„Alle antworten auf die Dubia, nur der Papst nicht“ – Kritik an den jüngsten Aussagen von Kardinal Schönborn


Kardinal Schönborn und Papst Franziskus
Kardinal Schönborn und Papst Franziskus

(Rom) „Alle ant­wor­ten auf die Dubia, nur der Papst nicht.“ Fran­zis­kus wei­gert sich seit Sep­tem­ber 2016 auf fünf Fra­gen von vier Kar­di­nä­len zum umstrit­te­nen nach­syn­oda­len Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia zu ant­wor­ten. Statt des Pap­stes ant­wor­ten zahl­rei­che, ihm nahe­ste­hen­de Kir­chen­ver­tre­ter, jüngst der Wie­ner Erz­bi­schof, Kar­di­nal Chri­stoph Graf Schön­born. Der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster ver­öf­fent­lich­te eine Kri­tik an den jüng­sten Schön­born-Aus­sa­gen zugun­sten Amo­ris lae­ti­tia und gegen die Dubia. Der Autor der Kri­tik bleibt auf eige­nen Wunsch anonym.

Alle antworten auf die Dubia, außer der Papst. Dieses Mal war Schönborn an der Reihe

Anzei­ge

von ***

Am 13. Juli 2017 sprach Kar­di­nal Chri­stoph Schön­born, der Erz­bi­schof von Wien, vier Stun­den lang in zwei Vor­trä­gen und einer Dis­kus­si­on im Mary Imma­cu­la­te Col­lege von Lime­rick in Irland.

Kardinal Schönborn in Limerick
Kar­di­nal Schön­born in Limerick

Der öster­rei­chi­sche Pur­pur­trä­ger nahm am Vor­be­rei­tungs­tref­fen „Let’s Talk Fami­ly: Let’s Be Fami­ly“ (Laßt uns über die Fami­lie spre­chen: Laßt uns Fami­lie sein) für das Welt­fa­mi­li­en­tref­fen teil, das vom neu­en Dik­aste­ri­um für die Lai­en, die Fami­lie und das Leben vom 21.–28. August 2018 in Dub­lin orga­ni­siert wird.[1]sie­he World Fami­ly Mee­ting

Nach der Lek­tü­re der Medi­en­be­rich­te[2]Die Reden von Kar­di­nal Schön­born wur­den nicht voll­in­halt­lich ver­öf­fent­licht. Die vor­lie­gen­den Aus­füh­run­gen bezie­hen sich auf die von Crux ver­öf­fent­lich­ten Tei­le. über die Ver­an­stal­tung kann ich nur fest­stel­len, daß alle auf die von vier Kar­di­nä­len dem Papst vor­ge­leg­ten Dubia ant­wor­ten, außer der Papst, und daß auf die­se Wei­se dem chao­ti­schen Chor der Kom­men­ta­re und Inter­pre­ta­tio­nen zu Amo­ris lae­ti­tia – die alles tun, nur nicht die vom Doku­ment auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen und Pro­ble­me für die Gläu­bi­gen und die Beicht­vä­ter klä­ren – eine wei­te­re Stim­me oder bes­ser neu­er Nebel hin­zu­ge­fügt wurde.

Die vom Erz­bi­schof von Wien vor­ge­brach­ten Argu­men­te – jeden­falls so, wie sie von den glaub­wür­dig­sten Medi­en wie­der­ge­ge­ben wur­den – sind alles ande­re als über­zeu­gend. Schau­en wir uns die wich­tig­sten an.

1. Ein unangebrachter Tadel

In erster Linie tadelt Schön­born die Kar­di­nä­le der Dubia. Er beschul­digt sie, weil sie respekt­voll um eine Audi­enz baten, den Papst unter Druck gesetzt zu haben. Sie hät­ten schon um Audi­enz bit­ten dür­fen, dies aber nicht öffent­lich bekannt machen sol­len. Wört­lich sag­te der öster­rei­chi­sche Erzbischof:

„Daß Kar­di­nä­le, die die eng­sten Mit­ar­bei­ter des Pap­stes sein soll­ten, ver­su­chen, ihn zu zwin­gen und Druck auf ihn aus­zu­üben, damit er ihnen eine öffent­li­che Ant­wort auf ihren öffent­lich bekannt­ge­mach­ten Brief gibt, ist ein abso­lut unge­hö­ri­ges Ver­hal­ten. Es tut mir leid, das sagen zu müs­sen. Wenn sie eine Audi­enz beim Papst wol­len, sol­len sie eine Audi­enz bean­tra­gen, aber nicht öffent­lich bekannt­ma­chen, daß sie um eine Audi­enz ange­sucht haben“.[3]„That car­di­nals, who should be the clo­sest col­la­bo­ra­tors of the pope, try to force him, to put pres­su­re on him to give a public respon­se to their publi­ci­zed, per­so­nal let­ter to the pope – this is … Con­ti­n­ue rea­ding

