Der Tod des kleinen Charlie Gard und der Versuch eines Schönredens


Charlie Gard (4. August 2016 - 28. Juli 2017) mit seinen tapferen Eltern.
Charlie Gard (4. August 2016 - 28. Juli 2017) mit seinen tapferen Eltern.

Von Giu­sep­pe Nardi

Anzei­ge

Für Ärger sorgt ein Kom­men­tar zum Tod des klei­nen Char­lie Gard, der in der Tages­zei­tung der Bischofs­kon­fe­renz erschie­nen ist und damit einen offi­ziö­sen Cha­rak­ter hat. Er stellt zugleich ein Sit­ten­bild dar und ist Aus­druck jener Bereit­schaft in man­chen Kir­chen­krei­sen, beim klein­stem Wider­stand des Zeit­gei­stes die wei­ße Fah­ne zu his­sen und zu kapitulieren.

Am 27. Juli wur­de der klei­ne Char­lie Gard auf Anwei­sung eines Rich­ters in ein geheim­ge­hal­te­nes Kin­der­hos­piz über­führt. Am ver­gan­ge­nen Frei­tag, dem 28. Juli, ist Char­lie im Alter von elf Mona­ten und 24 Tagen gestor­ben, nach­dem ihm – eben­falls auf rich­ter­li­che Anwei­sung – die Sau­er­stoff­zu­fuhr abge­stellt wor­den war. Mit ande­ren Wor­ten, man hat bewußt sei­nen Erstickungs­tod herbeigeführt.

Der Fall des klei­nen Char­lie, der an einer sel­te­nen Erb­krank­heit litt, hat vie­le unglaub­li­che Aspek­te, der unglaub­lich­ste ist die Miß­ach­tung der Hei­lig­keit eines Men­schen­le­bens, gefolgt von der Miß­ach­tung des Eltern­rechts, schließ­lich die Miß­ach­tung ele­men­tar­ster Grund­re­geln eines zivi­li­sier­ten Rechts­staa­tes. Was die Eltern durch­ge­macht haben, die mit­an­se­hen muß­ten, wie Frem­de über Leben und Tod ihres Soh­nes ent­schie­den, läßt sich gar nicht ermes­sen. Was der klei­ne Char­lie Gard durch­ge­macht hat … dafür feh­len ohne­hin die Worte.

Ein Rich­ter bestimm­te, daß die Eltern ihren Sohn nicht zu einem Spe­zia­li­sten in die USA, dem Neu­ro­lo­gen Michio Hira­no von der Colum­bia Uni­ver­si­ty und Pri­mar am New York Pres­by­te­ri­an Hos­pi­tal, Fach­mann für Mito­chon­drio­pa­thien, brin­gen durf­ten. Ein Rich­ter bestimm­te, daß die Eltern ihren Sohn über­haupt nir­gend­wo­hin brin­gen durf­ten, nicht ein­mal nach Hau­se, damit er dort den Tod ster­ben kön­ne, den ande­re für ihn bestimmt hat­ten. Ein Rich­ter hat­te näm­lich ent­schie­den, daß es für Char­lie kei­ne Hil­fe mehr gebe und er daher zu ster­ben habe, indem man ihm die Sau­er­stoff­zu­fuhr, auf die er ange­wie­sen war, abdreht.

Natür­lich sei das kein absicht­li­cher Mord, denn der­glei­chen gebe es durch einen Rich­ter per defi­ni­tio­nem nicht. Es sei auch kein absicht­li­ches Töten, weil alles nur „aus huma­ni­tä­ren“ Beweg­grün­den und „zum Wohl“ des Kin­des gesche­he. Die Eltern sei­en unein­sich­tig und wür­den nicht ver­ste­hen, daß der Tod „das Beste“ für das Kind sei, wes­halb ein Rich­ter die Ent­schei­dung über die Köp­fe der Eltern hin­weg (und des klei­nen Char­lie ohne­hin) zu tref­fen hat­te. Der Euro­päi­sche Gerichts­hof für Men­schen­rech­te fand nichts dar­an aus­zu­set­zen. Um genau zu sein, wei­ger­te er sich über­haupt, sich mit dem Fall zu befassen.

Der Rich­ter heißt Nicho­las Fran­cis. Zur Ver­tei­di­gung der Rech­te des klei­nen Char­lie berief er einen Rechts­bei­stand, der einer Eutha­na­sie­ver­ei­ni­gung nahe­steht. Der Ele­fant wur­de in den Por­zel­lan­la­den gelas­sen, aber – natür­lich – alles geschah ja im Namen der Huma­ni­tät und – wir erin­nern uns – „zum Wohl“ des Kindes.

Papst Fran­zis­kus und US-Prä­si­dent Donald Trump bemüh­ten sich um das Leben des Kin­des. Doch nütz­te alles nichts. Die Büro­kra­tie, auch wenn sie Rich­ter­ro­be trägt, ist uner­bitt­lich und kalt.

Kar­di­nal Car­lo Caf­farra warnte:

„Sie haben Gott zurück­ge­wie­sen, um sich der Büro­kra­tie auszuliefern.“

Ande­re Kir­chen­ver­tre­ter mach­ten so schnell einen Knie­fall vor dem Zeit­geist, unfä­hig für ein Men­schen­le­ben die Stim­me zu erhe­ben, daß man sich gar nicht so schnell umschau­en konn­te. Die Eltern hiel­ten uner­schrocken stand und kämpf­ten um das Leben ihres Kin­des, nicht das eines Rich­ters oder der Medi­en oder der Staats­an­walt­schaft oder einer Eutha­na­sie­or­ga­ni­sa­ti­on. Sie kämpf­ten bis zum Schluß. Ihnen ist es zu ver­dan­ken, daß der Fall des klei­ne Char­lie über­haupt bekannt wur­de. Hät­ten sie nicht gehan­delt, wie Eltern zu han­deln haben, die das Beste – und zwar wirk­lich das Beste – für ihr Kind wol­len, dann wäre klein Char­lie still­schwei­gend eutha­na­siert wor­den, und nie­mand hät­te davon erfah­ren. Die Kul­tur des Todes hat am Ende den­noch gesiegt, und das ist ein Warn­si­gnal, das alle auf­schrecken soll­te, aber sie wur­de enttarnt.

