Päpstliche Verbal-Eskalation: Die neuen Konzentrationslager, der Islam als Opfer und die bedingungslose Masseneinwanderung


Das Blut der Märtyrer (Aktion von KIrche in Not, Fontana di Trevi, April 2016).
Das Blut der Märtyrer (Aktion von KIrche in Not, Fontana di Trevi, April 2016).

(Rom) Papst Fran­zis­kus mein­te es „gut“, schoß aus allen Roh­ren – und schoß weit über das Ziel hin­aus.  Und das gleich in jeder Hin­sicht, wie die Kri­tik von uner­war­te­ter Sei­te durch das Ame­ri­can Jewish Com­mi­tee (AJC) zeigt. 

Gedenken für die neuen Märtyrer

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Am ver­gan­ge­nen Sams­tag gedach­te er auf Ein­la­dung der Gemein­schaft von Sant’Egidio der „Neu­en Mär­ty­rer des 20. und 21. Jahr­hun­derts“, wie es der Vati­kan offi­zi­ell for­mu­lier­te. Die Lit­ur­gie fand in der Basi­li­ka di San Bar­to­lo­meo all’Isola Tibe­ri­na in Rom statt. Wegen des öku­me­ni­schen Cha­rak­ters, den die Gemein­schaft von Sant’Egidio dem Ereig­nis geben woll­te, weil die Mär­ty­rer unter­schied­li­chen christ­li­chen Kon­fes­sio­nen ange­hö­ren, im Nahen Osten vor allem ortho­do­xen und alt­ori­en­ta­li­schen, fand ein Wort­got­tes­dienst statt.

Papst Franziskus bei seiner Ansprache in San Bartolomeo in Rom
Papst Fran­zis­kus bei sei­ner Anspra­che in San Bar­to­lo­meo in Rom

Papst Fran­zis­kus bemüh­te sich in sei­ner Pre­digt, die bis­her vom Hei­li­gen Stuhl nur in ita­lie­ni­scher Spra­che ver­öf­fent­licht wur­de, einen phä­no­me­na­len Spa­gat zu voll­füh­ren, der zwangs­läu­fig schei­tern muß­te. Obwohl der Titel der Ver­an­stal­tung wei­ter gefaßt war, bestand kein Zwei­fel, daß sie den heu­te wegen ihres Glau­bens von Mus­li­men ermor­de­ten Chri­sten galt. Jenen christ­li­chen Mär­ty­rern, deren Opfer­gang im Nahen und Mitt­le­ren Osten in Nord­afri­ka und in Euro­pa der offi­zi­el­len Poli­tik und dem vor­herr­schen­den west­li­chen Den­ken so unan­ge­nehm ist, daß sie – pein­lich berührt – ihn weit­ge­hend ver­tu­schen. Auch Papst Fran­zis­kus schei­nen die neu­en Mär­ty­rer nicht son­der­lich genehm zu sein. Die har­ten Fak­ten ver­schwim­men in sei­ner Dar­stel­lung und Amts­füh­rung. Der Kon­text wird weit­ge­hend ausgeblendet.

Auch am ver­gan­ge­nen Sams­tag wei­ger­te sich Papst Fran­zis­kus, einen Zusam­men­hang zwi­schen der grau­en­vol­len Ermor­dung von unzäh­li­gen Chri­sten und dem Islam her­zu­stel­len. Weder sei der Islam, so der Papst bereits mehr­fach, für das Mor­den ursäch­lich, noch gebe es einen „isla­mi­schen“ Ter­ro­ris­mus, auch nicht im Zusam­men­hang mit den zahl­rei­chen und offen­sicht­li­chen Atten­ta­ten der Dschi­had-Mili­zen im Nahen Osten oder Europa.

Päpstliche Quadratur des Kreises

Die­se poli­tisch kor­rek­te Wei­ge­rung mit ihrem selbst­auf­er­leg­ten Maul­korb macht das Geden­ken an die Opfer, an die neu­en Mär­ty­rer, zu einer Qua­dra­tur des Krei­ses. Eine sol­che ver­such­te Papst Fran­zis­kus am 22. April in der Basi­li­ka di San Bar­to­lo­meo all’Isola Tibe­ri­na in Rom.

