LÉON BLOY – Der undankbare Bettler – Abschreckendes Vorbild für die Befreiungstheologie


Léon Bloy, "katholischer Bohemien" oder "Zwillingskristall von Diamant und Kot" (Ernst Jünger)?
Léon Bloy, "katholischer Bohemien" oder "Zwillingskristall von Diamant und Kot" (Ernst Jünger)?

Von End­re A. Bárdossy*

Anzei­ge

Neu­er­dings hört man hie und da Bemer­kun­gen, Rezen­sio­nen, Halb­sät­ze und Halb­wahr­hei­ten über Léon Bloy, mei­stens hoch­ach­tungs­voll wie vor einem Säu­len­hei­li­gen. Dank Berg­o­glio, dem latein­ame­ri­ka­ni­schen Papst mit Gespür für alles, was gut insze­niert wer­den kann, avan­cier­te Bloy zu einem „Anwalt der Armen“ in der Pose wie es unter Befrei­ungs­theo­lo­gen gezie­mend ist: Er war stets belei­digt, stets belei­di­gend, stets nach Mit­leid bet­telnd. Er war also einer, der sich erlaub­te, zeit sei­nes Lebens die Bür­ger­li­chen, die Bemit­tel­ten & Erfolg­rei­chen lust­voll zu brüs­kie­ren. Bloy glaub­te in der Tat an den öko­no­misch unhalt­ba­ren Unsinn, daß der zuneh­men­de Wohl­stand der All­ge­mein­heit nur durch die zuneh­men­de Armut einer Min­der­heit erkauft wer­den kann. Eigen­tum hie­ße also Dieb­stahl. Han­del wäre Betrug. Bloy hat offen­bar nie etwas ver­stan­den von kom­pa­ra­ti­ven Kosten & Pro­duk­ti­vi­tät, von Fleiß & Lei­stung, vom blü­hen­den Han­del & von den Vor­tei­len der uralten Markt­wirt­schaft, deren Natur­ge­set­ze seit den Phö­ni­zi­ern, Grie­chen und Römern bis heu­te ihre Gül­tig­keit bei­be­hal­ten haben.

León Bloy (1846-1917)
Léon Bloy (1846–1917)

Zu Bloys Welt­bild wäre kri­tisch zu bemer­ken, daß die Mysti­fi­zie­rung und Glo­ri­fi­zie­rung des Elends nicht unwi­der­spro­chen hin­ge­nom­men wer­den kann. Bloy war weder Theo­lo­ge noch Öko­nom, son­dern ein unqua­li­fi­zier­ba­rer Bohe­mi­en. Sei­ne lei­den­schaft­li­che Schrift­stel­le­rei ist bereits von Ernst Jün­ger als „Zwil­lings­kri­stall von Dia­mant und Kot“ erkannt wor­den. Es gibt aber gute Grün­de, um den schil­lern­den Glanz die­ses „Dia­man­ten“ über­haupt in Zwei­fel zie­hen zu müs­sen. Und wenn sei­ne Aura aus­ge­rech­net von Befrei­ungs- und Volks­theo­lo­gen auf­po­liert wer­den soll­te, dann ist ihr Wink über­haupt nicht mehr als gute Emp­feh­lung zu wer­ten. Wie es oft der Fall ist, der Schlüs­sel zum Werk einer Berühmt­heit ist im Cur­ri­cu­lum vitae der betref­fen­den Per­son zu suchen. Nietz­sche, Heid­eg­ger und vie­le ande­re gefei­er­te Per­sön­lich­kei­ten lie­fern dafür leben­di­ge Zeug­nis­se, wenn man hin­ter den Vor­hang ihres Lebens­wan­dels schaut.

Die Herkunft von Léon Marie Bloy (1846–1917)

Sein Vater war Inge­nieur und ein klein­bür­ger­li­cher Frei­mau­rer in Péri­gueux, im Süd­we­sten Frank­reichs. Als Schul­ab­bre­cher und rebel­li­sches, wenn auch ver­wöhn­tes Kind hat­te er für einen qua­li­fi­zier­ten Beruf kei­ne Bil­dung erwor­ben. Als Fau­len­zer, Bil­lard­spie­ler und vor allem als ver­meint­li­ches „Genie“ war er nach eige­nem Ermes­sen für Hand- oder Büro­ar­bei­ten zu gut. Unzäh­li­ge Male hat er Stel­len gewech­selt und immer wie­der gekün­digt. Jour­na­lis­mus hät­te ihm schon zuge­sagt, dafür war er wie­der­um all­zu non­kon­for­mi­stisch, gerad­li­nig und eigen­sin­nig. Für die Rol­le eines from­men Prie­sters war er zu auf­rüh­re­risch und trot­zig. Über­dies ver­lieb­te er sich öfters in Pro­sti­tu­ier­te, natür­lich immer wie­der in die arme, unschul­di­ge, mit einem guten Her­zen. Künst­ler­na­tu­ren hal­ten sich ja von der Moral, – vor allem von der bür­ger­li­chen –, frei­ge­stellt. Er fühl­te sich schlicht und ein­fach „Excep­ti­on­nel“ wie ein Wun­der­kind. Frau Mama hat ihm eine gro­ße Zukunft prophezeit.

Dafür hat er von der „Gesell­schaft“ Aner­ken­nung und eine Art stan­des­ge­mä­ße Apa­na­ge ob sei­ner schrift­stel­le­ri­schen Pro­duk­ti­on erwar­tet. Die­se sind bis zum bit­te­ren Ende aus­ge­blie­ben. Es blieb ihm nichts ande­res über als Trost zu suchen in einer maso­chi­sti­schen Armutsideologie.

