(Rom) Im Zusammenhang mit dem heute begonnenen Papstbesuch in Lateinamerika veröffentlichte die chilenische Tageszeitung El Mercurio gestern ein Interview mit Rocco Buttiglione. Der italienische Philosoph und christdemokratische Politiker wurde in den vergangenen Monaten zu einem entscheidenden Verteidiger des nachsynodalen Schreibens Amoris laetitia. Kardinal Christoph Schönborn, Erzbischof von Wien, verwies auf Buttigliones jüngst dazu erschienene Buch, um zu behaupten, daß auf die Dubia (Zweifel) der vier Kardinäle zu Amoris laetitia bereits geantwortet worden sei. Dabei geht es um jenes umstrittene Dokument, zu dem Franziskus jede Antwort auf kritische Anfragen verweigert, und das Buttigliones langjähriger Freund und Kollege, der österreichische Philosoph Josef Seifert, eine „zerstörerische, moraltheologische Atombombe“ nannte.
Ernste Fragen verlangen eine ernste Antwort
Die Frage von El Mercurio, warum Papst Franziskus in der eigenen Kirche so umstritten sei, beantwortete Buttiglione mit dem Verweis, „weil er ein lateinamerikanischer Papst ist“. Der dadurch gegebene kulturelle Unterschied sei für Europäer „natürlich schwer zu verstehen“. Auch Johannes Paul II. sei als Pole nicht leicht zu verstehen gewesen, „aber der polnische Papst war wenigstens Europäer“.
In der Frage zur Kritik an Amoris laetitia wurde vom Interviewer so deutlich für Franziskus Partei ergriffen, daß es selbst Buttiglione zu weit ging. „Nicht alle, aber einige schon“ der „Zurechtweiser“ (El Mercurio) würden nicht debattieren, „sondern verurteilen“. „Und sie schreiben lateinisch, als könnte die Sprache ihren Argumenten mehr Kraft verleihen“.
Grundsätzlich aber merkte Buttiglione an:
„Ich glaube, daß sie ernst zu nehmen sind, weil sie ernste Fragen gestellt haben. Ich habe versucht, ihnen ernste Antworten zu geben und hoffe, die Diskussion auf einer Ebene christlicher Brüderlichkeit halten zu können. Das ist nicht leicht. Ich denke, daß die Position des Papstes eindeutig ist, aber wenn einige genauere Erklärungen wollen, dann hat man das genauer zu erklären.“
Johannes Paul II. würde sagen…
In der Sache ist Buttiglione überzeugt, daß man „in jedem Schritt die Kontinuität zwischen Johannes Paul und Franziskus sieht“. Es gebe allerdings „Unterschiede“ und so müsse es auch sein. Ein „großer Lehrmeister“ könne nicht wiederholt werden, sondern müsse „fortgesetzt“ werden. Dazu bemüht Buttiglione zweifach Gewagtes, indem er dem verstorbenen Papst Aussagen zum Heute in den Mund legt und eine große Frontlinie skizziert:
„Ich war ein Freund von Johannes Paul II. und kann es nicht akzeptieren, daß Johannes Paul II. gegen Papst Franziskus instrumentalisiert wird. Ich frage mich, was der heilige Johannes Paul II. sagen würde, wenn er heute leben würde. Er würde sagen: ‚Folgt dem Papst‘.“
Und:
„Die Gegner, nicht alle, aber ein Großteil der Gegner von Papst Franziskus waren auch Gegner von Johannes Paul II., von Benedikt XVI., von Paul VI. und des Konzils.“
Amoris laetitia „ist vollkommen traditionelle Lehre der Kirche“
Die Lehre von Papst Franziskus sei „eine vollkommen traditionelle Lehre der Kirche: In der Kirche ist eine objektive Seite von schwerwiegender Materie und eine subjektive Seite des Mangels an Achtsamkeit und absichtlicher Zustimmung zu berücksichtigen.“
Zur Begründung seines Gedankenganges fügte Buttiglione hinzu:
„Wir haben heute viele Leute, die getauft, aber nur oberflächlich evangelisiert sind“.
Die Katholizität sei „Realist“:
„Der Subjektivismus ist eine Häresie, aber auch der Objektivismus ist es, weil die Wirklichkeit aus Subjekten und Objekten besteht, und beide zu berücksichtigen sind. Es gibt ein Risiko, natürlich, aber das ist das Risiko des Lebens. Man muß Verantwortung übernehmen und sich einsetzen. Der Seelsorger kann kein Funktionär sein, der die Sakramente verwaltet, sondern muß sich einsetzen für einen Weg in der Hoffnung, eine Seele zu retten. Dieses Risikoelement fehlt im Katholizismus, ist aber fundamental. Franziskus hat es.“
Die Grundidee von Amoris laetitia sei Maria Magdalena.
„Wer liebt, kann Fehler machen, wenn man aber nicht liebt, ist der Fehler viel schlimmer. Und die Fehler sind Fehler, und nicht Zweifel.“
Es gebe eine katholische Moraltheologie, „die meint, der Sinn des Lebens sei es, keine Sünden zu begehen. Das aber bedeutet, nicht zu leben.“ Wer nicht liebe, das sei schon die Überzeugung von Johannes Paul II. gewesen, „und vor ihm schon von Dante“, der ende „in der Vorhölle, wo jene sind, die nicht das Risiko des Lebens auf sich nehmen“.
Nimmt man den Bogen ernst, den der Philosoph im Interview spannt, stellt sich eine beklemmende Frage: Verbannt Buttiglione, um die Vorgehensweise von Papst Franziskus zu rechtfertigen, die Kritiker von Amoris laetitia in Dantes Vorhölle?
Text: Giuseppe Nardi
Bild: El Mercurio (Screenshots)