Der Verrat des Judas – „Wehe dem Menschen, für ihn wäre es besser, er wäre nie geboren“


Der erhängte Judas umgeben von Dämonen, dargestellt in der Kathedrale von Autun.
Der erhängte Judas umgeben von Dämonen, dargestellt in der Kathedrale von Autun.

(Rom) Nach dem Letz­ten Abend­mahl zog sich Jesus mit den Jün­gern in den Gar­ten Geth­se­ma­ne zurück. Judas, der ihn ver­ra­ten hat­te, führ­te die Tem­pel­wa­chen des Hohe­prie­sters zu ihm. Mit einem Kuß gab er ihn den Wachen zu erken­nen. In jüng­ster Zeit rei­ben sich nicht nur unter Theo­lo­gen unter­schied­li­che Inter­pre­ta­tio­nen von Ver­rat und Ver­rä­ter. Wäh­rend Papst Fran­zis­kus am Bei­spiel des Judas eine All­barm­her­zig­keit Got­tes auf­zu­zei­gen ver­sucht, die Zurück­wei­sung sei­ner Reue durch den Hohe­prie­ster als Bei­spiel für die „Hart­her­zig­keit“ der „Dok­to­ren des Buch­sta­bens“ liest und vor allem in einen Zusam­men­hang mit dem Geld stellt, das Judas für sei­nen Ver­rat erhielt, sah sein Vor­gän­ger Bene­dikt XVI. den Ver­rat des Judas zual­ler­erst in einem geist­li­chen Kontext.

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Im Evan­ge­li­um von Mat­thä­us 26, 24–25 heißt es:

Der Men­schen­sohn muß zwar sei­nen Weg gehen, wie die Schrift es über ihn sagt. Aber wehe dem Men­schen, durch den er ver­ra­ten wird. Für ihn wäre es bes­ser, wenn er nie gebo­ren wäre.
Da frag­te Judas, der ihn ver­riet: „Bin ich es etwa, Rabbi?“
Jesus sag­te zu ihm: „Ja, du bist es.“

Päpstlicher „Schmerz“ über „verschlossenes Herz“ des Hohepriesters gegenüber Judas

Es gibt heu­te eine Theo­lo­gie der „lee­ren Höl­le“. Papst Fran­zis­kus kam mehr­fach in sei­nem Pon­ti­fi­kat auf Judas Iska­ri­ot zu spre­chen, den die Evan­ge­li­sten einen „Ver­rä­ter“ und „Dieb“ (Joh 12, 6) nen­nen, von dem „Satan Besitz ergriff“ (Lk 22, 3). Er ist zudem der pro­to­ty­pi­sche Ver­tre­ter eines Pau­pe­ris­mus, den Jesus ver­ur­teilt (Joh 12, 1–8). Fran­zis­kus bemüht sich Judas die Abso­lu­ti­on zu ertei­len. Vor einem Jahr, am 11. April 2016 sag­te er in der mor­gend­li­chen Pre­digt in San­ta Marta:

Es tut mir weh, wenn ich die­se Stel­le im Mat­thä­us-Evan­ge­li­um lese, wenn der reu­ige Judas zu den Prie­stern geht und sagt: ‚Ich habe gesün­digt´, und er ihnen die Sil­ber­stücke zurück­ge­hen will. ‚Was geht das uns an?´, so ant­wor­ten sie ihm. Ein ver­schlos­se­nes Herz gegen­über die­sem armen, reu­igen Mann, der nicht wuss­te, was er tun soll­te. Und er geht weg und erhängt sich. Und was tun sie, wenn sie sehen, dass Judas geht und sich erhängt? Sagen sie: Armer Mann? Nein! Sofort geht es um das Geld: Man darf das Geld nicht in den Tem­pel­schatz tun; denn es klebt Blut dar­an. Die Vor­schrift, die­se, die­se und die­se. Die Dok­to­ren des Buchstabens!“

Am Tag der Pre­digt wur­de nicht die vom Papst genann­te Peri­ko­pe aus dem Mat­thä­us-Evan­ge­li­um vor­ge­tra­gen, son­dern eine Stel­le aus dem Johan­nes-Evan­ge­li­um, die in kei­nem Zusam­men­hang mit Judas steht. In der Lesung aus der Apo­stel­ge­schich­te ging es eben­so­we­nig um Judas, son­dern um die Stei­ni­gung des Erz­mär­ty­rers Stephanus.