Masochismus – einmal aus religiösem Standpunkt betrachtet

Um jeg­li­cher schwar­zen Legen­de der libe­ra­len „Auf­klä­rung“ die Spit­ze zu neh­men, hal­ten wir kate­go­risch fest, daß das katho­li­sche Chri­sten­tum kein Ver­ein von Maso­chi­sten ist. Chri­sten genie­ßen auch kei­nen Son­der­sta­tus der Unge­bil­de­ten, die nur jam­mern und dumm an den Rän­dern der Welt vege­tie­ren kön­nen. Im Gegen­teil gab es nie eine katho­li­sche Mis­si­ons­ar­beit ohne Schul­grün­dun­gen. Die Bene­dik­ti­ner chri­stia­ni­sier­ten Euro­pa nach dem Unter­gang des Römi­schen Rei­ches mit dem Kreuz, dem Pflug und dem latei­ni­schen Alpha­bet. Spä­te­stens seit Tho­mas von Aquin sind Klug­heit und Tap­fer­keit defi­ni­tiv unter die Kar­di­nal­tu­gen­den gereiht wor­den. Chri­sten­tum ohne grie­chisch-römi­sche Bil­dung hat es nie gege­ben, da der hei­li­ge Pau­lus immer schon ein grie­chisch gebil­de­ter Civis roma­nus war. Die mit­tel­al­ter­li­chen Klö­ster waren die Erret­ter und Ver­mitt­ler der Zivi­li­sa­ti­on inmit­ten der Bar­ba­rei und der Völ­ker­wan­de­rung, was man heu­te Migran­ten­kri­se nennt. Die Tri­um­phie­ren­de Kir­che war also nie maso­chi­stisch, son­dern tat­kräf­tig, mutig und klug.

"Pilger des Absoluten"
„Pil­ger des Absoluten“

Kein nor­ma­ler Mensch kann am nihi­li­sti­schen Ver­en­den des Men­schen in einem lee­ren und sinn­lo­sen Uni­ver­sum Befrie­di­gung fin­den. Léon Bloy war zutiefst gläu­big – also ein „Pil­ger des Abso­lu­ten“, ein „abso­lu­ter Katho­lik“ wie man es zu sagen pfleg­te, um ihn vom Ver­dacht der Per­ver­si­on rein­zu­wa­schen. Ein „abso­lu­ter Gegen­pol“ zum Mate­ria­lis­mus des seich­ten XIX. Jahr­hun­derts war er sicher­lich auch. Aber Unglück und Miß­er­folg, Krank­heit und Armut hat er eben­so bereit­wil­lig umarmt wie den Durst und Hun­ger nach Unsterb­lich­keit. Unter­wegs zum letz­ten Ziel des Men­schen­we­sens, am Dies­seits und an sei­nen Spiel­re­geln abso­lut des­ori­en­tiert, war er eben­so­gut ein „abso­lu­ter Maso­chist“. Sein förm­li­ches Ergöt­zen am Leid, Mit­leid oder Selbst­mit­leid war ein untrüg­li­ches Sym­ptom, das auf eine Per­sön­lich­keits­stö­rung hin­weist. Ein wenig davon steckt wahr­schein­lich in einem jeden von uns. Die Dun­kel­zif­fer jener Unglück­li­chen, die an sol­chen Stö­run­gen lei­den, ist eine Unbe­kann­te, aber wahr­schein­lich grö­ßer als wir es uns je vor­stel­len kön­nen. Es gibt näm­lich sehr weni­ge Pati­en­ten, die sich des­halb zu einer Behand­lung ein­fin­den. Durch die Tabui­sie­rung des The­mas kommt es dann öfters zu einem bösen Ende.

Eine Präzision der Begriffe ist nötig

Der deli­ka­te Begriff Sadis­mus wur­de erst­mals 1866 von Richard Frei­herr von Krafft-Ebing, einem deut­schen Psych­ia­ter, Gerichts­me­di­zi­ner und Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor in Straß­burg, Wien und Graz, ver­wen­det. Der Fach­aus­druck wird vom Namen des berüch­tig­ten Jako­bi­ners Mar­quis de Sade her­ge­lei­tet, des­sen Roma­ne mit Gewalt­phan­ta­sien und Por­no­gra­phie voll­ge­füllt sind.

Maso­chis­mus als Begriffs­paar zum Sadis­mus ver­wand­te eben­falls Frei­herr von Krafft-Ebing zum ersten Mal im glei­chen Kon­text. Er bezog sich auf Leo­pold Rit­ter von Sacher-Masoch, einen Schrift­stel­ler aus dem öster­rei­chi­schen Lem­berg (1836–1895) – heu­te Ukrai­ne –, der in sei­nen Novel­len mit Vor­lie­be das maso­chi­sti­sche Ver­hal­ten als sexu­el­le Per­ver­si­on schil­der­te. Das war auch ein seich­tes Ver­gnü­gen für die dama­li­ge Gesell­schaft in Öster­reich. Sacher-Masoch war kei­nes­wegs hoch­er­freut dar­über, daß sein nobler Fami­li­en­na­me zu einem Aus­hän­ge­schild die­ser Mate­rie erko­ren wur­de. Die Bezeich­nung setz­te sich jedoch durch.

Somit läßt sich Sadis­mus im wesent­li­chen als lust­vol­le Zufü­gung von Schmer­zen, Ernied­ri­gung oder Fes­seln einem ande­ren gegen­über defi­nie­ren. Wenn die leid­tra­gen­de Per­son die­ses Ver­gnü­gen sich selbst zufügt oder zufü­gen läßt, dann geht es spie­gel­ver­kehrt um Maso­chis­mus. Oft han­delt es sich um eine Wech­sel­wir­kung mit aus­tausch­ba­ren Rol­len. Für unse­re Unter­su­chung ist aus­schlag­ge­bend, daß der Sado­ma­so­chis­mus nicht immer, sogar nicht ein­mal vor­wie­gend sexu­ell moti­viert sein muß.

