
(Teheran) Die Attentate, die vergangene Woche Teheran erschüttert haben, signalisieren, daß im Nahen Osten große Umbrüche im Gange sind. Laut den vorliegenden Informationen sind am 7. Juni Gruppen bewaffneter Terroristen in das Parlament und das Mausoleum von Ayatollah Khomeini eingedrungen.
Die Attentate forderten 19 Todesopfer. Am Nachmittag desselben Tages meldeten Regierungsstellen, wieder die Kontrolle über beide Gebäude übernommen und ein drittes Attentat abgewehrt zu haben. Inzwischen wurde bekanntgegeben, daß der Haupttäter im Ausland ausfindig und „von Sicherheitskräften“ getötet worden sei.
Zu den Anschlägen bekannte sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Das schnelle Bekenntnis ließ einige Kommentatoren zweifeln. Dazu besteht allerdings kein wirklicher Grund, da sich die Dschihadmiliz in der Vergangenheit nur zu Attentaten bekannte, die tatsächlich auf ihr Konto gehen.
Der Iran liegt in direkter Nachbarschaft zum Hauptoperationsgebiet des Islamischen Staates im Irak und in Syrien. Die Kommunikation ist daher leichter als zu IS-Kämpfern, die in Europa Attentate verüben und dabei getötet werden. Einige westliche „Leitmedien“ versuchten wenig überzeugend, den Verdacht auf eine islamisch-marxistische Gruppe im Iran zu lenken. Es ist aber schwer vorstellbar, daß iranische Oppositionsgruppen ein in der Bevölkerung so anerkanntes Symbol wie das Khomeini-Mausoleum angreifen und sich sofort jede Unterstützung und Solidarisierung im Volk verscherzen.
Spaltung von Al-Qaida und Gründung des Islamischen Staates (IS)
Der Haß der Sunniten auf die Schiiten, der vom Islamischen Staat (IS) in seiner aggressivsten Form repräsentiert wird, ist dagegen eine Tatsache. Der Jordanier Abu Musab al-Zarqawi war der Al-Qaida-Anführer in Syrien und im Irak. Er gilt heute als Gründer des Islamischen Staates (IS). Mit Al-Qaida brach al-Zarqawi wegen der Schiiten-Frage. Er betrachtete die Schiiten wie die Christen und Heiden als „Ungläubige“, die zu töten seien. Osama bin Laden vertrat eine weniger gewalttätige Position, um sich nicht den Iran und die Mehrheit der Iraker zum Feind zu machen. Die Streitfrage war, wie mit den Schiiten umgehen, die man im Irak und in Syrien bei der Eroberung eines Ortes antrifft. Die von Al-Zarqawi angewandte Lösung war deren Hinrichtung.
Am 7. Juni 2006 wurde Al-Zarqawi von einer US-Spezialeinheit in der Nähe von Bagdad getötet. Die „Zarqawi-Gruppe“ gilt als Kern des heutigen Islamischen Staates (IS).
Der Iran wird in westlichen Medien, aufgrund einer alten, auf das Jahr 1979 zurückgehenden Feindschaft der USA und Israels, selten im Zusammenhang mit dem Anti-IS-Kampf zitiert, spielt aber in Wirklichkeit eine zentrale Rolle im aktiven Kampf gegen den Islamischen Staat. Der Iran ist sogar der einzige Staat, der seit 2014 mit Bodentruppen die Dschihadisten bekämpft, während die Russen vorwiegend Luftschläge ausführen und sich die USA und ihre Anti-IS-Koalition auf Kosmetik beschränken. Mit anderen Worten: Die iranischen Schiiten halten im direkten Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) den Kopf hin. Sie haben ihre Gründe dafür.