Drewermanns Vezelay-Interpretation : judasrettender „Guter Hirte“

Judas erhängt und umringt von Dämonen. Kapitell in der Kathedrale von Autun.
Judas erhängt und umringt von Dämo­nen (Kathe­dra­le von Autun)

Der aus der Kir­che aus­ge­tre­te­ne Eugen Dre­wer­mann inter­pre­tier­te in den 80er Jah­ren ein Kapi­tell in der Basi­li­ka von Vezelay als Chri­stus der Gute Hir­te, der auch Judas Iska­ri­ot, der sich erhängt hat­te, „heim­trägt“. Die­se Dre­wer­mann-The­se wur­de von Papst Fran­zis­kus auf­ge­grif­fen und mehr­fach wie­der­holt. Selbst Judas sei von Jesus geret­tet wor­den, so der Tenor der Botschaft.

In Wirk­lich­keit ist das Schick­sal des Judas nach sei­nem Selbst­mord nicht bekannt. In der Kir­chen­ge­schich­te galt er viel­mehr als einer der sicher Ver­damm­ten. In der Hei­li­gen Schrift heißt es, da ihn die Reue über­kam und zer­fleisch­te, sodaß er, der kei­ne Ret­tung für sich mehr sah, sich selbst erhäng­te. Mehr sagt die Hei­li­ge Schrift nicht. Die­ser Selbst­mord, getrie­ben von äuße­rer Iso­la­ti­on und der inne­ren Erkennt­nis der schreck­lich­sten Tat, erscheint im Kon­text der Hei­li­gen Schrift viel­mehr als Epi­log des oben zitier­ten Her­ren­wor­tes und wur­de durch die Jahr­hun­der­te in der Kir­che auch so verstanden.

Benedikt XVI. über den Verrat des Judas

Bene­dikt XVI. sag­te in der Gene­ral­au­di­enz vom 18. Okto­ber 2006 über Judas:

„Eine zwei­te Fra­ge betrifft den Grund für das Ver­hal­ten des Judas: War­um ver­riet er Jesus? Die Fra­ge ist Gegen­stand ver­schie­de­ner Hypo­the­sen. Eini­ge zie­hen den Fak­tor sei­ner Geld­gier her­an. Ande­re befür­wor­ten eine Erklä­rung auf mes­sia­ni­scher Ebe­ne: Judas sei ent­täuscht gewe­sen, als er gese­hen habe, daß die poli­tisch-mili­tä­ri­sche Befrei­ung sei­nes Lan­des nicht zu den Plä­nen Jesu gehör­te. In Wirk­lich­keit aber unter­strei­chen die Tex­te der Evan­ge­li­en einen ande­ren Aspekt. Johan­nes sagt aus­drück­lich: »Der Teu­fel hat­te Judas, dem Sohn des Simon Iska­ri­ot, schon ins Herz gege­ben, ihn zu ver­ra­ten und aus­zu­lie­fern« (Joh 13,2). Ähn­lich schreibt Lukas: »Der Satan aber ergriff Besitz von Judas, genannt Iska­ri­ot, der zu den Zwölf gehör­te« (Lk 22,3). Auf die­se Wei­se geht man über die histo­ri­schen Moti­va­tio­nen hin­aus und erklärt das Gesche­hen auf der Grund­la­ge der per­sön­li­chen Ver­ant­wor­tung des Judas, der einer Ver­su­chung des Bösen auf erbärm­li­che Wei­se nach­gab. Der Ver­rat des Judas bleibt auf jeden Fall ein Geheim­nis. Jesus hat ihn als Freund behan­delt (vgl. Mt 26,50); bei sei­nen Auf­for­de­run­gen, ihm auf dem Weg der Selig­prei­sun­gen zu fol­gen, übte er jedoch nie­mals Zwang auf den mensch­li­chen Wil­len aus, noch bewahr­te er ihn vor den Ver­su­chun­gen Satans und respek­tier­te damit die mensch­li­che Freiheit.“

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: Wikicommons

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