Die mensch­li­che Zer­stö­rungs­lust fin­det unzäh­li­ge Betä­ti­gungs­fel­der in Poli­tik, Wirt­schaft, Gesell­schaft, im vul­gä­ren Tratsch oder in den schwar­zen Legen­den der Geschichts­fäl­schung, und vor allem in der Aus­übung von Macht und Gewalt, wo es auch immer mög­lich ist – auch dann, wenn sie nicht zu Straf­ta­ten füh­ren muß. Im vor­lie­gen­den inter­es­sie­ren wir uns im beson­de­ren für den aske­tisch gemein­ten, christ­li­chen Maso­chis­mus. Bloy war ein Unglücks­ra­be und Mei­ster in der Sache.

Um die Ursa­chen dafür her­aus­zu­fin­den, muß die Zunft der Psy­cho­lo­gen & Psych­ia­ter in trü­ben und abgrund­tie­fen Gewäs­sern der See­le fischen gehen, um ihre vagen Hypo­the­sen auf­zu­stel­len: Abwehr­ver­hal­ten, Äng­ste, Gewis­sens­kon­flik­te wer­den auf­ge­li­stet, die im ste­reo­ty­pi­schen Zusam­men­hang mit der Los­lö­sung von der Mut­ter und in einer Gefan­gen­schaft der infan­ti­len Erin­ne­run­gen unter einem stren­gen, eis­kal­ten Vater ver­mu­tet wer­den, der das Kind mit spar­ta­ni­scher Dis­zi­plin zu unter­drücken such­te. Mit Mastur­ba­ti­ons­phan­ta­sien ver­mischt fin­den frei­lich auch die Freu­dia­ner ein wei­tes Betä­ti­gungs­feld, um sich auszutoben.

Das christliche Martyrium ist kein masochistisches Ideal

Immer schon hat das selbst­lo­se „Sich-Auf­op­fern für ein Ide­al“ die Men­schen fas­zi­niert und begei­stert. Selbst­mord­at­ten­tä­ter, Kami­ka­ze­pi­lo­ten haben maso­chi­sti­sche Ten­den­zen in Über­maß. Ech­te Hel­den und Mär­ty­rer unter­schei­den sich von ihnen dar­in, daß sie den Ernst­fall nicht leicht­fer­tig und sinn­los suchen, son­dern not­wen­dend, sinn­voll und selbst­los erlei­den. Im christ­li­chen Glau­ben ist das Mar­ty­ri­um am Bei­spiel Chri­sti fest ver­an­kert. Der Tod des Mär­ty­rers ent­spricht dem Lei­den und dem Tod des Herrn. Man par­ti­zi­piert im Tod mit Jesus Chri­stus an der Voll­endung und Auf­er­ste­hung. Frei­lich muß das all­täg­li­che Opfer doch äußerst sel­ten das Blut­zeug­nis sein. Vie­le Men­schen brin­gen die klei­nen Opfer des All­tags leich­ten Her­zens, gern und froh dar, unblu­tig, ohne Mord, ohne Tot­schlag und ohne Spek­ta­kel für ihre Fami­lie und Freun­de und erlei­den dafür – wenn es nötig wird – Miß­gunst und ande­re Nach­tei­le ohne sich maso­chi­stisch zur Schau zu stellen.

Einige Säulenheilige wie die beiden Symeon Stylites lebten Jahrzehnte hindurch Tag und Nacht auf einer unbehausten Säule in Syrien und Kikilien (389-459), um durch strenge Askese Gott näher zu sein. Essen wurde ihnen auf einer Leiter hinaufgetragen.
Eini­ge Säu­len­hei­li­ge
wie die bei­den Sym­e­on Sty­li­tes
leb­ten Jahr­zehn­te hin­durch
Tag und Nacht
auf einer unbe­hau­sten Säu­le
in Syri­en und Kiki­li­en (389–459),
um durch stren­ge Aske­se
Gott näher zu sein.
Essen wur­de ihnen
auf einer Lei­ter hinaufgetragen.

Maso­chis­mus ist also die Ent­ar­tung der sinn­vol­len Opfer­be­reit­schaft. Was aber einen maso­chi­sti­schen „Gut­men­schen“ anfeu­ert, selbst vor den größ­ten Gefah­ren der Völ­ker­wan­de­rung die Augen zu ver­schlie­ßen und jede Vor­keh­rung und Selbst­ver­tei­di­gung zu unter­las­sen, ist ein Stre­ben nach lust­vol­ler Selbst­zer­stö­rung. Bei IS-Ter­ro­ri­sten ist dies nicht anders. Dort war­ten jedoch ima­gi­nä­re Jung­frau­en auf die Opfer.

Reli­gi­ös moti­vier­te Maso­chi­sten emp­fin­den erlö­sen­de Gefühls­re­gun­gen und Befrie­di­gung in Situa­tio­nen der Demü­ti­gung, Unter­drückung oder dank der frei­wil­lig sich selbst zuge­füg­ten Schmer­zen, Ent­beh­run­gen sowie durch über­trie­be­nes Fasten und son­sti­ges Lei­den. Reli­gi­ös moti­vier­te Sadi­sten ver­hal­ten sich eben spie­gel­ver­kehrt. Die syri­schen Säu­len­hei­li­gen (grie­chisch Sty­li­tes) im IV. und V. Jahr­hun­dert wie Sym­e­on der Älte­re und Sym­e­on der Jün­ge­re sind ein beson­ders bru­ta­les Bei­spiel für Maso­chis­mus. Nicht sel­ten kamen dabei blu­ti­ge Selbst­ver­let­zun­gen, Ver­stüm­me­lun­gen und Gei­ße­lun­gen auch vor.

