Das Ärgernis vom Kreuz und dem Gekreuzigten


Kreuzverehrung
Kreuzverehrung

Gegen­re­de zu einem Kir­chen­zei­tungs­bei­trag von Hubert Hecker.

Anzei­ge

Der Chef­re­dak­teur der drei hes­si­schen Bis­tums-Kir­chen­zei­tun­gen, Johan­nes Becher, plä­diert dafür, die Kreuz­we­ge der katho­li­schen Kir­chen nach Kar­frei­tag abzu­hän­gen bzw. zu erset­zen. Das schreibt er in der Lim­bur­ger Kir­chen­zei­tung „Der Sonn­tag“ vom 9. April 2017. Die Betrach­tung der Pas­si­on Chri­sti soll­te auf die Zeit vor Kar­frei­tag beschränkt blei­ben, damit uns das gan­ze Kir­chen­jahr über die mil­de Son­ne des Oster­mor­gens scheine.

Der Kreuzweg ist eher abschreckend als einladend

Gewiss, Lei­den und Kreu­zes­tod Jesu wären die „Kon­se­quenz sei­nes radi­ka­len Lebens“ gewe­sen, „ein mit­lei­den­der Gott, ein­zig­ar­tig, anbe­tungs­wür­dig, ermu­ti­gend“. Aber wir Chri­sten möch­ten mit Jesu Weg zum Tod am Kreuz nicht stän­dig kon­fron­tiert wer­den. Becher fin­det es gera­de­zu „uner­träg­lich, wenn der Kreuz­weg als Ide­al­ty­pus unse­res Lebens in der Nach­fol­ge gezeich­net wird“.

Zwar wür­den vie­len Chri­sten in zahl­rei­chen Län­dern der schreck­li­che Kreuz­weg der Ver­fol­gung wider­fah­ren, aber das sei eben kein Ide­al­zu­stand. „Mein lie­ben­der Gott braucht kei­ne Brand­op­fer und kei­ne Martyrer.“

Dar­über hin­aus sei bei den aktu­el­len Gewalt- und Hass­aus­brü­chen unse­rer Tage  das „Bereit­stel­len fried­li­cher Gegen­ent­wür­fe“ sinn­vol­ler als das Kla­gen beim Kreuz­weg. Auch für die Chri­sten selbst könn­te man „an das Leben des Jesus von Naza­reth viel ein­la­den­der erin­nern“ als mit den „blu­ti­gen Bil­dern“ der Pas­si­on. Des­halb möch­te er den Lei­dens­weg Chri­sti nach der Kar­wo­che durch Begeg­nungs­bil­der vom Lebens­weg Jesu erset­zen. „Lächeln statt Gei­ße­lung“, Jesu Leh­ren, Hei­len und Seg­nun­gen „statt all der Gewalt und dem vie­len Blut“ bei dem Kreuz­weg des Gottessohnes.

Selektive Bibellesung zu einem Lieber-Jesus-Epos

Es ist offen­sicht­lich, dass der Kom­men­ta­tor Chri­sti Erlö­sungs­weg von Gali­läa nach Jeru­sa­lem ans Kreuz aus­ein­an­der­rei­ßen will: Der lächeln­de, seg­nen­de, hei­len­de Naza­re­ner wird in den Vor­der­grund gerückt. Mit des­sen fried­li­chen Lebens­ent­wür­fen kann man was anfan­gen. Doch die bedrücken­de Pas­si­ons­ge­schich­te? Wer will denn das hören? Das ist doch eher eine abschrecken­de als ein­la­den­de Geschichte.

Die nach­kon­zi­lia­re Theo­lo­gie und Kate­ch­etik haben sich auf eine selek­ti­ve Exege­se ver­steift. Aus den Evan­ge­li­en wer­den nur die Geschich­ten des freund­li­chen Jesus her­aus­ge­siebt. Die For­de­run­gen und Gebo­te Chri­sti, sei­ne War­nun­gen und Wehe­ru­fe, Jesu Gerichts- und Straf­re­den will man den Gläu­bi­gen nicht mehr zumuten.

Aus dem Leben Chri­sti wird ein Lie­ber-Jesus-Epos destil­liert. Sei­ne Leh­ren stuft man zu unver­bind­li­chen Ange­bo­ten her­ab. Die Dring­lich­keit sei­ner Bekeh­rungs­auf­ru­fe, die Unbe­dingt­heit von Umkehr und Nach­fol­ge wer­den aus­ge­blen­det. Man schwärmt von Chri­sti Froh­bot­schaft zum Ankom­men des Got­tes­rei­ches, aber ver­schweigt die Droh­re­de zum kom­men­den Gericht und dem ange­setz­ten Axthieb.

Wozu Erlösung bei Gottes Allbarmherzigkeit?

