Strahlender Aufstieg und dunkler Abstieg im Leben von Jorge Mario Bergoglio


Papst Franziskus
Der steile Aufstieg, der tiefe Fall und der unaufhaltsame Gipfelsturm des Jorge Mario Bergoglio. Sandro Magister geht der psychologischen Seite der päpstlichen Biographie nach. Im Bild am 16. Januar mit Jesuiten in Santiago de Chile.

(Rom) Am 15. Febru­ar fand in der Late­ran­ba­si­li­ka, zum Beginn der Fasten­zeit, das tra­di­tio­nel­le Tref­fen des Pap­stes mit den Pfar­rern von Rom statt (sie­he dazu auch Papst Fran­zis­kus emp­fiehlt Anselm Grün. Allen Ern­stes?). Dabei skiz­zier­te Fran­zis­kus vor sei­nen Prie­stern „auf uner­war­te­te Wei­se“ sei­nen Lebens­lauf als eine Rei­he von „Abschnit­ten“, von denen „man­che strah­lend, man­che dun­kel“ waren, so der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster. Bege­ben wir uns mit ihm auf die Suche nach die­sen „Abschnit­ten“.

Der schnelle Aufstieg

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Die auto­bio­gra­phi­sche Dar­stel­lung sei näm­lich „sehr lehr­reich, was die Per­sön­lich­keit von Jor­ge Mario Berg­o­glio“ betrifft, so Magi­ster. Der Vati­kan ver­öf­fent­lich­te eine wört­li­che Nie­der­schrift mit dem Hin­weis, das Vika­ri­at der Stadt Rom wer­de eine redi­gier­te Fas­sung nach­lie­fern. Die Ver­öf­fent­li­chung auf der Inter­net­sei­te des Hei­li­gen Stuhl gibt somit wort­wört­lich auch die Unord­nung im ita­lie­ni­schen Sprach­fluß des Pap­stes wie­der, die nicht ganz in die deut­sche Über­set­zung über­nom­men wer­den kann.

„Kaum zum Prie­ster geweiht, wur­de ich im Jahr dar­auf zum Obe­ren ernannt, zum Novi­zen­mei­ster, dann zum Pro­vin­zi­al, zum Fakul­täts­rek­tor… Eine Etap­pe der Ver­ant­wor­tung, die mit einer gewis­sen Demut begon­nen hat, weil der Herr gut war [mit mir], aber dann, mit der Zeit, fühlst du dich dei­ner selbst siche­rer: ‚Das schaf­fe ich, das schaf­fe ich…‘, ist das Wort, das am häu­fig­sten kommt. Einer weiß sich zu bewe­gen, wie die Din­ge tun, wie sie handhaben…“

Jorge Mario Bergoglio, Cordoba

In der Tat, so Magi­ster, „zele­brier­te der jun­ge Jesu­it Berg­o­glio 1969 sei­ne Pri­miz, war 1970 bereits Novi­zen­mei­ster“, und 1973, erst 37 Jah­re alt, wur­de er zum Pro­vin­zi­al der argen­ti­ni­schen Jesui­ten­pro­vinz ernannt. Die­ses Amt übte er bis 1979 aus, als ihm ein Jesu­it nach­folg­te, P. Andrés Swin­nen, der ihm nahe­stand. Berg­o­glio war dann bis 1985 Rek­tor des Cole­gio Maxi­mo von San Miguel. Dazu Magister:

„Es ist anzu­mer­ken, daß bereits in die­ser Erfolgs­pha­se in ihm eine inne­re Unru­he auf­trat, die er 1978 damit zu lösen ver­such­te, daß er ‚sechs Mona­te lang ein­mal in der Woche‘ zu einer jüdi­schen Psy­cho­ana­ly­ti­ke­rin ging, ‚die mir sehr gehol­fen hat, als ich 42 Jah­re alt war‘“.

Vom Papst selbst wur­de das so im Gesprächs­buch von Domi­ni­que Wol­ton ent­hüllt, das im Sep­tem­ber 2017 erschie­nen ist, und zwölf Gesprä­che des fran­zö­si­schen Sozio­lo­gen und Agno­sti­kers mit Fran­zis­kus wiedergibt.

