Papst Franziskus: „Alles in Amoris laetitia wurde von zwei Dritteln der Synode gebilligt. Das ist Garantie“


Papst Franziskus mit den Tertio-Redakteuren aus Flandern
Papst Franziskus mit den Tertio-Redakteuren aus Flandern

(Rom) In einem Inter­view mit der bel­gi­schen Zeit­schrift Ter­tio begrün­de­te Papst Fran­zis­kus indi­rekt sei­ne Wei­ge­rung, auf die Fra­gen der vier nam­haf­ten Kar­di­nä­len Brand­mül­ler, Bur­ke, Caf­farra und Meis­ner zu ant­wor­ten, die ihn mit fünf Dubia (Zwei­feln) um Klä­rung umstrit­te­ner Stel­len im nach­syn­oda­len Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia ersucht haben. „Zwei Drit­tel der Syn­oden­vä­ter haben alles, was in Amo­ris lae­ti­tia steht, gebil­ligt. Das ist eine Garantie“. 

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Das scheint für Fran­zis­kus offen­bar auch „Garan­tie“ genug, um sich einer Klä­rung zu ver­wei­gern und das Fort­be­stehen eines offen­sicht­li­che Inter­pre­ta­ti­ons­cha­os zu Amo­ris lae­ti­tia in Kauf zu neh­men. Eine Dul­dung, die sich nur erklärt, wenn das Inter­pre­ta­ti­ons­cha­os einen Zweck erfüllt, der jeden­falls nicht die Klar­heit der kirch­li­chen Ehe- und Sakra­men­ten­leh­re ist. Der Schluß­be­richt der Syn­ode vom 24. Okto­ber 2015 war ein Kom­pro­miß, der in einem Punkt nur wegen einer ein­zi­gen Stim­me zustan­de kam, um Papst Fran­zis­kus vor einer Abstim­mungs­nie­der­la­ge und damit einem Gesichts­ver­lust zu bewah­ren. Es han­delt sich um Absatz 85, der die strit­ti­ge Zulas­sung wie­der­ver­hei­ra­tet Geschie­de­ner zu den Sakra­men­ten behan­delt. Der Schluß­be­richt kam zustan­de, nach­dem die pro­gres­si­ven Kas­pe­ria­ner mit ihrer Fas­sung des Schluß­be­richts am 23. Okto­ber eine Nie­der­la­ge erlit­ten hat­ten und unter gro­ßem Zeit­druck eine For­mu­lie­rung gesucht wer­den wur­de, die zumin­dest für zwei Drit­tel irgend­wie akzep­ta­bel war, ohne daß die pro­gres­si­ve oder die kon­ser­va­ti­ve Sei­te gewon­nen hät­te. Papst Fran­zis­kus brach­te sei­nen Unmut über die pro­gres­si­ve Nie­der­la­ge in sei­ner Schluß­re­de am 24. Okto­ber deut­lich zum Aus­druck. Die Stra­te­gie, den­noch so zu tun „als ob“, die durch das Schrei­ben Amo­ris lae­ti­tia und des­sen prak­ti­sche Umset­zung ver­folgt wird, wur­de erst in den Wochen und Mona­ten danach geschmie­det. Haupt­stich­wort­ge­ber dazu war P. Anto­nio Spa­da­ro, der Schrift­lei­ter der römi­schen Jesui­ten­zeit­schrift La Civil­tà  Cat­to­li­ca.

Die dabei gefun­de­ne For­mel war eben­so wie spä­ter Amo­ris lae­ti­tia sofort Gegen­stand hef­ti­ger Aus­le­gungs­kon­flik­te. Bereits damals wur­de Papst Fran­zis­kus, dar­un­ter auch vom eme­ri­tier­ten Pri­mas von Bel­gi­en, Erz­bi­schof Léo­nard, auf­ge­for­dert, ein klä­ren­des Wort zu den „zwei­deu­ti­gen“ Stel­len zu spre­chen. Weih­bi­schof Atha­na­si­us Schnei­der kri­ti­sier­te, daß der Schluß­be­richt der Syn­ode eine Hin­ter­tür zu einer neo-mosai­schen Pra­xis öffnet.

Unwürdiges Versteckspiel

Das selt­sam unwür­di­ge Ver­steck­spiel begann bereits in den letz­ten Stun­den der Syn­ode über die Fami­lie, indem den Syn­oden­vä­tern der Schluß­be­richt erst im letz­ten Augen­blick und nur in ita­lie­ni­scher Spra­che vor­ge­legt wur­de. Der Schluß­be­richt hat zwar kei­nen lehr­amt­li­chen, son­dern nur bera­te­nen Cha­rak­ter, doch – wie der neu­er­li­che Hin­weis von Papst Fran­zis­kus zeigt – für die gan­ze Ent­wick­lung eine zen­tra­le Bedeutung.

