Papst Franziskus und die „Machtübernahme des ‚Volkes der Ausgeschlossenen‘ über die demokratischen Regeln hinaus“


One Planet March (2015) und Papst Franziskus
One Planet March (2015) und Papst Franziskus

(Rom) Der Vati­ka­nist San­dro Magi­ster nahm in die­sen Tagen nicht nur die päpst­li­che Glo­ba­li­sie­rungs­kri­tik unter die Lupe, son­dern ins­ge­samt den poli­ti­schen Zun­gen­schlag von Fran­zis­kus. „Der Papst der Barm­her­zig­keit ist auch der Papst der anti­ka­pi­ta­li­sti­schen und glo­ba­li­sie­rungs­feind­li­chen ‚Volks­be­we­gun­gen‘. Castro stirbt, Trump gewinnt, die popu­li­sti­schen Regime Latein­ame­ri­kas bre­chen zusam­men, aber er gibt nicht auf. Er ist über­zeugt, daß die Zukunft der Mensch­heit das Volk der Aus­ge­schlos­se­nen ist“, so Magister.

„Wirtschaft, die tötet“ bekämpfen

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Das Pon­ti­fi­kat von Papst Fran­zis­kus habe „zwei tra­gen­de Ach­sen“, eine reli­giö­se und eine poli­ti­sche. Die reli­giö­se Ach­se „ist der Regen der Barm­her­zig­keit, der alle und alles rei­nigt“. Die poli­ti­sche Ach­se „ist der welt­wei­te Kampf gegen die ‚Wirt­schaft, die tötet‘ “. In Zusam­men­ar­beit mit den „Volks­be­we­gun­gen“ will der Papst die­se Wirt­schaft bekämp­fen. Die Bezeich­nung „Volks­be­we­gun­gen“ wur­de von ihm selbst geprägt. In ihnen „sieht er die Zukunft der Mensch­heit auf­leuch­ten“, so der Vatikanist.

Man muß bis Papst Paul VI. zurück­ge­hen, um ein ver­gleich­ba­res, umfas­sen­des poli­ti­sches Kon­zept zu fin­den, das sich aller­dings auf die katho­li­schen Par­tei­en Euro­pas stütz­te, in Ita­li­en auf die DC von Alci­de Degas­pe­ri, in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land auf die CDU von Kon­rad Ade­nau­er. Die­se euro­päi­sche poli­ti­sche Tra­di­ti­on der Christ­de­mo­kra­tie ist inzwi­schen weit­ge­hend unter­ge­gan­gen oder nur mehr ein Schat­ten ihrer selbst. Der Nie­der­gang wur­de von Vla­di­mir Pal­ko, dem ehe­ma­li­gen slo­wa­ki­schen Innen­mi­ni­ster, in sei­nem Buch „Die Löwen kom­men“ beschrie­ben. Der Nie­der­gang setz­te ein, als die Christ­de­mo­kra­ten, als Reak­ti­on auf die Stu­den­ten­pro­te­ste 1968 zuerst und den Zusam­men­bruch des kom­mu­ni­sti­schen Ost­blocks 1989/​1991 dann, ihre eige­nen Posi­tio­nen aufgaben.

Die­se euro­päi­sche und christ­de­mo­kra­ti­sche Tra­di­ti­on ist Jor­ge Mario Berg­o­glio ohne­hin fremd. „Als Argen­ti­ni­er ist sein Humus ein ganz ande­rer. Er hat einen Namen, der in Euro­pa einen nega­ti­ven Bei­geschmack hat, nicht aber in der Hei­mat des Pap­stes: der Populismus.“

Volk als mythische und mystische Kategorie – „Volksbewegungen werden Schicksal des Planeten bestimmen“

„Das Wort Volk ist nicht eine logi­sche Kate­go­rie, son­dern eine mysti­sche Kate­go­rie“, sag­te Papst Fran­zis­kus im ver­gan­ge­nen Febru­ar auf dem Rück­weg von Mexi­ko. In einem sei­ner jüng­sten Inter­views ver­fei­ner­te er die­se Aus­sa­ge. Weil „alles, was das Volk tut, gut ist“, sei es bes­ser von „mythisch“ statt „mystisch“ zu spre­chen. „Es braucht einen Mythos, um das Volk zu ver­ste­hen“, so Fran­zis­kus. Das Inter­view ist Teil des am 10. Novem­ber von sei­nem Mit­bru­der und Ver­trau­ten, Anto­nio Spa­da­ro SJ, her­aus­ge­ge­be­nen Buches „In dei­nen Augen ist mein Wort“ (Nei tuoi occhi è la mia parola).

„Die­sen Mythos erzählt Berg­o­glio jedes­mal, wenn er die ‚Volks­be­we­gun­gen‘ um sich ver­sam­melt. Das tat er bis­her drei­mal: im Okto­ber 2014 in Rom, im Juli 2015 in Boli­vi­en und zuletzt am 5. Novem­ber 2016 wie­der in Rom. Jedes­mal ent­flammt er das Audi­to­ri­um mit end­lo­sen Reden, jede von 30 Sei­ten Län­ge, die zusam­men das poli­ti­sche Mani­fest die­ses Pap­stes bil­den“, so Magister.