Maso­chi­sten sind jeder­zeit bereit, leicht­fer­tig sich selbst zu opfern und akzep­tie­ren bereit­wil­lig jede Unter­drückung. Sie füh­len Befrie­di­gung, wenn sie ver­der­ben und ande­re ins Ver­der­ben mit­neh­men können.

Leben und Werk des Schriftstellers Léon Bloy –
Musterbeispiel für eine abgrundtiefe Endzeitstimmung

Léon Bloy schreibt unzwei­deu­tig: „Ich erin­ne­re mich, wie ich als Kind, als ganz klei­ner Kna­be, oft mit Unwil­len, mit Empö­rung mich gewei­gert habe, an Spie­len und Ver­gnü­gun­gen teil­zu­neh­men… Ich hielt es für edler, zu lei­den und mich lei­den zu machen, indem ich dar­auf ver­zich­te­te. … Das blo­ße Wort Unglück riß mich in einen Begei­ste­rungs­sturm hin­ein. Ich den­ke, daß ich das von mei­ner Mut­ter hat­te, deren spa­ni­sche See­le gleich­zei­tig so glü­hend und so düster war…“

Bloy, ein "Unglücksrabe"
Bloy, ein „Unglücks­ra­be“

Mit 18 Jah­ren schick­te ihn sein Vater nach Paris und ver­schaff­te ihm eine Arbeit bei einer Eisen­bahn­ge­sell­schaft. Bereits nach einem Jahr kommt es zu Auf­leh­nun­gen, er kün­digt und will Maler wer­den. Spä­ter beschreibt sich der 20jährige selbst: „Bin nach Paris wie ein Aben­teu­rer gekom­men, hat­te den Glau­ben ver­lo­ren, kei­nen Sou, war nei­disch, ehr­gei­zig, faul und emp­find­lich.“ Mit 21 lernt er einen Anar­chi­sten ken­nen, unter des­sen Ein­fluß er Sozia­list wird. Das wird er auch ein Leben lang blei­ben – auch als rekon­ver­tier­ter Katho­lik. Mit 23 Jah­ren ver­kehrt er im Krei­se des Schrift­stel­lers und Roya­li­sten Bar­bey d’Au­re­villy, zu des­sen Sekre­tär er zeit­wei­lig avancierte.

Am Preu­ßisch-Fran­zö­si­schen Krieg (1870–71) wird er als Patri­ot wohl begei­stert teil­neh­men müs­sen. Er sieht ihn als Kreuz­zug gegen die Luthe­ra­ner zur Befrei­ung Euro­pas. Dar­um ging es aber in die­sem Krieg nicht, son­dern um die deut­sche Revan­che für Napo­lé­ons pan­eu­ro­päi­sche Ver­bre­chen, und nicht zuletzt um den Besitz von Elsaß-Loth­rin­gen. Den ver­lo­re­nen Krieg inter­pre­tiert dann Bloy als Got­tes Stra­fe für Frank­reich wegen des Königs­mords an Lud­wig XVI. und bestä­tigt sei­ne fixe Idee der „Gro­ßen Kata­stro­phe“, womit er sein Leb­tag rech­nen wird: J’at­tends les Cosaques et le Saint-Esprit. Ich erwar­te die Kosa­ken und den Hei­li­gen Geist – wohl ein maso­chi­sti­sches Mot­to fürs hoff­nungs­lo­se Leben. In der Nach­kriegs­zeit besagt eine Brief­stel­le viel über sei­ne Grund­ein­stel­lung: „Ich sage, daß einer mein Freund ist, wenn er bereit ist, durch mich und für mich zu leiden.“

Der väter­li­che Freund Bar­bey d’Au­re­villy riet ihm mehr­mals – inmit­ten sei­nes unor­dent­li­chen Lebens­wan­dels und schwe­rer Ent­beh­run­gen – Bene­dik­ti­ner zu wer­den. Aber das wider­sprach wohl zu sehr sei­ner zügel­lo­sen Natur. Sei­ne lite­ra­ri­sche Tätig­keit ver­moch­te ihm nie einen festen Lebens­un­ter­halt zu bie­ten. Zu einer „bür­ger­li­chen“ Beschäf­ti­gung konn­te er sich nie auf­raf­fen, da er die ver­haß­te bür­ger­li­che Lebens­form kom­plett ablehn­te. Er zog es vor ein stol­zer und undank­ba­rer Bett­ler zu werden.

Aus dem Jah­re 1873 lesen wir:

„Ich woll­te, daß Gott mich auf die grau­sam­ste Art der Welt lei­den lie­ße. Ich erbit­te mir von ihm nur abso­lut eine Sache: die Kraft.“

Johanne Charlotte Molbech, Bloys Ehefrau
Johan­ne Char­lot­te Mol­be­ch, Bloys Ehefrau

1877 kehrt das ewi­ge The­ma immer wie­der zurück: „Ich will, ich muß lei­den, ich akzep­tie­re es, ich will es, und trotz­dem kann ich manch­mal nicht mehr. Die Natur führt in mir einen schreck­li­chen Kampf gegen die Gna­de.“ Er tut sich immer wie­der den Zwang an, die Din­ge zusätz­lich zu dra­ma­ti­sie­ren. Zur glei­chen Zeit ver­liebt er sich in eine Pro­sti­tu­ier­te, bekehrt sie, will sie hei­ra­ten, sie schei­tern aber an der ver­wei­ger­ten Unter­stüt­zung der Pfle­ge­mut­ter des zwie­lich­ti­gen Freu­den­mäd­chens. Und natür­lich an den eige­nen finan­zi­el­len Zustän­den. Die Lie­be bleibt, aber auch die mate­ri­el­le Not. Sie lei­den Hun­ger gemein­sam. Sie macht ihm „Pri­vat­of­fen­ba­run­gen“, pro­phe­zeit ihm einen Mär­ty­rer­tod und den Welt­un­ter­gang für 1880. Als die­se aus­blie­ben, ver­fiel Bloy in eine Glau­bens­kri­se und in tie­fe Depres­sio­nen. 1882 ver­lor sie aber über alle Kri­sen hin­aus den Ver­stand wirk­lich, um schließ­lich im Irren­haus zu enden, wo sie nach eini­gen Jah­ren auch starb.