Eine dunkle Zeit

Nach dem schnel­len Auf­stieg setz­te Fran­zis­kus am 15. Febru­ar sei­ne Lebens­schil­de­rung mit einem tie­fen Fall fort:

„Und das alles war zu Ende, vie­le Jah­re in füh­ren­den Funk­tio­nen… Und dort begann ein Pro­zeß des ‚aber jetzt weiß ich nicht, was tun‘. Ja, den Beicht­va­ter machen, die Dok­tor­ar­beit been­den – die dort war, und die ich nie ver­tei­digt habe – und dann neu begin­nen, die Din­ge zu über­den­ken. Die Zeit einer gro­ßen Trost­lo­sig­keit, für mich. Ich habe die­se Zeit mit gro­ßer Ver­zweif­lung erlebt, eine dunk­le Zeit. Ich glaub­te, daß es bereits das Lebens­en­de sei. Ja, ich mach­te den Beicht­va­ter, aber mit einem Geist der Nie­der­la­ge. War­um? Weil ich glaub­te, daß die Fül­le mei­ner Beru­fung – aber ohne es zu sagen, jetzt fällt es mir auf – dar­in bestand, Din­ge zu tun, die­se. Eh no, da gibt es [noch] eine ande­re Sache! Ich habe das Gebet nicht gelas­sen, das hat mir sehr gehol­fen. Ich habe viel gebe­tet in die­ser Zeit, aber ich war ‚dürr wie ein Holz­scheit‘. Das Gebet hat mir da sehr gehol­fen, vor dem Taber­na­kel… Aber die letz­te Zeit die­ser Peri­ode – die Jah­re, ich erin­ne­re mich nicht, ob es ab dem Jahr 1980 war… von 1983–1992, fast zehn Jah­re, neun vol­le Jah­re –, in der letz­ten Zeit war das Gebet sehr im Frie­den, war es mit viel Frie­den, und ich sag­te mir: ‚Was wird jetzt gesche­hen?‘, weil ich mich anders fühl­te, mit viel Frie­den. Ich mach­te den Beicht­va­ter und den Spi­ri­tu­al, in jener Zeit: das war mei­ne Arbeit. Aber ich habe es auf sehr dunk­le Wei­se erlebt, sehr dun­kel und lei­dend, und auch mit der Untreue, nicht den Weg zu fin­den, und Kom­pen­sa­ti­on, den Ver­lust jener aus ‚All­macht‘ gemach­ten Welt kom­pen­sie­ren, welt­li­che Kom­pen­sa­ti­on zu suchen.“

„Ver­zweif­lung“, „dunk­le Zeit“, „Dür­re“, „Geist der Nie­der­la­ge“, mit die­sen Wor­ten beschreibt Fran­zis­kus die­sen Lebensabschnitt.

1986 wur­de P. Vic­tor Zor­zin, sein erklär­ter Geg­ner, neu­er Ordens­pro­vin­zi­al. „Berg­o­glio wur­de schnell an den Rand gedrängt, nach Deutsch­land ver­schickt, wo er gegen sei­nen Wil­len stu­die­ren soll­te, und schließ­lich 1990–1992 ohne eine Auf­ga­be in eine Art Exil nach Cor­do­ba gezwun­gen“, so Magister.

„Er hielt sich mit dem Gebet über Was­ser. Aber so, wie er es heu­te erzählt, erleb­te er die Zeit als gro­ßes Lei­den, vol­ler unge­lö­ster Span­nun­gen zwi­schen einem Gefühl der Nie­der­la­ge und dem Wunsch nach Revanche.
Und unter jenen, die das Kom­man­do in der Gesell­schaft Jesu hat­ten, sei es in Argen­ti­ni­en, sei es an der Gene­ral­ku­rie in Rom bis hin­auf zum Ordens­ge­ne­ral Peter Hans Kol­ven­bach, wur­de die­ser Man­gel an psy­cho­lo­gi­scher Aus­ge­gli­chen­heit, und damit sei­ner Unzu­ver­läs­sig­keit, zur all­ge­mei­nen Urteil.“

Sie­he dazu Kol­ven­bach: „Berg­o­glio nicht geeig­net, Bischof zu werden“

Viel­leicht habe Fran­zis­kus, so Magi­ster, des­halb in Peru vor Prie­stern und Ordens­leu­ten an Kol­ven­bach erin­nert, ohne ihn nament­lich zu nen­nen, um die­ses gespann­te Ver­hält­nis post­hum irgend­wie auf­zu­lö­sen. Fran­zis­kus sag­te am 20. Janu­ar in Tru­ji­l­lo an der Pazifikküste:

„Von einem Ordens­mann, den ich sehr moch­te – einem Jesui­ten, einem hol­län­di­schen Jesui­ten, der letz­tes Jahr gestor­ben ist –, sag­te man, dass er einen der­ar­ti­gen Sinn für Humor gehabt habe, dass er jeder Bege­ben­heit mit einem Lachen begeg­nen konn­te – über sich selbst und sogar über den eige­nen Schatten.“

Unaufhaltsamer Aufstieg konnte psychologische Unruhe nicht lösen

Die auto­bio­gra­phi­sche Schil­de­rung vom ver­gan­ge­nen 15. Febru­ar hat noch einen drit­ten Teil: Auf den Abstieg folg­te wie­der ein strah­len­der Auf­stieg. Alles habe mit einem „Tele­fon­an­ruf des Nun­ti­us“ begon­nen, der „mich auf eine ande­re Stra­ße brach­te“, die des Episkopats.

Es war im Früh­ling des Jah­res 1992, als Berg­o­glio in Cor­do­ba einen Anruf des Apo­sto­li­schen Nun­ti­us in Argen­ti­ni­en, Msgr. Ubal­do Cala­bre­si, erhielt. Der Vati­kan­di­plo­mat teil­te ihm mit, daß er auf Wunsch des dama­li­gen Erz­bi­schofs von Bue­nos Aires, Anto­nio Kar­di­nal Quar­ra­ci­no, der ihn als sei­nen Weih­bi­schof woll­te, zum Bischof geweiht werde.

Damit begann, völ­lig uner­war­tet, ein unauf­halt­sa­mer Auf­stieg: vom Weih­bi­schof zum Erz­bi­schof-Koad­ju­tor, zum Erz­bi­schof und Pri­mas, zum Kar­di­nal und schließlich…

„Und dann der letz­te Abschnitt, seit 2013. Ich habe gar nicht mit­be­kom­men, was dort gesche­hen ist: Ich habe wei­ter­hin den Bischof gemacht, indem ich mir sag­te: ‚Küm­me­re Du Dich dar­um, der Du mich hier­her gesetzt hast‘.“

„Die wun­der­sa­me Wen­de, die ihn 1992 aus sei­nem Exil riß, in das ihn sei­ne Mit­brü­der der Gesell­schaft Jesu ver­bannt hat­ten, wur­de ihm – wie er betont – genau in jener ‚dunk­len, nicht leich­ten‘ Zeit ‚vom Herrn vorbereitet‘.
Die­se Peri­ode hat aber nicht die psy­cho­lo­gi­sche Unru­he gelöst, im Gegen­teil, wie sei­ne bei­den öffent­li­chen ‚Geständ­nis­se‘ als Papst bewei­sen: eine am Beginn des Pon­ti­fi­kats und eine vor weni­gen Wochen.“

Soweit Magi­ster. Das erste „Geständ­nis“ ver­trau­te er am 7. Juni 2013 Schü­lern an Jesui­ten­schu­len an. Dabei ging es um sei­ne Ent­schei­dung, in San­ta Mar­ta zu woh­nen und nicht im Apo­sto­li­schen Palast:

„Für mich ist es eine Fra­ge der Per­sön­lich­keit: Das ist es. Ich brau­che es, unter Men­schen zu leben, und wenn ich allein leben wür­de, viel­leicht ein wenig iso­liert, dann wür­de es mir nicht gut tun. Ein Pro­fes­sor hat mir die­se Fra­ge gestellt: »War­um wol­len Sie denn nicht dort woh­nen?« Ich habe geant­wor­tet: »Hören Sie, Herr Pro­fes­sor, aus psych­ia­tri­schen Grün­den«. Es ist mei­ne Per­sön­lich­keit. Auch die Woh­nung [im Apo­sto­li­schen Palast] ist nicht so luxu­ri­ös, da kann ich dich beru­hi­gen… Aber ich kann nicht allein leben, ver­stehst du?“

Das zwei­te leg­te er am ver­gan­ge­nen 16. Janu­ar vor sei­nen Mit­brü­dern im Jesui­ten­or­den in Chi­le ab. Das Tref­fen fand zwar hin­ter ver­schlos­se­nen Türen statt, doch die römi­sche Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà Cat­to­li­ca ver­öf­fent­lich­te mit päpst­li­cher Zustim­mung am 17. Febru­ar offi­zi­ös, was der Papst dort sag­te. Kon­kret ging es um die Grün­de, wes­halb er die Tex­te sei­ner Kri­ti­ker nicht liest:

„Wegen der psy­chi­schen Hygie­ne“, „der psy­chi­schen Gesundheit“.