Die Bewe­gun­gen, die Fran­zis­kus um sich schart, wur­den nicht von ihm geschaf­fen. Sie bestan­den bereits vor sei­nem Pon­ti­fi­kat, haben also eine poli­ti­sche, kul­tu­rel­le und ideo­lo­gi­sche Vor­ge­schich­te. Gemein­sam haben sie, daß sie nichts spe­zi­fisch Katho­li­sches haben. Sie sind zum Teil der Rest der gro­ßen anti­ka­pi­ta­li­sti­schen und glo­ba­li­sie­rungs­feind­li­chen Gegen­kund­ge­bung zum WTO-Gip­fel von Seat­tle 1999 und des Welt­so­zi­al­fo­rums, das 2001 in Por­to Aleg­re star­te­te, ergänzt „durch die Viel­zahl der Aus­ge­sto­ße­nen, von denen der Papst ‚jenen Strom der mora­li­schen Ener­gie‘ aus­ge­hen sieht, „der durch die Ein­be­zie­hung der Aus­ge­schlos­se­nen in den Auf­bau des Schick­sals des Pla­ne­ten entsteht“.

Die­ses „Schick­sal des Pla­ne­ten“ wer­de von den „Volks­be­we­gun­gen“ bestimmt, deren Macht­über­nah­me der Papst Fran­zis­kus vor­her­sagt, Es wer­de sich um eine Macht­über­nah­me han­deln, die „die logi­schen Ver­fah­rens­wei­sen der for­ma­len Demo­kra­tie über­steigt“. Wört­lich sag­te der Papst am 5. Novem­ber, die „Volks­be­we­gun­gen sind auf­ge­ru­fen, die Demo­kra­tien, die eine wah­re Kri­se durch­ma­chen, neu zu bele­ben, neu zu gründen“.

„Kommunistische und papistische Internationale um Klassenkampf des 21. Jahrhunderts zu gewinnen“

„Und wenn für die­se welt­wei­te Revo­lu­ti­on ein Anfüh­rer gebraucht wird, dann haben ihn man­che bereits im Papst aus­fin­dig gemacht“, so Magi­ster. Vor einem Jahr tat das im Teat­ro Cer­van­tes von Bue­nos Aires bereits der ita­lie­ni­sche Phi­lo­soph Gian­ni Vat­ti­mo, eine Stim­me, die in welt­wei­ten Ultra­lin­ken Gehör fin­det. Er for­der­te die Bil­dung einer neu­en „kom­mu­ni­sti­schen und papi­sti­schen Inter­na­tio­na­le“, deren unum­strit­te­ner Anfüh­rer Papst Fran­zis­kus sein sol­le, um den „Klas­sen­kampf“ des 21. Jahr­hun­derts „zu füh­ren und zu gewinnen“.

An der Sei­te Vat­ti­mos saß damals Kuri­en­bi­schof Mar­ce­lo Sanchez Sor­on­do am Podi­um. Der Argen­ti­ni­er gehört in poli­ti­schen Fra­gen zu den eng­sten Ver­trau­ten von Papst Fran­zis­kus. Sanchez Sor­on­do schien die Vor­stel­lung einer neu­en Inter­na­tio­na­le sicht­lich zu gefal­len. Es gab kein Wort der Distanzierung.

Die Mäch­te, gegen die das „Volk der Aus­ge­schlos­se­nen“ rebel­liert, sind in der Sicht des Pap­stes „die Wirt­schafts­sy­ste­me, die – um zu über­le­ben – Krieg füh­ren, um ihre Wirt­schafts­bi­lan­zen zu sanie­ren.“ Das, so Magi­ster, sei für Papst Fran­zis­kus auch der Schlüs­sel, mit dem er „den Drit­ten Welt­krieg in Stücken“ und den isla­mi­schen Ter­ro­ris­mus erklärt.

Jesuitengeneral als „Trost“ – „Ausgeschlossene“ verschafften Donald Trump zum Wahlsieg

Unter­des­sen schei­tern jedoch die latein­ame­ri­ka­ni­schen popu­li­sti­schen Regime, für die Papst Fran­zis­kus „soviel Sym­pa­thie bekun­det“, ob in Argen­ti­ni­en, in Bra­si­li­en, in Peru oder in Venezuela.

„Teil­wei­ser Trost ist für den Papst, daß der neue Gene­ral­obe­re des Jesui­ten­or­dens, Pater Arturo Sosa Abas­cal, aus letz­te­rem Land kommt.“ Der neue „Schwar­ze Papst“ hat sein Leben lang nur über Poli­tik und Sozi­al­wis­sen­schaf­ten geschrie­ben und gelehrt. In sei­ner Jugend war er Mar­xist, dann ein Unter­stüt­zer des Auf­stiegs von Hugo Cha­vez, „der el Pue­blo de Vene­zue­la in die Kata­stro­phe führ­te“, so der Vatikanist.

