„Für den Nahen Osten gibt es die Lösung, aber niemand will sie“ – Kardinalstaatssekretär Parolin zu Jerusalem, Venezuela und Kolumbien


Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin über die Haltung des Heiligen Stuhls zu Jerusalem, zum Nahen Osten, Venezuela und Kolumbien.
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin über die Haltung des Heiligen Stuhls zu Jerusalem, zum Nahen Osten, Venezuela und Kolumbien.

(Rom) „Für den Nahen Osten gibt es eine Lösung, aber nie­mand will sie in Wirk­lich­keit.“ Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Pie­tro Paro­lin nahm in einem Inter­view des Avve­ni­re, der Tages­zei­tung der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz, zu meh­re­ren Brenn­punk­ten der Welt­po­li­tik und der inter­na­tio­na­len Bemü­hun­gen des Hei­li­gen Stuhls Stel­lung, dar­un­ter dem Nahen Osten, Vene­zue­la und Kolum­bi­en. Der Kar­di­nal hält sich gera­de in Assi­si auf.

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Avve­ni­re: Von Syri­en bis Vene­zue­la scheint man eine ande­re Spra­che als die der Ver­söh­nung zu spre­chen… Wel­che Auf­for­de­rung kann von Assi­si vor allem an die Regie­ren­den und an jene erge­hen, die ent­schei­den­de Wei­chen­stel­lun­gen ent­schei­den können?

Kardinalstaatssekretär Parolin
Kar­di­nal­staats­se­kre­tär Parolin

Kar­di­nal Paro­lin: Ich wür­de vor allem sagen, den Schrei der Men­schen, der Armen berück­sich­ti­gen. Häu­fig ist man taub gegen­über dem Schrei, der von der Basis kommt, von den Bevöl­ke­run­gen, die mit lau­ter Stim­me Frie­den for­dern – nicht nur den Wor­ten nach. Es genügt, die Zer­rüt­tun­gen zu sehen, unter denen vie­le Bevöl­ke­run­gen leben müs­sen: Das ist ein Schrei nach Frie­den. Die Ver­ant­wort­li­chen müs­sen sich die­sem Schrei öff­nen und dür­fen nicht mit deren Haut spie­len. Es geht nicht dar­um, sich auf Spiel­chen der inter­na­tio­na­len Poli­tik zu beschrän­ken. Hier geht es um kon­kre­te, um posi­ti­ve Ant­wor­ten auf die Bedürf­nis­se der Men­schen. Wenn man sich die­ser Stim­me öff­nen wür­de, dann wür­de man, so den­ke ich, wirk­lich nach Wegen suchen, um die vie­len Pro­ble­me zu lösen, die die heu­ti­ge Rea­li­tät zerrütten.

Avve­ni­re: Unter den aktu­el­len Pro­ble­men beun­ru­higt Sie wel­che am meisten?

Kar­di­nal Paro­lin: Es sind vie­le und unter die­sen ist sicher der Nahe Osten, der für die Sen­si­bi­li­tät des Hei­li­gen Stuhls immer leben­dig ist. Heu­te ist die Lage wie­der gespannt und Grund zu gro­ßer Sor­ge. Auch für die Kon­flik­te im Bereich des Nahen Ostens ist der ent­schei­den­de Punkt der­sel­be: Man muß sich wirk­lich ein­set­zen, um zu einem dau­er­haf­ten Frie­den zu gelangen.

Avve­ni­re: Die jüng­sten Zusam­men­stö­ße in Jeru­sa­lem zei­gen aber ein­mal mehr, daß der israe­lisch-palä­sti­nen­si­sche Kon­flikt bei­spiel­haft für alle Kon­flik­te ist, die die­se Welt­ge­gend erschüttern.

Kar­di­nal Paro­lin: Der Hei­li­ge Stuhl betrach­tet Jeru­sa­lem als ein­zig­ar­tig und hei­lig für die Juden, die Chri­sten und die Mus­li­me, und schon seit eini­ger Zeit hat er sei­ne Kri­te­ri­en und sei­ne Bedin­gun­gen genannt. Kon­kret, daß Jeru­sa­lem als Ort mit Bür­ger­rech­ten für alle Gläu­bi­gen aner­kannt wird, als „Offe­ne Stadt“ im dem Sinn, daß die Reli­gi­ons­frei­heit und die Rech­te aller aner­kannt und respek­tiert werden.

Avve­ni­re: Sind Ihrer Mei­nung nach jetzt die Vor­aus­set­zun­gen gege­ben, um in die­se Rich­tung zu gehen?