Trau­rig ist die Figur, die eini­ge Kir­chen­ver­tre­ter in der Sache mach­ten. Trau­rig ist der stän­di­ge Ver­such, alles schön­zu­re­den, als sei es irgend­wie gleich­gül­tig, ob Char­lie noch leben wür­de oder ster­ben muß­te. Haupt­sa­che alles „posi­tiv“ sehen und nicht gegen den Strom schwimmen.

So scheint jeden­falls Mar­co Tar­qui­nio, der Chef­re­dak­teur des Avve­ni­re, der Tages­zei­tung der Ita­lie­ni­schen Bischofs­kon­fe­renz gedacht zu haben, als er am 29. Juli sei­nen Kom­men­tar schrieb, um das Kapi­tel des klei­nen Char­lie Gard abzuschließen.

Hier der Kommentar:

„Der Weg und der irdi­sche Kampf von Char­lie Gard sind zu Ende, sein Leben geht wei­ter. Char­lie ist von einem uner­bitt­li­chen Lei­den getö­tet wor­den, und weder die Wis­sen­schaft noch das Gesetz konn­ten oder woll­ten ihm viel­leicht hel­fen. Den­noch ist die­ses klei­ne und unend­li­che Kin­der­le­ben nun in den Armen des Vaters, der uns mit der „unend­li­cher Lie­be“ der Mut­ter liebt. Das hat uns Johan­nes Paul I. gelehrt mit einem Lächeln und einer gro­ßen Weis­heit. Die Mut­ter und der Vater des Klei­nen, den die gan­ze Welt begon­nen hat, als eige­nen Sohn zu sehen, bezeu­gen es uns mit Wür­de und Lei­den auf dem Weg einer Treue ohne Ver­bis­sen­heit. Wir alle, die wir uns Chri­sten und zivi­li­siert nen­nen, soll­ten das nie ver­ges­sen, nicht ein­mal im Schmerz und der Orientierungslosigkeit.“

Laut dem Chef­re­dak­teur der Zei­tung der Bischö­fe ist der klei­ne Char­lie also an einer Krank­heit gestor­ben. Was für eine Lüge! Char­lie ist gestor­ben, weil ein Rich­ter ange­ord­net hat­te, ihn ersticken zu las­sen, und weil ein Mensch ihm gezielt die Sau­er­stoff­zu­fuhr abge­dreht hat.

Zumin­dest zwei­deu­tig ist die Behaup­tung, die Eltern, deren Eltern­recht vom bri­ti­schen Rechts­staat und dem Euro­päi­schen Gerichts­hof für Men­schen­rech­te mit Füßen getre­ten wur­de, sei­en Zeu­gen einer „Treue ohne Ver­bis­sen­heit“ gewor­den. Was haben sie, laut der Wort­wahl Tar­qui­ni­os also bezeugt? Die Treue als Eltern ihrem Sohn gegen­über, die sein Leben ret­ten woll­ten, oder will er sagen, daß am Ende Rich­ter und Ärz­te jenes Kran­ken­hau­ses, indem sich Char­lie befand, recht hat­ten, die es als „Ver­bis­sen­heit“ sahen, das Kind noch län­ger am Leben zu lassen?

Da Tar­qui­nio behaup­tet, Char­lie sei an einer Krank­heit gestor­ben, muß ange­nom­men wer­den, daß der Chef­re­dak­teur der Zei­tung der Bischö­fe auch der Mei­nung ist, es sei „das Beste“ für das Kind, gewe­sen, daß es getö­tet wurde.

Bei sol­chen „Strei­tern“ für die Kul­tur des Lebens, darf man sich nicht wun­dern, wenn die Kul­tur des Todes immer viru­len­ter wird.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: InfoVaticana

Print Friendly, PDF & Email
Anzei­ge

Hel­fen Sie mit! Sichern Sie die Exi­stenz einer unab­hän­gi­gen, kri­ti­schen katho­li­schen Stim­me, der kei­ne Gel­der aus den Töp­fen der Kir­chen­steu­er-Mil­li­ar­den, irgend­wel­cher Orga­ni­sa­tio­nen, Stif­tun­gen oder von Mil­li­ar­dä­ren zuflie­ßen. Die ein­zi­ge Unter­stüt­zung ist Ihre Spen­de. Des­halb ist die­se Stim­me wirk­lich unabhängig.

Katho­li­sches war die erste katho­li­sche Publi­ka­ti­on, die das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus kri­tisch beleuch­te­te, als ande­re noch mit Schön­re­den die Qua­dra­tur des Krei­ses versuchten.

Die­se Posi­ti­on haben wir uns weder aus­ge­sucht noch sie gewollt, son­dern im Dienst der Kir­che und des Glau­bens als not­wen­dig und fol­ge­rich­tig erkannt. Damit haben wir die Bericht­erstat­tung verändert.

Das ist müh­sam, es ver­langt eini­ges ab, aber es ist mit Ihrer Hil­fe möglich.

Unter­stüt­zen Sie uns bit­te. Hel­fen Sie uns bitte.

Vergelt’s Gott!