Ich fra­ge mich, ob Kar­di­nal Schön­born fol­gen­de Wor­te des Pap­stes über die bereits wäh­rend der bei­den jüng­sten Bischofs­syn­oden ent­stan­de­nen und nach der Ver­öf­fent­li­chung von Amo­ris lae­ti­tia fort­dau­ern­den Dis­kus­sio­nen gele­sen hat und/​oder glaubt. Ich zitie­re eini­ge Auszüge:

„Eine Grund­be­din­gung dafür ist es, offen zu spre­chen. Kei­ner soll sagen: »Das kann man nicht sagen, sonst könn­te man ja schlecht über mich den­ken…« Alles, was sich jemand zu sagen gedrängt fühlt, darf mit Par­r­he­sia [Frei­mut] aus­ge­spro­chen wer­den. Nach dem letz­ten Kon­si­sto­ri­um (Febru­ar 2014), bei dem über die Fami­lie gespro­chen wur­de, hat mir ein Kar­di­nal geschrie­ben: »Scha­de, daß eini­ge Kar­di­nä­le aus Respekt vor dem Papst nicht den Mut gehabt haben, gewis­se Din­ge zu sagen, weil sie mein­ten, daß der Papst viel­leicht anders den­ken könn­te.« Das ist nicht in Ord­nung, das ist kei­ne Syn­oda­li­tät, weil man alles sagen soll, wozu man sich im Herrn zu spre­chen gedrängt fühlt: ohne mensch­li­che Rück­sich­ten, ohne Furcht! Und zugleich soll man in Demut zuhö­ren und offe­nen Her­zens anneh­men, was die Brü­der sagen. Mit die­sen bei­den Gei­stes­hal­tun­gen üben wir die Syn­oda­li­tät aus.“[4]Gruß­adres­se von Papst Fran­zis­kus zur Eröff­nung der Bischofs­syn­ode über die Fami­lie, 6. Okto­ber 2014.

„Per­sön­lich hät­te es mich sehr besorgt und betrübt, wenn es nicht die­se Ver­su­chun­gen und die­se ange­reg­ten Dis­kus­sio­nen – die­se Bewe­gung der Gei­ster, wie der hei­li­ge Igna­ti­us es nann­te (EE, 6) – gege­ben hät­te, wenn sich alle einig gewe­sen wären oder wegen eines fal­schen Frie­dens und der Ruhe wegen schwei­gen wür­den“[5]Anspra­che des Hei­li­gen Vaters zum Abschluß der III. Gene­ral­ver­samm­lung der Außer­or­dent­li­chen Bischofs­syn­ode, 18. Okto­ber 2014..

„Zugleich mach­te uns die Viel­schich­tig­keit der ange­spro­che­nen The­men die Not­wen­dig­keit deut­lich, eini­ge dok­tri­nel­le, mora­li­sche, spi­ri­tu­el­le und pasto­ra­le Fra­gen unbe­fan­gen wei­ter zu ver­tie­fen“[6]Amo­ris lae­ti­tia, 2.

„Habt den Mut, uns zu beleh­ren; habt den Mut, uns zu leh­ren, daß es ein­fa­cher ist, Brücken zu bau­en, als Mau­ern zu errich­ten!“[7]Anspra­che von Papst Fran­zis­kus bei der Gebets­wa­che mit den Jugend­li­chen auf dem Cam­pus Miser­i­cor­diae, 31. Welt­ju­gend­tag, Kra­kau, 30. Juli 2016.

Papst Fran­zis­kus sprach von nichts ande­rem als von Par­r­he­sia, Syn­oda­li­tät und davon, kei­ne Mau­ern, son­dern Brücken zu bau­en. Er sag­te, daß er besorgt und betrübt wäre, wenn es bei der Syn­ode kei­ne ange­reg­ten Dis­kus­sio­nen gege­ben hät­te. Er schrieb in Amo­ris lae­ti­tia, dem Doku­ment, das Gegen­stand der ange­reg­ten Dis­kus­sio­nen ist, daß es not­wen­dig ist, „unbe­fan­gen“ eini­ge „dok­tri­nel­le, mora­li­sche, spi­ri­tu­el­le und pasto­ra­le Fra­gen zu vertiefen“.