Kar­di­nal Paro­lin: Die Vor­aus­set­zun­gen sind jene, die ich genannt habe. Wenn die Span­nun­gen zuneh­men, wird es not­wen­dig, die Eska­la­ti­on des Kon­flik­tes zu ver­mei­den. Das Pro­blem ist letzt­lich immer eines: Es braucht poli­ti­schen Wil­len. Auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne kön­nen wir über vie­le mög­li­che und umsetz­ba­re Lösun­gen spre­chen. Es gibt sie. Es gibt die Mög­lich­keit, mit kon­kre­ten Vor­schlä­gen zu ant­wor­ten, die wirk­li­che Lösun­gen sein kön­nen. Lei­der scheint aber der Wil­le aller zu feh­len, irgend etwas vom Eige­nen für eine Kom­pro­miß­for­mel aufzugeben.

Avve­ni­re: Ist der Vor­schlag des Hei­li­gen Stuhl – eines inter­na­tio­nal garan­tier­ten Sta­tuts, um den histo­ri­schen und reli­giö­sen Cha­rak­ter Jeru­sa­lems zu bewah­ren und allen den frei­en Zugang zu den Hei­li­gen Stät­ten zu sichern – noch gül­tig oder wur­de er durch die Fak­ten überholt?

Kar­di­nal Paro­lin: Die­ser Vor­schlag ist ohne Zwei­fel wei­ter­hin gül­tig. Mir scheint nicht, daß dazu Alter­na­ti­ven auf­ge­zeigt wur­den, um die Pro­ble­me und Span­nun­gen wegen Jeru­sa­lem zu lösen. Die Gewalt­tä­tig­kei­ten, die wir gese­hen haben, besa­gen, daß das Pro­blem auf inter­na­tio­na­ler Ebe­ne gelöst wer­den muß.

Avve­ni­re: Sie haben sich sehr in der Vene­zue­la-Kri­se ein­ge­setzt, indem sie sich bemüh­ten, die Ver­hand­lun­gen zu erleich­tern. Ist ange­sichts der aktu­el­len Ent­wick­lung der Ein­satz des Hei­li­gen Stuhls als geschei­tert zu betrachten?

Kar­di­nal Paro­lin: Nein. Es gibt kein Schei­tern. Die Diplo­ma­tie des Hei­li­gen Stuhls ist eine Diplo­ma­tie des Frie­dens. Er hat kei­ne Macht­in­ter­es­sen, weder poli­ti­sche noch wirt­schaft­li­che noch ideo­lo­gi­sche. Der Papst hat dar­an erin­nert: In einer Kri­sen­si­tua­ti­on gilt es immer zu ver­ste­hen, wie der Hei­li­ge Stuhl vor­geht: Er ist für eine akti­ve Poli­tik, für Akti­on nicht Reak­ti­on. Daher bemü­hen wir uns immer, unse­ren Bei­trag zu lei­sten. Wenn das manch­mal nicht gelingt, ist es wich­tig, sich dahin­ter­zu­klem­men. Des­halb spre­chen wir nicht von Schei­tern. Bezüg­lich Vene­zue­las kann es unter­schied­li­che Mei­nun­gen geben, wich­tig aber ist das Bemü­hen, auf­grund der Situa­ti­on prak­ti­ka­ble Ant­wor­ten zu geben, wobei die wirk­li­chen Lebens­be­din­gun­gen der Bevöl­ke­rung in Rech­nung zu stel­len sind und das All­ge­mein­wohl, das an erster Stel­le kom­men muß.

Avve­ni­re: Anders ist die aktu­el­le Situa­ti­on in Kolum­bi­en, das in eine neue geschicht­li­che Pha­se ein­zu­tre­ten scheint, wenn auch mit vie­len Unbe­kann­ten und Unsi­cher­hei­ten. Sind wei­te­re posi­ti­ve Ent­wick­lun­gen im Vor­feld des Papst-Besu­ches absehbar?

Kar­di­nal Paro­lin: Kolum­bi­en ist eine Hoff­nung, und wir hof­fen, daß die­ser posi­ti­ve Trend, wenn auch mit allen sei­nen Schwä­chen und Schwie­rig­kei­ten, die es geben mag, mit dem Besuch von Papst Fran­zis­kus ver­stärkt wer­den kann. Der Papst will mit Sicher­heit haupt­säch­lich wegen eines Grun­des nach Kolum­bi­en rei­sen: die För­de­rung der Ver­söh­nung. Ich den­ke, daß das Land neben den tech­ni­schen For­meln des Frie­dens­ab­kom­mens vor allem eine tief­ge­hen­de inne­re Ver­söh­nung braucht, um auf soli­den Grund­la­gen den Weg des Frie­dens beschrei­ten zu kön­nen. Es gibt poli­ti­sche Spal­tun­gen, wes­halb die­ser Besuch auch poli­tisch ein star­kes Zei­chen ist.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Avvenire/​MiL (Screen­shots)

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