Bloys Bücher fin­den kei­nen Wider­hall, stets schei­tert er auch im Jour­na­lis­mus. Er knüpft neue Ver­bin­dun­gen zu Pro­sti­tu­ier­ten an und läßt sich auf ein Ver­hält­nis mit einer arbeits­lo­sen Schau­spie­le­rin ein, das mit ihrem tra­gi­schen Selbst­mord zu Ende ging.

Als 43jähriger, abge­ta­kel­ter „Play­boy“ möch­te man heu­te sagen, lernt Bloy in sei­nem Freun­des­kreis die 30jährige Toch­ter eines däni­schen Dich­ters ken­nen. Unter dem Ein­druck, den Bloy und sei­ne Geschich­ten auf sie aus­üben, kon­ver­tiert sie zum Katho­li­zis­mus: Lie­be auf den ersten Blick, der 1890 glück­lich vor dem Trau­al­tar endet und in einer lebens­lan­gen, har­mo­ni­schen Ehe kul­mi­niert. Sie zie­hen dem­nächst nach Däne­mark, um dort nicht viel Glück zu fin­den. Das mate­ri­el­le Umfeld der däni­schen Gat­tin war wahr­schein­lich nicht all­zu üppig, aber sicher­lich „geord­net“, wovon sie etli­che Jah­re lang zeh­ren konn­ten. Von den vier Kin­dern ver­star­ben zwei vor­zei­tig. Bloy zer­reißt es das Herz. Sie akzep­tie­ren aber die Ereig­nis­se aus Got­tes Hand. „Alles ist anbe­tungs­wür­dig“, schreibt er resi­gniert im Unveränderlichen.

Jacques und Raï ssa Maritain
Jac­ques und Raï ssa Maritain

Nach rund zehn Jah­ren keh­ren sie wie­der in die Nähe von Paris zurück. 1904 sind sie wie­der in Paris – in Léon Bloys urei­ge­nem Ele­ment. Ab 1905 ver­kehrt das Ehe­paar Mari­tain erst­mals im Hau­se der Bloys. Die Zweit­auf­la­ge sei­nes Essays „Le Salut par les Juifs. Das Heil durch die Juden“ wid­met Bloy an Raïs­sa Mari­tain. Die­ses unbe­hag­li­che Opus­ku­lum, das nur schwer ver­dau­lich ist, wur­de bereits im Jah­re 1892 geschrie­ben und gedruckt. Es blieb aber wäh­rend des Lebens­ab­schnit­tes der Fami­lie Bloy in Däne­mark (1894–1904) – irgend­wo im Kel­ler oder am Dach­bo­den des Ver­le­gers gela­gert – und ver­schol­len. So gelang­te es erst nach drei­zehn Jah­ren in einer zwei­ten Auf­la­ge, – Ende Novem­ber 1905 „an ver­schie­de­nen Stel­len ver­bes­sert“ [?!] – an die Öffent­lich­keit. Nur post­hum im Gewir­bel der kom­men­den Holo­caust-Jah­re wider­fuhr ihm das Glück, ob sei­ner der­ben Aus­drucks­wei­se über „…die schmut­zi­gen Tröd­ler von Ham­burg“ (1) berühmt zu wer­den. Somit hat die­se Schmäh­schrift ver­mut­lich mehr Leser aus dem Lager der Anti­se­mi­ten – und wohl kaum wel­che unter den Opfern der Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger oder aber der Hoch­fi­nan­zen gefunden:

… Ich sag­te schon, man hat in allen Jahr­hun­der­ten und in allen Rei­chen der Erde ganz ver­ge­bens die Juden erschla­gen, gerö­stet und aus­ge­raubt. Sie wer­den unwei­ger­lich und über­na­tür­lich von Gott selbst gezwun­gen, die abscheu­li­chen Schwei­ne­rei­en zu bege­hen, die sie benö­ti­gen, um ihre Schan­de als ein Werk­zeug der Erlö­sung zu beglaubigen.

… Sym­pa­thie für die Juden ist unbe­dingt ein Zei­chen von schänd­li­cher Gesin­nung. Wer kei­nen instink­ti­ven Wider­wil­len gegen die Syn­ago­gen hat, ver­dient nicht ein­mal die Ach­tung eines Hun­des. Ich spre­che das aus wie ein Axi­om der Geo­me­trie, ohne Iro­nie und ohne Bit­ter­keit. (2)

"Das Heil durch die Juden"
„Das Heil durch die Juden“

Im Gro­ßen und Gan­zen han­delt es sich den­noch – mit Hil­fe einer ver­fäng­li­chen Argu­men­ta­ti­on, – um ein pro­jü­disch emp­fun­de­nes Doku­ment der Haß­lie­be des Autors für und wider die Juden, deren Welt­macht­stre­ben sowie unbe­grenz­te Macht- und Geld­gier zwi­schen Got­tes­mord und Aus­er­wählt­heit the­ma­ti­siert wer­den. Bloy hielt sei­ne eige­ne lei­den­schaft­lich über­hitz­te Spra­che für eine pro­phe­ti­sche Gabe und eigent­lich für eine Para­phra­se des XI. Kapi­tels des Römer­brie­fes des hl. Pau­lus. (3) Von der pau­li­ni­schen Weis­heit ist aber kaum etwas wirk­lich erkenn­bar. Was vor­herrscht, klingt eher nach Wirr­nis und Cha­os auf knap­pen 100 Sei­ten in gei­sti­gem Klein­for­mat mit Majus­keln geschrieben.