Wört­lich sag­te er am Samstag:

„Ich möch­te heu­te eine wei­te­re Iko­ne in die­ser Kir­che hin­zu­fü­gen. Eine Frau. Ich ken­ne ihren Namen nicht. Sie sieht uns aber vom Him­mel aus. Ich war auf Les­bos, grüß­te die Flücht­lin­ge und fand einen 30 Jah­re alten Mann mit drei Kin­dern. Er schau­te mich an und sag­te zu mir: ‚Vater, ich bin Mus­lim. Mei­ne Frau war Chri­stin. Die Ter­ro­ri­sten kamen in unser Dorf, sie haben uns ange­schaut und uns nach der Reli­gi­on gefragt und haben sie mit dem Kreuz gese­hen und haben gesagt, sie soll es auf den Boden wer­fen. Sie hat es nicht getan, und sie haben ihr vor mir die Keh­le durch­ge­schnit­ten. Wir haben uns so sehr geliebt!‘“

Und wei­ter:

„Ich weiß nicht, ob die­ser Mann noch auf Les­bos ist oder es geschafft hat, anders­wo hin­zu­ge­hen. Ich weiß nicht, ob er es geschafft hat, aus die­sem Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger raus­zu­kom­men, weil die Flücht­lings­la­ger – vie­le – sind Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger für die Mas­se der Leu­te, die dort gelas­sen werden.“

Der Islam als Opfer und ein identitätsloser Terrorismus

Weni­ge Sät­ze, mit einer an rea­ler Dra­ma­tik und nack­ter Grau­sam­keit kaum zu über­bie­ten­den Schil­de­rung, die von Papst Fran­zis­kus einer an Per­fek­ti­on kaum zu über­bie­ten­den poli­tisch kor­rek­ten Les­art der aktu­el­len Ereig­nis­se unter­zo­gen wur­de – trotz ihrer weit­rei­chen­der Bedeutung.

Papst Franzikus mit Andrea Riccardi, Gründer und Ehrenvorsitzender der Gemeinschaft von Sant'Egidio
Papst Fran­zi­kus wird von Andrea Ric­car­di, Grün­der und Ehren­vor­sit­zen­der der Gemein­schaft von San­t’E­gi­dio, begrüßt.

Der Islam tritt in Gestalt die­ses einen Man­nes nur als Opfer auf. Das Chri­sten­tum begeg­net im Nar­ra­tiv auch als Opfer, wobei die Beto­nung auf dem rela­ti­vie­ren­den „auch“ liegt, tritt aber – da tot – hin­ter das eigent­li­che Opfer, dem noch leben­den mus­li­mi­schen Mann, zurück, dem es zu hel­fen gilt. Die Frau, so der Papst wei­ter in sei­ner Pre­digt, wur­de näm­lich bereits durch „das Mar­ty­ri­um begna­det“. Der Islam, immer in Gestalt die­ses einen Man­nes, hat daher nichts mit den Tätern zu tun, die zusam­men­hangs- und iden­ti­täts­los als „Ter­ro­ri­sten“ auf­tre­ten. Ein regi­ons­spe­zi­fi­scher Zusam­men­hang wird vom Papst bestrit­ten, obwohl die Ter­ro­ri­sten aus­drück­lich nach der Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit fragen.

Das Schwer­ge­wicht der päpst­li­chen Les­art ist nicht das Mar­ty­ri­um der Chri­stin, die durch isla­mi­sche Ter­ro­ri­sten getö­tet wur­de. Die­ses ent­schei­den­de Detail ver­schweigt der Papst, weil für ihn der „Geist der Welt“ für die Mor­de ver­ant­wort­lich ist. Die Aner­ken­nung der Schuld ist in der christ­li­chen Leh­re aller­dings eine ent­schei­den­de Vor­aus­set­zung zur Umkehr.

