders eindrücklicher Weise von Papst Paul VI. in der Enzyklika Humanae vitae bekräftigt wurde.
Das Interview von Sr. Pelloni, die sich ausdrücklich auf Papst Franziskus beruft, würde eine Gegendarstellung durch das vatikanische Presseamt erwarten lassen. Erst recht, da es dabei um Argentinien geht, dem Papst Franziskus besondere Aufmerksamkeit schenkt, obwohl er einen Besuch in seiner Heimat meidet. Doch mit einer Distanzierung von Pellonis Aussagen und einer Klarstellung der kirchlichen Position ist nicht zu rechnen.
Wie hält es Papst Franziskus wirklich mit Humanae vitae?
Die Aussagen von Sr. Pelloni zu künstlichen Verhütungsmitteln sagt daher auch etwas über die Haltung von Papst Franziskus zur Enzyklika Humanae vitae aus. Kritiker der päpstlichen Amtsführung rechnen schon seit längerem damit, daß Franziskus die von Kirchenvertretern und der Lebensrechtsbewegung als „prophetisch“ bezeichnete, da lebensfreundliche Enzyklika korrigieren wird, wie es die Bischofskonferenzen des deutschen Sprachraumes bereits 1968 forderten. Mit ihren Erklärungen von Königstein, Mariatrost und Luzern forderten sie die Zulassung künstlicher Verhütungsmethoden. Die Erklärungen wurden bis heute nicht revidiert, aber in allen genannten Staaten kurz darauf die Tötung ungeborener Kinder legalisiert. Ihr sind seither Millionen von ungeborenen Kindern zum Opfer gefallen, obwohl in diesen Ländern die ganze Bandbreite von künstlichen Verhütungsmethoden zur Verfügung steht.

Seit dem vergangenen Frühjahr arbeitet eine von Papst Franziskus eingesetzte Kommission an einer Überarbeitung von Humanae vitae. Die Existenz dieser Kommission wurde zunächst wochenlang bestritten und vom päpstlichen Umfeld erst bestätigt, als ein Leugnen unmöglich geworden war. Seither wird bestritten, daß diese Kommission Humanae vitae korrigieren solle.
Die Worte von Sr. Martha Pelloni von Theresianischen Karmeliten-Missionarinnen (CMT) in Argentinien sprechen eine andere Sprache. Kommt es zu keiner Gegendarstellung durch das vatikanische Presseamt, steht fest, daß ihre Aussage zu Papst Franziskus den Tatsachen entspricht.
Papst Franziskus bemühte sich sehr um die Heiligsprechung von Paul VI. Zum Abschluß der Jugendsynode wird sie im kommenden Oktober stattfinden. Die Frage steht im Raum, ob die Heiligsprechung ein Ausgleich für die gleichzeitige Beseitigung von Humanae vitae sein soll. Jedenfalls scheint die Heiligsprechung von Paul VI. nicht seiner Enzyklika zu gelten.
Es wäre nicht die erste Heiligsprechung dieses Pontifikats, die vor allem einer bestimmten Kirchenpolitik dient.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Corrispondenza Romana/RM Brasil/MiL