Raï ssa geb. Ouman­çoff – als Adres­sat des Büch­leins – ist eine athe­istisch gewor­de­ne Toch­ter rus­sisch-jüdi­scher Immi­gran­ten, wel­che die Syn­ago­ge ihrer Väter weit hin­ter sich ließ. Sie war auch Kom­mi­li­to­ne an der Sor­bon­ne von Jac­ques Mari­tain (1882–1973), der sei­ner­seits als libe­ra­ler Pro­te­stant und ange­hen­der Jung­so­zia­list Bloys Ver­eh­rer und erfolg­rei­cher Gei­stes­ver­wand­ter wer­den sollte.

Raï ssa Maritain, zum katholischen Glauben konvertierte Jüdin, der Bloy sein Buch "Das Heil durch die Juden" widmete
Raï ssa Mari­tain, zum katho­li­schen Glau­ben kon­ver­tier­te jüdi­sche Athe­istin, der Bloy sein Buch „Das Heil durch die Juden“ widmete

Das jun­ge Ehe­paar kon­ver­tier­te teils unter dem Ein­druck von Hen­ri Berg­son, teils von Léon Bloy zum Katho­li­zis­mus (1906). Der alte Bloy stand ergrif­fen der erha­be­nen Fei­er als Pate bei. Das Pär­chen war ja erst im ersten Drit­tel der Zwan­zi­ger­jah­re ihres Lebens. Sie hät­ten sei­ne Kin­der sein kön­nen. Um eine bewe­gen­de Geschich­te han­delt es sich also, wenn man bedenkt, daß Mari­ta­ins „neu­er Christenheit“(4) es beschie­den war mit sei­nen über 90 Jah­ren, Frank­reichs Bot­schaf­ter im Vati­kan und ein Pro­mo­tor des Vati­ca­num II zu wer­den. Die Wur­zeln der Kri­se, in der wir leben, rei­chen ja weit zurück und sind kreuz­wei­se verwachsen!

Seit 1892 publi­zier­te Bloy regel­mä­ßig, ins­ge­samt kam er etwa auf 30 Bän­de in sei­nem Lebens­werk. Den Roma­nen, Pam­phlets, Tage­bü­chern und Auto­bio­gra­phien blieb aber der gro­ße Erfolg bis zum Schluß aus. In sei­nem letz­ten Lebens­jahr 1916 zie­hen sie in das Haus, das ihnen der im Krieg 1914 gefal­le­ne Charles Peguy ver­mach­te. Bloy starb im Krei­se sei­ner Fami­lie und sei­ner eng­sten Freun­de. Sein Leben war kei­nes­wegs „bei­spiel­haft“. Wir ver­dan­ken ihm aber eine „bei­spiel­lo­se“ Ver­herr­li­chung des mate­ri­el­len Elends, das nicht immer mit der „Armut im Gei­ste“ der Berg­pre­digt koin­zi­diert, da es in den Elends­vier­teln genau­so viel Geiz und Gier gibt wie in den Palä­sten. Bloys Armut erblüh­te eben­so wenig im „Gei­ste“, da es allem Anschein nach selbst­ver­schul­det und unklug insze­niert wor­den war.

Bloy: "Die Armut und die Gier"
Bloy: „Die Armut und die Gier“

Maso­chi­sti­sche Per­sön­lich­kei­ten suchen also instän­dig die wider­lich­sten Erfah­run­gen und erlau­ben sich oft ein läs­si­ges, unge­zü­gel­tes Leben, da die Fähr­nis­se in kon­flikt­rei­chen Situa­tio­nen gera­de­wegs „griff­be­reit“ vom Him­mel her­ab­be­schwo­ren wer­den kön­nen, in allen mög­li­chen erdenk­li­chen For­men. Freu­de wird abge­lehnt und dafür Abnei­gung und Ärger gesucht. Daher suchen sie Bezie­hun­gen und Situa­tio­nen, die zwangs­läu­fig zu Ent­täu­schun­gen und ande­ren nega­ti­ven Emo­tio­nen füh­ren. Sie befol­gen die­ses Stre­ben nicht nur unbe­wußt. Sie stre­ben zum Teil auch wil­lent­lich danach.

Hil­fe leh­nen sie eben­so ab und wenn sie wel­che erhal­ten, sind sie undank­bar. Sie suchen Leid und Schmerz um ihrer selbst wil­len, sozu­sa­gen l’art pour l’art. Maso­chi­sti­sche Roman­ti­ker sor­gen dafür, daß sie von der Ableh­nung und Wut der ande­ren getrof­fen wer­den. Nicht unbe­dingt töd­lich, aber fürs Jam­mern zurei­chend. Ihre Gedan­ken und Hand­lun­gen stre­ben über das Kon­zept der selbst­er­fül­len­den Pro­phe­zei­ung auch unbe­wußt in eine sol­che Rich­tung. Bloys ein­zi­ge rich­ti­ge Wahl war die Hand sei­ner engel­haf­ten, cha­rak­ter­vol­len Ehe­frau, die ihm 27 Jah­re lang bis zum Grab die Treue hielt. Ohne sie hät­te er sicher­lich als Sand­ler oder Alko­ho­li­ker enden müssen.

