
Der Diener Gottes Raimund Lull (1232–1316), Franziskaner und Universalgelehrter, stammte aus Mallorca. Er verfaßte, neben zahlreichen anderen Schriften, bis 1283/1284 den Roman Libre de Evast e Blanquerna, der gemeinhin als Blanquerna bekannt ist. Er schildert das Leben der gleichnamigen Hauptfigur und gilt als erstes großes literarisches Werk in katalanischer Sprache.
Blanquerna ist eine Gestalt von einem tiefen und reichen geistlichen Leben und Vertreter einer organischen Reform der Kirche. Lull beschreibt anhand der Hauptfigur die sieben Todsünden. Blanquerna entscheidet sich nach einem Leben, das ihn auch die Ehe und die Geburt eines Sohnes erleben läßt, zu einem Eremitendasein. Obwohl er sich nach Zurückgezogenheit sehnt, wird er bald zum Abt einer Mönchsgemeinschaft gewählt und schließlich sogar zum Papst. Sein Pontifikat gestaltet sich unruhig, da er Anfeindungen ausgesetzt ist. Er ordnet die Römische Kurie neu und reformiert sie von Grund auf im rechten Glauben. Danach erklärt er seinen Rücktritt und zieht sich in sein Eremitenleben zurück.
Die Parallelen zu Papst Cölestin V. (1209–1296) sind unverkennbar. Allerdings wurde Cölestin erst zehn Jahr nach der Niederschrift von Blanquerna zum Papst gewählt. Cölestins Pontifikat währte nur wenige Monate, um den Stillstand bei der Papstwahl durch sich gegenseitig lähmende Parteiungen zu überwinden. Sobald dies geschehen war, kündigte er den Kardinälen seinen Rücktritt an, um die Wahl eines Nachfolgers vorzubereiten. Dieser ließ ihn sicherheitshalber, um der Gefahr einer Kirchenspaltung vorzubeugen, da es nur einen Papst geben kann, in Ehrenhaft nehmen. Cölestin, der vor seiner Wahl zum Papst Eremit und Abt war, wurde bereits zu Lebzeiten als Heiliger verehrt.
Eine weitere Analogie gibt es durch den Amtsverzicht von Papst Benedikt XVI. im Februar 2013. Bruder Amando Trujillo Cano, der Generalvikar der Regulierten Tertiaren des heiligen Franziskus (TOR) schrieb zur entsprechende Schilderung in Lulls Roman Blanquerna.
Papst Blanquerna verspürte immer mehr den Wunsch, sich dem Eremitenleben zu widmen, eine Neigung, die ihn begleitete, seit er sich entschieden hatte, seiner Berufung zu folgen. Dieser Wunsch wurde jedesmal größer, wenn er neue kirchliche Verantwortung übernahm und wichtige und bedeutende Reformen nicht nur für die Kirche, sondern auch für die ganze Gesellschaft verwirklichte.
Nun, da er mit allen Kardinälen in einem geheimen Konsistorium versammelt war, schlug er die Schaffung eines Ministeriums (im etymologischen Wortsinn von Dienst) des Gebets vor, dessen Verantwortlicher sich dem kontemplativen Leben widmen sollte, um den Herrn zu bitten, daß er den exzellenten Zustand des Papsttums und der Römischen Kurie bewahren möge, der durch die Reform erreicht worden war. Als die Kardinäle seinen Vorschlag hörten und auch seine Bitte, seinen Verzicht auf das Papsttum anzunehmen und ihn mit dem neuen Gebetsamt zu betrauen, versuchten sie ihn durch allerlei Argumente umzustimmen. Blanquerna antwortete ihnen mit der Bitte, man möge Erbarmen mit ihm haben. Nur wegen dieser nachdrücklichen Bitte nahmen die Kardinäle schließlich seinen Rücktritt an, was Blanquerna sehr erfreute, weil er auf diese Weise seinen innigen Wunsch verwirklichen konnte, sich in einem Eremitendasein ganz der Kontemplation widmen zu können. Er bat die Kardinäle um ihren Segen und dankte ihnen für ihre Unterstützung. Danach zog er sich sofort in das Leben eines Eremiten zurück. Die Kardinäle wählten darauf den Kardinal „Laudamus te“ zum Papst.
Das angestrebte Ziel auf dem Berufungsweg Blanquernas ruft in gewisser Weise den Weg der Heiligung von Walter Map in Erinnerung, der auf dem Dritten Laterankonzil (1179) Mitglied der Kommission zur Prüfung der Lehren der Waldenser war. Er widersetze sich dem von den neuen religiösen Gruppen propagierten, pauperistischen Weg, den er für falsch hielt, denn er beobachtete, daß sie sich, solange sie auf die päpstliche Bestätigung warteten, demütig gaben, aber wenn diese vorlag, ihre ursprünglichen Vorsätze schnell aufgaben, sobald der Ruf ihrer Heiligkeit ihnen Schenkungen und Privilegien einbrachte. Für Walter Map war das unverkennbare Zeichen von Heiligkeit die perfecta caritas, die von drei Eremiten personifiziert wurde, die sich durch leticia perfectae caritatis auszeichneten, die sie der hypocrites tristes entgegensetzten.
Am 22. Februar wird in Rom in der Krypta der Antonius-Basilika (Via Merulana 124) eine Ausstellung über Raimund Lull eröffnet. Die Ausstellung mit dem Titel Raimundus Lullus, Christianus Arabicus – Die Begegnung zwischen Kulturen wird von der Päpstlichen Universität Antonianum in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Institut des Mittelmeers der Universität La Sapienza organisiert.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: catedraferratermora (Screenshot)