Ita­lie­nisch gilt in der Kir­che aus prak­ti­schen Grün­den zwar als inof­fi­zi­el­le Ver­kehrs­spra­che, genießt aber kei­nen offi­zi­el­len Sta­tus. Kein Syn­oda­le, deren gro­ße Mehr­heit aus den ver­schie­den­sten Welt­ge­gen­den kamen, war ver­pflich­tet, der ita­lie­ni­schen Spra­che mäch­tig zu sein, um den Schluß­text ver­ste­hen und dar­über abstim­men zu kön­nen. Selbst das Ter­tio-Inter­view wur­de vom Vati­kan inner­halb kür­ze­ster Zeit in ande­re Spra­che über­setzt. Der Syn­oden­schluß­be­richt steht auf der Inter­net­sei­te des Vati­kans nach mehr als einem Jahr noch immer nur in ita­lie­ni­scher Spra­che zur Ver­fü­gung. Die Deut­sche Bischofs­kon­fe­renz erstell­te nach­träg­lich eine nicht offi­zi­el­le deut­sche „Arbeits­über­set­zung“.

Weder Papst Fran­zis­kus noch das von sei­nem Ver­trau­ten, Kar­di­nal Loren­zo Bal­dis­se­ri, gelei­te­te Gene­ral­se­kre­ta­ri­at der Bischofs­syn­oden, hat­ten ein Inter­es­se dar­an, die­sen wich­ti­gen Text den Syn­oden­vä­tern, aber auch der inter­na­tio­na­len Öffent­lich­keit ange­mes­sen zugäng­lich zu machen. Dabei beruft sich Fran­zis­kus im Ter­tio-Inter­view zur Recht­fer­ti­gung von Amo­ris lae­ti­tia und sei­ner Wei­ge­rung auf die Dubia der Kar­di­nä­le zu ant­wor­ten, auf den Synodenschlußbericht.

Nicht nur in „kon­ser­va­ti­ven“ Kir­chen­krei­sen stellt man sich die Fra­ge, wie lan­ge Papst Fran­zis­kus die­ses unwür­di­ge Spiel noch fort­set­zen will. Seit dem 8. April 2016 ant­wor­tet Fran­zis­kus auf Fra­gen statt mit einer Ant­wort mit Ver­wei­sen auf die Stel­lung­nah­me und Tex­te von die­sem oder jenem. Sein Umfeld beschimpft Fra­gen­de sogar mit der pole­mi­schen For­mel, wer nicht ver­ste­hen wol­le, der kön­ne auch nicht ver­ste­hen. Aus­flüch­te über Aus­flüch­te, um dem aus dem Weg zu gehen, was selbst­ver­ständ­lich gebo­ten sein soll­te: näm­lich auf eine Fra­ge eine Ant­wort zu geben.

Eini­ge Arti­kel zum Schluß­be­richt der Syn­ode vom Herbst 2015:

Non pos­su­mus – Bischof Atha­na­si­us Schnei­der über den Schluß­be­richt der Bischofssynode
Das Ergeb­nis der Fami­li­en­syn­ode VIII – Rober­to de Mat­tei: Kei­ne Gewin­ner, nur Ver­lie­rer – an erster Stel­le die katho­li­sche Moral
Das Ergeb­nis der Fami­li­en­syn­ode V – Hat die Kir­che die Weis­heit über die Natur des Men­schen verloren?
Das Ergeb­nis der Fami­li­en­syn­ode IV – Kar­di­nal Kas­per: „Bin sehr zufrieden“
Das Ergeb­nis der Fami­li­en­syn­ode II – Schluß­re­de von Papst Franziskus
Bene­dikt XVI. und der Syn­oden­aus­gang – oder bes­ser – Die Kas­pe­ria­ner und die Zeit nach Franziskus
Syn­ode öff­net „Kom­mu­ni­on“ für Geschie­de­ne: Ja oder Nein?
New Yor­ker Theo­lo­ge kri­ti­siert Spa­da­ros Syn­oden-Aus­le­gung (und Papst Franziskus)
Syn­ode: Fran­zis­kus schweigt, doch Pater Spa­da­ro sagt, wie Papst ent­schei­den wird 
Erz­bi­schof Léo­nard: „Schluß­be­richt der Syn­ode zwei­deu­tig“ – „Kla­res Wort“ von Papst Fran­zis­kus erwartet
Syn­oden­schluß­be­richt stürzt Frank­reichs Bischö­fe ins Durcheinander
Papst Fran­zis­kus und der (noch immer nur) ita­lie­ni­sche Synodenschlußbericht 

Tertio-Interview: „Das ist eine Garantie“

Tertio-Interview: "Die Revolution der Zärtlichkeit"
Ter­tio-Inter­view: „Die Revo­lu­ti­on der Zärtlichkeit“