Dann aber, und trotz die­ser Wor­te, beschließt der­sel­be Papst, vier Kar­di­nä­le nicht zu emp­fan­gen, die ihn demü­tig und legi­ti­mer­wei­se um Audi­enz gebe­ten haben… Und sie hät­ten nicht ein­mal etwas sagen sol­len? Kar­di­nal Schön­born hat wirk­lich ein selt­sa­mes Ver­ständ­nis von Parrhesia

2. Doktrinelle Verwirrung

Nach die­ser unbe­grün­de­ten Kla­ge des Erz­bi­schofs von Wien kom­men wir zu den mehr inhalt­li­chen Fragen.

Ich neh­me drei Fest­stel­lun­gen Schön­borns zusammen:

  1. „Die Moral­theo­lo­gie steht auf zwei Bei­nen: die Grund­sät­ze und die klu­gen Schrit­te, um sie auf die Wirk­lich­keit anzu­wen­den“ [8]„Moral theo­lo­gy stands on two feet: Prin­ci­ples, and then the pru­den­ti­al steps to app­ly them to rea­li­ty.“
  2. In Amo­ris lae­ti­tia kommt Fran­zis­kus „häu­fig dar­auf zurück, was er in Evan­ge­lii gau­di­um gesagt hat, daß ein klei­ner Schritt zum Guten unter schwie­ri­gen Umstän­den mehr wert sein kann als ein soli­des mora­li­sches Leben in einer beque­men Situa­ti­on“[9]„Often comes back to what he said in ‚Evan­ge­lii Gau­di­um‘, that a litt­le step towards the good done under dif­fi­cult cir­cum­stances can be more valuable than a moral solid life under com­for­ta­ble … Con­ti­n­ue rea­ding
  3. „Das ‚bonum pos­si­bi­le‘ der Moral­theo­lo­gie ist ein wich­ti­ges Kon­zept, das zu oft ver­nach­läs­sigt wur­de […] Was ist das mög­li­che Gut, das eine Per­son oder ein Paar unter schwie­ri­gen Umstän­den ver­wirk­li­chen kann?“[10]„The ‚bonum pos­si­bi­le‘ in moral theo­lo­gy is an important con­cept that has been so often neglec­ted. […] What is the pos­si­ble good that a per­son or a cou­ple can achie­ve in dif­fi­cult cir­cum­stances?“

Begin­nen wir mit der Ana­ly­se der ersten Aus­sa­ge. Was sind die klu­gen Schrit­te, um die Grund­sät­ze der Moral auf die Wirk­lich­keit anzuwenden?

Die Klug­keit, „rec­ta ratio agi­bi­li­um“, wählt die Mit­tel gemäß dem Ziel. Sie wählt sie nicht will­kür­lich, son­dern ist an die Wahr­heit gebun­den. Folg­lich kann die Klug­heit, wenn sie eine sol­che sein soll, kei­ne schlech­ten Mit­tel oder in sich schlech­te Hand­lun­gen wäh­len, die zwangs­läu­fig immer unklug sind. Eine klu­ge Hand­lung muß in sich gut sein. Wenn sie nicht gut ist, ist sie auch nicht klug. Damit eine Hand­lung gut ist – und daher even­tu­ell auch klug –, sind die Absich­ten oder Umstän­de nicht immer aus­rei­chend. Das ist zu glau­ben, wie die Kir­che unfehl­bar lehrt. So hat es der hei­li­ge Johan­nes Paul II. in der Enzy­kli­ka Veri­ta­tis sple­ndor gelehrt:

„Jeder von uns weiß um die Bedeu­tung der Leh­re, die den Kern die­ser Enzy­kli­ka dar­stellt und an die heu­te mit der Auto­ri­tät des Nach­fol­gers Petri erin­nert wird. Jeder von uns kann den Ernst des­sen spü­ren, wor­um es mit der erneu­ten Bekräf­ti­gung der Uni­ver­sa­li­tät und Unver­än­der­lich­keit der sitt­li­chen Gebo­te und ins­be­son­de­re der­je­ni­gen, die immer und ohne Aus­nah­me in sich schlech­te Akte ver­bie­ten, nicht nur für die ein­zel­nen Per­so­nen, son­dern für die gan­ze Gesell­schaft geht“[11]Veri­ta­tis sple­ndor, 115, 6. August 1993, Her­vor­he­bun­gen vom Autor.

