Maronitischer Patriarch als Vermittler in Riad


König Salman Bin Abdulaziz von Saudi-Arabien mit der maronitischen Delegation, angeführt von Patriarch Béchara Pierre Kardinal Raï.
König Salman Bin Abdulaziz von Saudi-Arabien mit der maronitischen Delegation, angeführt von Patriarch Béchara Pierre Kardinal Raï.

(Riad/​Beirut) Im Nahen Osten wer­den die Kar­ten neu gemischt, was in der Regel Krieg bedeu­tet. In die­sem Fall ist es erneut Sau­di-Ara­bi­en, das an ver­schie­de­nen Fron­ten zün­delt. Im Jemen bom­bar­diert es, Katar iso­liert es, Tehe­ran bedroht es und Liba­nons Mini­ster­prä­si­dent wird als Gefan­ge­ner gehal­ten. Die­sen Stand­punkt nimmt der Liba­non ein, wie Staats­prä­si­dent Michel Aoun heu­te bekannt­gab. Gestern kam noch ein wei­te­res Kapi­tel dazu, das mit den Chri­sten zu tun hat.

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Die Chri­sten wer­den im waha­bi­ti­schen Wüsten­kö­nig­reich nicht als Freun­de gese­hen, ja nicht ein­mal als Reli­gi­on zwei­ter Klas­se gedul­det, wie es eigent­lich im Islam üblich ist. Der Dhim­mi-Sta­tus geht laut waha­bi­ti­scher Welt­sicht zwar grund­sätz­lich für Juden und Chri­sten in Ord­nung, nicht aber auf dem Boden der „Hei­li­gen Städ­te“ Mek­ka und Medi­na. Es gibt kaum ein Land der Welt, in denen Chri­sten mas­si­ver ver­folgt und in ihrer Reli­gi­ons­frei­heit ein­ge­schränkt sind als in Saudi-Arabien.

Der isla­mi­sche Ter­ro­ris­mus, der die Welt seit eini­gen Jah­ren erschüt­tert, ist sun­ni­ti­scher Prä­gung, und zwar in sei­ner radi­ka­len Form. Das ist das Bin­de­glied zu Sau­di-Ara­bi­en, das seit Jah­ren beschul­digt wird, die eigent­li­che Schutz­macht hin­ter dem Isla­mi­schen Staat (IS) zu sein. Eigent­lich übte die­se Rol­le Katar zusam­men mit Sau­di-Ara­bi­en aus. Zwi­schen die bei­den Königs­fa­mi­li­en konn­te jedoch ein Keil getrie­ben, der nichts an den grund­sätz­li­chen Plä­nen der Sun­ni­ten ändert.

Bereits im Febru­ar 2016 geriet das Ver­hält­nis zwi­schen Riad und Bei­rut an den Rand des Abgrun­des. Zün­det Sau­di-Ara­bi­en die Lun­te zu einem neu­en Nah­ost-Krieg? Offe­ner Brief eines liba­ne­si­schen Chri­sten an den sau­di­schen König.

Interreligiöses Zentrum auf saudischem Boden?

Neu ist ein Tref­fen, das gestern im Königs­pa­last in Riad statt­fand. Die Spit­ze der mit Rom unier­ten Maro­ni­ti­schen Kir­che wur­de von König Sal­man emp­fan­gen. Er führt noch das waha­bi­ti­sche König­reich, wenn­gleich im Hin­ter­grund seit eini­gen Mona­ten ein jun­ger Heiß­sporn in den Start­lö­chern war­tet und die Fäden zieht.

Becha­ra Pierre Kar­di­nal Raï, maro­ni­ti­scher Patri­arch von Antio­chi­en und des gan­zen Ori­ents, wur­de zusam­men mit Paul Mat­ar, Erz­bi­schof von Bei­rut, und Abdel Sater, Erz­bi­schof von Zghar­ta, vom König zu einer kur­zen Begeg­nung emp­fan­gen. Moham­med Bin Sal­man, der Kron­prinz, emp­fing eben­falls die christ­li­che Dele­ga­ti­on aus dem Libanon.