Priorität Masseneinwanderung: „Flüchtlinge in Konzentrationslagern“

Die erstaun­li­che Prio­ri­tät, die Papst Fran­zis­kus beim Mär­ty­rer­ge­den­ken setz­te, ist die Behand­lung der „Flücht­lin­ge“ durch die west­li­chen Staa­ten, die so skan­da­lös sei, nach den Wor­ten des Pap­stes jeden­falls weit skan­da­lö­ser als das Mar­ty­ri­um der Chri­sten, daß Fran­zis­kus die Unter­brin­gung der „Flücht­lin­ge“ als „Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger“ denun­zier­te. Ein Begriff, der in der Nach­kriegs­zeit durch Ver­en­gung auf den Zwei­ten Welt­krieg und den natio­nal­so­zia­li­sti­schen Herr­schafts­be­reich weit­ge­hend als Ort der Ver­nich­tung und der unmensch­lich­sten Behand­lung ver­stan­den wird.

Der Papst setz­te am ver­gan­ge­nen Sams­tag ein­deu­ti­ge Prio­ri­tä­ten. Nicht das Mar­ty­ri­um der Chri­sten bil­de­te – trotz des Anlas­ses – die eigent­li­che Prio­ri­tät, son­dern eine gehar­nisch­te Ankla­ge gegen den Westen, die vom Papst seit sei­nem Amts­an­tritt wie­der­holt ver­tei­dig­te Mas­sen­ein­wan­de­rung zu behin­dern. Das sei der eigent­li­che, jeden­falls schwer­wie­gend­ste Skan­dal, so der Papst indirekt.

Brutale Anklage gegen den Westen – Genozid an Christen verblaßt dahinter

Die Ankla­ge gegen Ber­lin, Wien, Rom, Paris, Lon­don, Madrid, Brüs­sel, Athen Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger zu betrei­ben ist von einer sol­chen Här­te, ja Bru­ta­li­tät, daß der Geno­zid der Dschi­ha­di­sten an den Chri­sten dahin­ter ver­blaß­te. So wur­den die Wor­te auch von den Medi­en wei­ter­ge­ge­ben. Mit kei­nem Wort ging Papst Fran­zis­kus bis­her dar­auf ein, daß unter denen, die er poli­tisch kor­rekt und sum­ma­risch als „Flücht­lin­ge“ bezeich­ne­te, sich tat­säch­lich Flücht­lin­ge befin­den, der weit­aus größ­te Teil, auch von jenen, die er selbst bei sei­nem Besuch auf Les­bos gese­hen hat­te, aber kei­ne Flücht­lin­ge sind.

Selfie mit Papst in einer "Flüchtlingsunterkunft" bei Rom
Sel­fie mit Papst in einer „Flücht­lings­un­ter­kunft“ bei Rom

Ita­li­en ver­öf­fent­lich­te erst jüngst die Zah­len für 2016 zu jenen, die mit Boo­ten von Nord­afri­ka aus Ita­li­en erreicht haben. Wie bereits 2015 wur­den ledig­lich fünf Pro­zent als Flücht­lin­ge aner­kannt, und das, obwohl von Sei­ten der ita­lie­ni­schen Mit­te-links-Regie­rung eine gro­ße poli­ti­sche Bereit­schaft zu einer groß­zü­gi­gen Hand­ha­bung besteht. Papst Fran­zis­kus wie­der­hol­te jedoch, daß alle, die er auf Les­bos sah, „Flücht­lin­ge“ waren. Und alle in einem „Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger“ fest­ge­hal­ten und damit impli­zit poten­ti­ell „ver­nich­tet“ und „unmensch­lichst“ behan­delt wer­den. Und es besteht kein Zwei­fel, daß Les­bos und Lam­pe­du­sa als Chif­fren für alle Migran­ten zu ver­ste­hen sind.

Am Tag der neu­en Mär­ty­rer des 20. und 21. Jahr­hun­derts mach­te Papst Fran­zis­kus Euro­pa und den Westen zu den eigent­li­chen Ange­klag­ten. Die isla­mi­schen Täter ver­schwan­den dahin­ter bis zur Unkennt­lich­keit und waren nicht mehr greifbar.

