„Macht fünf Kinder. Ihr seid die Zukunft Europas“ – Erdogans „Heiliger Krieg“ gegen ein schwaches, gesichtsloses Europa – und vielleicht ohne eine Kugel abzufeuern


Muslime in London
Muslime in London

(Ankara/​Brüssel) „Macht fünf Kin­der. Ihr seid die Zukunft Euro­pas.“ Die­se Wor­te des tür­ki­schen Staats­prä­si­den­ten Recep Tayyip Erdo­gan sind das, was man noch vor kur­zem als offe­ne Kriegs­er­klä­rung ein­ge­stuft und auch so benannt hät­te. Erdo­gan woll­te den­noch auf Num­mer sicher gehen, damit es auch der letz­te Euro­pä­er und der letz­te Mus­lim ver­steht, und ließ sei­nen Außen­mi­ni­ster sagen: „Der Hei­li­ge Krieg in Euro­pa ist nahe“.

Der Sultan rasselt mit dem Säbel, doch die EU sorgt sich wegen Geert Wilders

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Wäh­rend Euro­pas Poli­ti­ker, Medi­en und Staats­künst­ler sich in ihrer klei­nen Welt im Kreis dre­hen und „glück­lich“ sind, daß der „Rechts­ruck“ in den Nie­der­lan­den aus­ge­blie­ben ist, ras­selt der tür­ki­sche Staats­prä­si­dent nicht nur am Bos­po­rus mit dem Säbel, son­dern droht offen mit den in den euro­päi­schen Staa­ten leben­den Tür­ken als Fünf­ter Kolon­ne in einem „Hei­li­gen Krieg“. Einen sol­chen scheint er jeden­falls für mög­lich zu hal­ten. Und wenn es nicht zum Krieg kommt, dann zur „fried­li­chen“ Über­nah­me Euro­pas mit­tels Geburtenrate.

Apro­pos „Rechts­ruck“ in den Nie­der­lan­den. Die Frei­heits­par­tei Wil­ders erreich­te selbst bei ihrem Umfra­ge­hö­hen­flug Anfang des Jah­res höch­stens 22 Pro­zent der Stim­men. Alle­mal zu wenig, um eine Regie­rung bil­den zu kön­nen. Die man­gels Pro­zent­hür­de zer­split­ter­te Par­tei­en­land­schaft der Nie­der­lan­de hät­te in jedem Fall zu einer Koali­ti­ons­re­gie­rung aus meh­re­ren Par­tei­en gezwun­gen. Der­zeit geht die Rede, daß Mini­ster­prä­si­dent Rut­te sogar fünf oder sechs Par­tei­en brau­chen könn­te, um eine Mehr­heit zustan­de zu bringen.

Unter den zahl­rei­chen Klein- und Kleinst­par­tei­en, die im neu­en nie­der­län­di­schen Par­la­ment sit­zen, befin­det sich auch die erste Tür­ken­par­tei. Ihre drei Abge­ord­ne­te ent­spre­chen einem Gewicht von nur zwei Pro­zent. In den Nie­der­lan­den kön­nen selbst sie ent­schei­dend sein. Die Tür­ken haben sich damit jeden­falls offi­zi­ell als poli­ti­sche Kraft konstituiert.

Ange­sichts der Droh­ge­bär­den aus Anka­ra muß von einer erheb­li­chen Rea­li­täts­ver­wei­ge­rung gespro­chen wer­den, wenn man sich mehr sorgt, ob Wil­ders 13 oder 15 Pro­zent der Stim­men bekommt, als um Erdogan.

Gelingt dem Establishment in Frankreich das Meisterstück?

In Frank­reich schafft das regie­ren­de Estab­lish­ment gera­de das Mei­ster­stück, einen, Emma­nu­el Macron, der bis vor weni­gen Mona­ten unter Hol­lan­de Mini­ster der abge­half­ter­ten sozia­li­sti­schen Regie­rung und Mit­glied der ver­sin­ken­den Sozia­li­sti­schen Par­tei (PS) war, durch einen Eti­ket­ten­schwin­del zu recy­celn und als Deus ex Machi­na in den Ely­see-Palast zu beför­dern. Es kommt nicht dar­auf an, daß Mari­ne Le Pen in die Stich­wahl kommt, son­dern wel­cher Kan­di­dat es mit ihr schafft, denn die­ser wird – nach allen Geset­zen der Wahr­schein­lich­keit – näch­ster Staats­prä­si­dent sein. Schafft es Macron, und ein­fluß­rei­che Kräf­te arbei­ten mit Nach­druck dar­auf hin, wird am Tag nach der Wahl alles blei­ben wie am Tag vor der Wahl.