Durch­ein­an­der­ge­bracht wird das poli­ti­sche Kon­zept von Fran­zis­kus nicht nur durch das Abtre­ten der Links­re­gie­run­gen, son­dern auch durch den Tod des Dik­ta­tors Fidel Castro und durch den Wahl­sieg von Donald Trump, der sei­ne Wahl gera­de den Indu­strie­staa­ten an den Gro­ßen Seen ver­dankt. Dort wähl­te die tra­di­tio­nell demo­kra­tisch gepräg­te Arbei­ter­schaft der gro­ßen kapi­ta­li­sti­schen Indu­strie die­ses Mal repu­bli­ka­nisch. Die „Aus­ge­schlos­se­nen“ erkann­ten sich als Glo­ba­li­sie­rungs­ver­lie­rer und zogen die Hand­brem­se. Sie erkann­ten näm­lich auch, daß es eine Glo­ba­li­sie­rungs­zu­sam­men­ar­beit zwi­schen der poli­ti­schen Lin­ken, Unter­neh­mern und Finanz­ka­pi­ta­lis­mus gibt. Das bekann­te­ste Stich­wort die­ser Zusam­men­ar­beit lau­tet: Einwanderung.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: MiL

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3 Kommentare

  1. Im Faschis­mus wie auch im Mar­xis­mus hat der Begriff „Volk“ eine spe­zi­el­le ideo­lo­gi­sche Bedeu­tung. „Volk“ wird als Knüp­pel gegen die Rei­chen und Mächtigen/​Bösen benutzt in der Theo­rie- und in der Pra­xis, wenn sich das „Volk“ dazu benut­zen läßt. Denn der immer Leid­tra­gen­de bei die­sem anti-christ­li­chen Kampf ist auf jeden Fall und über­all „das Volk“.
    Papst Berg­o­glio spielt hier ein mie­ses Spiel mit den Menschen.
    Wie gut, daß sich die Völ­ker gegen die Mani­pu­la­tio­nen und Ver­dum­mungs­stra­te­gien zur Wehr set­zen. Nur in der kom­mu­ni­sti­schen „Volks­re­pu­blik!“ Chi­na und der Brüs­se­ler EU besitzt Papst Fran­zis­kus noch nen­nens­wer­te staat­li­che Ver­bün­de­te, aber nicht mehr all­zu lan­ge, denn der Kom­mu­nis­mus in Chi­na steht kurz vor dem Zusam­men­bruch. Die Gebur­ten­ra­te liegt dort bei sagen­haf­ten 1,05%, wegen der mas­si­ven Kin­der­mord­po­li­tik seit Jahr­zehn­ten. Und auch die EU steht vor dem Kol­laps, wenn nicht alle Anzei­chen (Gott­ver­ges­sen­heit, isla­mi­sche Inva­si­on usw.) trü­gen. Wenn auch die Men­schen ster­ben: Haupt­sa­che die Wüste lebt.

  2. Ob die­se „Volks­be­we­gun­gen“ tat­säch­lich so „glo­ba­li­sie­rungs­kri­tisch“ sind, wie man immer wie­der liest, wäre noch zu unter­su­chen. Oft hat man den Ein­druck, daß es sich hier um Kom­pli­zen der Mäch­ti­gen im Hin­ter­grund han­delt und die „Glo­ba­li­sie­rung“ auf ihre, „bun­te“ Wei­se (sie­he obi­ges Pho­to: One Pla­net) betrei­ben. Jede „Inter­na­tio­na­le“ hat eine „glo­ba­li­sti­sche“ Aus­rich­tung, mehr oder weniger. 

    Jede „Glo­ba­li­sie­rung“, die nicht aus­drück­lich unter dem Christ­kö­nig betrie­ben wird, kann nur im Ver­schwin­den der Frei­heit und im Ver­schwin­den vie­ler Völ­ker enden. Man hat den Ein­druck, daß die „Glo­ba­li­sie­rungs­kri­ti­ker“ lin­ken Zuschnitts genau das betreiben.

  3. Wer so gegen die Wirt­schaft ist, dem darf gar nichts mehr zu essen und zu trin­ken gege­ben noch ver­kauft wer­den. Der soll in den vati­ka­ni­schen Gär­ten in Sub­si­stenz dar­ben. Fran­zis­kus‘ Hal­tung ist fun­da­men­tal gegen das Gute des mensch­li­chen Han­delns gerichtet.
    Und sein mystsch-mythi­scher Volks­be­griff ent­springt wohl direkt einer eso­te­risch-gno­sti­schen Vor­stel­lung für die „das Volk“ ent­schei­den­de Enti­tät ist, in dem das Indi­vi­du­um als Teil völ­lig auf­zu­ge­hen habe, um des „gro­ßen Gan­zen“, der „Bewe­gung“ wegen. Auch dies geht fun­da­men­tal gegen die Wür­de der mensch­li­chen Per­son, die erst das Chri­sten­tum gefun­den hat. Und es geht letzt­end­lich gegen die Erlö­sung jedes Ein­zel­nen durch Chri­sti Opfer.

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