Iran im Kampf gegen den Islamischen Staat
Der IS greift ihre Glaubensbrüder im Irak und in Syrien an. Die Schiiten bilden die Mehrheitsbevölkerung im Irak und als Alawiten, denen Staatspräsident Baschar al-Assad angehört, die bestimmende Volksgruppe in Syrien. Hinzukommen die alte Feindschaft zwischen dem Iran und dem wahabitischen Königshaus in Saudi-Arabien und eine Reihe von geopolitischen Machtfragen, die den gesamten Nahen Osten betreffen. Der Iran ist daher einer der wenigen Verbündeten Assads, während Saudi-Arabien intensiv die Anti-Assad-Gruppen in Syrien unterstützt. Teheran will den sich in der islamischen Welt mittels Geld und Migration ausbreitenden saudischen Einfluß zurückdrängen. Der Wahabismus ist die radikalste Ausprägung des Islams. Während Saudi-Arabien zur Vormacht des sunnitischen Islams aufgestiegen ist, nimmt der Iran diese Rolle unter den zahlenmäßig weit geringeren Schiiten ein.
Vor Ort kämpfen Einheiten des Irans und der Hisbollah (Miliz der der Schiiten des Libanon). Sie haben unter allen ausländischen Anti-IS-Kämpfern den höchsten Blutzoll geleistet. Unter den Toten befindet sich auch ein General. Eine Seltenheit in modernen Kriegen.
Sollte sich die IS-Urheberschaft der Teheraner Attentate bestätigen, und es spricht alles dafür, wurde am 7. Juni ein völlig neues Szenario eröffnet. Keine der beiden aggressivsten Dschihadmilizen, weder Al-Qaida noch der Islamische Staat, hatten bisher nennenswerte Operationen auf iranischem Staatsgebiet durchgeführt. Der Angriff auf das Parlament und mehr noch auf das Khomeini-Mausoleum zeigen die Entschlossenheit, die Islamische Republik Iran offen herauszufordern. Das bedeutet eine radikale Strategieänderung.
US-Präsident Trump kondolierte Teheran nicht – Die Tür ist zu
Beobachter hatten bereits in den Wochen zuvor ein bis dahin ungewöhnliches Interesse der IS-Propagandaarbeit für den Iran registriert. Es wurden Erklärungen und Ankündigungen in Farsi, der Hauptsprache im Iran, veröffentlicht.
Als Reaktion auf diese Provokation könnte der Iran seine militärische Präsenz im Irak und in Syrien verstärken, was unweigerlich eine Reaktion Saudi-Arabiens nach sich ziehen würde. Riad reagiert hypersensibel auf jeden schiitischen Schritt.
Zunächst galt es die Haltung der USA abzuwarten. Beobachter schauten mit Spannung auf Washington, ob die US-Regierung Teheran ein Kondolenzschreiben für die Opfer der Attentate zukommen läßt. Es wäre ein Signal an alle gewesen, einschließlich der USA, eine „Feuerpause“ einzulegen, nachdem Trump auf Drängen Israels den Ausstieg aus dem in den Jahren zuvor mühsam erzielten Kompromiß im Atom-Konflikt angekündigt hatte. Ein Schweigen zu den Toten oder gar eine Polemik über die Urheber wäre das unzweideutige Signal, das war klar, daß Trumps Entscheidung im Atom-Konflikt definitiv ist.
Letzteres ist eingetreten. Als Reaktion auf die Toten der IS-Attentate warf Trump dem Iran „Terrorfinanzierung“ vor. Um welchen „Terrorismus“ es sich dabei handelt, sagte der US-Präsident nicht. Die Tür ist zu.
Was steckt hinter dem Katar-Konflikt

Die derzeit unglaubwürdigste Erklärung für die Isolierung des Golfemirats Katar durch Saudi-Arabien und die saudischen Verbündeten lautet: Zusammenarbeit des sunnitisches Emirats mit dem schiitischen Iran und „Terrorismusfinanzierung“.
Katar besteht nur aus einer kleinen Halbinsel mit knapp 2,2 Millionen Einwohnern. Die Einheimischen sind fast ausnahmslos wahabitische Sunniten. Neuerdings haben sich die traditionellen Gefüge durch die massive Zahl von Gastarbeitern verschoben. Es kamen nicht nur große Mengen an Muslimen aus islamischen Ländern mit anderem kulturellen Hintergrund. Mindestens 14 Prozent der Einwohner sind heute Christen. Im Verhältnis zur Fläche und der Einwohnerzahl verfügt Katar über den größten Reichtum der Welt, da es zusammen mit dem Iran Anteil am größten Erdgasvorkommen der Erde hat. Das erlaubte es dem Herrscherhaus in der ganzen Welt zu investieren, wobei der Hauptanteil nach Frankreich floß.