Das Mei­ster­haf­te dar­an: Obwohl die Sozia­li­sti­sche Par­tei am Wahl­abend laut der­zei­ti­gen Vor­her­sa­gen unter die Zehn­pro­zent-Mar­ke rut­schen und im ein­stel­li­gen Bereich enden könn­te, wird sie fak­tisch wei­ter­re­gie­ren, als sei nichts gewe­sen. Und das Beste oben­drauf: Die Men­schen wer­den sogar noch das Gefühl haben, etwas geän­dert zu haben. Das nennt man einen Geniestreich.

In Wirk­lich­keit geht es um Mei­nungs­kon­trol­le. Wer ent­schei­den­den Ein­fluß auf die mei­nungs­bil­den­den Medi­en hat, kon­trol­liert die öffent­li­che Mei­nung. Frank­reich scheint gera­de den ulti­ma­ti­ven Beweis zu lie­fern, daß dann selbst das Unmög­li­che mög­lich wer­den kann. Doch in den näch­sten Wochen wird den­noch mit Blick auf Frank­reich mehr Le Pen die Medi­en besor­gen als Erdo­gan. Des­sen Aus­sa­gen wer­den flei­ßig als „wahl­kampf­be­dingt“ und in Klein­asi­en so „üblich“ relativiert.

„Heiliger Krieg“ – für Ankara eine denkmögliche Option

Durch die tür­ki­schen Min­der­hei­ten, die sich eini­ge EU-Staa­ten, vor allem der deut­sche und nie­der­deut­sche Raum, ins Land geholt haben, sind die­se Staa­ten selbst zu direk­ten Betrof­fe­nen der Macht­kämp­fe in der Tür­kei geworden.

Türkei Außenminister Mevlut Cavusoglu
Tür­kei Außen­mi­ni­ster Mev­lut Cavusoglu

Die Inten­si­tät, mit der Erdo­gan und sei­ne Gefolgs­leu­te die Dro­hun­gen gegen Euro­pa aus­spre­chen, über­steigt aller­dings das bis­he­ri­ge Maß. Sie las­sen erken­nen, daß die Gefahr eines „Hei­li­gen Krie­ges“ mit­ten in Euro­pa für Anka­ra durch­aus eine denk­mög­li­che Opti­on ist. Wer in sei­nem Land Krieg gegen die Kur­den und die Oppo­si­ti­on führt und außer­halb sei­nes Lan­des aktiv im Syri­en- und Irak­krieg mit­mischt, der hat wohl kaum eine Scheu, not­falls auch in Euro­pa einen Krieg zu füh­ren oder anzuzetteln.

Die Eska­la­ti­on betrifft die Nie­der­lan­de, die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und auch Däne­mark. Ein­mal beschimpft Erdo­gan die Deut­schen als „Nazi“, dann als „Ter­ro­ri­sten­be­schüt­zer“. Die Ankla­gen schei­nen ihm leicht und belie­big über die Lip­pen zu kommen.

Die euro­päi­schen Staats­kanz­lei­en hof­fen, daß nach dem Ver­fas­sungs­re­fe­ren­dum in der Tür­kei, das Erdo­gan für wei­te­re zehn Jah­re die Macht sichern soll, wie­der Ruhe ein­keh­ren wer­de. Doch da sind Aus­sa­gen von hohen tür­ki­schen Regie­rungs­ver­tre­tern, die Zwei­fel an die­ser „glat­ten“ Vari­an­te schü­ren. Am 15. März erklär­te der tür­ki­sche Außen­mi­ni­ster Mev­lut Cavu­so­glu, daß die Nie­der­la­ge Wil­ders in den Nie­der­lan­den nichts bedeu­te, denn alle grö­ße­ren Par­tei­en dort wür­den Wil­ders Ideen zum Islam tei­len. „Die­se Men­ta­li­tät führt Euro­pa in den Unter­gang. Euro­pa steht vor dem Kol­laps […] bald wird in Euro­pa ein Hei­li­ger Krieg begin­nen“, so der Mini­ster wörtlich.

