
(Barcelona) Die Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sind im Westen zur Phase 2 ihres Religionskrieges übergegangen.
Daran ändern die Beteuerungen europäischer Politiker und Kirchenvertreter (und mancher Imame) nichts, daß es sich angeblich um „keinen Religionskrieg“ handle. Die Phase 1 bedeutet, jene anzugreifen, die der Islam als „Ungläubige“ betrachtet. Dazu zählen die Massaker von Paris, Berlin, Nizza, Barcelona und andere mehr. Die Phase 2 hat offenbar die Kirchen zum Ziel als sichtbare Zeugen, des zu vernichtenden Christentums. Die erste Kirche, die in Europa in die Luft gesprengt werden sollte, ist die berühmte Sagrada Familia von Barcelona.
Kirchen im Visier des Islamischen Staates – von der Propaganda zu den Taten
Seit ihrem plötzlichen Auftreten zeigt der Islamische Staat (IS) in seiner Propaganda in Zeitschriften und im Internet Bilder von heiligen Stätten der Christenheit. Dabei fällt auf, daß ausschließlich katholische Kirchen gezeigt werden, an erster Stelle der Petersdom in Rom, aber auch die barocke Hofkirche von Dresden, die seit 1980 Kathedrale des Bistums Dresden-Meißen ist. Die Dschihadisten bezeichnen sie als „Hauptversammlungsorte der Kreuzfahrer“, weshalb sie „zu Staub zerschlagen“ werden müßten.

Kirchen sind ein sensibles Angriffsziel. Ägypten ist ein besonderes Beispiel dafür, wo bereits mehrfach brutale Attentate gegen koptische Kirchen ausgeführt wurden, meist mit zahlreichen Toten. Das Dschihad-Motto lautet: je mehr tote Christen, desto besser.
Der ursprüngliche Plan der Terrorzelle von Barcelona sah vor – wäre nicht die Wohnung des Imam, der die Zelle anführte, beim Bombenbau explodiert –, daß drei mit TATP und 106 Gasflaschen gefüllte Lieferwagen die Sagrada Familia in die Luft sprengen sollten. Als Notplan rasten die überlebenden Terroristen auf der Fußgängerzone La Rambla in die Menschenmenge, dabei wurden 14 Menschen getötet und 120 verletzt.
Die Kirche Sagrada Familia (Heilige Familie) wurde vom berühmten, katalanischen Architekten Antoni Gaudà y Cornet (1852 – 1926) geplant und begonnen. Heute ist sie das bekannteste Wahrzeichen der katalanischen Hauptstadt, einer linksregierten Großstadt die sich besonders global und multikulturell gibt, also die Welle der vorherrschenden EU-zentrierten und antichristlichen Mentalität reitet.
Die Sagrada Familie ist das Ziel von Pilgern und Touristen. Allein 2016 wurden mehr als 4,5 Millionen Besucher gezählt. Der Temple Expiatori de la Sagrada Familia, so der vollständige Namen der Kirche, folgt nicht den klassischen Gesetzen der Kirchenbaukunst und zieht vielleicht gerade deshalb mehr Touristen als Gläubige an. Die Sagrada gilt als die meistbesuchte Sehenswürdigkeit Spaniens und das Hauptwerk der katalanischen Moderne. Die Bauarbeiten begannen 1882, als Spanien noch von König Alfonso XII. von Bourbon regiert wurde. Die Idee am Stadtrand von Eixample eine Sühnekirche zu errichten, stammte vom Buchhändler Josep Maria Bocabella, dessen Beichtvater der 2004 heiliggesprochene Josep Manyanet i Vives war. Der heilige Manyanet ist der Gründer zweier Ordensgemeinschaften, der Söhne und der Missionstöchter von der Heiligen Familie. Er förderte besonders die Verehrung der Heiligen Familie. Der Bau einer Kirche einer ihr geweihten Kirche wurde daher von ihm mit Nachdruck betrieben. Der vom ersten Architekten, Francisco de Paula del Villar y Lozano, begonnene Bau, sah eine neugotische Kirche vor. 1883 trat wegen eines Zerwürfnisses jedoch der erst 31 Jahre alte Gaudà an seine Stelle, der den ursprünglichen Plan revolutionierte.