Masochismus in der modernen Spaßgesellschaft: Thrill & Kick

  • Sado-Maso­chis­mus gab es immer schon in der Geschich­te. Für die Poli­tik ist die­ses heiß-kal­te Wech­sel­bad gera­de­zu das Lebens­ele­ment. Was gesun­de Men­schen als unan­ge­nehm emp­fin­den, wird von Maso­chi­sten gera­de­zu lust­voll gesucht und gefun­den. Und vice­ver­sa.
  • Was heu­te als Psycho‑, Action‑, Mystery‑, Polit‑, Agen­ten- und Kata­stro­phen-Thril­ler oder als Bun­gee Jum­ping aus 150 m Höhe von einem Turm mit garan­tier­tem Adre­na­lin-Kick gebucht wer­den kann, das war im alten Rom der Tier- und Gla­dia­to­ren­kampf. In ande­ren Zei­ten waren es öffent­li­che Hin­rich­tun­gen, Hexen- und Ket­zer­ver­bren­nun­gen, Fol­ter und dergleichen.
  • Angst und Schmerz in klei­nen Dosen – Thrill – kann auf Jahr­märk­ten und Ver­gnü­gungs­parks auf Gei­ster­bah­nen, in Gru­sel­ki­nos und Sado-Maso-Stu­di­os gekauft und nach­emp­fun­den werden.
  • In allen Fit­neß­stu­di­os wird eine maso­chi­sti­sche Kon­trast­er­fah­rung ange­bo­ten, indem auf Dut­zen­den Bild­schir­men – von jedem Blick­win­kel unwei­ger­lich sicht­bar – haar­sträu­ben­de Lei­stun­gen von Extrem­sport­lern gezeigt wer­den. Wil­des Berg­stei­gen und Klet­tern, Ski- und Rad­fah­ren, Sprin­gen, Wel­len­rei­ten etc. in höch­sten Gefah­ren­si­tua­tio­nen und deren Bewäl­ti­gung füh­ren im trai­nie­ren­den Publi­kum mit maso­chi­sti­schen Zügen zu einer spe­zi­ell gewünsch­ten Stei­ge­rung des Lebens­ge­fühls, sti­mu­lie­ren den Nach­ah­mungs­trieb und geben ihnen einen anspor­nen­den Kick.
  • Nicht nur die Gebrü­der Grimm wuß­ten, daß man mit dezen­ten, aber doch Angst aus­lö­sen­den Mär­chen sogar auch posi­ti­ve Effek­te in der Erzie­hung von Klein­kin­dern erwir­ken kann.
  • Und war­um kann Hun­ger­streik als das letz­te Mit­tel der Erpres­sung in Situa­tio­nen von Recht- und Hilf­lo­sig­keit ein­ge­setzt wer­den? Weil eine demon­stra­ti­ve, vor­sätz­li­che Selbst­schä­di­gung selbst für einen hart­ge­sot­te­nen Feind uner­träg­lich ist und unter Umstän­den Nach­sicht und Amne­stie aus­lö­sen kann.

Gerechtigkeit und effiziente Bekämpfung von Armut

  • Daß die welt­wei­te, mate­ri­el­le Armut weder ein unab­wend­ba­res Schick­sal noch ein unlös­ba­res Unter­fan­gen oder Myste­ri­um ist, son­dern ein wirt­schaft­li­ches und tech­ni­sches Pro­blem, das vor allem mit BILDUNG, KULTUR und MORAL zu tun hat – das haben heu­te, nach der Indu­stri­el­len und Post­in­du­stri­el­len Revo­lu­ti­on, die Pro­duk­ti­ons­fak­to­ren GÜTER, DIENSTE und RECHTE mit einer kome­ten­haf­ten Stei­ge­rung der Lei­stungs­fä­hig­keit der Arbeit und der Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on erwie­sen. Wer dies aber mit gesun­dem Haus­ver­stand wirk­lich ernst mein­te, der müß­te natür­lich mit dem maso­chi­sti­schen Lamen­tie­ren sofort auf­hö­ren und ent­spre­chend handeln.
  • Das ver­langt jedoch ein müh­sa­mes Stu­di­um der Betriebs­wirt­schafts­leh­re und der Natio­nal­öko­no­mie in Ver­bin­dung mit einer Viel­falt von Tech­ni­schen Dis­zi­pli­nen und Gei­stes­wis­sen­schaf­ten: Histo­ria magi­stra vitae (Cice­ro, De ora­to­re, II 36), um kei­ne Feh­ler und Illu­sio­nen zu wie­der­ho­len! Die Lern­pro­zes­se dafür kön­nen weder abge­kürzt noch durch Migra­ti­on nivel­liert werden.
  • Halba­n­alpha­be­ten kön­nen sich an hoch­ent­wickel­te Lebens­for­men kaum anpas­sen und blei­ben ein Leben lang an Almo­sen ange­wie­se­ne, arbeits­lo­se Bett­ler, die euphe­mi­stisch „Sozi­al­fäl­le“ genannt wer­den. Wenn unge­bil­de­te, der Spra­che und aller ande­ren hoch­ge­stell­ten Anfor­de­run­gen unkun­di­ge „Wirt­schafts­flücht­lin­ge“ in der Frem­de unver­mit­telt ankom­men, dann war­tet erst recht eine Sinn­flut von Fru­stra­tio­nen auf sie. So möge man etwa wie in einem Vexier­spie­gel vor­stel­len, wenn einer von uns in Sau­di-Ara­bi­en oder Marok­ko ein neu­es Leben begin­nen müß­te: Ein vor­pro­gram­mier­tes Fias­ko wäre so gut wie unvermeidbar!
  • Die unter­ent­wickel­ten, armen Län­der müs­sen alles dar­an set­zen, ihren wirt­schaft­li­chen, tech­ni­schen und vor allem mora­li­schen Nach­hol­be­darf in situ zwar beschleu­nigt umzu­set­zen, – schnel­ler als dies in der Ersten Welt im Ver­lau­fe der letz­ten 300 Jah­re histo­risch mög­lich war –, kön­nen aber vor allem aus der Ket­te der mora­li­schen Ent­wick­lung kein Glied überspringen.
  • Der Bei­stand der rei­chen für die armen Natio­nen kann nicht anders ver­lau­fen als die Erzie­hung zur Frei­heit: Jugend­li­che und Arme dür­fen nicht ver­las­sen, aber auch nicht ver­wöhnt wer­den. Für die gesun­de See­le ist jeder klei­ne (frei­lich zumut­ba­re, aber nicht gesuch­te) Schmerz ein Indi­ka­tor wie der Zahn­schmerz oder der Mus­kel­ka­ter nach einem har­ten Trai­ning. Die Zög­lin­ge brau­chen die Ver­mitt­lung von Bil­dung und Cha­rak­ter für den Wett­kampf und die Selb­stän­dig­keit im Leben. Frei­lich kön­nen Leh­rer und Erzie­her Cha­rak­ter nur dann ver­mit­teln, wenn sie sel­ber einen haben!
  • Die Armut im Gei­ste ist ein ande­res, ein spi­ri­tu­el­les Kapi­tel, das wir in die­sem klei­nen Trak­tat zum Schluß nur flüch­tig erwäh­nen kön­nen. Sie ist ein theo­lo­gi­sches Pro­blem der wah­ren, mensch­li­chen Frei­heit und Frei­ge­big­keit. Einen Lösungs­an­satz ver­mu­te ich bei Tho­mas von Aquin (5), der die fol­gen­den Sät­ze geprägt hat:

AD LIBERALEM PERTINET EMISSIVUM ESSE.
DER FREIGEBIGE SEI GENEIGT, ZU SPENDEN UND AUSZUGEBEN.

Er wird des­halb auch als weit­her­zig bezeichnet;
denn was weit oder breit ist, läßt viel­mehr aus­flie­ßen als daß es zuhält.
Und das­sel­be besagt der Name freigebig.
Denn wer etwas vom Sei­ni­gen aus­gibt, der macht sich
gleich­sam von des­sen Behü­tung und Ver­fü­gung frei und zeigt,
daß sein Herz dadurch nicht beengt oder beschränkt werde.

Nach dem hl. Tho­mas gehört also zu einem frei­en Geist (ad libe­ra­lem) das LOSLASSENKÖNNEN (emis­si­vum esse). Jeder guter Vater, Leh­rer oder hei­len­der Arzt ist somit ein Armer im Gei­ste, wenn er mit jedem Schritt und Tritt dar­auf hin­ar­bei­tet, sich sel­ber über­flüs­sig zu machen, um sein Kind bzw. sei­nen Zög­ling oder Pati­en­ten in die Frei­heit ent­las­sen zu kön­nen. Vor­sorg­li­che Müt­ter kön­nen dage­gen die­sen Schritt der Eman­zi­pa­ti­on nie ganz nach­voll­zie­hen. Ihr Her­zens­kind bleibt ewig­lich ihr Kind­chen. Und nach der Gött­li­chen Weis­heit der Natur ist die­se Rol­len­ver­tei­lung gut so – wenn sie nicht scha­blo­nen­haft erstarrt.

*End­re A. Bár­d­os­sy war o. Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor in San Sal­va­dor de Jujuy, Argen­ti­ni­en, für Betriebswirtschafts­lehre und Lei­ter eines Semi­na­rio de Apli­ca­ción Inter­di­sci­pli­na­ria im Depart­a­men­to de Cien­ci­as Socio-Econó­micas an der Uni­ver­si­dad Nacio­nal de Cuyo in Men­do­za. Zuletzt leg­te er bei Katho​li​sches​.info unter ande­rem die deut­sche Über­set­zung des Auf­sat­zes „Die mar­xi­sti­sche Ver­mitt­lung des christ­li­chen Glau­bens“ von Arturo Sosa Abas­cal (1978), seit Okto­ber 2016 neu­er Jesui­ten­ge­ne­ral, vor sowie die Trilogie:

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Zu Léon Bloy erschien zuletzt auch der Auf­satz von Fried­rich Romig: „Con­sum­ma­tum est“ – Léon Bloy: Das Heil durch die Juden

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Die aktu­ell­sten deut­schen Bücher von und über Léon Bloy bezie­hen über unse­ren Buch­han­dels­part­ner.

Bild: phillit/molbechfamilien.dk/Selene Ortiz (Pinterest)/Renaissance catho­li­que  (Screen­shots)

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(1) Léon Bloy: Das Heil durch die Juden. Karo­lin­ger Ver­lag, Wien 2002. S. 21.

(2) Ibi­dem S. 33f.

(3) Ibi­dem S. 9.

(4) Jac­ques Mari­tain: Huma­nis­me inté­gral. Pro­blè­mes tem­po­rels et spi­ri­tuels d’u­ne nou­vel­le chré­ti­en­té, Paris 1936. Dt. Christ­li­cher Huma­nis­mus, Hei­del­berg 1950.
Cf. die kri­ti­sche Dar­stel­lung dazu von Rober­to de Mat­tei: Die „neue Chri­sten­heit“ Jac­ques Mari­ta­ins. In: Der Kreuz­rit­ter des 20. Jahr­hun­derts: Pli­nio Corrêa de Oli­vei­ra. Ver­lag Öster­rei­chi­sche Gesell­schaft zum Schutz von Tra­di­ti­on, Fami­lie und Pri­vat­ei­gen­tum (TFP), Wien 2004. S. 100 ff, 106, 123, 142.

(5) Die katho­li­sche Wahr­heit oder die theo­lo­gi­sche Sum­ma des Tho­mas von Aquin deutsch wie­der­ge­ge­ben durch Ces­laus Maria Schnei­der. Ver­lags­an­stalt von G. J. Manz, Regens­burg 1886–1892. 12 Bän­de. Secun­da Pars Secun­dae Par­tis. Quae­stio 117. Arti­cu­lus 2. Cf.

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