Das kleine Emirat bemüht sich traditionell um ein gutes Verhältnis zu Saudi-Arabien, aber auch um Unabhängigkeit vom Königshaus der Saud. Seit 2013 regiert der heute 37jährige Emir Tamin bin Hamad al-Thani. Die al-Thanis herrschen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts über die Halbinsel. Ein entfernter Vetter des Emirs ist Premierminister. Die Unabhängigkeitsbestrebungen Katars werden von unabhängigen Beobachtern als Hauptgrund für den saudischen Druck gesehen. Der Emir war tatsächlich bestrebt, sich von Riad unabhängiger zu machen. Er tat dies sehr pragmatisch und vermied jede Provokation Saudi-Arabiens. Die „eigenmächtigste“ Handlung der jüngeren Zeit war im vergangenen Mai Glückwünsche an Hassan Rohani zu seiner Wiederwahl als iranisches Staatsoberhaupt. Eine Gepflogenheit wie sie auf diplomatischer Ebene üblich ist.
Saudischer Streit um die Thronfolge
Die Leitmedien sehen den Iran als Schlüssel des Konflikts von Saudi-Arabiens mit Katar. Wenige beachten dabei innersaudische Gründe. Dort ist der Machtkampf um die Nachfolge von König Salman entbrannt. Die Gesundheit des 81 Jahre alten Monarchen ist angeschlagen. Als aussichtsreichste Erben gelten der Erste Kronprinz Mohammed ibn Naif (58), ein Enkel des ersten Königs Abd al-Aziz ibn Saud, und der Vize-Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud (31), ein leiblicher Sohn des derzeitigen Königs.
Ibn Naif gilt als „gemäßigter“ Vertreter, der die Hegemonialrolle Saudi-Arabiens mit indirekten Mitteln absichern und ausbauen will, während der jüngere bin Salman einen entschieden aggressiveren Kurs verfolgt. Während ibn Naif gegen eine saudische Militärintervention im Jemen opponierte, leitet bin Salman als Verteidigungsminister, stellvertretender Premierminister und Vorsitzender des Kronrats den Militäreinsatz.
Gerade dieser aggressive Kurs steht jedoch in der Kritik. Saudi-Arabien unterstützt seit Jahren massiv die Anti-Assad-Opposition in Syrien ohne seine Ziele zu erreichen. Ähnliche sieht es im Jemen aus. Der Militäreinsatz gegen die schiitischen Huti sollte ein „Blitzoperation“ werden, statt dessen sieht sich Riad in einen langwierigen Konflikt verwickelt, den es nicht zu entscheiden vermag.
Hinter dem Angriff gegen Katar wird die bin Salman-Fraktion gesehen. Er riskiert bei einer Niederlage im Jemen seine Chancen auf die Thronfolge. Im Streit mit Katar versucht er sich als dynamischer und entschlossener Politiker zu präsentieren, der unter Beweis stellt, wer Vormacht auf der arabischen Halbinsel ist, der einen lästigen Wirtschaftskonkurrenten in die Schranken weist und einen Unterstützer der jemenitischen Rebellen ausschaltet. Letzteres behauptet zumindest Abed Rabbo Mansur Hadi, der mit Saudi-Arabien verbündete jemenitische Staatspräsident.
Ägyptens Anti-Katar-Haltung mit Blick auf Libyen
Ägypten ist, sieht man einmal von den nicht ins Gewicht fallenden Malediven ab, das einzige Land der saudischen Anti-Katar-Allianz, das nicht auf der arabischen Halbinsel liegt. In den vergangenen Tagen wurde als Begründung für diese Teilnahme vielfach gesagt, weil Katar die Muslimbrüder unterstützt habe, also die direkten Feinde der ägyptischen Militärregierung unter Staatspräsident Abd al-Fattah as-Sisi. Auch in diesem Fall sollte man nicht beim „Evidenten“ stehenbleiben, denn warum sollte as-Sisi gerade jetzt gegen Katar vorgehen. In Sachen Muslimbruderschaft gab es in den vergangenen zwei Jahren keine Veränderungen. Entscheidender scheint, daß Katar radikalislamische Gruppen finanziert, zu denen auch libysche Milizen gehören, die General Chalifa Haftar, seit 2015 Oberbefehlshaber der libyschen Streitkräfte, daran hindern, den Bürgerkrieg zu beenden. Ägypten unterstützt Haftar und will in Libyen eine zentrale Rolle spielen. Mit der Ausschaltung Katars will as-Sisi die katarische Einmischung in Libyen beenden.