Der Zweck hei­ligt nie die Mit­tel, daher macht der Zweck eine schlech­te Hand­lung nie zu einer klu­gen oder ver­hält­nis­mä­ßi­gen. Wenn es also stimmt, daß die „Moral­theo­lo­gie auf zwei Bei­nen steht: die Grund­sät­ze und die klu­gen Schrit­te, um sie auf die Wirk­lich­keit anzu­wen­den“, dann ist das Zusam­men­le­ben „more uxorio“ von zwei Per­so­nen, die nicht Mann und Frau sind, nie eine klu­ge Anwen­dung der Grund­sät­ze auf die objek­ti­ve Wirk­lich­keit[12]Es genügt als Bei­spiel auf die Erklä­rung der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on Per­so­na huma­na vom 29. Dezem­ber 1975 zu ver­wei­sen: „Nach der christ­li­chen Über­lie­fe­rung und der Leh­re der Kir­che wie auch nach … Con­ti­n­ue rea­ding

Die zwei­te Aus­sa­ge von Kar­di­nal Schön­born lobt die klei­nen Schrit­te zum Guten, vor allem jene, die unter Schwie­rig­kei­ten erfol­gen. Hand­lun­gen, die unab­hän­gig von den Umstän­den immer schlecht sind, sind nie ein klei­ner Schritt zum Guten, son­dern ein mehr oder weni­ger schwer­wie­gen­der Schritt zum Bösen. Es kann vie­le klei­ne Schrit­te zum Guten geben von Per­so­nen, die im Stand der Sün­de sind (Cari­tas, Gebet, Teil­nah­me am Leben der Kir­che, usw.), aber es sind nicht die Hand­lun­gen, die sie in den Stand der Sün­de ver­set­zen, die sie dem Guten annä­hern: die­se wider­set­zen sich unwei­ger­lich dem Weg zum Guten, der Bewe­gung des ver­nunft­be­gab­ten Geschöp­fes zu Gott, wie der hei­li­ge Tho­mas von Aquin sagen wür­de[13]„De motu ratio­na­lis crea­turae in Deum“, Sum­ma theo­lo­giae, I q. 2 pr.

Die drit­te Aus­sa­ge des Wie­ner Erz­bi­schofs wür­digt die Kate­go­rie des bonum pos­si­bi­le. Das ist eine schö­ne Kate­go­rie, wenn sie kor­rekt inter­pre­tiert wird (den­ken wir an das Wort des hei­li­gen Phil­ipp Neri: „Bleibt gut, wenn ihr könnt“). Sie ist irre­füh­rend, wenn man die Wor­te des hei­li­gen Pau­lus ver­gßt: „Noch ist kei­ne Ver­su­chung über euch gekom­men, die den Men­schen über­for­dert. Gott ist treu; er wird nicht zulas­sen, daß ihr über eure Kraft hin­aus ver­sucht wer­det. Er wird euch in der Ver­su­chung einen Aus­weg schaf­fen, sodaß ihr sie bestehen könnt“[14]1 Kor 10,13. Sie ist irre­füh­rend, wenn sie sich gegen das rich­tet, was das Kon­zil von Tri­ent unfehl­bar definiert:

„Nie­mand aber, wie sehr er auch gerecht­fer­tigt sein mag, darf mei­nen, er sei frei von der Beach­tung der Gebo­te, nie­mand jenes leicht­fer­ti­ge und von den Vätern unter Andro­hung des Ana­the­ma ver­bo­te­ne Wort benüt­zen, die Vor­schrif­ten Got­tes sei­en für einen gerecht­fer­tig­ten Men­schen unmög­lich zu beob­ach­ten“[15]Dekret über die Recht­fer­ti­gung, , 13. Janu­ar 1547, Ses­sio VI, cap. 11.

Sie ist irre­füh­rend, wenn gegen die katho­li­sche Recht­fer­ti­gungs­leh­re die Türen der unbe­zwing­ba­ren Lust mit jan­se­ni­sti­schem Bei­geschmack – wenn auch in ande­rem Sinn – geöff­net wür­den, oder einer Bedingt­heit durch sozia­le Fak­to­ren, die stär­ker sei­en als die Gna­de oder sogar der freie Wille.