„Ihr seid die Zukunft Europas“ – Europas Niedergang durch Identitätsverlust

Nur zwei Tage spä­ter folg­te Erdo­gan mit sei­nem Auf­ruf an die Tür­ken in Euro­pa: „Geht in die besten Gegen­den woh­nen, fahrt die besten Autos, wohnt in den schön­sten Häu­sern, macht nicht drei, son­dern fünf Kin­der, denn ihr seid die Zukunft Euro­pas. Das wird die beste Ant­wort auf die Unge­rech­tig­kei­ten gegen euch sein.“

Man müß­te lügen, wür­de man sagen, der Mann habe völ­lig unrecht. Tat­säch­lich steu­ert Euro­pa auf den Abgrund zu. Aber nicht wegen einer angeb­li­chen Islam­feind­lich­keit, son­dern wegen sei­nes Iden­ti­täts­ver­lu­stes, und um genau zu sein, wegen des Ver­lusts sei­ner christ­li­chen Iden­ti­tät. Die­ser Ver­lust macht Euro­pa schwach und unfä­hig, ande­ren Kul­tur zu begeg­nen. Die Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät ist eine Lüge, eine Chi­mä­re, und war auch von Anfang an so kon­zi­piert. Den Wor­ten nach soll­te sie der „Begeg­nung“ der Kul­tu­ren die­nen, doch in Wirk­lich­keit war ihr Ziel die Schwä­chung der eige­nen Kul­tur – und die Kul­tur Euro­pas läßt sich ohne das Chri­sten­tum nicht den­ken. Das wahr­haft  schöp­fe­ri­sche Ele­ment ist das christ­li­che Erbe. Der Rest ist vor allem ein Zeh­ren und Aus­zeh­ren die­ses Erbes, das aber irgend­wann auf­ge­braucht sein wird. Die ande­ren Kul­tu­ren waren und sind im mul­ti­kul­tu­rel­len Kon­zept vor allem Hilfs­mit­tel und Vor­wand die­ses Ver­nich­tungs­pro­zes­ses der eige­nen Kultur.

Demographie: Vorstoß in ein von den Europäern freiwillig geräumtes Feld

Der Islam tritt dem­ge­gen­über als iden­ti­täts­star­ke Kul­tur auf und stößt zudem in ein demo­gra­phi­sches Vaku­um, das die euro­päi­schen Völ­ker seit den 70er Jah­ren haben ent­ste­hen las­sen. Die­ses Vaku­um wur­de seit­her von Jahr zu Jahr grö­ßer, da die euro­päi­schen Völ­ker unauf­halt­sam schrump­fen. Da es den luft­lee­ren Raum im rea­len Leben der Völ­ker nicht gibt, war die Fra­ge nicht ob, son­dern nur wann und wel­ches Volk (wel­che Völ­ker) die­ses Vaku­um aus­fül­len wür­den. Die Mus­li­me rüsten sich dafür, wobei die Tür­ken aus ver­schie­de­nen Grün­den dabei die Füh­rungs­rol­le über­neh­men könn­ten, zumin­dest im deut­schen Kerneuropa.

Die jüng­sten Zah­len des PEW Rese­arch Insti­tu­te spre­chen eine deut­li­che Spra­che. Laut der wei­ter­ge­dach­ten Pro­gno­se dürf­ten die Mus­li­me 2100 min­de­stens ein Fünf­tel der euro­päi­schen Bevöl­ke­rung aus­ma­chen. Ein Fünf­tel in einem eth­nisch zer­split­ter­ten Euro­pa, in dem es kaum noch ein Land geben wird, in dem die Ein­hei­mi­schen die abso­lu­te Mehr­heit haben, ist eine Groß­macht. Sie wer­den in jedem Fall eine gro­ße Min­der­heit inmit­ten zahl­rei­cher Min­der­hei­ten sein und durch­aus in der Lage, sich als domi­nan­te Grup­pe durch­set­zen. Ein Sze­na­rio, das nicht mehr uto­pisch ist. Nach Schät­zung wer­den Bun­des­deut­sche und Öster­rei­cher ab 2050 nur mehr eine Min­der­heit im eige­nen Land sein. Eine Min­der­heit unter ande­ren Min­der­hei­ten. Wel­che die­ser Min­der­hei­ten sich künf­tig durch­set­zen wird, läßt sich irgend­wann weder abse­hen noch steuern.

