Heilige Worte. „Ein Stop gegen therapeutische Verbissenheit ist moralisch legitim.“ In Sachen Lebensende diktiert der Papst die neue Linie des Vatikans und stürzt die katholischen Lebensschützer in die Krise: „Das letzte Wort steht dem Kranken und nicht dem Arzt zu.“ Aber das Gesetz kann warten. Rosy Bindi zum PD: „Wir wurden vom Papst überholt.“
Il Manifesto – Kommunistische Tageszeitung begeistert und zugleich spöttisch über die Botschaft von Papst Franziskus an die Teilnehmer der Tagung über „Euthanasie in den Niederlanden“, die von der Päpstlichen Akademie für das Leben,der World Medical Association und der Bundesärztekammer organisiert wurde. Unter den Referenten fanden sich zahlreiche Befürworter von Sterbehilfe und Euthanasie, darunter auch die Vorsitzende des Schweizer Ablegers des weltgrößten Abtreibungskonzerns Planned Parenthood. Die Vertreter der „Kultur des Todes“ gehen inzwischen im Vatikan ein und aus.
In Italien wird derzeit wieder akut über die Legalisierung der „Sterbehilfe“ diskutiert. Eine der aktivsten Befürworterinnen ist seit Jahren die ehemalige EU-Kommissarin Emma Bonino, die Papst Franziskus als „ganz Große“ gelobt hatte. Die italienischen Medien interpretierten die Botschaft des Papstes durchgehend als „Öffnung“ und „Zustimmung“ zur Sterbehilfe.
Vatikanisten raufen sich die Haare
Die Vatikanisten behaupten das Gegenteil und „raufen sich die Haare“, wie Marco Tosatti schrieb. Kardinal Camillo Ruini, der ehemalige Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz, versuchte Wasser auf die Medienfreude zu gießen: „Vom Papst gibt es keine Unterstützung zum Lebensendegesetz“, sagte er zur Tageszeitung Il Foglio. Der Kardinal und die Vatikanisten verweisen darauf, daß Franziskus nichts in seiner Botschaft gesagt habe, was die Schlagzeilen der Medien rechtfertigen würde.
Oder wiederholt sich hier ein schon bekanntes Schauspiel? Tatsache ist: Der Papst hat in seiner Rede nicht gesagt, was die Medien berichteten. Hat er es aber auch nicht gemeint? Anders gefragt: Wurde der Papst von den Meinungsmachern durch die Bank mißverstanden? Sendet er so zweideutige Signale aus, daß er mißverstanden wird? Oder will er gar mißverstanden werden? Entspricht also das, was die italienischen Tageszeitungen heute titelten, in Wirklichkeit doch dem Denken des Papstes, unabhängig von dem, was in seiner Botschaft geschrieben steht? Handelt es sich also wieder um eine Zauberformel der Kommunikation: „Was der Papst nicht sagt und doch alle verstehen“?
Nur ein Dementi und eine Klarstellung des Vatikans können für Klarheit sorgen. In der Vergangenheit wartete man jedoch meist vergebens darauf.
Die Euthanasie-Tagung
Die Ausrichtung der Vatikan-Tagung über die Euthanasie in den Niederlanden und die Auswahl der Referenten, die Lebensschützer entsetzte, spricht eine unschöne Sprache. Die Durchführung der Tagung, das zumindest steht fest, ist in einem direktem Zusammenhang mit der italienischen Debatte über die Legalisierung der „Sterbehilfe“ zu sehen. Die zahlreichen Sterbehilfe- und Euthanasiebefürworter unter den Referenten lassen keinen wirklichen Willen zur Gegenwehr erkennen, sondern vielmehr ein Agreement.
Der Organisator der Tagung, Kurienerzbischof Vincenzo Paglia, gehört zu den engsten Vertrauten von Papst Franziskus. Der Papst ernannte ihn im August 2016 zum Vorsitzenden der Päpstlichen Akademie für das Leben mit dem offensichtlichen Auftrag, sie völlig umzukrempeln und die „nicht verhandelbaren Grundsätze“ (Benedikt XVI.) ein für allemal zu entsorgen. Es wäre ein Irrtum, zu meinen, Paglia hätte eine solche Tagung ohne Rücksprache ausgerichtet.
War es Paglia, der die Medien in dem Sinn informierte, wie sie dann berichtet haben?
Rosy Bindi
Die Linksdemokratin Rosy Bindi kommt vom linken Flügel der ehemaligen Christdemokraten (DC). Von 1996–2000 war sie italienische Gesundheitsministerin und von 2009–2013 Vorsitzende der linksgerichteten Demokratischen Partei (PD), die derzeit Italiens Ministerpräsident stellt. Diese Partei ging in den 90er Jahren aus einem Zusammenschluß von ehemaliger Kommunistischer Partei und linkem DC-Flügel hervor.
Ihre Aussage zur Papst-Botschaft meint, die regierende Linke wurde in Sachen „Sterbehilfe“ von Papst Franziskus links überholt.
Il Manifesto
Il Manifesto, die sich im Untertitel stolz „Kommunistische Tageszeitung“ nennt, ist Papst Franziskus – im Gegensatz zu seinen Vorgängern – nicht nur wohlgesonnen, sondern unterhält sogar einen direkten Draht nach Santa Marta. Am vergangenen 5. Oktober veröffentlichte das Blatt ein Buch mit politischen Ansprachen des Papstes, was nur mit ausdrücklicher Genehmigung desselben möglich wurde.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Il Manifesto