3. Amoris laetitia ist katholisch: versichert Schönborn

Crux berich­tet auch eine Epi­so­de, die vom Kar­di­nal erzählt wurde:

„Schön­born ent­hüll­te, daß ihm Fran­zis­kus gedankt hat, als er ihm nach der Vor­stel­lung von Amo­ris lae­ti­tia begeg­ne­te, und ihn gefragt hat, ob das Doku­ment ortho­dox ist. ‚Ich habe ihm gesagt: Hei­li­ger Vater, es ist voll­kom­men ortho­dox‘. Schön­born füg­te hin­zu, daß er weni­ge Tage spä­ter eine klei­ne Mit­tei­lung von Fran­zis­kus erhielt, die besag­te: ‚Dan­ke für die­ses Wort, das mich getrö­stet hat‘.“[16]„Schön­born reve­a­led that when he met the Pope short­ly after the pre­sen­ta­ti­on of ‚Amo­ris‘, Fran­cis than­ked him, and asked him if the docu­ment was ortho­dox. ‚I said, Holy Father, it is ful­ly … Con­ti­n­ue rea­ding

Die­se Schil­de­rung ent­hüllt einer­seits die Demut von Fran­zis­kus, der Theo­lo­gen sei­nes Ver­trau­ens um ihre Mei­nung fragt. Ande­rer­seits aber soll­te es der Papst sein, der den Theo­lo­gen Ant­wort gibt, und den Kar­di­nä­len, die ihm – mit der gebo­te­nen Par­r­he­sia und vom Papst selbst ermu­tigt – ihre gro­ße Sor­ge über den Zustand der Kir­che vor­tra­gen. Die ist durch die wider­sprüch­li­chen Inter­pre­ta­tio­nen der ver­schie­de­nen Epi­sko­pa­te näm­lich wirk­lich gespal­ten und verwundet.

4. Schlußfolgerungen

Kar­di­nal Car­lo Caf­farra nann­te in einer Rede[17]Il cri­stia­no e le sfi­de attua­li“ (Der Christ und die aktu­el­len Her­aus­for­de­run­gen), 3. Juni 2005. vor dem wis­sen­schaft­li­chen Bei­rat des Insti­tuts Veri­ta­tis sple­ndor von Bolo­gna eini­ge aktu­el­le Her­aus­for­de­run­gen, auf die die Chri­sten reagie­ren müs­sen: Rela­ti­vis­mus, Amo­ra­li­tät und Individualismus.

Bezüg­lich der Amo­ra­li­tät sag­te der dama­li­ge Erz­bi­schof von Bologna:

„Ich habe von Amo­ra­li­tät in einem prä­zi­sen Sinn gespro­chen. In dem Sinn, daß die Aus­sa­ge, laut der ‚es Hand­lun­gen gibt, die für sich und in sich – unab­hän­gig von den Umstän­den – immer schwer­wie­gend uner­laubt sind‘ (Recon­ci­lia­tio et peniten­tia, 17) halt­los sei [laut der aktu­el­len Mentalität].“

Kar­di­nal Caf­farra warn­te vor eini­gen Pseudo-Lösungen:

„Eine erste Pseu­do-Lösung ist die Flucht vor der wirk­li­chen und ern­sten Kon­fron­ta­ti­on mit die­sen Her­aus­for­de­run­gen. Eine Flucht, die eine all­ge­mei­ne Form des Fide­is­mus annimmt, einer Ableh­nung der Dimen­si­on der Wahr­heit des christ­li­chen Glau­bens. Es ist eine regel­rech­te Ver­wei­ge­rung, die nicht unbe­dingt bewußt erfol­gen muß, gegen eine ernst­haf­te Kon­fron­ta­ti­on auf der kul­tu­rel­len Ebe­ne im eigent­li­chen Sinn. Es ist eine Flucht in einen zwar erklär­ten, aber nicht hin­ter­frag­ten Glau­ben, einen erklär­ten, aber nicht über­leg­ten Glauben.“

Die Flucht „in einen nur erklär­ten, aber nicht hin­ter­frag­ten Glau­ben“! Wie oft hören wir die Wor­te Barm­her­zig­keit, Gewis­sen, Rei­fe, Ver­ant­wor­tung usw. bei gleich­zei­ti­ger Ableh­nung einer wirk­li­chen Suche nach dem „intellec­tus fidei“, dem tie­fe­ren Ver­ständ­nis der Glaubensgründe.