Antoni Gaudà – „eine intellektuell und spirituell interessante Gestalt“
Gaudà war „eine intellektuell und spirituell interessante Gestalt“, so die Historikerin Cristina Siccardi. Dem katholischen Glauben hatte er sich erst angenähert, nachdem er in seiner Jugend den heterodoxesten, spirituellen Strömungen seiner Zeit gefolgt war. In seinen Biographien wird der Student Gaudà als „Dandy“ beschrieben, der ein bißchen fin gourmet, aber auch ein bißchen antiklerikal war und sich vor allem in Unterhaltungsetablissements aufhielt, besonders dem Theater der Rambla und den Tavernen von Raval. Technikbegeistert interessierte er sich einerseits für die Photographie und war zugleich ein Suchender, der spiritistische Kreise frequentierte, für die Barcelona damals eines der europäischen Zentren war.

Wissenschaft und Aberglaube vermischten sich in Gaudà, wozu auch beigetragen haben könnte, folgt man den Angaben einiger Biographen, daß der Student und junge Architekt halluzinogene Substanzen konsumierte. Das würde auch entsprechende Anspielungen in schriftlichen Aufzeichnungen und an einigen seiner Bauwerke erklären wie dem Eingang zum Güell-Park und den Gebäuden Batlló und Pedrera. Er interessierte sich für okkulte Botanik und näherte sich dem Vegetarismus – im damaligen Spanien eine besondere Extravaganz.
Dann kam es zur Bekehrung und einer asketischen Mystik, die ihren Hauptausdruck darin fand, daß sich Gaudà 40 Jahre lang vordringlich nur mehr um den Bau der Sagrada Familia kümmerte, einem Bauwerk von außergewöhnlicher Ausstrahlung, die wie kaum eine andere Kirche die subjektive Handschrift des Architekten widerspiegelt. Das macht die Kirche zugleich umstritten.
Kritiker sprechen davon, daß Gaudà auch über den ersten Zweck eines Kirchenbaues, errichtet zur größeren Ehre Gottes, dominieren wolle. Das Bauwerk enthalte zu viele zweideutige oder undefinierbare Elemente: Federn, Kompasse, alchimistische Elemente, das große X und die stehende Schlange sind einige dieser Symbole, denen ein esoterischer Charakter zugeschrieben wird. Sie wurden von Gaudà neben die typischen Symbole der christlichen Ikonographie gesetzt. Kritiker sprechen sogar von einem exzentrischen Pantheismus.
In seiner Jugend hatte sich Gaudà der Freimaurerei, der Alchemie und dem Hermetismus angenähert. In der Krypta der Colonia Güell findet sich das große X 13 Mal, ebenso kann man es am einem Portal der „Geburtsfassade“ der Sagrada Familia und im Kreuz, das den Lebensbaum in der Kirche krönt, sehen kann.
Gaudà unterhielt Kontakt mit den fortschrittlichsten, sozialen Bewegungen seiner Zeit. Die Ideen des französischen Philosophen Fourier und des britischen Soziologen und Kunstkritikers Ruskin, ein Idol der damaligen progressiven Jugend Großbritanniens, hatten es ihm besonders angetan. Josep Maria Carandell äußert in seinem Buch El parque Güell, utopia de Gaudà die Überzeugung, daß viele Details „freimaurerischer Herkunft“ seien. Carandell ist nicht der einzige Biograph, der eine Widersprüchlichkeit in der Figur Gaudàs erkennt. Einerseits verkehrte er in Geheimgesellschaften und esoterischen und initiatischen Kreisen, zu denen er den Kontakt auch nach seiner Bekehrung nie ganz abbrach, wie sein Kontakt mit dem uruguayischen Künstler und bekannten Freimaurer Joaquim Torres Garcia zeigt. Gleichzeitig nahm sein katholischer Glauben so stark zu, daß Erzbischof Ricardo Maria Carles Gordó 1998 seinen Seligsprechungsprozeß einleitete und ihn als „mystischen Laien“ bezeichnete. 2003 wurde das diözesane Verfahren abgeschlossen und die gesamte Dokumentation dem Heiligen Stuhl in Rom übermittelt.
Sagrada Familia: Übergang zu einer neuen Phase – Attentat der Volksfront 1936
Der Angriff gegen die Sagrada Familia hätte einen Qualitätssprung im Krieg des Islamischen Staates (IS) gegen den Westen signalisiert. Von der Tötung möglichst vieler Menschen wäre man zur Zerstörung religiöser und symbolischer Gebäude übergegangen.