Die­se Begrif­fe gebrauch­te Fran­zis­kus drei­mal inner­halb einer Minu­te, als woll­te er ein „apo­dik­ti­sches Urteil“ fäl­len, so Magi­ster, daß jene, die ihn kri­ti­sie­ren „wahn­sin­nig“ sei­en, und daher kein Raum für eine ver­nünf­ti­ge Aus­ein­an­der­set­zung geben sei.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Civil­tà Cattolica/​UCC/​La Voz/​MiL (Screen­shots)

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6 Kommentare

  1. Non com­pos mentis.
    Im Beson­de­ren die Zeit von 1978–1982, die Fran­zis­kus hier mit „dun­kel, Ver­zweif­lung, Trost­lo­sig­keit, Dür­re“ beschreibt, soll­te genau unter­sucht werden.
    Hier fand die sog. Ope­ra­ti­on Con­dor statt, eine kom­bi­nier­te Akti­on von der CIA mit den argen­ti­ni­schem Mili­tär und dem rech­ten Flü­gel der Pero­ni­sten gegen die lin­ken; daß Berg­o­glio mit den Mon­tone­r­os (links­ra­di­ka­len Pero­ni­sten, mit Hei­mat­ba­sis bei den unter­sten und syn­di­ka­len Schich­ten) nicht auf bestem Fß stand, ist all­ge­mein bekannt.
    (Wird jetzt geflis­sent­lich ver­schwie­gen bzw. in eine Mär von „Befrei­ungs­theo­lo­gie“ umgezaubert.)

  2. An wen kann ich mich wenden,
    wenn Gram und Schmerz mich drückt,
    wem kün­de ich mein Entzücken,
    wenn freu­dig pocht mein Herz?

    Bin ich froh,
    dass ich dafür
    mei­nen Herrn und Gott habe.

    • Rich­tig:

      Wohin soll ich mich wenden,
      wenn Gram und Schmerz mich drücken?
      Wem künd‘ ich mein Entzücken,
      wenn freu­dig pocht mein Herz?
      Zu dir, zu dir, o Vater,
      komm ich in Freud‘ und Leiden,
      du sen­dest ja die Freuden,
      du hei­lest jeden Schmerz.

  3. Die offen­sicht­lich latent vor­han­de­nen Neu­ro­sen des gegen­wär­ti­gen Pon­ti­fex erin­nern an jene des „Refor­ma­tors“ Mar­tin Luther. Bei­des eine unheil­vol­le Dis­po­si­ti­on von kran­ken Gei­stern bzw. Seelen.

  4. Wenn man das liest, vor allem den Schluss fragt man sich war­um er den­noch die­ses Amt ange­nom­men hat. Er kann halt nicht so tun ‚als wäre er Bischof von Bue­nos Aires .Papst F. begreift nicht war­um er kri­ti­siert wird , weil er abso­lut von sich über­zeugt ist.

    • Fra­gen über Fragen…
      Ist ein Ver­ant­wor­tungs­trä­ger, egal ob im welt­li­chen oder im kirch­li­chen Bereich, nor­ma­ler­wei­se denn nicht dar­an inter­es­siert, lei­ten­de Mit­ar­bei­ter zu bekom­men, deren phy­si­sche und psy­chi­sche Gesund­heit sta­bil ist?
      Wie­so zeig­te der dama­li­ge Erz­bi­schof von Bue­nos Aires so gro­ßes Inter­es­se, einen Mann als lei­ten­den Mit­ar­bei­ter (Weih­bi­schof) zu bekom­men, des­sen psy­chi­sche Insta­bi­li­tät bekannt ist, den selbst des­sen Ordens­obe­rer (Pater Kol­ven­bach) für cha­rak­ter­lich und psy­chisch unge­eig­net hält, um ein Bischofs­amt aus­üben zu kön­nen? etc… Fra­gen über Fragen…

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