Vor allem wer­den Rea­li­tät und Fol­gen der Sün­de ver­harm­lost. Der Theo­lo­ge Magnus Striet ver­dünnt das Sün­di­gen in ein homöo­pa­thi­sches Maß, wenn er es so defi­niert: „Sich nicht in den Mög­lich­kei­ten eines Got­tes fest­zu­ma­chen“ (Der Sonn­tag 19. 3. 17).  Die mensch­li­che Anfäl­lig­keit durch die Erb­sün­de ist in Ver­kün­di­gung und Reli­gi­ons­un­ter­richt schon lan­ge kein The­ma mehr. Die Barm­her­zig­keit Got­tes deckt angeb­lich alles zu. Gott ver­zeiht doch sowie­so. Wozu brauch­te es dann die Erlö­sung? Erst recht wird unver­ständ­lich, war­um Chri­stus für unse­re Sün­den lei­den und ster­ben muss­te. Des­halb wer­den auch die Schrift­hin­wei­se aus­ge­klam­mert, dass der Mes­si­as lei­den muss­te, um die Sün­den der Welt zu tragen.

Man will das Schuld­be­kennt­nis aus dem bekann­ten Pas­si­ons­lied nicht mehr hören: „Was du, Herr, hast erdul­det, ist alles mei­ne Last: Ich, ich hab’ es ver­schul­det, was du getra­gen hast.“ In die­sem Sin­ne sind seit dem Hoch­mit­tel­al­ter die Chri­sten den Kreuz­weg als per­sön­li­chen Buß­weg nach­ge­gan­gen. Heu­te sind die Kreuz­we­ge in den Kir­chen viel­fach nur noch Erin­ne­rungs­zei­chen an die Fröm­mig­keit ver­gan­ge­ner Zeiten.

Aber auch der Weg der täg­li­chen Kreuz­auf­nah­me und Selbst­ver­leug­nung in der Nach­fol­ge Chri­sti, wie ihn alle drei syn­op­ti­schen Evan­ge­li­sten über­lie­fern, scheint in der Kir­che nicht mehr oppor­tun zu sein. Das ent­spre­chen­de Jesus­wort an die Jün­ger /​ Chri­sten mit der War­nung, dass man sonst kein Jün­ger Chri­sti sein kön­ne, wird als all­zu „har­te Rede“ eingestuft.

Pas­si­ons­ge­schich­te und Kreu­zes­tod waren für die Jün­ger und frü­hen Chri­sten das ent­schei­den­de und unter­schei­den­de Werk Chri­sti. Es war der Kern ihrer ersten Glau­bens- und Ver­kün­di­gungs­bot­schaft: „Wir aber pre­di­gen Chri­stus, den Gekreu­zig­ten“ (1. Kor 1,23) – und nicht das „lee­re Kreuz“, das Becher als „das Sie­ges­zei­chen“ des Auf­er­stan­de­nen anse­hen will. Auch der auf­er­stan­de­ne Chri­stus ist der gekreu­zig­te, an sei­nen Wund­ma­len erkennbar.

Statt Erlösungstod für unsere Sünden göttliches Solidaritätsleiden?

Woher kommt die Aver­si­on modern(istisch)er Theo­lo­gen gegen die Pas­si­on Christi?

Becher spricht beim Kreuz­weg Chri­sti vom „mit­lei­den­den Gott“. Dar­in ist er sich mit Erz­bi­schof Zol­lit­sch und ande­ren Kir­chen­leu­ten einig, dass Jesu Lei­den und Tod als gött­li­che Soli­da­ri­täts­ak­ti­on zu deu­ten ist, „ermu­ti­gend und trö­stend“ für Chri­sten in ähn­li­cher Lei­dens- und Ver­fol­gungs­la­gen. Aber ist dann der Tod Jesu für Nor­mal-Chri­sten nicht ziem­lich irrele­vant? Oder nur für Men­schen in Unglücks­fäl­len oder bei Alters­lei­den am Lebensende?

Nach die­sem theo­lo­gisch redu­zier­ten Deu­tungs­an­satz ist die näch­ste Zwei­fel­fra­ge logisch. Der Kir­chen­zei­tungs­re­dak­teur fragt: Muss­te Jesus ster­ben, um uns zu erlö­sen? Sei­ne Ant­wort klingt nicht über­zeu­gend: Sein Tod war die Fol­ge sei­ner „Radi­ka­li­tät des Durch­glau­bens“. Die Zwei­fel bei die­ser Les­art wol­len nicht ver­stum­men: War sein grau­sa­mes Ende in Gott­ver­las­sen­heit für die Ver­brei­tung von Jesu anstecken­der Frie­dens­bot­schaft wirk­lich nötig?

Die Bot­schaft der Bibel vom Tod Chri­sti ist eine ande­re als die Deu­tung von Soli­da­ri­täts­han­deln. In ver­schie­de­nen Umschrei­bun­gen und Bil­dern (Sühnop­fer, Los­kauf etc.) sagen die neu­te­sta­ment­li­chen Autoren aus, dass Chri­stus sein Leben hin­gab „für die Sün­den der vie­len“ (Jes 53,12). Und so sagt es der Prie­ster in per­so­na Chri­sti bei jeder hl. Mes­se: „… mein Blut, ver­gos­sen zur Ver­ge­bung der Sün­den“. So beken­nen es die Gläu­bi­gen vor der eige­nen Kom­mu­ni­on mit Chri­stus: „Lamm Got­tes, du nimmst hin­weg die Sün­de der Welt.“ Chri­stus starb für unse­re Sün­den zu unse­rem Heil.