Bahrein als Trittbrettfahrer im Kampf gegen das schiitische Mehrheitsvolk
Bahrein erweist sich als Trittbrettfahrer des Konflikts. Das Königreich ist nur doppelt so groß als das Fürstentum Liechtenstein, zählt aber 1,2 Millionen Einwohner. 55 Prozent sind Ausländer. Belege für die christliche Präsenz gehen auf das 12. Jahrhundert zurück, dürften aber bis in vorislamische Zeit zurückreichen. Heute sind rund 15 Prozent Christen, fast zur Gänze Katholiken, allerdings zum größten Teil Gastarbeiter (Philippinen, Sri Lanka, Indien, Libanon). Während das Königshaus sunnitisch-wahabitisch ist, sind zwei Drittel der Staatsbürger Schiiten. In den vergangenen Jahren kam es wiederholt zu Volksaufständen, die mit eiserner Faust niedergeschlagen wurden. König Hamad bin Isa al-Khalifa kommt der Konflikt zwischen Saudi-Arabien und Katar daher wie gelegen, um gegen die Schiiten im eigenen Land vorzugehen.
Im Apostolischen Vikariat Nördliches Arabien, das Katar, Bahrein, Kuweit und Saudi-Arabien umfaßt, leben heute mehr als 2,5 Millionen Katholiken, etwa sieben Prozent der Gesamtbevölkerung.
Terrorismusfinanzierung?
Wie steht es aber um den Vorwurf, daß Katar den Terrorismus finanziere. Die Frage ist mit einem eindeutigen Ja zu beantworten. Allerdings stellt sich die Frage: Welchen Terrorismus? Die Sache hat noch einen Haken. Derzeit ist die Lage im Nahen Osten so, daß faktisch jedes Land einen „Terrorismus“ unterstützt. Die Unterscheidung von „Guten“ und „Bösen“ scheint ein Kunststück, das nur US-amerikanischen Regierungsstellen gelingt. Sind die USA aber am Katar-Konflikt interessiert? Eigentlich nicht. Trump, der wenige Tag vor Ausbruch des Konflikts in Riad war, wird vom treuen Verbündeten informiert worden sein. Erfreut darüber war er sicher nicht. Trump bräuchte gerade in Sachen Naher Osten als Berater so etwas wie einen gestandenen, europäischen Christdemokraten der ersten Nachkriegsgeneration. Leider finden sich so jemand auch in Europa nicht mehr.
Aufgrund der arabischen Traditionen ist nicht absehbar, ob der ganze Streit im Sand verläuft oder in einen weiteren Krieg mündet. Beides ist möglich. In diesem Gesamtbild scheinen die IS-Angriffe im Iran genau zu diesem Zeitpunkt kein Zufall zu sein. Insgesamt vermittelt das nahöstliche Chaos mit seinen unzähligen Konflikten den Eindruck einer Regie, deren Ziel es tatsächlich scheint, die Region in einem Dauerkonflikt aller gegen alle zu halten.
Tatsache ist, daß Saudi-Arabien Katar botmäßig machen will. Für Prinz bin Salman geht es nun nicht nur im Jemen, sondern auch in Katar um seinen Anspruch auf den saudischen Königsthron. Als Saddam Hussein sich Kuweit unterwerfen wollte, kam es zur US-Militärintervention. Mit einer solchen ist gegen Saudi-Arabien allerdings nicht zu rechnen, obwohl sich die beiden Situationen durchaus ähneln.
Text: Andreas Becker
Bild: Wikicommons
Vielen Dank für die so wertvollen Rechenchen und Ihren so guten Schreibstil, so dass der Leser selbst schwierigste politische Zusammenhänge verstehen kann.