Sie waren nicht die ersten Terroristen, die es auf die Zerstörung der Sagrada Familia als christliches Symbol abgesehen hatten. Seit 1930 wurde die Krypta als Pfarrkirche genützt. Zur Erzpfarre gehören weitere Kirchen der Umgebung. Im Spanischen Bürgerkrieg hatten kirchenfeindliche Gruppen die noch unter Gaudà errichtete Geburtsfassade niedergebrannt und die Krypta zerstört. Der erste Pfarrer, Gil Parés, geistlicher Assistent des Bauprojekts, war ein Priester, der sich durch zahlreiche Werke um die Armen der Stadt verdient gemacht hatte, wurde dabei von den Roten Brigaden der Volksfront ermordet.
Mit Fragen möglicher Zweideutigkeiten Gaudàs, die ihren Niederschlag auch in seinem Bauwerk gefunden haben könnten, befaßte sich weder die Volksfront noch befassen sich damit heute die Dschihadisten. Sie interessieren sich weder für die geistigen Strömungen, die zur Zeit der Planung die katalanische Hauptstadt beherrschten, noch der generelle Wechsel, der zu Bedeutung und Zweck der Kunst stattfand: anstatt neue Ausdrucksformen für das Schöne zu finden, trat mit der Dekadenz, die Gaudàs Epoche bestimmte, das zu schaffende Werk zurück und das schaffende Subjekt in den Vordergrund. Der Jugendstil kennzeichnete diesen Übergang durch die Herausstellung einer persönlichen, experimentellen Kunstsprache.
Moderne und Vernichtung – Der Kampf gegen die Zivilisation
Motor dieser Entwicklung war in Barcelona das wohlhabende katalanische Bürgertum, das Katalonien modernisieren wollte und klare Vorstellungen davon hatte, wie das zu geschehen habe: einerseits durch den Anschluß an internationale Entwicklungen, andererseits durch eine betonte Sonderstellung, ja sogar Distanz zu Spanien. Eine Grundausrichtung, Modernisme genannt, die noch heute Katalonien prägt. Die moderne Strömung schuf in Stadtplanung und auf kultureller und sozialer Ebene eine eigene katalanische Formsprache, die mit den Namen einiger berühmter Künstler verbunden ist, von denen einige auch politisch aktiv waren. Neue Techniken, neue Materialien, zoomorphe Details, asymmetrische Formen sind maßgebliche Elemente dieses spezifischen Modernisierungsschubes in Barcelona.

Alle diese Elemente finden sich auch an der Sagrada Familia, die nach wie vor unvollendet ist. Die Interpretation dessen, was Gaudà entworfen hat, fällt nicht immer leicht. Vieles bleibt unklar und wäre bis zu diesem Zeitpunkt in einer Kirche undenkbar gewesen. An dieser Stelle setzen Kritiker an: In einem Haus Gottes müsse alles „lesbar“ und verstehbar sein. Daher sei alles in und mit der Sprache der sakralen Kunst zu schaffen, die von einer Theologie bestimmt wird, der Zweideutiges fremd ist. Zu den Besonderheiten, auch Kuriositäten der Sagrada Familia gehört, daß die Kirche, obwohl noch nicht fertiggestellt, bereits geweiht und in den Rang einer Basilica Minor erhoben wurde. Am 7. November 2010 war es Papst Benedikt XVI., der im Rahmen seines Besuches von Santiago di Compostela, die Weihe vornahm.
Vielleicht der Versuch einer eindeutigen Zweckbestimmung jenseits touristischer Interessen und von Kritikern ins Feld geführten Zweifeln zu Ambiguitäten mancher Baudetails. Die Dschihadisten des Islamischen Staates (IS) haben die Sagrada Familia eindeutig identifiziert: als Kirche. Das geplante und durch glückliche Fügung nicht in der ursprünglichen Form zustande gekommene Attentat verdeutlicht die Entschlossenheit zu Zerstörung und Vernichtung, die den Islamischen Staat (IS) bestimmt. Der Feind sind die „Ungläubigen“, womit generell die Christen gemeint sind. Die katholische Kirche wird dabei von den Islamisten offensichtlich als Höchstform der Christenheit identifiziert. Die Christen sollen getötet und die Symbole der Christenheit zerstört werden.
Die Sagrada Familia blieb unversehrt, am 17. August mußten dennoch in Barcelona fünfzehn unschuldige Menschen sterben, die Opfer der Zerstörungswut der islamischen Terrorzelle wurden.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: Wikicommons