Jede hei­li­ge Mes­se ist nach katho­li­scher Leh­re – im Unter­schied zum pro­te­stan­ti­schen Abend­mahl – eine unblu­ti­ge Ver­ge­gen­wär­ti­gung des ein­ma­li­gen Kreu­zes­op­fers Chri­sti. Die Wand­lungs­wor­te spre­chen die­sen Bezug zum Kreu­zes­tod deut­lich aus. Chri­stus brach­te sich selbst als Opfer für die Sün­den dar, lehrt der Hebräerbrief.

Wenn die­se bibli­sche Kern­bot­schaft auf­ge­ge­ben wird, wie das heu­te vie­le Theo­lo­gen tun, dann ist der Sinn von Chri­sti Kreuz­weg und Kreu­zes­tod aller­dings infra­ge­ge­stellt. Dann bleibt von der Bibel nur ein mensch­lich radi­ka­ler Frie­dens­ver­kün­der, mit dem es lei­der ein tra­gi­sches Ende nahm. Lei­se Kri­tik an Jesu Ver­hal­ten schleicht sich ein: Muss­te er denn so radi­kal sein in sei­nen For­de­run­gen? War die Kon­fron­ta­ti­on mit den jüdi­schen Auto­ri­tä­ten wirk­lich notwendig?

Auch Becher stellt die wei­te­re Zweifel-Frage:

„War das alles (vielleicht nur) eine inszenierte Show des göttlichen Bewegers?“

Zu dem Stich­wort Show fal­len zwei Stücke aus den 70er Jah­ren ein, die das Leben und Lei­den Jesu neu deu­ten wol­len. In dem Pop-Thea­ter „Jesus Christ Super­star“ fragt der Judas-Dar­stel­ler: Hät­te Jesus nicht effek­ti­ver sei­ne gött­li­chen Macht- und Demon­stra­ti­ons­mit­tel für die Ver­brei­tung sei­ner Frie­dens- und Lie­bes­bot­schaft ein­set­zen kön­nen – statt den Streit mit den Phar­sä­ern zu suchen?

In dem Kult­film: „Das Leben des Bri­an“ wird an die Stel­le von Jesu grau­sa­mer Lei­dens­ge­schich­te eine kreuz­fi­de­les Hap­py End gesetzt. Schon der Kreuz­weg („Jeder bit­te nur ein Kreuz!“) ist als wit­zi­ger Par­cours dar­ge­stellt. Als Bri­an und vie­len Mit­ge­kreu­zig­te am Bal­ken hän­gen, jam­mern und kla­gen sie nicht. Sie pfei­fen auf ihre miss­li­che Lage: „Always look at the bright side of life“. In dem opti­mi­sti­schen Pro­gramm-Song heißt es wei­ter: „Das Leben ist ein Lacher, der Tod ein Witz. Ver­giss die Sün­den zu bezah­len, schenk dem Publi­kum dein Strah­len. Du wirst sehen: Alles ist nur Show. Pfeif’ ein Lied­chen, mach’ das Publi­kum froh“. Refrain: “Schau immer nur auf die Son­nen-Sei­ten des Lebens!“

Die Bot­schaft der Kreuz- und Chri­stus-Spöt­ter ist klar: Mit einem herz­haf­ten Lacher und fide­len Lied­chen kann man auch in schlimm­ster Lage Lebens­lust und –mut behal­ten. Der Mon­ty-Python-Film ist die komö­di­an­ti­sche Vari­an­te der kom­mu­ni­sti­schen Paro­le: „Uns aus dem Elend zu erlö­sen müs­sen wir schon sel­ber tun.“ Das Lei­den und Ster­ben des histo­ri­schen Jesus’ wird damit für über­holt oder über­flüs­sig erklärt.

Der Film und sei­ne Bot­schaft sind bis heu­te sehr beliebt – auch bei Chri­sten aller Alters­stu­fen. Was hat­ten und haben Kir­che und Theo­lo­gie dazu zu sagen? Die Initia­ti­ven, selbst kreuz­fi­de­le Kreuz­fe­ste zu fei­ern, bun­te Kreu­ze ohne den Gekreu­zig­ten auf­zu­stel­len  oder die Kreuz­we­ge der Kir­chen abzu­hän­gen sind kei­ne über­zeu­gen­de Ant­wor­ten auf die Glau­bens­kri­se zu Pas­si­on und Erlö­sungs­tod Christi.

Text: Hubert Hecker
Bild: Diö­ze­se Tra­pa­ni (Screen­shot)

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