Ter­tio ist eine 2000 gegrün­de­te katho­li­sche Zeit­schrift in Flan­dern, die an jedem Mitt­woch in Ant­wer­pen erscheint. Am 7. Dezem­ber ver­öf­fent­lich­te sie das aus­führ­li­che Inter­view „Revo­lu­tie van teder­heid bezweert car­dioscle­ro­se“ (Die Revo­lu­ti­on der Zärt­lich­keit bannt die Herz­ver­kal­kung) mit Papst Fran­zis­kus. Das Inter­view ist für das päpst­li­che Umfeld von sol­cher Bedeu­tung, daß es vom vati­ka­ni­schen Pres­se­amt noch am sel­ben Tag voll­in­halt­lich ins Tages­bul­le­tin über­nom­men wur­de. Die Zeit­schrift Ter­tio ver­öf­fent­lich­te das Inter­view in flä­misch, das Pres­se­amt hin­ge­gen sowohl das spa­ni­sche Ori­gi­nal als auch eine ita­lie­ni­sche Über­set­zung. Das Inter­view wur­de auf spa­nisch geführt.

Ter­tio: Uns scheint, daß Sie das Zwei­te Vati­ca­num auf die heu­ti­ge Zeit deu­ten. Sie zei­gen uns Wege der Erneue­rung in der Kir­che. Die syn­oda­le Kir­che … In der Syn­ode haben Sie Ihre Visi­on der Kir­che der Zukunft dar­ge­legt. Könn­ten Sie das für unse­re Leser erklären?

Papst Fran­zis­kus: Die „syn­oda­le Kir­che“, ich grei­fe die­ses Wort auf: Die Kir­che ent­steht aus den Gemein­schaf­ten, sie ent­steht an der Basis, aus den Gemein­schaf­ten, sie ent­steht aus der Tau­fe; und sie orga­ni­siert sich um einen Bischof, der sie ver­sam­melt, ihr Kraft ver­leiht; der Bischof, der Nach­fol­ger der Apo­stel ist. Das ist die Kir­che. Aber auf der gan­zen Welt gibt es vie­le Bischö­fe, vie­le orga­ni­sier­te Kir­chen, und es gibt Petrus. Daher: Ent­we­der gibt es eine pyra­mi­da­le Kir­che, wo man tut, was Petrus sagt, oder es gibt eine syn­oda­le Kir­che, in der Petrus Petrus ist, aber die Kir­che beglei­tet, sie wach­sen läßt, auf sie hört; mehr noch: er lernt von die­ser Rea­li­tät und har­mo­ni­siert, unter­schei­det, was aus der Kir­che kommt und gibt es zurück. Die reich­ste Erfah­rung von dem allem waren die bei­den letz­ten Syn­oden. Dort wur­den alle Bischö­fe der Welt gehört durch die Vor­be­rei­tung; alle Kir­chen der Welt, die Diö­ze­sen, haben gear­bei­tet. Die­ses gan­ze Mate­ri­al ist in einer ersten Syn­ode auf­ge­ar­bei­tet wor­den, das die Ergeb­nis­se der Kir­che brach­te; und dann ist man ein zwei­tes Mal zusam­men­ge­kom­men – die zwei­te Syn­ode – um das alles zu ver­voll­stän­di­gen. Und dort kam Amo­ris lae­ti­tia her­aus. Der Reich­tum der Viel­falt an Schat­tie­run­gen ist inter­es­sant, die der Kir­che eigen it. Sie ist Ein­heit in der Viel­falt. Das ist Syn­oda­li­tät. Nicht von oben her­ab­las­sen, son­dern die Kir­chen anhö­ren, sie har­mo­ni­sie­ren, unter­schei­den. Und daher gibt es ein nach­syn­oda­les Schrei­ben, das Amo­ria lae­ti­tia ist, das das Ergeb­nis von zwei Syn­oden ist, wo die gan­ze Kir­che gear­bei­tet hat, und die der Papst sich zu eigen gemacht hat. Er drückt es auf har­mo­ni­sche Wei­se aus. Es ist inter­es­sant: alles was dort ist [in Amo­ris lae­ti­tia, Anm. Ter­tio], wur­de in der Syn­ode von mehr als zwei Drit­teln der Väter gebil­ligt.  Und das ist eine Garan­tie. Eine syn­oda­le Kir­che bedeu­tet, daß man die­se Bewe­gung von oben nach unten gibt, von oben nach unten. Und das­sel­be in den Diö­ze­sen. Aber es gibt eine latei­ni­sche For­mel, die besagt, daß die Kir­chen immer cum Petro et sub Petro sind. Petrus ist der Garant der Ein­heit der Kir­che. Er ist der Garant. Das ist die Bedeu­tung. Und man muß in der Syn­oda­li­tät vor­an­schrei­ten; die eine der Din­ge ist, die die Ortho­do­xen bewahrt haben. Und auch die katho­li­schen Ost­kir­chen. Es ist ein Reich­tum von ihnen, und das erken­ne ich in der Enzy­kli­ka an.

Text: Giu­sep­pe Nardi
Bild: OR/​OSS/​Tertio (Screen­shots)

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