Laut einem Bericht der kirch­li­chen Nach­rich­ten­agen­tur Fides, der sich auf maro­ni­ti­sche Quel­len stützt, könn­te im sau­di­schen König­reich viel­leicht ein „inter­na­tio­na­les Zen­trum des inter­re­li­giö­sen Dia­lo­ges“ ent­ste­hen. Sitz könn­te eine mehr als 900 Jah­re alte Kir­che sein, die bei Aus­gra­bun­gen wie­der­ent­deckt wur­de und restau­riert wer­den soll.
Von sau­di­scher Sei­te gab es kei­ne Erklä­rung dazu. Dem Besuch des Patri­ar­chen wur­de von den sau­di­schen Medi­en aber erstaun­li­che Auf­merk­sam­keit geschenkt. Die Rede war von einem „Zei­chen der brü­der­li­chen Ver­bun­den­heit zwi­schen dem König­reich und dem Liba­non“. Ori­en­ta­li­sche Höflichkeitsfloskeln.

Die Ankün­di­gung eines „inter­re­li­giö­sen Zen­trums“ war aber besten­falls Bei­werk in einer hoch­ex­plo­si­ven Sache.

Saad Hariris Rücktritt in Riad

Die Ange­le­gen­heit ist vor dem Hin­ter­grund ern­ster Span­nun­gen zu sehen. Sau­di-Ara­bi­en will im Liba­non eine zen­tra­le Rol­le spie­len und den schii­tisch-ala­wi­ti­schen Ein­fluß bre­chen, und zwar nicht nur im Land der Zedern, son­dern mög­lichst im gan­zen Nahen Osten. Die­sem Wunsch „ver­dankt“ die Welt in den ver­gan­ge­nen fünf Jah­ren die Krie­ge im Irak, in Syri­en und im Libanon.

Libanons Staatspräsident Michel Aoun heute in Beirut
Liba­nons Staats­prä­si­dent Michel Aoun heu­te in Beirut

Teil­aspekt die­ses Pla­nes scheint der über­ra­schen­de Rück­tritt von Mini­ster­prä­si­dent zu sein. Auch ihn traf Patri­arch Raï in Riad, was bereits das unge­wöhn­li­che Macht­spiel unter­streicht. Das Ober­haupt der größ­ten christ­li­chen Kir­che des Liba­nons, muß nach Sau­di-Ara­bi­en rei­sen, um den eige­nen, zudem unter myste­riö­sen Umstän­den zurück­ge­tre­te­nen Mini­ster­prä­si­den­ten zu sprechen.

Am 4. Novem­ber hat­te Hari­ri in Riad sei­nen Rück­tritt bekannt­ge­ge­ben. Wie der Patri­arch berich­te­te, habe Hari­ri im mit­ge­teilt, heu­te in den Liba­non zurück­keh­ren zu wol­len. Sei­ne Fami­lie wer­de aber in Riad blei­ben. Nicht nur poli­ti­sche Beob­ach­ter spra­chen in den ver­gan­ge­nen Tagen davon, daß Hari­ri von den Sau­dis gefan­gen­ge­hal­ten wer­de und zum Rück­tritt gezwun­gen wor­den sei. Dies sag­te auch der liba­ne­si­sche Staats­prä­si­dent Michel Aoun, ein maro­ni­ti­scher Christ. Hari­ri selbst schien im Gespräch mit Patri­arch Raï anzu­deu­ten, daß sei­ne Fami­lie in Gei­sel­haft in Sau­di-Ara­bi­en zurück­blei­ben müsse.

Tat­sa­che ist, daß die Maro­ni­ten die zah­len­mä­ßig stärk­ste und laut dem Natio­nal­pakt von 1943 auch poli­tisch ein­fluß­reich­ste christ­li­che Gemein­schaft des Liba­nons sind. Ihnen steht das Amt des Staats­prä­si­den­ten zu, wäh­rend ein Sun­nit Mini­ster­prä­si­dent und ein Schi­it Par­la­ments­prä­si­dent zu sein hat.

Ohne eine Zusam­men­ar­beit mit den Chri­sten kann kei­ne der bei­den ver­fein­de­ten isla­mi­schen Par­tei­en, die Sun­ni­ten und die Schii­ten, auf einen Erfolg hoffen.
Die neue Höf­lich­keit Riads gegen­über den Maro­ni­ten, die weit­ge­hend auf den Liba­non beschränkt sind, hat direkt mit sau­di­schen Plä­nen im Liba­non zu tun.

