
(Rom) Die 56 Wähler des Großen Staatsrates haben beim heutigen Konklave keinen neuen Großmeister gewählt, sondern den bisherigen Großprior von Rom, Fra Giacomo Dalla Torre del Tempio di Sanguinetto zum neuen Statthalter bestimmt. Er löst in dieser Funktion Großkomtur Fra Ludwig Hoffmann von Rumerstein ab, der seit dem von Papst Franziskus verlangten Rücktritt des 79. Großmeisters als Statthalter den Orden geführt hatte. Die Wahl fand in der Villa Magistrale in Rom statt, einem exterritorialen Gebiet, das der Souveränität des Ordens untersteht.
Der 80. Großmeister in der fast tausendjährigen Geschichte des Ordens wird voraussichtlich in einem Jahr gewählt. Den Eid wird der Statthalter des Großmeisters morgen in der Kirche Santa Maria in Aventino nicht vor dem päpstlichen Patron des Ordens, Raymond Leo Kardinal Burke, sondern „vor Erzbischof Giovanni Angelo Becciu, dem Sonderbeauftragten des Papstes für den Souveränen Malteserorden, sowie den Mitgliedern des Großen Staatsrates“ ablegen.
Der neue Statthalter des Großmeisters

Giacomo Graf Dalla Torre del Tempio di Sanguinetto wurde 1944 in Rom geboren. Er entstammt altem katholischem Adel aus der Gegend von Treviso. An der Universität La Sapienza in Rom absolvierte er ein Studium der Geisteswissenschaften mit Spezialisierung im Fach Christliche Archäologie. An der Päpstlichen Universität Urbaniana war er Ordinarius für Altgriechisch und Chefbibliothekar und Archiv bedeutender Sammlungen der Universität. Publizistisch trat er vor allem mit Aufsätzen zur Kunstgeschichte des Mittelalters in Erscheinung.
1985 wurde er Mitglied des Malteserorden und legte 1993 die feierlichen Gelübde ab. Damit wurde er Angehöriger des Ersten Standes des Ordens, für den er seither zahlreiche führende Funktionen ausübte. Von 1994–1999 war er Großprior der Lombardei und Venedigs, von 1999–2004 Mitglied des Souveränen Rates, von 2004–2008 Großkomtur des Ordens. Als solcher leitete er den Orden nach dem Tod des 78. Großmeisters, Fra Andrew Bertie, bereits als Statthalter bis zur Wahl des 79. Großmeisters. Seither ist er Großprior von Rom.
Die Dalla Torre del Tempio, Grafen di Sanguinetto
Die Grafen di Sanguinetto sind eng mit dem päpstlichen Hof verbunden. Der Großvater des nunmehrigen Statthalters, Giuseppe Dalla Torre del Tempio di Sanguinetto (1885–1967), war Stadtrat von Padua für die Katholische Union und wurde 1915 Vorsitzender der Katholischen Aktion Italiens. Als solcher unterstützte er den Friedenskurs von Papst Benedikt XV. gegen einen italienischen Kriegseintritt im Ersten Weltkrieg. 1918 ernannte ihn der Papst zum Verwaltungsratsvorsitzenden des Osservatore Romano und 1920 zu dessen Chefredakteur. Ein Amt, das er bis 1960 ausübte. Vor und während des Zweiten Weltkrieges wandte er sich publizistisch gegen die neuheidnischen (Nationalsozialismus) und atheistischen (Kommunismus) Ideologien und ihre menschenverachtende Rassen- und Klassenfeindschaft. In ständiger Reibung mit dem faschistischen Regime lebten er und seine Familie aus Sicherheitsgründen im Vatikan. Die Wahl von Johannes XXIII. und die Ernennung von Kardinalstaatssekretär Domenico Tardini führten zu seinem Rücktritt.
Der Vater, Paolo Dalla Torre del Tempio di Sanguinetto (1910–1993), war ein renommierter Kunsthistoriker, der sich auch mit der Kirchengeschichte der Neuzeit befaßte. Seit 1938 arbeitete er für Museen des Vatikans. Von 1961–1975 war er Generaldirektor der Vatikanischen Museen. Als Stadtrat von Rom für die Democrazia Cristiana (DC) hatte er nach dem Zweiten Weltkrieg auch politische Ämter inne.
Der Bruder des Staatshalters, der Rechtswissenschaftler und Kirchenjurist Giuseppe Dalla Torre del Tempio di Sanguinetto, ist amtierender Gerichtspräsident des Vatikanstaates und Generalstatthalter der Grabesritter (Orden der Ritter vom Heiligen Grab zu Jerusalem). Nach Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten war er von 1991–2014 Rektor der katholischen, römischen Privatuniversität LUMSA, Vorsitzender der Vereinigung Italienischer Katholischer Juristen, Berater des italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti (2011–2013) und Mitglied des Nationalen Bioethikrates von Italien.
Priorität Verfassungsreform
In einer Erklärung des Malteserordens zur Wahl des Statthalters heißt es:
„Einer der wichtigsten Aufgaben“ von Fra Dalla Torre als Statthalter „wird es sein, auf die Reform der Verfassung und des Codex des Ordens hinzuarbeiten.“
Die geltende Verfassung trat 1961 in Kraft und wurde zuletzt 1997 reformiert.
„Mit der vorgeschlagenen Verfassungsreform sollen potenzielle institutionelle Schwächen behoben werden. Die jüngste Krise hat einige Schwächen in den Kontrollmechanismen der Führung offenbart. Diese werden bei der Reform Berücksichtigung finden. Im Vordergrund wird bei der Reform die Notwendigkeit stehen, das spirituelle Leben des Ordens zu stärken und mehr Profess-Mitglieder zu gewinnen. Zudem sollen mehr Berufungen in den Ersten Stand zugelassen werden. Die Gespräche hierzu wurden bereits aufgenommen, und alle Mitglieder des Ordens sind eingeladen, Vorschläge zu unterbreiten.“
Zu den Vollmachten des Statthalters des Großmeisters heißt es in der Pressemitteilung:
„Nach der Verfassung des Ordens bleibt der Statthalter des Großmeisters ein Jahr lang im Amt und ist während dieser Zeit mit denselben Befugnissen ausgestattet wie ein Großmeister. Der Statthalter des Großmeisters muss vor Ende seines Mandats den Großen Staatsrat erneut einberufen.
Der Statthalter des Großmeisters ist Souverän und religiöses Oberhaupt des Ordens, hat sich gänzlich dem Gedeihen der Ordenswerke zu widmen und muss allen Mitgliedern mit einem Leben nach christlichen Werten ein Vorbild sein. Er übt die höchste Amtsgewalt aus. Zusammen mit dem Souveränen Rat erlässt er gesetzliche Regelungen, die nicht in der Verfassung enthalten sind, verkündet Regierungsakte und ratifiziert internationale Vereinbarungen. Der Statthalter des Großmeisters residiert am Regierungssitz des Ordens, dem Magistralpalast in Rom.“
Text: Giuseppe Nardi
Bild: MiL