Schön­borns Argu­men­te wur­den ante lit­teram in den Kon­text die­ser Über­le­gun­gen von Kar­di­nal Caf­farra zur sub­stan­ti­el­len (nicht unbe­dingt absicht­li­chen) Ableh­nung der „Dimen­si­on der Wahr­heit des christ­li­chen Glau­bens“ gestellt:

  • „etsi veri­tas non dare­tur“, als gäbe es kei­ne unver­än­der­li­che Wahr­heit über den Men­schen und die Sakramente;
  • „etsi bonum non dare­tur“, als gäbe es kein objek­tiv Gutes, das zu tun ist, und ein eben­so objek­tiv Böses, das zu mei­den ist, die bei­de vom Men­schen nicht bestimmt, von ihm aber gefun­den und aus frei­en Stücken nach sei­nem Gewis­sen gewählt werden.
  • „etsi gra­tia non dare­tur“, als sei der Mensch von Gott in einer Art Fal­le ver­ges­sen wor­den, in der er kei­ne ande­re Wahl habe, als zu sündigen.

Über­set­zung: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Vati​can​.va/​C​a​t​h​o​lic (Screen­shots)

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1 sie­he World Fami­ly Meeting
2 Die Reden von Kar­di­nal Schön­born wur­den nicht voll­in­halt­lich ver­öf­fent­licht. Die vor­lie­gen­den Aus­füh­run­gen bezie­hen sich auf die von Crux ver­öf­fent­lich­ten Teile.
3 „That car­di­nals, who should be the clo­sest col­la­bo­ra­tors of the pope, try to force him, to put pres­su­re on him to give a public respon­se to their publi­ci­zed, per­so­nal let­ter to the pope – this is abso­lut­e­ly incon­ve­ni­ent beha­viour, I’m sor­ry to say. If they want to have an audi­ence with the pope, they ask for an audi­ence; but they do not publish that they asked for an audience“.
4 Gruß­adres­se von Papst Fran­zis­kus zur Eröff­nung der Bischofs­syn­ode über die Fami­lie, 6. Okto­ber 2014.
5 Anspra­che des Hei­li­gen Vaters zum Abschluß der III. Gene­ral­ver­samm­lung der Außer­or­dent­li­chen Bischofs­syn­ode, 18. Okto­ber 2014.
6 Amo­ris lae­ti­tia, 2
7 Anspra­che von Papst Fran­zis­kus bei der Gebets­wa­che mit den Jugend­li­chen auf dem Cam­pus Miser­i­cor­diae, 31. Welt­ju­gend­tag, Kra­kau, 30. Juli 2016.
8 „Moral theo­lo­gy stands on two feet: Prin­ci­ples, and then the pru­den­ti­al steps to app­ly them to reality.“
9 „Often comes back to what he said in ‚Evan­ge­lii Gau­di­um‘, that a litt­le step towards the good done under dif­fi­cult cir­cum­stances can be more valuable than a moral solid life under com­for­ta­ble circumstances.“
10 „The ‚bonum pos­si­bi­le‘ in moral theo­lo­gy is an important con­cept that has been so often neglec­ted. […] What is the pos­si­ble good that a per­son or a cou­ple can achie­ve in dif­fi­cult circumstances?“
11 Veri­ta­tis sple­ndor, 115, 6. August 1993, Her­vor­he­bun­gen vom Autor.
12 Es genügt als Bei­spiel auf die Erklä­rung der Glau­bens­kon­gre­ga­ti­on Per­so­na huma­na vom 29. Dezem­ber 1975 zu ver­wei­sen: „Nach der christ­li­chen Über­lie­fe­rung und der Leh­re der Kir­che wie auch nach dem Zeug­nis der gesun­den Ver­nunft beinhal­tet die sitt­li­che Ord­nung der Sexua­li­tät Wer­te von so gro­ßer Bedeu­tung für das mensch­li­che Leben, daß jede direk­te Ver­let­zung die­ser Ord­nung objek­tiv schwer­wie­gend ist“.
13 „De motu ratio­na­lis crea­turae in Deum“, Sum­ma theo­lo­giae, I q. 2 pr.
14 1 Kor 10,13.
15 Dekret über die Recht­fer­ti­gung, , 13. Janu­ar 1547, Ses­sio VI, cap. 11.
16 „Schön­born reve­a­led that when he met the Pope short­ly after the pre­sen­ta­ti­on of ‚Amo­ris‘, Fran­cis than­ked him, and asked him if the docu­ment was ortho­dox. ‚I said, Holy Father, it is ful­ly ortho­dox’, Schön­born told us he told the pope, adding that a few days later he recei­ved from Fran­cis a litt­le note that said: ‚Thank you for that word. That gave me comfort‘.“
17 Il cri­stia­no e le sfi­de attua­li“ (Der Christ und die aktu­el­len Her­aus­for­de­run­gen), 3. Juni 2005.
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