Michael Aoun: Hariri ein Gefangener Saudi-Arabiens

Die Begeg­nung des Patri­ar­chen in Riad konn­te die ange­spann­te Lage im Liba­non aller­dings vor­erst nicht ent­span­nen. Staats­prä­si­dent Aoun gab heu­te bekannt, der Liba­non stel­le sich auf den Stand­punkt, daß Hari­ri von Sau­di-Ara­bi­en im Wider­spruch zur Wie­ner Kon­ven­ti­on gefan­gen­ge­hal­ten wird. Das sei ein „Angriff gegen die Sou­ve­rä­ni­tät und Wür­de“ des Lan­des. Auch das ist neu in der Geschich­te des klei­nen Mit­tel­meer­an­rai­ner­staa­tes, der bis zur Nach­kriegs­zeit das ein­zi­ge christ­li­che Land im Nahen Osten war. Inzwi­schen sind die Chri­sten durch die Nah­ost-Wir­run­gen rund um den israe­lisch-palä­sti­nen­si­schen Kon­flik­tes auch dort zur Min­der­heit gewor­den. So schar­fe Töne gegen­über dem mäch­ti­gen Sau­di-Ara­bi­en waren bis­her noch nicht aus dem Mund eines liba­ne­si­schen Staats­ober­haup­tes zu hören. Die Lage ist sehr ernst und signa­li­siert einen Wan­del in den Bezie­hun­gen zwi­schen der ein­zi­gen ara­bi­schen Demo­kra­tie und der ein­zi­gen Mon­ar­chie der Welt, wo der Name der Herr­scher­fa­mi­lie zum Namen des gan­zen Lan­des wurde.

In der liba­ne­si­schen Bevöl­ke­rung mach­te sich Ent­täu­schung breit, weil sie Hari­ris Fami­li­en­an­ge­hö­ri­ge nicht ein­mal auf einem Pho­to mit Patri­arch Raï zu Gesicht beka­men, um sicher sein zu kön­nen, daß sie noch am Leben sind. Staats­prä­si­dent Aoun bekräf­tig­te, daß der Rück­tritt Hari­ris im Aus­land nicht akzep­tiert wer­den kön­ne. Er sol­le zurück­kom­men und im Liba­non sei­nen Rück­tritt erklä­ren oder erklä­ren, im Amt zu bleiben.

Aoun sprach heu­te nicht nur von Hari­ri, son­dern dehn­te sei­ne For­de­rung auf des­sen Fami­lie, Hari­ris syri­sche Frau und die drei Kin­der aus.

Irans Staatspräsident: „Schändlich, daß Saudi-Arabien Zionistenstaat bittet, den Libanon zu bombardieren“

Die sau­di­sche Pres­se reagier­te gereizt und aggres­siv auf die Stel­lung­nah­men im Liba­non. Belei­di­gen­de Berich­ten zie­ren heu­te die Tages­zei­tung des Waha­bi­ten­staa­tes. Die Tages­zei­tung Ukaz schrieb, Aoun möge in sei­nem Prä­si­den­ten­pa­last samt sei­nem Zorn ster­ben, und die Tages­zei­tung Al Wat­tan bezwei­fel­te in spöt­ti­schem Ton sogar, daß Aoun ein Christ ist und nann­te ihn einen Söld­ner des Iran.

Auch in Tehe­ran geschah heu­te, was es noch nicht gege­ben hat­te. Irans Staats­ober­haupt Hassan Roha­ni warf Sau­di-Ara­bi­en vor, Isra­el auf­zu­wie­geln, den Liba­non zu bom­bar­die­ren. Es sei „sehr schänd­lich, daß sich ein isla­mi­sches Land an den Zio­ni­sten­staat wen­det, und die­sen bit­tet, das liba­ne­si­sche Volk zu bombardieren“.

Der Iran ist die poli­ti­sche Haupt­macht der Schii­ten, die im Liba­non eine der bei­den ver­fein­de­ten, isla­mi­schen Par­tei­en bil­den. Roha­ni bezeich­ne­te die Ein­mi­schung Sau­di-Ara­bi­ens im Liba­non als „prä­ze­denz­los“.

Text: Andre­as Becker
Bild: Asianews

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