Papst als maßgeblicher Impulsgeber des Migrations-Narrativs

Der ita­lie­ni­sche Wis­sen­schaft­ler Mar­co Bru­no von der römi­schen Uni­ver­si­tät La Sapi­en­za unter­such­te die Ent­wick­lung in der media­len Dar­stel­lung der Mas­sen­ein­wan­de­rung über die Mit­tel­meer-Rou­te. Er stell­te fest, daß in gewis­sen Abstän­den, um eine „Abnut­zung“ und ein Abflau­en des Inter­es­ses zu ver­hin­dern, Ände­run­gen im Nar­ra­tiv vor­ge­nom­men wer­den, bei denen es sich in der Regel um Dra­ma­ti­sie­run­gen im Sin­ne einer Eska­la­ti­on han­delt. Eine zen­tra­le Rol­le weist er dabei Papst Fran­zis­kus zu. Sein Lam­pe­du­sa-Besuch im Juli 2013 sei erst der ent­schei­den­de Motor für die Medi­en­auf­merk­sam­keit für die Ein­wan­de­rung über die Mit­tel­meer-Rou­te gewor­den. Eine ähn­li­che Wir­kung ist sei­nem Les­bos-Besuch im April 2016 zuzuschreiben.

Am ver­gan­ge­nen Sams­tag ver­such­te Papst Fran­zis­kus dem Migra­ti­ons­the­ma einen wei­te­ren „Impuls“ zu geben und dem Lam­pe­du­sa-Nar­ra­tiv und dem ersten Les­bos-Nar­ra­tiv eine neu­es, zwei­tes Les­bos-Nar­ra­tiv anzu­hän­gen: jeweils mit einer deut­li­chen Eska­la­ti­on an Dra­ma­tik, Ankla­ge und Fron­tal­mo­bi­li­sie­rung der Gefühls­ebe­ne. Der Papst betreibt damit Poli­tik und tut dies mit öffent­lich­keits­wirk­sa­mer Genia­li­tät unter Aus­nut­zung der offen­kun­di­gen oder zumin­dest laten­ten Bereit­schaft des poli­ti­schen Estab­lish­ments und damit der füh­ren­den Medi­en ihm dar­in zu folgen.

Päpstliche Verbal-Eskalation und Kritik von unerwarteter Seite

Das vom Papst offen­sicht­lich gezielt ein­ge­setz­te Mit­tel der nar­ra­ti­ven Eska­la­ti­on, der Zwang zur Stei­ge­rung, ging am ver­gan­ge­nen Sams­tag aller­dings soweit, daß sie von uner­war­te­ter Sei­te Kri­tik aus­lö­ste. Mit dem KZ-Ver­gleich griff Fran­zis­kus in das „Hoheits­ge­biet“ einer ande­ren Inter­es­sens­grup­pe mit exklu­si­vem Anspruch ein. Obwohl Fran­zis­kus als der „juden­freund­lich­ste Papst der Geschich­te“ gilt, so Secre­tum meum mihi, zeig­te sich das Ame­ri­can Jewish Com­mi­tee (AJC) in New York gar nicht begei­stert vom päpst­li­chen Sprachgebrauch.

Die Lage der „Ein­wan­de­rer und Flücht­lin­ge“ kön­ne in „eini­gen euro­päi­schen Staa­ten“ der­zeit zwar „schwie­rig“ sein und wür­de „mehr inter­na­tio­na­le Auf­merk­sam­keit“ ver­die­nen, aber die Flücht­lings­un­ter­brin­gung sei nicht mit „Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern“ zu ver­glei­chen, so David Har­ris, der AJC-Vor­sit­zen­de. Die Wort­wahl des Pap­stes sei, „bei allem Respekt“ gegen­über dem Papst, „bedau­er­lich“. Die „Prä­zi­si­on der Spra­che“ sei bei „histo­ri­schen Bezü­gen“, gera­de wenn es sich um eine „so pro­mi­nen­te und bewun­der­te inter­na­tio­na­le Gestalt han­delt“ von „abso­lu­ter Wich­tig­keit“, so Harris.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Youtube/Vatican.va (Screen­shots)

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