Die größ­ten Grup­pen von Tür­ken sind heu­te in fol­gen­den EU-Staa­ten anzu­tref­fen (in die­ser Rei­hen­fol­ge): Öster­reich, Nie­der­lan­de, Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, Frank­reich und Bel­gi­en. Ihr Abstim­mungs­ver­hal­ten am 16. April wird Auf­schluß dar­über geben, wie sie auf Erdo­gans Auf­ruf reagieren.

Türkenpartei in den Niederlanden, Islamparteien in Frankreich und Österreich

Die abso­lu­ten Zah­len und die Pro­zen­te der tür­ki­schen Prä­senz in Euro­pa zei­gen, wie gefähr­lich das Ket­ten­ras­seln der Regie­rung in Anka­ra ist. Auf­wie­ge­lung einer Grup­pe, die als Gast­ar­bei­ter Blei­be­recht erhal­ten hat und durch Migra­ti­ons­er­leich­te­rung die Fami­lie nach­zie­hen konn­te, gehört nicht zur fei­nen Art, um einen Euphe­mis­mus zu gebrau­chen. Rache‑, Revan­che- und Ver­gel­tungs­den­ken gegen­über Euro­pa und dem „Westen“ sind im isla­mi­schen Raum kei­ne Unbe­kann­te. In den Nie­der­lan­den gibt es nicht mehr nur tür­ki­sche Abge­ord­ne­ten in den Rei­hen der eta­blier­ten Par­tei­en, son­dern erst­mals drei Abge­ord­ne­te einer eige­nen tür­ki­schen Liste. In Frank­reich ist ver­gan­ge­nes Jahr erst­mals eine isla­mi­sche Par­tei bei Kom­mu­nal­wah­len ange­tre­ten. In Öster­reich will 2018 erst­mals eine isla­mi­sche Par­tei kan­di­die­ren. In Ita­li­en wer­den in die­sen Tagen Schrit­te zur Grün­dung einer isla­mi­schen Par­tei unter­nom­men. Das sind nur eini­ge Beispiele.

Nur wenn man sich bewußt macht, was ent­schlos­se­ne Min­der­hei­ten bewe­gen kön­nen, kann man die Trag­wei­te der isla­mi­schen Prä­senz in Euro­pa begrei­fen. Staa­ten und Regie­run­gen ohne Gesicht und ohne Iden­ti­tät, gefan­gen in einer ste­ri­len lai­zi­sti­schen „Neu­tra­li­tät“, deren Anthro­po­lo­gie den Men­schen vor allem als Kon­sum- und Arbeits­skla­ven begreift (arbei­ten, um zu kon­su­mie­ren), und einem schein­bar unbän­di­gen Drang das Lebens­recht Unge­bo­re­ner und die Fami­lie zu bekämp­fen, dafür aber Wöl­fe und Bäu­me „zu ret­ten“, haben einem selbst­be­wuß­ten Islam wenig Sub­stan­ti­el­les ent­ge­gen­zu­set­zen (außer viel­leicht nack­te Staats­ge­walt, die sich dann aber eben­so, wenn nicht zuerst, gegen die eige­nen Bür­ger richtet).

Erdo­gan hat auch dar­in recht. Die­ser „Hei­li­ge Krieg“ muß viel­leicht erst gar nicht geführt wer­den. „Macht nicht drei, son­dern fünf Kin­der, denn ihr seid die Zukunft Euro­pas.“ Die­ses Euro­pa könn­te bald gar nicht mehr imstan­de sein, eine eigen­stän­di­ge Ant­wort zu geben. Dann könn­te die Fra­ge nur mehr lau­ten, wel­che frem­de, außer­eu­ro­päi­sche Macht Euro­pa von außen oder von innen übernimmt.

Text: Andre­as Becker
Bild: NBQ (Screen­shot)

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